Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → LANDESPARLAMENTE


NORDRHEIN-WESTFALEN/2294: Landtag streitet über Regierungserklärung (Li)


Landtag intern 8/2017
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Landtag streitet über Regierungserklärung

Von Michael Zabka, Thomas Becker, Susanne Ellert, Dr. Stephan Malessa und Wibke Busch


14. September 2017 - Mehr als vier Stunden dauerte die Debatte: Einen Tag nach der Regierungserklärung von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) lieferten sich Koalition und Opposition im Landtag einen heftigen Schlagabtausch über die Leitlinien der Landesregierung von CDU und FDP.

Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Norbert Römer, warf CDU und FDP in seiner Erwiderung auf die Regierungserklärung vor, eine "ideologische Marktentfesselungspolitik" zu planen. Er kritisierte u. a. das Vorhaben zum Mieterrecht, das "mehr als zehn Millionen Mieter in NRW entrechten" werde. Keine Pläne habe die Landesregierung dagegen in der Sozialpolitik - zu ihr stehe nichts im Koalitionsvertrag. Auch in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten habe sie keine Rolle gespielt. CDU und FDP seien nicht auf die Regierungsübernahme vorbereitet gewesen und "von den eigenen Wahlkampfversprechen überfordert". So habe die Regierung ihre Versprechen in der Verkehrs- und Finanzpolitik bereits zurückgenommen. Römer: "Die Wahl ist vorbei. Sie müssen jetzt liefern." Mit Blick auf die Diskussion um eine geplante Stahlfusion von Thyssenkrupp und dem indischen Konzern Tata Steel rief Römer dem Ministerpräsidenten zu: "Wann endlich beginnt Ihr Kampf um die Arbeitsplätze bei Thyssenkrupp?" In der Vergangenheit habe sich jeder nordrhein-westfälische Ministerpräsident für den Erhalt des Stahlstandortes NRW eingesetzt. Ministerpräsident Laschet habe dagegen "die Hände in die Hosentaschen gelegt" und stelle sich gegen die Interessen von Betriebsrat und Gewerkschaft.


"Lösungen anbieten"

CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen begrüßte die Regierungserklärung von Ministerpräsident Laschet. Bei allen Entscheidungen "Maß und Mitte" im Blick zu haben, sei "wichtig für unser Land". Die "NRW-Koalition" aus CDU und FDP werde "Lösungen anbieten, die eine Mentalität des Einstiegs fördern, und nicht bei der Verwaltung von Fragen stehen bleiben". Die rot-grüne Vorgängerregierung dagegen habe zu viel Bürokratie geschaffen, etwa mit dem Tariftreue- und Vergabegesetz, dem Transparenzgesetz, der Klimaschutzverordnung und dem Klimaschutzgesetz, dem Landesentwicklungsplan und der "Hygieneampel". Das sei nur "die Spitze des rot-grünen Bürokratie-Eisbergs". Die "NRW- Koalition" wolle nun "entrümpeln" und fragen: "Wird diese Regelung noch gebraucht oder kann das weg?" Es gehe darum, "schneller" zu werden und "Planungssicherheit" zu geben. Die "NRW-Koalition" werde "investieren, Arbeitsplätze schaffen, auskömmliche Einkommen sichern, Armut insgesamt und Kinderarmut im Besonderen verhindern" sowie "Bildung und Bildungschancen unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ermöglichen". Die schwarz-gelbe Koalition und die Landesregierung wollten "den Wandel verantwortlich gestalten", sagte Löttgen, und dabei "den Anspruch, unser Bundesland wieder in die Spitzengruppe der deutschen Bundesländer zu führen, nicht aus den Augen verlieren".

Dem Thema "Innere Sicherheit" habe Ministerpräsident Laschet in seiner rund 90-minütigen Regierungserklärung lediglich fünf Minuten gewidmet, sagte AfD-Fraktionschef Marcus Pretzell. Auf der einen Seite habe Laschet von 300 neuen Polizeianwärterinnen und -anwärtern gesprochen, auf der anderen würden 139 neue Stellen durch die Regierungsumbildung geschaffen. Dies zeige die Schwerpunktsetzung und lasse "nichts Gutes" für die nächsten fünf Jahre erahnen. Die AfD-Fraktion unterstütze die angekündigte Abschiebung "ausländischer Rechtsbrecher", werde der Landesregierung aber "auf die Finger schauen, ob Sie das tatsächlich umsetzen". Er vermisse eine Schwerpunktsetzung bei der Kriminalitätsbekämpfung und eine Strategie zur Bekämpfung des Linksextremismus'. Zudem fehle "eine Zielsetzung bei der Quote der Abschiebung vollziehbarer Ausreisepflichtiger". Es sei offen geblieben, wie die Landesregierung zu "Doppelpass" und "Vollverschleierung" stehe und wie Schulden abgebaut werden sollen. Sorge bereite der Fraktion die "Unklarheit in der Umweltpolitik" und der Zustand vieler Straßen. Etwa die Hälfte sei sanierungsbedürftig. Dies lähme die Wirtschaft. In der Familienpolitik sei es falsch, den Fokus "ausschließlich auf Fremdbetreuung" zu legen. Die Förderung der familiären Betreuung dürfe nicht vergessen werden.


