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NORDRHEIN-WESTFALEN/2199: Hoffnung auf einen festen Job (Li)


Landtag intern 6/2015
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Hoffnung auf einen festen Job
Experten äußern sich im Sozialausschuss zu Wegen aus der Langzeitarbeitslosigkeit

Von Michael Zabka


26. August 2015 - Ein 55-jähriger Mann ohne Berufsausbildung, aber mit Lese-Rechtschreib-Schwäche und womöglich noch einer Vorstrafe. Eine 40-jährige Frau, die schon Jahre aus ihrem erlernten Beruf als Bürogehilfin heraus ist und nach überwundener Suchtkrankheit noch die aus der Privatinsolvenz resultierenden Schulden via Lohnpfändung abstottern muss. Beide sind arbeitslos und die Wahrscheinlichkeit, dass sich daran etwas ändert, ist gering.


Der Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln hatte die Beispiele in einer Stellungnahme für den Sozialausschuss genannt. Dort stand eine Anhörung zum Thema "Langzeitarbeitslosigkeit" auf der Tagesordnung. Mehr als 300.000 Frauen und Männer sind in NRW davon betroffen. Im Ausschuss ging es um die Frage, wie die Chancen dieser Menschen auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden können. Grundlage waren Anträge von SPD und GRÜNEN (Drs. 16/8655) sowie der FDP (Drs. 16/6681).

SPD und GRÜNE setzen sich für die Förderung eines dauerhaften sozialen Arbeitsmarkts ein. Das Motto: "Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren". Viele Menschen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II ("Hartz IV") beziehen, schafften den Schritt aus der Arbeitslosigkeit nicht mehr alleine. Notwendig sei deshalb eine "echte Neuorientierung der Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose mit der Möglichkeit einer dauerhaft angelegten Beschäftigung". Die Finanzierung solle u.a. durch einen "Passiv-Aktiv-Transfer" erfolgen. Das heißt: Die Kosten für Regelbedarf und Unterkunft sollen als Zuschuss für eine Beschäftigung gezahlt werden.

Die FDP will einen anderen Weg gehen. "Die Erfahrungen zeigen, dass ein sozialer Arbeitsmarkt als einziges Mittel völlig unwirksam ist, um die strukturell verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit zu verringern", schreiben die Liberalen in ihrem Antrag. Nur eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt werde mittel- oder langfristig daran etwas ändern. Daher müssten die "Belange der kleinen und mittleren Unternehmen, deren Sorgen bei der Einstellung von Personal, insbesondere wenn es sich um die Teilhabe von Langzeitarbeitslosen handelt, beachtet werden". Qualifikation sei der "Schlüssel, der Menschen die Tür in die Arbeitswelt öffnet". Für bestimmte Zielgruppen böten sich z.B. Teilqualifikationen an.

Der Städtetag NRW empfahl ein "grundlegendes Umsteuern in der Arbeitsmarktpolitik" und die Schaffung eines sozialen Arbeitsmarkts. Dass die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt stets Vorrang vor öffentlich geförderter Beschäftigung habe, stehe dem nicht entgegen. Die Einführung des "Passiv-Aktiv-Transfers" und eine bessere finanzielle Ausstattung der Jobcenter seien sinnvoll. "Der Vorrang der Vermittlung in den allgemeinen Arbeitsmarkt vor einer geförderten Beschäftigung ist selbstverständlich", bestätigte Prof. Dr. Matthias Knuth (Institut für Arbeit und Qualifikation, Universität Duisburg-Essen) in seiner Stellungnahme. Das eine schließe das andere aber nicht aus.


"100.000 ohne Chance"

Trotz vielfältiger Angebote erreiche man nicht alle "marktfernen" Langzeitarbeitslosen, so die Bundesagentur für Arbeit (Regionaldirektion NRW). Diese Menschen würden von einem sozialen Arbeitsmarkt profitieren. Die Freie Wohlfahrtspflege geht davon aus, dass rund 100.000 Menschen in NRW mittel- bis langfristig keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Für besonders benachteiligte Langzeitarbeitslose müsse die "Möglichkeit einer langfristigen öffentlich geförderten Beschäftigung" bestehen. So sah es auch der Diözesan-Caritasverband. Teilqualifizierungen, wie sie die FDP vorschlage, ließen sich mit öffentlich geförderter Beschäftigung kombinieren. Der Antrag der Regierungsfraktionen gehe in die richtige Richtung.

Nach Ansicht von "Unternehmer NRW", der Landesvereinigung der Unternehmensverbände, ist eine dauerhaft öffentlich geförderte Beschäftigung dagegen nicht zielführend, "da so Fehlanreize gesetzt werden, reguläre Arbeitsplätze des ersten Arbeitsmarkts verdrängt werden könnten und die Finanzierung durch das Konzept des Passiv-Aktiv-Transfers systematisch zweifelhaft ist".

Der Arbeitsplatz entscheide nicht nur über das Einkommen, sondern auch über die Möglichkeiten sozialer Teilhabe, so der Paritätische NRW. Auch schwer vermittelbare Arbeitslose hätten ein Recht auf Erwerbsarbeit. Wenn es der erste Arbeitsmarkt nicht schaffe, diese Menschen einzubinden, müsse der Staat Hilfen anbieten.

Der DGB Bezirk Nordrhein-Westfalen kritisierte Mittelkürzungen bei den Jobcentern. Es sei wichtig, die Weiterbildungsförderung der Jobcenter zu stärken. Einem Teil der Langzeitarbeitslosen könne aber auch durch einen sozialen Arbeitsmarkt geholfen werden. Er sei aber "kein Allheilmittel".

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Quelle:
Landtag intern 6 - 46. Jahrgang, 8.9.2015, S. 9
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2015

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