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NORDRHEIN-WESTFALEN/2311: Anhörung zu Philosophieunterricht an Grundschulen (Li)


Landtag intern 11/2017
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Eine Frage der Betrachtung
Anhörung zu Philosophieunterricht an Grundschulen

von Thomas Becker


6. Dezember 2017 - Was ist Glück? Bleibt Freundschaft für immer? Warum versinkt die Sonne abends nicht, wenn sie doch untergeht? Damit Kinder Fragen wie diesen nachgehen können, fordert die Grünen-Fraktion, Philosophieunterricht als Ersatzfach ergänzend zum konfessionellen Religionsunterricht an nordrhein-westfälischen Grundschulen anzubieten. Bei einer Anhörung im Ausschuss für Schule und Bildung haben sich Sachverständige dazu geäußert.


Als Grundlage diente der Antrag "Philosophie verleiht Flügel!" der Grünen-Fraktion (17/533). Philosophieunterricht sei "als Ergänzung des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts" an Grundschulen "notwendig", heißt es darin. Die Gesellschaft habe sich hin zu mehr Pluralität in Glaubens- und Konfessionsfragen entwickelt. Bereits 18,9 Prozent der Schülerinnen und Schüler an nordrhein-westfälischen Grundschulen seien laut amtlicher Statistik konfessionslos. Diesen Kindern müsse ein Unterrichtsfach angeboten werden, in dem es um Sinn- und Wertefragen gehe, so die Forderung der Grünen-Fraktion.

Bei der Anhörung haben sich alle Sachverständigen positiv zur Einführung von Philosophieunterricht an Grundschulen geäußert. "Ich stimme dem Anliegen, ein Fach 'Ethik' bzw. 'Praktische Philosophie' als Ersatzfach für den konfessionellen Religionsunterricht an Grundschulen einzurichten, ohne Vorbehalt zu", betonte Thomas Nisters, Philosophieprofessor an der Universität zu Köln, in seiner Stellungnahme. Es sei "kaum zu verantworten", Schülerinnen und Schülern einen Unterricht vorzuenthalten, dessen besondere Aufgabe es sei, "Fragen der Sittlichkeit" und "des guten Lebens" in den Blick zu nehmen.

Anne Goebels, Mitarbeiterin des Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung Köln, wies darauf hin, dass ein Ersatzfach für den Religionsunterricht dringend eingerichtet werden müsse. Bislang würden Schülerinnen und Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, oft in "Auffanggruppen" betreut, dort aber nicht unterrichtet. "Diese Situation ist weder für die wissbegierigen Kinder und ihre Erziehungsberechtigten noch für Lehrerinnen und Lehrer akzeptabel", stellte Goebels fest. Der Unterrichtsausfall widerspreche dem im Schulgesetz verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag.

Auch Barbara Wenders, Lehrerin für Sonderpädagogik an der "Primus"-Grundschule in Münster, sprach sich für die Einführung von Philosophieunterricht aus. An der Primus-Schule - einer Modellschule des Landes Nordrhein-Westfalen - fänden regelmäßig Projektwochen statt, bei denen Philosophieunterricht erprobt werde. Die Erfahrungen seien sehr positiv, sagte Wenders. Es gebe "keinen pädagogisch sinnvollen Grund, die Einführung des Faches Philosophie als Ersatzfach für Religion in der Grundschule nicht alsbald umzusetzen".


Nicht allein auf Ethik beschränkt

Laut Klaus Blesenkemper, Philosophieprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, seien auch in anderen Bundesländern positive Erfahrungen gesammelt worden: "Philosophischer Unterricht an Grundschulen ist zum Teil schon seit Jahrzehnten Wirklichkeit in nunmehr insgesamt acht Bundesländern", äußerte sich Blesenkemper in seiner Stellungnahme. Philosophieunterricht sollte allerdings nicht als Ethikunterricht bezeichnet werden, wie teilweise im Antrag der Grünen geschehen: "Mit 'Ethik' ist ein wichtiger Bereich des Philosophierens angesprochen, aber bei weitem nicht der einzige. Auch der konfessionelle Religionsunterricht ist bekanntlich nicht auf christliche Ethik beschränkt."

Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche haben sich ebenfalls dafür ausgesprochen, einen Ersatzunterricht für Kinder anzubieten, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. "Die Auseinandersetzung mit existenziellen sowie Sinn- und Wertfragen ist auch und gerade in der Grundschule zu fördern", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Kirchenrat Dr. Thomas Weckelmann, Beauftragter der Evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung, und Dr. Antonius Hamers, Leiter des Katholischen Büros Nordrhein-Westfalen. "Wenn Eltern eine solche Auseinandersetzung für ihre Kinder außerhalb des bekenntnisgebundenen Religionsunterrichts wünschen, ist diesem Wunsch aus Sicht der Kirchen Rechnung zu tragen."

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Quelle:
Landtag intern 11 - 48. Jahrgang, 22.12.2017, S. 7
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen,
André Kuper, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2018

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