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NORDRHEIN-WESTFALEN/2207: Landtag diskutiert kontrovers über Flüchtlingspolitik (Li)


Landtag intern 8/2015
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

PLENUM
Zone oder Zentrum?
Landtag diskutiert kontrovers über Flüchtlingspolitik

Von Michael Zabka und Wibke Busch


4. November 2015 - Wie kann der Zustrom von Flüchtlingen besser organisiert werden? Die Union setzte auf Transitzonen an der Grenze, die SPD auf Einreisezentren, die auf Deutschland verteilt werden. Der Konflikt in der Bundesregierung beschäftigte auf Antrag von CDU und FDP auch den Landtag. Das Plenum diskutierte einen Tag vor dem Kompromiss auf Bundesebene, drei bis fünf dezentrale Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen.

In der Debatte bezeichnete CDU-Fraktionschef Armin Laschet die aktuelle Situation als "historische Herausforderung". Es gehe nun um Problemlösungen, nicht um parteipolitischen Streit. SPD-Chef Sigmar Gabriel und weitere Sozialdemokraten hätten angekündigt, dass sich ihre Partei sinnvollen Lösungen nicht verschließen werde. Einen solchen Beitrag hätte er sich auch von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) gewünscht. Stattdessen habe sie dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) vorgeworfen, Rechtsextremismus zu fördern. Von "Reisezentren" oder "Einreisezentren" zu sprechen, sei Schönrednerei. Die Landesregierung habe "keinen Kompass in dieser Frage".

FDP-Fraktionsvize Dr. Joachim Stamp hielt der Landesregierung ebenfalls "Konzeptlosigkeit" vor. Der Eindruck, es gebe eine Generaleinladung nach Deutschland, sei ein "Kommunikationsfehler" der Bundesregierung gewesen. Er müsse korrigiert werden. Auch ein reiches, starkes Land sei nicht in der Lage, täglich 10.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Erforderlich seien große Einrichtungen, aus denen Menschen, die keine Chance auf ein Bleiberecht hätten, in ihre Heimatländer zurückgeführt würden. Stamp sprach sich dafür aus, Betroffenen einen spezifischen, vorübergehenden Schutz zu gewähren, und forderte den Landtag auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat einzubringen.

"Scheinlösungen"

"Menschen, die vor Fassbomben oder Mörderbanden fliehen", seien keine Bedrohung für diesen Staat, sagte SPD-Fraktionschef Norbert Römer. CSU-Chef Horst Seehofer habe mit seiner "Notstandsrhetorik" die Autorität von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) untergraben und sie an die "Grenze zur Regierungsunfähigkeit" getrieben. Ziel müsse sein, dass weniger Menschen nach Deutschland flüchten. Die Union habe keine Lösungen und Konzepte. "Transitzonen" seien nur Scheinlösungen. Es sei "blödsinnig", eine solche Idee überhaupt in die Öffentlichkeit zu bringen. Sorgen und Ängste gebe es genug, erklärte Römer, gefragt seien nun Mut und Tatkraft.

Für die GRÜNEN-Fraktion sagte Monika Düker, der Vorschlag der Union für Transitzonen sei nicht zu Ende gedacht, nicht praktikabel und europa- wie verfassungsrechtlich bedenklich. Sie sprach von einem "wirren Aktionismus". Der Zuzug von Flüchtlingen werde durch eine solche Maßnahme nicht gebremst. Düker betonte, es sei bereits jetzt möglich, vieles zu tun, um die Asylverfahren in geordnete Bahnen zu lenken "ohne das Schleifen rechtsstaatlicher Grundsätze". Und dies geschehe auch schon. Die Politik brauche nicht täglich neue Vorschläge für "Scheinlösungen". Düker betonte: "Die GRÜNEN werden es nicht mitmachen, dass in einer Krise Grundwerte infrage gestellt werden."

Die PIRATEN-Fraktion lehnte sowohl Transitzonen als auch Einreisezentren ab. Frank Herrmann nannte die Vorschläge "politische Propaganda", die am Zustrom der Flüchtlinge und der Not nichts ändern würden und die nur zur Ablenkung vom Versagen der Bundesregierung dienen sollten. Union und SPD hätten sich offenbar von der Realität verabschiedet, und der Konflikt in der schwarz-roten Bundeskoalition werde in den Landtag hineingezogen. Dies erhöhe nur die Politikverdrossenheit. Die Bürgerinnen und Bürger seien solche Diskussionen leid, und die Flüchtlinge warteten auf konkrete Verbesserungen. Herrmann sagte: "Hören Sie auf, Menschenrechte mit Füßen zu treten."

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sprach sich klar gegen die Einrichtung von Transitzonen aus, da sie eine "Inhaftnahme" der Flüchtlinge bedeuteten. "Wir wollen nicht, dass diese Menschen in Haft genommen werden. Und dabei bleibt es auch." Daher habe die SPD den Vorschlag der Einreisezentren gemacht, um der Union eine Brücke zu bauen. Über diese Brücke wolle CSU-Chef Seehofer aber offenbar nicht gehen. Als "Kernproblem" bezeichnete sie, dass die Asylverfahren zu spät begännen und mit im Schnitt sechs Monaten zu lange dauerten. Hier müsse es Änderungen beim zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geben.

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Quelle:
Landtag intern 8 - 46. Jahrgang, 10.11.2015, S. 3
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2015

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