"In die Spitzengruppe"

Der Vorsitzende der FDP-Fraktion Christian Lindner betonte: "Unser Anspruch ist es, Nordrhein-Westfalen wieder in die Spitzengruppe der Länder zu führen." Der Koalition gehe es um sozialen Ausgleich und sozialen Aufstieg, um Freiheit und Sicherheit, Ökonomie und Ökologie, Bewahren und Gründen und das Leben in Städten und auf dem Land. Die Landesregierung stehe für eine neue Balance. Die Koalition wolle das Bildungssystem verbessern. Daher wolle sie eine Reform des Kinderbildungsgesetzes auf den Weg bringen, um die Kitafinanzierung langfristig zu sichern. Aber auch flexiblere Betreuungszeiten sowie mehr Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen seien wichtig. Zum Thema "Innere Sicherheit" sagte Lindner: "Wir bringen mehr Polizei auf die Straße." Außerdem wolle die Koalition verdachtsunabhängige Kontrollen ermöglichen, sofern ein konkreter Anlass bestehe. In der Energiepolitik brauche es einen Neustart: "Wenn wir die Akzeptanz für die Energiewende erhalten wollen, dann muss der Ausbau in geordnete Bahnen gelenkt werden." Die Koalition wolle sehen, wie die Netze den schon geplanten Ausbau verkraften und erst danach über weitere Maßnahmen sprechen. Auch für den Abbau von Bürokratie stehe Schwarz-Gelb. So sollten Handwerk und Mittelstand gestärkt, aber auch die Gründung von innovativen Unternehmen gefördert werden.

Grünen-Fraktionschef Arndt Klocke sagte, die Überschrift der Regierungserklärung "Maß und Mitte" sei in unruhigen Zeiten "unambitioniert und mutlos". Die Regierungserklärung habe eine Melodie aus "Vergangenem, fehlendem Mut, Restauration, Klientelinteressen und vor allem wenig Aufbruch" durchzogen. Die Wohnungspolitik sei z. B. eine zentrale Fragestellung und dazu habe der Ministerpräsident nichts gesagt. Notwendig sei die Schaffung von bezahlbarem Mietwohnungsbau. Auch die Mobilitäts- und Energiepolitik stellte Klocke in den Mittelpunkt: Die Frage sei, wie der politische Rahmen für eine prosperierende Automobilindustrie aussehe, die in Richtung eines emissionsfreien Antriebs gehe. Klocke kritisierte zudem das Vorhaben, den Mindestabstand von Windanlagen zur Wohnbebauung auf 1.500 Meter auszuweiten. Dadurch kämen 90 Prozent der möglichen Windenergieflächen nicht mehr infrage. "Das vernichtet Arbeitsplätze." Der Ministerpräsident habe zwar von Klimaschutz gesprochen, sei aber unkonkret geblieben. Die meisten Kohlekraftwerke im Rheinischen Braunkohlerevier seien "zu Zeiten Sepp Herbergers" gebaut worden. Es sei Zeit, diese abzuschalten. Klocke: "Legen Sie einen Masterplan für Nordrhein-Westfalen vor, der wirklich Mut hat, der zukunftsorientiert, nachhaltig und durchfinanziert ist."


Weitere Themen aus der Regierungserklärung

Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat in seiner Regierungserklärung die Schwerpunkte der CDU/FDP-Koalition vorgestellt. Neben Energie, Bildung, Inklusion, Mobilität und Digitalisierung ging es um zahlreiche weitere Themen. So kündigte Laschet u. a. den Abbau von Bürokratie ("Entfesselung") an. Dazu gehöre beispielsweise die Abschaffung der sogenannten Hygieneampel. Bis 2025 müsse zudem überall im Land schnelles 5G-Internet verfügbar sein. Angesichts von Telemedizin und autonomem Fahren sei dies "von lebensnotwendiger Bedeutung". Zum Thema "Innere Sicherheit" sagte er, dass noch in diesem Jahr 300 zusätzliche Polizeianwärterinnen und -anwärter eingestellt würden. Außerdem solle der Eintritt in den Polizeidienst auch ohne Abitur möglich werden. Weiterer Schwerpunkt sei der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Erforderlich sei ein "Schulterschluss" von Politik, Wirtschaft und Bürgerschaft. Angesichts der Entwicklungen bei Kohle und Stahl wolle die Landesregierung eine "Ruhrgebietskonferenz" einberufen. Ziele seien bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, mehr Investitionen, Wachstum und Arbeitsplätze.

*

Quelle:
Landtag intern 8 - 48. Jahrgang, 19.09.2017, S. 4-5
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen,
André Kuper, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
Postfach 10 11 43, 40002 Düsseldorf
Telefon (0211) 884-2472, -2850, -2442, -2107, -2304, -2309
Telefax (0211) 884-2250
email@landtag.nrw.de
Internet: www.landtag.nrw.de, www.landtagintern.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang