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SACHSEN-ANHALT/324: ZwischenRuf 1-2015 - Das Magazin des Landtages


ZwischenRuf 1/2015
DAS MAGAZIN DES LANDTAGES VON SACHSEN-ANHALT

Auf einem guten Weg

25 Jahre Sachsen-Anhalt


INHALT
25 JAHRE SACHSEN-ANHALT

Die erste freie Wahl
Vor 25 Jahren wurde die 10. Volkskammer der DDR gewählt; sie stellte die Weichen für die Deutsche Einheit.

Landtag auf Tour
Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Landes und des Landtags von Sachsen-Anhalt startet eine Gesprächsreihe zwischen Abgeordneten und Schülern.

Schlagzeilen-Schau im Einheitsjahr
Das Land Sachsen-Anhalt und sein Landtag feiern 2015 sein 25-jähriges Bestehen.

Mildensee schreibt Geschichte
Im kleinen Ort Mildensee, heute zu Dessau-Roßlau gehörend, fanden die "ersten freien Wahlen" in der DDR statt.

Ein neues Zeitalter
Am 6. Mai 1990 wurden die DDR-Bürger zu den ersten freien Kommunalwahlen an die Urnen gerufen.

177 Tage Zauber
Für die BUGA wird sich von Havelberg nach Brandenburg entlang der Havel ein Blumenteppich ziehen.

AUS DEM PLENUM

Schattenseiten des Fußballsports
Am Rande von Fußballspielen kommt es immer wieder zu Straftaten. Grund für eine Große Anfrage und eine ausführliche Debatte im Plenum.

Landwirtschaft ist das Herz-Ass
"Eine Politik der Verantwortung für eine zukunftssichere Landwirtschaft" - diesem Motto widmete Landwirtschaftsminister Dr. Hermann Onko Aeikens seine Regierungserklärung.

Ein Ausbildungsplatz für jeden
Trotz Fachkräftemangels haben 400 Jugendliche in Sachsen-Anhalt keine Lehrstelle gefunden.

Zwischen Humanismus und Abschiebezwang
Von Offenheit, Humanismus und Solidarität soll die Zuwanderungspolitik in Sachsen-Anhalt geprägt sein. Die Debatte zeigte unterschiedliche Sichtweisen auf.

Die Vermittlerin
Die Stiftung Dome und Schlösser wacht über einige bedeutende Bauten in Sachsen-Anhalt.

RÜCKBLICK

Jedes Opfer steht für ein Schicksal
Landtag und Landesregierung gedachten am Holocaust-Gedenktag in Bernburg der Millionen Toten des Völkermords durch die Nationalsozialisten.

EINBLICK

Das Gedächtnis des Parlaments
Sie brauchen Ohren wie ein Luchs und mindestens so flinke Finger wie ein guter Pianist, außerdem jede Menge Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer und sehr gutes Allgemeinwissen - Landtagsstenografen haben einen anspruchsvollen Job.

VORGESTELLT

Kulturparadies Köthen
Der diesjährige Gastgeber des Sachsen-Anhalt-Tags hat einiges zu bieten: Bachstadt, Weltstadt der Homöopathie und Vogelkundler. Außerdem feiert die Stadt im Herzen Anhalts ihr 900-jähriges Stadtjubiläum.

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10 JAHRE JUGEND DEBATTIERT IN SACHSEN-ANHALT

Mehr als 1000 Schülerinnen und Schüler aus ganz Sachsen-Anhalt sowie ihre Lehrerinnen und Lehrer nehmen auch in diesem Jahr an dem Wettstreit der gemeinnützigen Hertie-Stiftung teil. Die Sieger der Einzelausscheide auf Ebene der Schulverbünde küren am 11. Mai 2015 im Plenarsaal des Magdeburger Landtags ihre Jahressieger. Was 2005 noch zögerlich begann, hat sich in zehn Jahren zu einem ernst zu nehmenden Wettbewerb gemausert. Und dass sich die Schülerinnen und Schüler aus Sachsen-Anhalt nicht verstecken müssen, zeigen verschiedene Siege auf Bundesebene - zuletzt 2014.

Debattiert wird über praktische Fragen, wie zum Beispiel: Sollen Streiks im öffentlichen Personenverkehr verboten werden? Eine Jury bewertet Sachkenntnis, Ausdrucksvermögen, Gesprächsfähigkeit und Überzeugungskraft. Die Gewinner werden Sachsen-Anhalt beim Bundesausscheid am 25. Juni 2015 in Berlin vertreten. Der Finalausscheid beginnt um 14 Uhr im Landtag, Domplatz 6 - 9, 39104 Magdeburg.

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Ehemaliger Landtagspräsident erhält Großes Verdienstkreuz

Der CDU-Landtagsabgeordnete Dieter Steinecke aus Magdeburg hat das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland erhalten. Der 70-Jährige wurde für sein vielfältiges und langjähriges ehrenamtliches Engagement geehrt und erhielt die Auszeichnung aus den Händen von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff.

Als Landtagspräsident hat sich Steinecke beharrlich für den Aufbau und die Ausgestaltung demokratischer Strukturen in Sachsen-Anhalt eingesetzt. Er war unter anderem Schirmherr des Netzwerks für Demokratie und Toleranz und Präsident der Europäischen Bewegung Sachsen-Anhalt. Europäische Integration und Völkerverständigung sind ihm Herzensanliegen. Sein Engagement im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gilt insbesondere der Arbeit mit Jugendlichen bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Aufarbeitung der deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs.

Stefanie Böhme

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Andreas Schachtschneider neuer CDU-Landtagsabgeordneter

Andreas Schachtschneider (CDU) aus Halle ist seit dem 10. Februar neuer Abgeordneter des Landtags von Sachsen-Anhalt. Der 53-Jährige übernimmt als Nachrücker den Sitz von Jürgen Stadelmann, der sein Amt wegen einer beruflichen Neuorientierung Anfang Februar niedergelegt hatte. Schachtschneider arbeitete seit 2004 als Berufsschullehrer, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Daneben ist er seit vielen Jahren in seiner Heimatstadt politisch engagiert. Seit 2002 ist er Mitglied in der CDU, vier Jahre später wurde Schachtschneider Ortsvorsitzender im Ortsverband Halle-Neustadt/Nietleben. Außerdem war er in den vergangenen fünf Jahren als Stadtrat im Bildungs-, Jugendhilfe- und Sozialausschuss tätig und unterstützt seit Jahren ehrenamtlich die Volkssolidarität und den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Seine Freizeit verbringt der passionierte Koch gerne im eigenen Garten, er züchtet nämlich mediterrane Pflanzen und Kräuter. Inspiration dafür holt er sich auf Reisen an die Küsten Südeuropas.

Stefanie Böhme

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EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

oh ja ..., es ist schon wieder zu spüren, das Kribbeln im linken Zeh beginnt, die Kollegen auf den langen Fluren laufen noch geschäftiger als sonst umher, die Aktenberge sind noch ein bisschen schwerer als gewöhnlich und die Zeit, die bei einem kurzen Plausch zwischen zwei Terminen investiert wird, ist noch ein bisschen kürzer als üblich. Kein Wunder, denn es ist Landtagssitzung und Tage mit Landtagssitzungen sind ein bisschen wie der letzte Tag vor den Sommerferien, wenn es Zeugnisse gab und man wusste: Heute kommt es drauf an! Heute reißen wir uns alle mal ein bisschen zusammen! Na ja, schließlich geht es ja auch nicht um irgendetwas, sondern Monat für Monat stehen ernste und gewichtige Themen auf der Tagesordnung.

Im Februar-Plenum beschrieb Landwirtschaftsminister Dr. Hermann Onko Aeikens in einer Regierungserklärung, wie er sich eine verantwortungsvolle Politik für eine zukunftssichere Landwirtschaft in Sachsen-Anhalt vorstellt. Daneben diskutierten die Abgeordneten auch über die großen europäischen Fragen unserer Zeit. Wie gehen wir mit der steigenden Zahl an Zuwanderern in Sachsen-Anhalt um? Und welche Rolle spielt ein stabiles Europa für die sachsen-anhaltische Wirtschaft? Wie diese und andere Debatten verlaufen sind und welche Positionen es in den einzelnen Fraktionen dazu gibt, lesen Sie auf den Plenumsseiten dieses Heftes.

Unser ZwischenRuf hat jedoch wie immer mehr zu bieten als einen Rückblick auf die vergangene Landtagssitzung und für dieses Heft hat sich ein Schwerpunkt von ganz allein herauskristallisiert.

Schließlich feiern Land und Landtag von Sachsen-Anhalt nicht jedes Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum. Anlässlich dieses Geburtstages blicken wir unter anderem auf die erste freie Volkskammerwahl am 18. März 1990 zurück. Außerdem hat der Landtag ein Projekt gestartet, in dem er spannende Geschichten aus dem Einheitsjahr präsentiert. Wussten Sie zum Beispiel, dass das erste DDR-Playmate aus Magdeburg kam und der erste Supermarkt westlichen Typs in Haldensleben eröffnet wurde? Diesen und anderen Geschichten wollen wir Monat für Monat nachgehen, um an das Einheitsjahr zu erinnern. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Sachsen-Anhalt, wie ist das Bundesland zu Ihrer Heimat geworden, wie haben Sie die Umwälzungen der Wendejahre und des wirtschaftlichen Aufbaus erlebt? Lassen Sie uns und unsere Leserschaft daran teilhaben und schreiben Sie uns!

Und natürlich haben wir auch wieder einen Blick ins Land hinaus gewagt und sind für dieses Heft ganz in den Norden gefahren. Am 18. April schauen Gartenfreunde und Landschaftsarchitekten aus ganz Deutschland auf die Hansestadt Havelberg, denn dort beginnt mit "FrühlingsDuft und KnospenKnall" die diesjährige Bundesgartenschau. Fünf Anrainer-Orte laden an 177 Tagen dazu ein, "Von Dom zu Dom" zu wandeln, die historische Altstadt der Hansestadt Havelberg und die Dominsel in Brandenburg an der Havel, aber auch idyllische Seen, verwunschen wirkende Herrenhäuser und Industriekultur im diesjährigen BUGA-Blütenzauber zu entdecken.

Bevor Sie sich auf den Weg zur BUGA machen: Viel Spaß bei der Lektüre und einen schönen Frühlingsanfang!

Ihre ZwischenRuf-Redaktion

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25 JAHRE SACHSEN-ANHALT

Die erste freie Wahl

Vor 25 Jahren wählten in den Bezirken Halle und Magdeburg, dem heutigen Sachsen-Anhalt, über 93 Prozent der 2,3 Millionen Wahlberechtigten die 10. Volkskammer der DDR mit und gaben damit ein klares Votum für die Deutsche Einheit ab.

Die Wahl zur 10. und letzten Volkskammer am 18. März 1990 war für die DDR-Bevölkerung ein Meilenstein auf ihrem Weg vom Wendeherbst 1989 bis zur deutschen Vereinigung. Nie wieder folgten so viele Menschen dem Wahlaufruf zu einer demokratischen Wahl. 93,4 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimmen ab und wählten 400 Frauen und Männer, die in den folgenden Monaten in einem unvorstellbar aufwändigen und zugleich zutiefst demokratischen Akt die Auflösung eines Staates vollzogen. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990, auf der Grundlage des Beschlusses der Volkskammer vom 23. August 1990, löste sich das erste frei gewählte Parlament der DDR nach nur sechs Monaten wieder auf.

Das Wahlergebnis war eine Überraschung. In Umfragen hatte die neu gegründete und von der DDR-Vergangenheit unbelastete SPD vorn gelegen. Doch entgegen allen Vorhersagen votierten 48 Prozent der Wähler für die "Allianz für Deutschland", bestehend aus der Ost-CDU, dem Demokratischen Aufbruch (DA) und der Deutschen Sozialen Union (DSU). Das Wahlbündnis war erst am 5. Februar 1990 gegründet worden und unter dem Motto "Freiheit und Wohlstand - Nie wieder Sozialismus" zur Wahl angetreten. Die SPD wurde nur zweitstärkste Kraft mit 21,9 Prozent. Die zur PDS umbenannte SED erreichte 16,4 Prozent.

Der heutige Landtagspräsident Detlef Gürth (CDU) und der ehemalige langjährige SPD-Landtagsabgeordnete Dr. Rüdiger Fikentscher gehörten zu den 76 frei gewählten Volkskammerabgeordneten aus den Bezirken Halle und Magdeburg. Während Gürth mit seinem Platz 15 auf der CDU-Liste im Bezirk Halle kaum mit einem Wahlerfolg gerechnet hatte ("Da kommst du nie rein", habe er damals gedacht.), war für Fikentscher der Wahlausgang eine große Enttäuschung.

Der SPD-Spitzenkandidat für den Bezirk Halle erlebte die Stimmenauszählung am Wahlabend im eigentlich "roten" Mansfelder Land und wollte gar nicht glauben, dass es lediglich 20 Prozent würden. "Auf der Rückfahrt nach Halle, wo im Volkspark eine große Wahlparty angedacht war, hörten wir schon, dass es DDR-weit nicht viel besser aussieht", erinnert sich der heute 74-Jährige. "Als Bezirksvorsitzender musste ich dann im Volkspark auf die Bühne und versuchte, meine Genossen zu trösten, indem ich sagte, dass es andere noch härter getroffen hätte."

Damit meinte Fikentscher die Bürgerrechtler aus dem Wendeherbst. "Neues Forum", "Demokratie jetzt" sowie die "Initiative Frieden und Menschenrechte" hatten sich noch im Februar 1990 zum "Bündnis 90" zusammengeschlossen. Sie kamen jedoch völlig unerwartet auf nur 2,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Da es keine Sperrklausel gab, konnte das "Bündnis 90" insgesamt wenigstens zwölf Abgeordnete entsenden, darunter je einen aus den Bezirken Halle und Magdeburg.

Die Stimmung in der DDR vor der Volkskammerwahl wurde beherrscht von dem Gedanken der Deutschen Einheit. Nicht ob, sondern wann erfolgt die Vereinigung? Das war die alles entscheidende Frage, die den Wahlkampf bestimmte. "In dieser Situation hatte Kanzler Helmut Kohl die geniale Idee und schmiedete die 'Allianz für Deutschland'", sagt Fikentscher rückblickend. Allein der Name sei Programm gewesen. "Wir Sozialdemokraten waren auch für die Einheit, aber wir wollten darüber diskutieren, nachdenken, alle Möglichkeiten bedenken, wollten eine Übergangszeit." Dieses nach außen hin zögerliche Verhalten habe die SPD den Wahlsieg gekostet. "Die Leute dachten, wir wollten die Einheit nicht." Kohl dagegen habe "blühende Landschaften", die sofortige Einführung der D-Mark, Privateigentum und uneingeschränkte Gewerbefreiheit und vieles andere auf zahlreichen Großveranstaltungen mit Hunderttausenden Teilnehmern versprochen.

Der kurze Wahlkampf von sieben Wochen, die Wahl war vom Termin 6. Mai wegen der schlechten wirtschaftlichen und politischen Lage auf den 18. März vorgezogen worden, ist auch Gürth in bester Erinnerung. Der damals 28-jährige Lehrfacharbeiter hatte im Frühjahr 1989 eine Stelle in der CDU-Geschäftsstelle Aschersleben angetreten und hielt seine ersten öffentlichen Reden "mit schlotternden Knien" auf Treffen der Bürgerrechtler im Herbst in der Stephanikirche. "Damals habe ich die Leute aufgefordert, hierzubleiben und für Veränderungen zu sorgen", sagte Gürth.

Nur wenige Wochen später eine ganz andere Situation: "Der Wahlkampf erfasste uns und nötigte uns alles ab." Größte Unterstützung habe es von der CDU aus Peine und Pforzheim gegeben. "Wir erhielten Büroartikel, Wahlplakate, Broschüren, Kugelschreiber und haben alles verteilt, wo CDU draufstand", so Gürth heute. Der Lohn: Die CDU erhielt in Aschersleben 50,2 Prozent. Der Wahlkampf war von zahlreichen Auftritten westdeutscher Politiker begleitet. Helmut Kohl (CDU), Willy Brandt und Oskar Lafontaine (beide SPD) sowie Hans-Dietrich Genscher (FDP) gaben sich die Klinke in die Hand. Insgesamt wurden 7,5 Millionen DM für den Wahlkampf in der DDR eingesetzt. Über die Hälfte davon stammte von der CDU/CSU, die 4,5 Millionen DM zur Verfügung stellte.

Wahlentscheidend war letztlich der Wunsch nach einer schnellen wirtschaftlichen und politischen Wiedervereinigung. Die Zusammensetzung der Volkskammer trug entscheidend zur Beschleunigung des Einigungsprozesses bei. "Trotz des Wahlausgangs für die SPD war ich glücklich, einem frei gewählten Parlament angehören zu dürfen", so Fikentscher. Es seien "ungeheure Aufgaben" gewesen.

Während Fikentscher im Bildungsausschuss mitarbeitete, engagierte sich Gürth im Auswärtigen Ausschuss und im Ausschuss Deutsche Einheit. Gemeinsam beschlossen sie die letzte Kommunalverfassung der DDR, das Verfassungsgrundsätzegesetz, den Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und den Einigungsvertrag mit.

144 der 400 Volkskammerabgeordneten wurden vom 3. Oktober bis zum 2. Dezember 1990 Bundestagsabgeordnete. Detlef Gürth und Rüdiger Fikentscher wurden am 14. Oktober 1990 in den ersten Landtag von Sachsen-Anhalt gewählt.

Wolfgang Schulz


Der heutige Landtagspräsident Detlef Gürth (seit 1984 CDU) ist seit 1990 Mitglied des Landtags von Sachsen-Anhalt. Der 53-Jährige aus Aschersleben ist gelernter Klempner/Installateur und war nach der Wende unter anderem als selbstständiger Kaufmann und Geschäftsführer tätig. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder. In der Volkskammer gehörte er dem Auswärtigen Ausschuss und dem Ausschuss Deutsche Einheit an.

Der Hallenser Dr. Rüdiger Fikentscher (seit 1989 SPD) ist promovierter und habilitierter HNO-Facharzt und war bis zur Wende als Dozent an der Martin-Luther-Universität Halle tätig. Im Bezirk Halle war er 1990 SPD-Spitzenkandidat für die Volkskammer. 1990 wurde er in den Landtag von Sachsen-Anhalt gewählt, dem er bis 2011, darunter viele Jahre als dessen Vizepräsident, angehörte. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Die erste frei gewählte Volkskammer leistete 1990 in nur sechs Monaten ihres Bestehens ein Riesenpensum und ebnete den Weg zur Deutschen Einheit am 3. Oktober. Das Foto entstand am 17. Juni 1990. Im Präsidium sitzt der Magdeburger Reinhard Höppner (1948-2011) als Versammlungsleiter.

Volkskammerwahl 18. März 1990 
CDU
SPD
PDS
DSU
BFD
Sonstige
40,8 %
21,9 %
16,4 %
6,3 %
5,3 %
9,0 %

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25 JAHRE SACHSEN-ANHALT

Landtag auf Tour

Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Landes und des Landtags von Sachsen-Anhalt startet eine Gesprächsreihe zwischen Abgeordneten und Schülern. Die Themen: Demokratie, Meinungsfreiheit und gesellschaftliches Engagement.

Für Schülerinnen und Schüler in Sachsen-Anhalt sind freie Wahlen, Meinungsfreiheit und Reisefreiheit heutzutage selbstverständlich. Mit dem nötigen Kleingeld in der Tasche kann außerdem überall und jederzeit alles gekauft werden, was das Herz begehrt. Dass die Städte und Dörfer, aber auch die Betriebe und Supermärkte zwischen Arendsee und Zeitz vor 25 Jahren noch ganz anders aussahen, wissen die Schülerinnen und Schüler heute nur noch aus Büchern im Geschichtsunterricht. Manche vielleicht auch durch Erzählungen in der Familie.

Um der Nach-Wende-Generation ein realistischeres und authentischeres Bild von der Lebenswelt in der DDR und den Ereignissen in den Jahren 1989 und 1990 zu geben, organisiert der Landtag anlässlich seines 25-jährigen Bestehens von April bis Oktober 2015 eine Gesprächsreihe zwischen Landtagsabgeordneten und Schülern - direkt in der jeweiligen Schule. Die Gesprächsmoderation kann je nach Wunsch vom Abgeordneten, aber auch von den Schülerinnen und Schülern selbst übernommen werden.

Ziel der Gespräche soll es sein, mit möglichst persönlichen Erlebnissen der Abgeordneten - als Zeitzeugen des Umbruchs und Neuanfangs - einen Erkenntnisprozess bei den Jugendlichen anzustoßen, erklärt Landtagspräsident Detlef Gürth. "Wir wollen dafür werben, dass Werte wie Meinungsfreiheit, persönliches Engagement und die Bereitschaft, sich selbst in die Gesellschaft einzubringen, ein unschätzbares Gut und die Grundlage für das Fortbestehen unserer parlamentarischen Demokratie sind."

Ausgehend von den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen in der ehemaligen DDR sollen bei den zwischen ein und zwei Unterrichtstunden dauernden Gesprächen auch die ersten Jahre des wiedergegründeten Sachsen-Anhalts reflektiert und gleichzeitig verdeutlicht werden, was in den letzten 25 Jahren alles erreicht wurde, so Gürth. Besonders wichtig sei ihm, dass den Schülerinnen und Schülern gezeigt werde, dass sie es seien, die die Entwicklung des Landes in den nächsten Jahren maßgeblich beeinflussen werden.

Für die Gesprächsreihe kann sich jede interessierte Schule in Sachsen-Anhalt bewerben, egal welche Schulform sie hat. Ausgenommen sind lediglich Grundschulen. Die Bewerbungen werden vom Besucherdienst der Landtagsverwaltung entgegengenommen und in Absprache mit den Landtagsfraktionen terminlich koordiniert. Die Detailabsprachen zu Gesprächszeitpunkt, -dauer und -ablauf werden auf direktem Wege zwischen Abgeordnetenbüro und Schule vorgenommen.

Stefanie Böhme


Infos und Bewerbung

Bewerbungen und Nachfragen zum Projekt nimmt der Besucherdienst der Landtagsverwaltung entgegen:

Landtag von Sachsen-Anhalt
Besucherdienst
Domplatz 6 - 9
39104 Magdeburg
Tel: 0391 560-123
besucherdienst@lt.sachsen-anhalt.de

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25 JAHRE SACHSEN-ANHALT

Schlagzeilen-Schau im Einheitsjahr

Das Land Sachsen-Anhalt und sein Landtag feiern 2015 sein 25-jähriges Bestehen. Mit unserem "25 Jahre"-Onlineprojekt nehmen wir Sie mit auf eine Reise ins Jahr 1990. Was geschah im Einheitsjahr? An was erinnern wir uns, was haben wir fast vergessen?

Im Jahr 1989 wurden die Weichen für das Leben der Menschen in der DDR und der Bundesrepublik neu gestellt. Mit den Montagsdemonstrationen, auf denen die Ostdeutschen "Wir sind das Volk!" und später "Wir sind ein Volk!" skandierten, begann eine neuerliche große Umwälzung der Gesellschaft. Die DDR schüttelte ihr historisches Korsett ab, freie Wahlen wurden möglich und der Beitritt zum Hoheitsgebiet der Bundesrepublik beschlossen. Der friedliche Prozess der Deutschen Einheit wurde zum Synonym für die Überwindung des Eisernen Vorhangs, für das Ende des Kalten Kriegs.

Mag dem einen oder anderen die Zeit von den "Wendejahren" 1989/1990 bis heute auch rasend schnell vorbeigegangen sein, so liegen doch im Jahr 2015 die Einheit und die Neugründung der ostdeutschen Länder und ihrer Landtage ganze 25 Jahre zurück. Dieses besondere Vierteljahrhundert unserer gemeinsamen Geschichte bedarf unbedingt der Rück- und Vorausschau!

Der Landtag von Sachsen-Anhalt geht auf "Schlagzeilen"-Schau ins Jahr 1990 zurück! Was hat sich im Einheitsjahr von Januar bis Dezember zugetragen? Welche Ereignisse und Persönlichkeiten standen im Fokus? Um dies zu veranschaulichen, haben wir auf unserer Sonderseite "25 Jahre Sachsen-Anhalt" verschiedene Rubriken erstellt, die Hintergründe beleuchten, Menschen zu Wort kommen lassen und bisweilen auch skurrile Geschichten zu Tage fördern. Begleiten Sie uns ein Jahr lang durch das Jahr 1990 - mit unserem Kalenderblatt, unseren Monatsgeschichten und diversen Veranstaltungen im Land!

Eine Rubrik lautet "25 Jahre Sachsen-Anhalt bedeuten mir ..." - und hier sollen auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit einem kurzen Statement (max. 500 Zeichen) zu Wort kommen, indem der oben genannte angefangene Satz beendet wird.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Sachsen-Anhalt, wie ist das Bundesland zu Ihrer Heimat geworden, wie haben Sie die Umwälzungen der Wendejahre und des wirtschaftlichen Aufbaus erlebt? Lassen Sie uns und unsere Leserschaft daran teilhaben!

Die Onlineredaktion möchte aber nicht nur im Wort, sondern auch im Bild berichten. Aus diesem Grund bitten wir Sie, uns zwei Fotos zu schicken (möglichst im Querformat und unter Angabe der Bildrechte): Eines von heute, eines von vor 25 Jahren. Denn nicht nur das Land hat sich verändert, sondern auch die Menschen, die in ihm leben - das wollen wir gern zeigen. Fotos und Statements (inklusive Namen und Wohnort) senden Sie bitte direkt an die Onlineredaktion: onlineredaktion@lt.sachsenanhalt.de.

Dr. Stefan Müller

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25 JAHRE SACHSEN-ANHALT

Mildensee schreibt Geschichte

Zwölf Monate und zwölf Geschichten: In jedem Zeitalter hat es Menschen gegeben, die ihrer Zeit ein wenig voraus waren. Der kleine Ort Mildensee, heute zu Dessau-Roßlau gehörend, gibt ein gutes Beispiel ab. Hier fanden die ersten freien Wahlen in der DDR statt.


Im November 1989 fiel die Mauer, das Leben hinter Stacheldraht und Eisernem Vorhang fand ein abruptes Ende, mit den neuen Reiseregelungen wurde der Grenzübertritt erleichtert. Der Weg in die tatsächliche Freiheit war geebnet, sie war aber längst noch nicht errungen. Noch immer stand die SED/PDS an der Spitze des Staates, Wahlen, wie sie heute gang und gäbe sind - allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim -, hatte es noch nicht gegeben. Im Januar 1990 vereinbarte der Zentrale Runde Tisch in Berlin die ersten - für März 1990 festgesetzten - freien Wahlen zur Volkskammer, dem Parlament der noch bestehenden DDR. Den Mildenseern ging das alles nicht schnell genug.

"Endlich etwas tun", das war die Triebfeder, die vor allem die Mitstreiter des Neuen Forums in Mildensee dazu brachte, aus der Ohnmacht politischen Handelns auszubrechen und die Geschicke des Ortes in die eigene Hand zu nehmen. Und so wurde Mildensee auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts der erste Ort, in dem nach dem Mauerfall eine freie Wahl stattfand. Seit November 1989 hatten sich Einwohner des Ortes, Mitglieder des Neuen Forums und Pfarrerin Eva-Maria Schneider regelmäßig im Pfarrhaus getroffen und in intensiven Diskussionsrunden darüber nachgedacht, wie man in Mildensee die "Wende" gestalten könne.

"Als Außenstadtteil Dessaus (seit 1952) war der Ort von den Verantwortlichen der Stadt längst abgeschrieben", erinnert sich Eva-Maria Schneider. Die Anliegen des Ortsteils waren jahrelang missachtet worden. Die Missstände lagen 1989 klar auf der Hand, die Gesprächsrunden waren folglich hitzig. Doch der Wille zur Veränderung wurde die treibende Kraft. Die Versammlung sprach sich für die Wahl eines eigenen Gemeinderats samt Ortsbürgermeister aus.

Frei wählen, schön und gut - aber wie geht das?

Doch frei wählen - wie geht das? Nach mehr als 56 Jahren Diktatur fehlten die realen Vorbilder. Pfarrerin Schneider aber hatte eine Idee: Man könne sich doch an der Wahl zum Gemeindekirchenrat orientieren, die sei demokratisch, durchschaubar und funktioniere. Gesagt, getan! Nach anfänglichen Schwierigkeiten gaben die Dessauer Stadtoberen ihr Einverständnis zur Wahl. Voraussetzung: Mehr als 50 Prozent der Mildenseer müssten ihre Stimme abgeben. Diese Bedingung wurde erfüllt.

Jeder erwachsene Einwohner Mildensees durfte zunächst Wahlvorschläge in verschlossene Holzkästen einwerfen, schließlich stellten sich 28 Frauen und Männer erst in einer Einwohnerversammlung Ende Januar vor und dann am 3. Februar 1990 zur Wahl. Am Wahltag standen schon morgens um 8 Uhr die ersten Bewohner zur Stimmabgabe bereit. 18.46 Uhr am selben Tag waren die Stimmen ausgezählt. Zwölf Mitglieder schafften es in den ersten frei gewählten Gemeinderat - darin vertreten waren neben Pfarrerin Schneider auch Kaufleute, die örtliche Kohlenhändlerin, die Gemeindeschwester und ein Lehrer. Zimmermann Hans Lingner wurde zum ersten demokratisch gewählten Ortsbürgermeister der DDR.

Die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl stellte in der Geschichte Mildensees eine wichtige Zäsur dar: Die Mildenseer hatten die Zeichen der Zeit erkannt, der Aufbruch in eine neue Gesellschaft begann - verbunden mit vielen Erfolgen, aber auch einigen Rückschlägen.

Dr. Stefan Müller

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25 JAHRE SACHSEN-ANHALT

Was von damals geblieben ist

In einem kurzen Interview erklärt Pfarrerin Eva-Maria Schneider 25 Jahre nach der ersten freien Gemeinderatswahl in Mildensee, was von der damaligen Aufbruchsstimmung erhalten geblieben ist.


Mildensee erlebte in den 1990ern einen "rasanten Aufstieg" (Zitat Ortsbürgermeister Hans Lingner). Wie groß war der Anteil des neuen Gemeinderats an dieser Entwicklung?

In der Zeit nach der Wende herrschte Aufbruchsstimmung. Manche bürokratischen Hürden waren noch nicht so hoch wie heute. Es gab eine Reihe von Förderprogrammen, von denen auch Mildensee sehr schnell profitierte. Durch die Arbeit des Ortschaftsrats mit dem Ortsbürgermeister Hans Lingner an der Spitze konnten einige Projekte für die Infrastruktur in Mildensee für eine Verbesserung des Wohnumfelds und für die Stärkung des Miteinanders umgesetzt werden. Die Erschließung des Gewerbegebiets Ost ist durch den neuen Gemeinderat entscheidend befördert worden.

Wie steht Mildensee heute wirtschaftlich da?

Mildensee ist ein Ortsteil der Stadt Dessau-Roßlau, hat also keinen eigenen Haushalt und ist finanziell abhängig von der Stadt. Das erfordert immer wieder viel Arbeit und auch manche Kämpfe für den Ortschaftsrat, damit wichtige Projekte und Probleme des Ortes nicht übersehen und übergangen werden.

Wird auch heute noch etwas in der Gemeinschaft bewegt, welche Rolle spielt sie noch?

Das Gemeinschaftsgefühl hat sich erhalten und wird weiterhin gepflegt. Es gibt in Mildensee ein reges Vereinsleben (zum Beispiel die Freiwillige Feuerwehr, Sportverein, Männergesangverein, Heimatverein, Nordmanntanzgruppe). Im Jahreslauf gibt es verschiedene Feste, die gemeinsam gestaltet werden (Walpurgisfeuer, Nordmannfest, Adventsmarkt). Zur Gemeinschaft im Ort gehört die evangelische Kirchengemeinde selbstverständlich dazu und hat eine hohe Akzeptanz (unabhängig von der Kirchenzugehörigkeit).

Wie viel ist von der damaligen Aufbruchsstimmung geblieben, von den Demokratie-Zielen?

Geblieben sind Ortschaftsrat und Ortsbürgermeister - und Menschen, die sich hier ehrenamtlich engagieren. Gemeinsam werden immer wieder auch Probleme bewältigt. So haben sich die Mildenseer 2002 gemeinsam gegen das große Hochwasser gestemmt, um ihren Ort zu retten.

Der Sportverein hat nach Schließung der Schule die Sporthalle übernommen und zum Trainings- und Veranstaltungszentrum umgebaut. Dabei gab es im Ort viel Unterstützung, auch durch Spenden. Nicht alle Ziele von damals konnten umgesetzt werden. Aber das Gefühl und die Erfahrung, gemeinsam etwas bewegen zu können, haben sich erhalten. Sie sind ermutigend und immer wieder auch Triebkraft, um sich im Rahmen des Möglichen für den Ort einzusetzen.

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Erstes DDR-Playmate aus Magdeburg

Gleich zu Beginn des Jahres 1990 sorgte die damals 21-jährige Zahnarzthelferin Anja Kossak aus Magdeburg bundesweit für Schlagzeilen. Als erstes DDR-Playmate wurde sie die "Miss Januar" im Playboy - dem berühmtesten Männermagazin der Welt. Auf acht Seiten wurde Kossak abgebildet, inklusive Poster zum Ausklappen. Selbst das SED-Organ "Neues Deutschland" druckte ein Aktfoto der hübschen Magdeburgerin ab. Kossak sagte damals, sie wolle zeigen, dass die Mädchen in der DDR nicht verklemmt und keine grauen Mäuse seien ...



HO-Kaufhalle wird erster DDR-Supermarkt

Im März 1990 schrieb eine HO-Kaufhalle in Haldensleben Handelsgeschichte: Die Verantwortlichen kooperierten zum ersten Mal mit einer westdeutschen Supermarktkette. Hier gab es auf einmal alles, was das Herz begehrte - und das für DDR-Mark, umgerechnet wurde 1:3. Neben Obst und Zitrusfrüchten freute man sich vor allem über Fischstäbchen und Joghurt. Die Menschen standen Schlange bis zur Straße - und kamen selbst aus Sachsen und von der Ostsee, der Markt macht den Umsatz des Lebens ...

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25 JAHRE SACHSEN-ANHALT

Ein neues Zeitalter

Am 6. Mai 1990 bestimmten die DDR-Bürger bei den ersten freien Kommunalwahlen seit 1946 neue Gemeinde-, Stadt- und Landkreisparlamente. Die CDU verlor im Vergleich zur Volkskammerwahl Stimmen, blieb aber mit großem Abstand stärkste Partei.

Sieben Wochen nach der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 wurden die 12,3 Millionen wahlberechtigten DDR-Bürger am 6. Mai erneut an die Wahlurnen gerufen. Wie überall in der Republik, so sollten auch in den Bezirken Halle und Magdeburg, dem heutigen Sachsen-Anhalt, nach dem Fall der Mauer im November 1989 auf dem Weg in das vereinte Deutschland neue Kommunalparlamente bestimmt werden. Die amtierenden Volksvertretungen waren am 7. Mai 1989 unter dem Diktat und mit dem vielerorts nachgewiesenen Wahlbetrug durch die SED gewählt worden. Sie sollten durch die neuen demokratischen Kräfte in der ersten freien Kommunalwahl seit 1946 ersetzt werden.

Vom Ergebnis her ähnelten sich die insgesamt vier Wahlen in diesem Jahr. 34,4 Prozent wählten die CDU. Das waren zwar über sechs Prozent weniger als bei der Volkskammerwahl, reichte aber zum Wahlsieg der Christdemokraten. Auch bei der Landtagswahl am 14. Oktober in Sachsen-Anhalt und im Dezember bei der Bundestagswahl fuhr die CDU jeweils die besten Ergebnisse ein.

Die SPD musste im Mai erneut leichte Verluste verbüßen und kam auf rund 21,3 Prozent (minus 0,5 Prozent gegenüber der Volkskammerwahl). Die PDS als SED-Nachfolgepartei konnte trotz eines aufwändigen Wahlkampfes ihr Ergebnis nicht verbessern und kam auf 14,6 Prozent (minus 1,7 Prozent). In sieben der 14 Bezirksstädte gewann die CDU die Mehrheit und stellte die Oberbürgermeister, die 1990 noch nicht direkt, sondern von den Stadtparlamenten gewählt wurden.

Der Magdeburger Dr. Willi Polte erlebte die ersten freien Volkskammer- und Kommunalwahlen jeweils als Spitzenkandidat des SPD-Bezirkes Magdeburg. Als Volkskammerabgeordneter arbeitete er im Bildungsausschuss mit und erklärte sich gleichzeitig bereit, für das Amt des Oberbürgermeisters von Magdeburg zu kandidieren. "Die Personaldecke meiner Partei war sehr dünn", erinnert sich der heute 77-Jährige. "Da ich Bezirksvorsitzender war, musste ich ran, obwohl ich von der neuen Kommunalpolitik wenig Ahnung hatte und die gesetzlichen Grundlagen noch fehlten."

Die Wähler honorierten seinen Einsatz. Mit 33 Prozent wurde die SPD stärkste Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung und stellte 50 der 150 Abgeordneten. Die CDU kam auf 31,3 Prozent, die PDS auf 16,1 Prozent. Grüne und Bündnis 90 traten in einer Listenvereinigung an und errangen 8,2 Prozent der Stimmen. Am 31. Mai 1990 wurde Polte zum Oberbürgermeister gewählt, nachdem er einen Tag zuvor sein Volkskammermandat zurückgegeben hatte. Vier Jahre später wurde er, dann direkt vom Volk, für weitere sieben Jahre in dieses Amt gewählt.

In Halle wurden 160 Abgeordnete gewählt. In der Stadtverordnetenversammlung waren unter anderem die CDU mit 47, die SPD mit 35 und die PDS mit 28 Sitzen vertreten. Zum Oberbürgermeister wurde am 6. Juni 1990 der CDU-Abgeordnete Dr. Peter Renger gewählt, der jedoch im Februar 1991 wegen Stasi-Vorwürfen zurücktreten musste. Sein Nachfolger wurde Dr. Klaus Rauen (CDU).

Beinahe als Kuriosum kann gewertet werden, dass vor der Kommunalwahl am 6. Mai 1990 die Zuständigkeiten und Aufgaben der Gemeindeorgane noch nicht neu geregelt waren. Erst am 17. Mai beschloss die Volkskammer die neue Kommunalverfassung. Mit diesem Gesetz erhielten die Gemeinden, Städte und Landkreise wieder die Möglichkeit, "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln", wie es nun im neuen Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR hieß.

Kommunalwahlen 6. Mai 1990 
CDU
SPD
PDS
DSU
BFD
Bündnis 90
DBD
Sonstige
34,37 %
21,27 %
14,59 %
3,41 %
6,65 %
2,41 %
3,67 %
13,64 %


Mit den ersten freien Wahlen begann auch für die Kommunen, so Polte, ein neues Zeitalter. Überall im Land wurde damit begonnen, ein demokratisches Gemeinwesen zu schaffen und die Infrastruktur der Städte und Gemeinden möglichst schnell an westdeutsches Niveau heranzuführen. Gleichzeitig mussten von den neugewählten Gemeindevertretern viele schmerzhafte Entscheidungen getroffen werden, etwa beim sozialverträglichen Personalabbau oder der Umstrukturierung der Wirtschaft. Die Stadt Magdeburg beispielsweise hatte vor der Wende 18.000 Beschäftigte, darunter 5.000 Lehrer. Heute sind es noch 3 500 Beschäftigte.

Vieles, was sich die Kommunalpolitiker von 1990 auf ihre Fahnen geschrieben hatten, ist heute erfüllt. Polte, der nach seiner Zeit als Oberbürgermeister von 2002 bis 2006 für die SPD im Landtag saß und Vorsitzender des Ausschusses für Inneres war, blickt zufrieden zurück. "Was mich aber bis heute ärgert, ist, dass wir es trotz vieler Bemühungen nicht geschafft haben, Magdeburg an die neugebaute ICE-Trasse Hannover-Berlin anzukoppeln."

Wolfgang Schulz


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Nach den Wahlfälschungen im Jahr 1989 wurden die ersten freien Kommunalwahlen am 6. Mai 1990 in nahezu allen Wahllokalen unter den Augen vieler interessierter Bürgerinnen und Bürger ausgezählt.

- Dr. Willi Polte (r.) kandidierte 1990 erfolgreich sowohl bei der ersten freien Volkskammerwahl als auch bei den ersten freien Kommunalwahlen. Der heute 77-Jährige war von 1990 bis 2001 Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg und saß danach von 2002 bis 2006 für die SPD im Landtag von Sachsen-Anhalt.

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REGIONALFENSTER

177 Tage schönster Landschafts- und Blütenzauber

Die größte Rosensammlung der Welt in Sangerhausen, das Dessau-Wörlitzer Gartenreich oder die barocken Schlossgärten in Blankenburg: Sachsen-Anhalt ist voller Gartenträume. Im April 2015 kommt ein ganz besonderer hinzu: Von der Hansestadt Havelberg aus wird sich entlang der Havel ein Blumenteppich bis ins benachbarte Brandenburg ziehen - bei der ersten länderübergreifenden Bundesgartenschau, der BUGA 2015.

Mit "FrühlingsDuft und KnospenKnall" startet sie am 18. April in Havelberg, dem nördlichen Ausgangspunkt einer rund 80 Kilometer langen BUGA-Erlebnistour durch die Havelregion. Fünf Anrainer-Orte laden an 177 Tagen dazu ein, "Von Dom zu Dom" zu wandeln, die historische Altstadt der Hansestadt Havelberg und die Dominsel in Brandenburg an der Havel, aber auch idyllische Seen, verwunschen wirkende Herrenhäuser und Industriekultur im diesjährigen BUGA-Blütenzauber zu entdecken.

Wege zu dieser besonderen, dezentralen BUGA markierten Gärtner und Landschaftsgestalter vielfarbig. So steckten sie im vergangenen Herbst an 30 Standorten eine halbe Million Blumenzwiebeln der Spezialmischung "Prima BUGA Havelland" in die Erde, die nun als farbenfrohes Blütenband am Straßenrand den Weg zum nächsten BUGA-Standort weisen. Im Jahreslauf verknüpfen dann weitere saisonale Blühfelder und Kunstinszenierungen straßenbegleitend die fünf BUGA-Kommunen in der Havelregion zu einer gemeinsamen Bundesgartenschau 2015.

Das gab es noch nie in der mehr als 60-jährigen BUGA-Geschichte mit ihren bisher 30 nationalen und internationalen Gartenschauen: Ihre fünf unterschiedlichen Standorte sind das Alleinstellungsmerkmal der BUGA 2015, die eine einmalige Region mit ihrer Geschichte und Kultur, mit viel Wasser und Natur in das Gartenschau-Erlebnis einbezieht.

In Vorbereitung auf diese außergewöhnliche Bundesgartenschau wurde schon lange gebaut, gebaggert, Erde geschoben und gepflanzt. Planer und Macher warten wie die Besucher nun gespannt darauf, dass sich in den kommenden Wochen in den neun Ausstellungsparks zigtausende Blumenzwiebeln, Stauden, Gräser, Bäume und Büsche auf insgesamt 55 Hektar Fläche prachtvoll entfalten, einen Eindruck vom Können des deutschen Gartenbaus vermitteln und zugleich züchterische Neuheiten aus Floras Reich und allen Sparten des Gartenbaus vorstellen.

Einzigartig an dieser BUGA ist auch, dass ihre Besuchermagneten - die wechselnden Blumenschauen - nicht wie sonst in Ausstellungshallen, sondern in Sakralbauten ein blumiges Feuerwerk entzünden. So läuten "Tulpen, Tulpen, Tulpen!" zur Eröffnung am 18. April in der Johanniskirche in Brandenburg mit einem Blütenrausch an der Havel die Sinfonie floristischer Meisterwerke ein, während zeitgleich in Havelbergs Stadtkirche die Knospen von Azaleen und Orchideen, Tulpen und Narzissen knallen und die altehrwürdige Kirche mit Frühlingsduft erfüllen.

Beide zuvor sanierungsbedürftigen Kirchen erhielten für ihre BUGA-Aufgabe besonderen Schliff und neuen Glanz und bieten bis Oktober 2015 für mehr als 30 Blumenschauen eine ungewöhnliche, aber äußerst reizvolle Kulisse. Die in diesen außergewöhnlichen Schaufenstern der grünen Branche zu installierenden floristischen Meisterwerke bedeuten für Gärtner und Floristen eine riesengroße Herausforderung, weiß BUGA-Chefgärtner Rainer Berger. Der Ausstellungsbevollmächtigte der Deutschen Bundesgartenschaugesellschaft mit Sitz in Bonn stammt aus einer Gärtnerfamilie in Arendsee und ist von klein auf Gärtner mit Leib und Seele, ein "Pflanzenflüsterer". Nach seinem Debüt bei der Bundesgartenschau in Magdeburg hat er bei BUGA und IGA in Rostock, Gera und Koblenz seine gärtnerische Handschrift hinterlassen. Nun verhalf er auch der Havelregion zu einem blumigeren Aussehen.

Markanter Ausdruck von deren gemeinsamer Entstehungsgeschichte sind die im 10. Jahrhundert nahezu gleichzeitig gegründeten Bistümer in Brandenburg an der Havel und der Hansestadt Havelberg mit ihren Domen aus dem 12. Jahrhundert. Von beiden Bischofssitzen aus wurde die Besiedlung durch Dorf- und Stadtneugründungen entlang der Havel sowie durch den Bau von Handelswegen vorangetrieben und gesteuert. Heute gehört die Havel als Teil des "Blauen Paradieses" zu Europas größtem zusammenhängenden Wassersportrevier und besitzt mit dem Havelradweg einen der schönsten Flussradwege Deutschlands.

Auch auf diesen Wegen werden viele Besucher erwartet, die statt mit Pkw, Bus oder Bahn mit Fahrrad, Boot oder Kanu anreisen. Sie können auf dem Wasser und auf Radwegen zu den vielen Eindrücken der Gartenschau an sich dann auch noch extra Reize des Naturparks Westhavelland und des Biosphärenreservats Mittelelbe genießen.

Tourentipps gibt es vor Ort für alle und auch mehr als 500 "BUGA-Bikes" zum Ausleihen. Da die ganze Bundesgartenschau wohl kaum an einem einzigen Tag zu besuchen ist, bietet jede Eintrittskarte mehr als sonst üblich: Mit ihr kann jeder Standort an einem beliebigen Tag einmal besucht werden getreu dem BUGA-Motto: Fünf sind eins. Deins.

Havelberg - "Erkenntnis" am Zusammenfluss von Elbe und Havel

Die über 1000-jährige Dom- und Hansestadt Havelberg, bildet den nördlichen Auftakt eines BUGA-Besuchs. Vom Domberg bietet sich dort ein fantastischer Blick auf den Fluss und die geschichtsträchtige Stadt. Der Weg hinauf führt hinter der St.-Annen-Kapelle vorbei am Terrassengarten mit seinen farbenfrohen Wechselflorbeeten. Im Pfingstrosengarten zeigen Strauchpäonien ihre Blütenfülle. Der Prälatenweg entlang der alten Dommauer wird flankiert von Stauden und Gräsern. Hinter einer kleinen Pforte gewährt dort Edeltraud Weland Einblick in ihr privates Gartenreich, den Mönchsgarten, in dem die Besucher verweilen, entspannen und Saale-Unstrut-Wein genießen können.

In eine "Loge de Vine" aus weißem Tuffstein lädt ganz in der Nähe Havelbergs französische Partnerstadt Saumur ein. Auf dem kleinen Weinberg daneben reifen zu Ehren der BUGA und in Erinnerung an einstige Domberg-Nutzungen wieder Trauben. In den Kleingärten "Am Nussberg" hoch über dem Havelufer können Besucher "Laubenpiepern" über die Schulter schauen. Der ehemalige Klostergarten - der Dechaneigarten - wurde von Gartendenkmalpflegern erneuert und mit "Essbaren Blüten" gestaltet.

Eine filigrane Brücke aus Holz und Metall führt vom Domberg zum lange Zeit verwilderten Gottesacker, auf dem Friedhofsgärtner aus ganz Deutschland inmitten historischer friedhofstypischer Flora Modernes wie Bewährtes bei der Grabgestaltung zeigen. Dort wie auf den anderen BUGA-Arealen der Stadt verspricht Havelberg "Erkenntnis", unter anderem im neuen "Haus der Flüsse", in dem das Biosphärenreservat Mittelelbe den Lebensraum an Havel und Elbe anschaulich vorstellt.

Amt Rhinow/Stölln - "Mut" und Flügel für die Fantasie

Im Ländchen Rhinow, vom Gollenberg aus, startete einst Otto Lilienthal seine Flugversuche, von denen das Lilienthal-Centrum Stölln kündet. Noch immer sind auf dem ältesten Flugplatz der Welt auch Kreativität und Abenteuerlust zu spüren. Auf dieser grünen Wiese endete im Oktober 1989 auch der Flugdienst einer IL 62 der Interflug. Kapitän Kallbach, der das ausrangierte Passagierflugzeug nach Stölln überführte, schaffte es mit seiner spektakulären Landung bis ins Guiness-Buch der Rekorde. Heute ist die IL 62 nach Lilienthals Frau "Lady Agnes" getauft, eine ganz besondere Kulisse der BUGA, deren Besucher den Fliegerpark Stölln mit romantischen Wildrosen, Dahlienschau und blühendem Wechselflor auch aus der Vogelperspektive betrachten können.

Rathenow - "Weitsicht" und schöne Aussichten

Schöne Aus- und neue Einsichten verspricht Rathenow, wo die Wiege der Optik stand. In der Mitte der Gesamtkulisse der BUGA 2015 gelegen, ermöglicht Weitsicht dort im wörtlichen Sinne auch die neue, 360 Meter lange Fußgängerbrücke, die beide Rathenower BUGA-Areale miteinander verbindet: den Optikpark auf einer Havelinsel mit seinen optischen Ein- und Aussichten sowie der imposanten Seerosenarena auf dem Karpfenteich - mit dem Weinberg und dem Alpinum am Bismarckturm, dem Rhododendrontal und der Dahlienarena sowie einer beeindruckenden Präsentation von Pflanzenneuzüchtungen.

Premnitz - "Impuls" direkt am Wasser

In Premnitz zieht sich ein Grünzug als grüne Lunge durch das alte Industriegebiet bis zur Havel. Hier wird vom Stadtgarten bis zu traditionellen Obst- und Gemüsegärten das Thema Energie facettenreich in Szene gesetzt. An der Premnitzer Uferpromenade, die früher ein Kohlehafen war, lockt eine zehn Meter hohe Aussichtsplattform mit einem imposanten Blick in die idyllisch wirkenden Havelauen des Naturparks Westhavelland.

Brandenburg an der Havel - "Ursprung" und Wiege der Mark Brandenburg

Als Pendant zur Hansestadt Havelberg bildet Brandenburg an der Havel den südlichen Ausgangs- oder Endpunkt in der BUGA Havelregion. Der Brandenburger Dom feiert 2015 sein 850-jähriges Bestehen. Anlässlich dieses Jubiläums wartet die Stadt mit drei Erlebnisbereichen auf: Direkt an die von der Havel umschlossene Dominsel grenzt der Packhof einer ehemaligen Schiffswerft, an die stilisierte bepflanzte Schiffe erinnern. Die gut 30 Themengärten auf diesem Areal zeigen: Die Ressourcen des Lebens haben ihren Ursprung im Garten. Rosen in Hülle und Fülle sowie neue und historische Stauden sind gleich neben dem Marienberg, der wichtigsten innerstädtischen Grünanlage, zu finden. In der Mitte zwischen beiden Arealen werden in der St. Johanniskirche nacheinander 18 Blumenhallenschauen in Szene gesetzt, bis es dort im Oktober heißt: "Berlin...Berlin... Wir fahren nach Berlin - Zur IGA 2017 in den Gärten der Welt".

Gudrun Oelze


TIPP

Grandiose Aussichten mit dem BUGA-Skyliner: Der mobile BUGA-Skyliner bietet Ausblick in 72 Metern Höhe und eine 360-Grad-Panoramasicht.

17.04. - 07.06.2015 in Brandenburg an der Havel
13.06. - 23.08.2015 in Rathenow
29.08. - 11.10.2015 in der Hansestadt Havelberg

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AUS DEM PLENUM

Schattenseiten des Fußballsports

Tausende Sportveranstaltungen in Sachsen-Anhalt verlaufen gewaltfrei. Trotzdem kommt es gerade am Rande von Fußballspielen immer wieder zu Straftaten. Grund genug für eine Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sport ist der Spiegel der Gesellschaft und darum zeigen sich dort auch ihre Probleme", sagte Sebastian Striegel (Grüne) zu Beginn der Aussprache zu einer Großen Anfrage seiner Fraktion. Zwar gebe es im Bereich der rassistischen und antisemitischen Gewalt jede Menge Grund zur Hoffnung auf Besserung, im Bereich der Homo- und Transphobie habe man allerdings noch einen weiten Weg vor sich. So hätte das Coming-out des ehemaligen Fußballnationalspielers Thomas Hitzlsperger nach Ansicht Striegels an der Realität auf und neben dem Fußballplatz nichts geändert. Diskriminierungsfreiheit dürfe nicht nur von oben verordnet werden, sondern müsse auch von unten wachsen.

Unverständlich sei für Striegel die Einschätzung der Landesregierung, dass "derzeit keine Erkenntnisse über zielgerichtete rechtsextremistische Unterwanderungen von Ultra- und Hooligangruppen sowie von Fußballvereinen und Fanclubs" vorlägen. Der FC Ostelbien Dornburg aus dem Jerichower Land sei für ihn kein "normaler Fußballverein", da zahlreiche polizeibekannte Neonazis zu den Gründungsmitgliedern zählten.

Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) verwies in Vertretung des Innenministers Holger Stahlknecht auf die zahlreichen Projekte und Initiativen, die bereits ergriffen worden seien, um die Gewalt im Fußball zu reduzieren oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. So werde beispielsweise seit 2011 das Projekt "Menschlichkeit und Toleranz" vom Landessportbund Sachsen-Anhalt e.V. finanziell unterstützt. Ziel sei es, die demokratischen Strukturen des Sports zu stärken und (rechts-)extremistischen Tendenzen entgegenzuwirken.

Aufgrund der männerorientieren Milieustruktur sei der Fußball besonders von Gewalt betroffen, erklärte Norbert Born (SPD). Zudem seien Wörter wie "Schwuchtel" als Schimpfwörter mittlerweile tief verankert in der Gesellschaft - nicht nur im Fußball. Born kam zu dem Schluss: "Gewalt, Diskriminierung und Rassismus sind Ergebnisse fehlender Bildung und Aufklärung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene." Für die Aufklärung seien auch die Landtagsabgeordneten verantwortlich, jederzeit und an jedem Ort.

Uwe Loos von der Fraktion DIE LINKE kritisierte, dass es noch nicht genügend differenzierte Erhebungen über Gewalt in Fußballstadien gebe. Erst wenn man konkrete Statistiken hätte - zum Beispiel über antisemitische, rassistische oder homophobe Gewalt - könnte man auch konkrete Maßnahmen entwickeln. In den vergangenen Jahren sei viel getan worden, um der "hässlichen Seite des Sports" entgegenzuwirken, betonte Dietmar Krause (CDU). Dem Fußball komme eine besondere gesellschaftliche Verantwortung zu und das Image des Sports und der Vereine leide unter den immer wieder vorkommenden Gewaltausbrüchen. Allerdings dürfe man auch nicht vergessen, dass die meisten Fußballspiele völlig gewaltfrei abliefen.

Stefanie Böhme


- Laut Landesregierung hat die Polizei 2013 folgende Delikte im Bereich Fußball registriert: 76 Körperverletzungsdelikte, 54 Straftaten wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, 21 Straftaten wegen Landfriedensbruchs, 13 Straftaten wegen Bedrohung und zwölf Raubstraftaten.

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AUS DEM PLENUM

Landwirtschaft ist das Herz-Ass

"Eine Politik der Verantwortung für eine zukunftssichere Landwirtschaft" - diesem Motto widmete Landwirtschaftsminister Dr. Hermann Onko Aeikens im Februar seine Regierungserklärung, die ein unterschiedliches Echo hervorrief.

Die Landwirtschaft ist in Sachsen-Anhalt einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Da kommt es nicht von ungefähr, dass der Bodenpreis eine wichtige Rolle im Tagesgeschäft spielt. Gerade der beschert dem Landwirtschaftsminister aber Sorgen. Denn es herrscht ein enormer Preisanstieg für Acker- und Grünlandflächen, vielfach verursacht von landwirtschaftsfremden Großunternehmen von außerhalb. Die einfachen Landwirte haben dadurch keine Chance, Boden zu vernünftigen Preisen zu erwerben. "Der Ertrag eines Feldes am Rande eines Dorfes muss auch bei den Menschen in der Region bleiben und nicht zum Unternehmenseigentümer in ein anderes Bundesland abfließen", erklärte Minister Aeikens. Um eine multifunktionale Landwirtschaft mit flexiblen Bodenmärkten zu gewährleisten, plant die Landesregierung derzeit ein Agrarstruktursicherungsgesetz: Hierin soll unter anderem der Vorrang für die Landwirtschaft beim Flächenerwerb verankert sein. Da sich Tierhaltung und Landwirtschaft immer stärker an gesellschaftlichen und ökonomischen Faktoren orientierten, seien zudem der Betrieb von Tierhaltungen genauer festzulegen und die Ausbildung von Fachkräften in der Landwirtschaft sicherzustellen.

Den derzeitigen Bodenhandel nannte Hans-Jörg Krause (DIE LINKE) einen "inakzeptablen Ausverkauf der Flächen". Die Politik müsse sich verstärkt den Arbeitsbedingungen für Landwirte widmen. "Die Misere mit Straathof hätten wir uns sparen können, wenn Sie die Warnungen der Opposition ernst genommen hätten", kritisierte Krause den Landwirtschaftsminister.

Nach Ansinnen der SPD sei die Tierhaltung mehr aus Sicht des Tieres zu gestalten, erklärte die Fraktionsvorsitzende Katrin Budde. Die körperlichen Funktionen der Tiere und deren Verhaltensmuster dürften nicht eingeschränkt werden. Die Verbraucher seien in die Pflicht zu nehmen, sagte Budde und erinnerte an die "Macht der Kaufentscheidung". Budde bemängelte die Zunahme der Konzentration von Bodeneigentum bei Großunternehmen. Es sei zudem wichtig, die hier ausgebildeten Fachkräfte der Landwirtschaft auch im Land zu halten.

"Landwirtschaft und Tierhaltung müssen ins Dorf passen", erklärte Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und wollte dies - als Gegnerin von Großstallungen - durchaus wörtlich verstanden wissen. Die Landwirtschaft könne nur existieren, wenn auskömmliche Erzeugerpreise (Stichwort Milch- und Fleischpreise) gezahlt würden, so Frederking. Man könne auch ohne wissenschaftliche Erkenntnisse feststellen, dass es nicht im Sinne eines Huhns sei, wenn man ihm den Schnabel wegbrenne, ergänzte Grünen-Fraktionschefin Prof. Dr. Claudia Dalbert zum Thema Tierwohl.

Eigenverantwortung, Selbsthaftung und die Verpflichtung dem Gemeinwohl gegenüber sollen zukünftig die Kriterien für den Flächenerwerb sein, erklärte Bernhard Daldrup (CDU). Mit dem von seiner Fraktion initiierten Agrarstruktursicherungsgesetz soll die Wertschöpfung in der Landwirtschaft erhöht werden. Darüber hinaus wird die CDU einen breitgefassten Antrag zum Tierwohl in den Landtag einbringen, erklärte Thomas Leimbach (CDU). Unter anderem soll darin eingefordert werden, das Tierwohl in allen Haltungsformen sicherzustellen. Beschlüsse wurden am Ende der Regierungserklärung und deren Aussprache nicht gefasst.

Dr. Stefan Müller

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AUS DEM PLENUM

Dr. Florian Steger neu im BStU-Beirat

Prof. Dr. Florian Steger ist neues Mitglied für Sachsen-Anhalt im Beirat des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU). Steger wurde am 26. Februar vom Landtag gewählt. Die Amtszeit seines Vorgängers Dr. André Gursky endete im Dezember 2014. Der 40-jährige Steger ist gebürtiger Oberbayer und seit 2011 Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Halle-Wittenberg.


Antrag wurde für erledigt erklärt

Die Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt beantragte im Februar 2013 die Weiterentwicklung des Krankenhausunterrichts für Kinder mit langwierigen psychischen Erkrankungen. Nach einem ausführlichen Expertengespräch und der Präsentation eines neuen Konzeptansatzes der Landesregierung im Ausschuss für Bildung und Kultur wurde der Antrag im Plenum für erledigt erklärt.


Gesetzentwurf zur Justizreform vorgelegt

Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Justizvollzugs in Sachsen-Anhalt vorgelegt. Er sieht unter anderem die Erhaltung der Arbeitspflicht für Gefangene und den Anspruch auf eine Einzelzelle bis spätestens 2024 vor. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Strafvollzugs setzt das Justizministerium auf "noch mehr Behandlung, noch mehr Therapie". Der Gesetzentwurf wurde zur Beratung in die Ausschüsse überwiesen.

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Keine schnelle Lösung im Kita-Gebühren-Streit in Sicht

In einer von der Fraktion DIE LINKE initiierten Aktuellen Debatte stand die Erhöhung der Kita-Gebühren auf dem Prüfstand. Im Zuge der Umsetzung des neuen Kinderförderungsgesetzes (Kifög) und des novellierten Finanzausgleichsgesetzes (FAG) deutet sich in einigen Kommunen eine massive Steigerung der Elternbeiträge ab. Auch wenn die Ursachen dieser Entwicklung von den Fraktionen unterschiedlich bewertet werden, herrscht zumindest Konsens darüber, den Rechtsanspruch auf eine ganztägige Betreuung in einer Kita nicht durch erhöhte Gebühren in Frage zu stellen. Da die Gemeinden mit defizitären Haushalten zu kämpfen haben, werden die Eltern im Vergleich zu früher aber stärker in die Pflicht genommen. Leichte Abhilfe könnte eine breitangewandte soziale und zeitliche Staffelung der Elternbeiträge schaffen: Besserverdienende könnten einen höheren Beitrag zahlen; die Betreuung könnte auch nach den in Anspruch genommenen Stunden abgerechnet werden.

Dr. Stefan Müller


Fünf vielgestaltige Plädoyers für ein stabiles Europa

Der Bundestag hat Ende Februar, mit großer Mehrheit einer Verlängerung des laufenden Hilfsprogramms für Griechenland um vier weitere Monate zugestimmt. Unter der Überschrift "Für eine Europäische Stabilitätskultur in Sachsen-Anhalts Interesse" hat sich zeitgleich auch der Landtag mit dem Thema beschäftigt. Fraktionsübergreifend bestand Einigkeit darüber, dass ein stabiles Europa, solide Staatsfinanzen und ein stabiler Euro von enormem wirtschaftlichem Interesse für Sachsen-Anhalt sind. Allerdings wurde teilweise heftig über den Weg dahin diskutiert. Während die CDU sich dafür aussprach, an der "europäischen Stabilitätskultur" festzuhalten, erklärten Linke und Grüne den bisherigen Rettungsplan für gescheitert. Die SPD erklärte, es komme auf die Mischung zwischen Sparpolitik und Strukturreform an.

Stefanie Böhme

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AUS DEM PLENUM

Ein Ausbildungsplatz für jeden

Trotz Fachkräftemangels haben 400 Jugendliche in Sachsen-Anhalt keine Lehrstelle gefunden und ein Drittel der Ausbildungsverträge wird vorzeitig aufgelöst. Per Antrag wollen das die Grünen zukünftig ändern.

Eine "Ausbildungsplatzgarantie" für alle Jugendlichen in Sachsen-Anhalt ist das Ziel eines Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Außerdem plädieren sie für eine sozialpädagogische Ausbildungsbegleitung, die Modularisierung der Ausbildung, eine landesweite Etablierung von Konfliktlotsen und eine verbindliche Berufsorientierung ab der 5. Klasse. Denn für die Grünen sei die Frage der beruflichen Ausbildung auch eine Frage der Gerechtigkeit, sagte Prof. Dr. Claudia Dalbert. Dabei sollte gelten: "Wer will, der kann!"

Arbeits- und Sozialminister Norbert Bischoff (SPD) erklärte, das vorgebrachte Anliegen der Grünen sei bereits Teil des strategisch-konzeptionellen Vorgehens der Landesregierung. Im Fachkräftesicherungspakt Sachsen-Anhalts hätte die Wirtschaft Ende vergangenen Jahres bereits bekräftigt, dass sie allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zusichern wolle. Dazu gehöre auch ein Programm des Arbeitsministeriums und der Arbeitsagentur Sachsen-Anhalt unter dem Titel "Zukunftschance - assistierte Ausbildung". Ein Konfliktlotsenprogramm in Handwerksbetrieben laufe noch bis Sommer 2015 und soll anschließend ausgewertet und auf andere Betriebe ausgeweitet werden. Darüber hinaus sei Sachsen-Anhalt derzeit das einzige Bundesland, das in der 7. Klasse verpflichtend ein Projekt zur Berufsorientierung vorschreibe. Dies sei insbesondere auch in den Gymnasien wichtig, sagte Bischoff und begrüßte in diesem Punkt den Ansatz der Grünen.

Eine Ausbildungsplatzgarantie sei zum einen nichts Neues und zum anderen mache sie zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn, sagte Thomas Keindorf (CDU). Sie würde vielen Jugendlichen schon in der Schule die Motivation nehmen, sich für eine Ausbildung zu qualifizieren. Eine Modularisierung der Ausbildung hält Keindorf im Handwerk nur für schwer umsetzbar. Er befürchtet eine Art "Zertifikatschaos" und dass Leistungsschwächere verleitet würden, nicht bis zum Ende der Ausbildung durchzuhalten. Dies könne jedoch nicht Sinn und Zweck sein, da die Wirtschaft breit aufgestellte und flexible Mitarbeiter benötige.

Dr. Frank Thiel (DIE LINKE) sagte, grundsätzlich teile seine Fraktion den Ansatz der Grünen nach einem "Recht jedes Jugendlichen auf eine Ausbildung", allerdings müsse man bedenken, dass manche Jugendlichen auch "nicht wollen". Die Forderung nach einer Modularisierung sei interessant, sie sollte jedoch nicht als Option zum "Teilfacharbeiter" verstanden werden, weil dies direkt in die prekäre Beschäftigung führe. Notwendig sei in jedem Fall den "unübersichtlichen Dschungel an Maßnahmen im Bereich der Übergangssysteme mit kraftvollen Schnitten zu lichten", so Thiel.

Ein klares Bild über die eigenen Fähigkeiten und die Anforderungen im Beruf erleichterten die Berufswahl, daher ist eine systematische und transparente Berufsorientierung an allen allgemeinbildenden Schulen notwendig, sagte Patrick Wanzek (SPD). Seiner Meinung nach müsse Bildungspolitik dafür sorgen, die Zahl der Jugendlichen in Übergangsystemen zu minimieren. Der Antrag wurde federführend in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.

Stefanie Böhme


Schlechtes Ergebnis: Jeder dritte Ausbildungsvertrag wird in Sachsen-Anhalt vorzeitig aufgelöst. Zudem ist 2014 jeder Vierte bei der Gesellenprüfung im Handwerk durchgefallen.

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AUS DEM PLENUM

Humanismus und Abschiebezwang

Von Offenheit, Humanismus und Solidarität soll die Zuwanderungspolitik in Sachsen-Anhalt geprägt sein. Dies geht aus einem Antrag der Fraktion DIE LINKE hervor. Erwartungsgemäß fiel die Bewertung in den Fraktionen unterschiedlich aus.

Kein anderes Thema sei in den letzten Wochen so radikal diskutiert worden wie die Zuwanderung von Migrantinnen und Migranten. Dem Problem müsse sich die Politik stellen, forderte Wulf Gallert, Fraktionsvorsitzender der Linken. Man müsse die Ängste der Menschen von Pegida vor einem massiven sozialen Abstieg ernst nehmen und ihnen erklären, dass es falsch sei, das Problem den Migranten zuzuschreiben, sondern dass dies eine Folge der falschen Rentenpolitik in Deutschland sei. Gallert kritisierte die Menschen, die Vorurteile und falsche Stereotype transportierten, Asylbewerber und Migranten seien per se gewaltbereit und Sozialkassen plündernd und wollten Parallelgesellschaften aufbauen. "Wir brauchen in Sachsen-Anhalt einen Paradigmenwechsel weg von der Ablehnung zum Willkommen", forderte Gallert.

Asylbewerber und Zuwanderung seien zwei unterschiedliche Themen, erinnerte Innenminister Holger Stahlknecht. Um die Lücken zu schließen, die die demographische Entwicklung reiße, brauche das Land auch Zuwanderung. Die entsprechenden Anreize müssten gezielter gesetzt werden. "Sachsen-Anhalt bekennt sich selbstverständlich zu seiner Verpflichtung, Menschen aufzunehmen, die Schutz bedürfen", versicherte der Innenminister. Wenn kein humanitärer Schutzgrund bestehe, dann müsse die Ausreise der Antragsteller aber auch konsequent umgesetzt werden, erklärte Stahlknecht. Das habe nichts mit Rassismus zu tun, sondern bedeute die Umsetzung geltenden Rechts. Sachsen-Anhalt sei und bleibe aber ein weltoffenes Land, das die Potenziale der Migration zu schätzen wisse, betonte Stahlknecht.

Vor dem Hintergrund der steigenden Flüchtlingszahlen auf der ganzen Welt, dürfe Sachsen-Anhalt nicht die Türen schließen und den Betroffenen das Gefühl geben, dass uns ihr Leid nichts angehe, erklärte Patrick Wanzek (SPD). Seine Fraktion fordert die Chance zur Teilhabe von Anfang an, dies beinhaltet Bildung und Arbeitsmarktintegration. Sprache sei die wichtigste Voraussetzung für Integration; daher strebt die SPD Sprachkurse für alle Asylsuchenden an, egal welchem Status sie obliegen. Sören Herbst (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erklärte, Sachsen-Anhalt brauche weitere Zuwanderung, um sich interkulturell zu öffnen. Zuwanderung bedeute jedoch mehr, als nur einigen wenigen Auserwählten ein Willkommen zu sagen. Es gelte, mehr junge Zuwanderinnen und Zuwanderer ins Land zu holen und in Ausbildung zu bringen. Man müsse den direkten Verbleib internationaler Studierender in Sachsen-Anhalt möglich machen.

"Sachsen-Anhalt stellt sich seiner humanitären Verantwortung", versicherte der CDU-Abgeordnete Jens Kolze, die Analyse der Migrantenströme zeige aber, dass nicht alle Menschen wegen Verfolgung oder einer krisenhaften Lage nach Deutschland kämen, sondern dass deren Motivation im eigenen wirtschaftlichen Vorteil liege. Wirklich Schutzberechtigten soll die nötige Hilfe zukommen, bei abgelehnten Asylbewerbern solle jedoch die Ausreise durchgesetzt werden, so Kolze. Die CDU wolle die Asylverfahrensdauer beschleunigen. Am Ende der Debatte wurde der Antrag in die Ausschüsse überwiesen, wo er weiter beraten werden soll.

Dr. Stefan Müller

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AUS DEM PLENUM

Cannabis auf dem Weg zum legalen Medikament

Cannabis für medizinische Zwecke zu legalisieren und somit leichter für schwerkranke Menschen verfügbar zu machen, ist der Tenor zweier Anträge von Grünen und Linken. Etwas überraschend herrschte über dieses Vorhaben relativer Einklang. