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NORDRHEIN-WESTFALEN/2343: Polizeigesetz im Fokus (Li)


Landtag intern 6/2018
Informationen für die Bürgerinnen und Bürger

Ausschüsse
Polizeigesetz im Fokus
Sachverständige äußern sich zu den geplanten Änderungen

von Susanne Ellert


7. Juni 2018 - Die Landesregierung will das Polizeigesetz ändern. Maßnahmen in Bezug auf Alltagskriminalität und Terrorgefahr sowie zur Freiheitsentziehung standen u. a. im Mittelpunkt einer rund sechsstündigen Anhörung im Innenausschuss. 17 Expertinnen und Experten äußerten sich zu den Vorhaben.


Grundlage der Anhörung war das "Gesetz zur Stärkung der Sicherheit in Nordrhein-Westfalen - Sechstes Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen" (Drs. 17/2351), ein Entwurf der Landesregierung. In drei Blöcken äußerten sich die Sachverständigen zu unterschiedlichen Bereichen des Entwurfs (siehe Kasten). Ein Schwerpunkt waren die Maßnahmen zur Bekämpfung der sogenannten Alltagskriminalität. Darunter fallen die geplante Ausweitung der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen sowie die strategische Fahndung. Bei dieser kann die Polizei ohne Verdacht Personen anhalten und nach ihrer Identität befragen sowie Fahrzeuge und Taschen "in Augenschein" nehmen.

Helga Block, Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, betonte in ihrer Stellungnahme, dass der Entwurf "aus datenschutzrechtlicher Sicht äußerst kritisch zu bewerten" sei. Viele der Regelungen kämen dem Anspruch, den bestmöglichen Schutz mit starken Bürgerrechten zu vereinen, nicht nach. Die Maßnahme der "strategischen Fahndung" träfe "fast ausschließlich" Unbeteiligte. Durch die geplante Erweiterung der Videoüberwachung sei eine "nahezu uferlose Ausweitung" dieser Maßnahme möglich. Die Wirksamkeit sei nicht nachgewiesen.

Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz von der Universität Würzburg hatte keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die "strategische Fahndung" könne eine Vielzahl von unbeteiligten Personen treffen. Die Beschränkung der Freiheit durch die Kontrolle sei jedoch so gering, dass sie hinnehmbar sei. Zu einer flächendeckenden Videoüberwachung käme es nicht, da an dem zu überwachenden Ort konkrete Anhaltspunkte für Straftaten vorliegen oder schwerwiegende Straftaten begangen worden sein müssten.

Prof. Dr. Dr. Markus Thiel von der Deutschen Hochschule der Polizei erklärte, der Entwurf bewege sich im "Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen". Er sehe die Gefahr der flächendeckenden Videoüberwachung nicht. Die Maßnahme solle einzelne Orte betreffen, um Straftaten zu verhindern. Sie dürfe nur eingesetzt werden, wenn es konkrete Hinweise gebe. Auch das unverzügliche Einschreiten der Polizei sei nicht flächendeckend möglich.

Prof. Dr. Jörg Ennuschat von der Ruhr-Universität Bochum sagte in der Anhörung, dass dem Entwurf deutlich das Bemühen um die Verhältnismäßigkeit anzusehen sei, er aber oft zu ungenau bleibe. Es werde in der Begründung z. B. behauptet, dass eine Neuregelung der "strategischen Fahndung" notwendig sei, aber nicht erläutert, warum die bisherigen Maßnahmen unzureichend seien. Außerdem sei an diesem Punkt keine Berichtspflicht gegenüber dem Parlament vorgesehen, die jedoch sinnvoll sei.

"Gefahr einer Zersplitterung"

Dr. Markus Löffelmann, Richter am Landgericht München, sprach sich für eine Harmonisierung der Rechte der Polizei auf Länderebene aus und sieht in den Novellierungen die Gefahr einer "Zersplitterung". Am Entwurf kritisierte er, dass die Inaugenscheinnahme des Kofferraums oder von Taschen bei der Anhalte- und Sichtkontrolle unscharf formuliert sei. Das würde ein Mitwirken der zu kontrollierenden Personen erfordern oder die Polizisten müssten Fahrzeug oder Taschen berühren, was der Inaugenscheinnahme widerspräche.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte den Gesetzentwurf. Insbesondere zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und des internationalen Terrorismus sei eine verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrolle der richtige Schritt. Die Ausweitung der Videoüberwachung auf "gefährliche oder verrufene" Orte dürfe keine reine Abschreckung bleiben. Es brauche Interventionskräfte, die gegebenenfalls eingreifen könnten.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (bdk) äußerte sich positiv zur Novellierung des Polizeigesetzes, hatte jedoch Bedenken hinsichtlich der Personalsituation. Durch die Änderungen entstünde zusätzlicher Personalaufwand, der nicht aufgefangen werden könne. Die Kommunikation der Landesregierung zum Gesetz bewertete sie kritisch; die Bürgerinnen und Bürger seien nicht frühzeitig genug einbezogen und aufgeklärt worden.

Amnesty International sah in verdachtsunabhängigen Kontrollen "immer das Risiko, dass rechtswidrig nach diskriminierenden Kriterien kontrolliert wird". Es sei menschenrechtswidrig, wenn Personen z. B. nur wegen ihres Aussehens kontrolliert würden. Die Ausweitung der Videoüberwachung widerspräche dem Recht auf Privatsphäre. Es gebe effektivere Maßnahmen, Straftaten zu verhindern, beispielsweise das Ausleuchten von Orten.


Änderungen des Polizeigesetzes

Die Anhörung war in drei Blöcke aufgeteilt. Die Sachverständigen bezogen zu zwei weiteren Themenfeldern Stellung. Unter "Maßnahmen zur Bekämpfung der Terrorgefahr" äußerten sie sich u. a. zur Telekommunikationsüberwachung und zur elektronischen Fußfessel. Im Block "Freiheitsentziehung und Waffen" ging es u. a. um die Ausweitung der Dauer des Freiheitsentzugs auf bis zu 14 Tage.

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Quelle:
Landtag intern 6 - 49. Jahrgang, 19.06.2018, S. 15
Herausgeber: Der Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2018

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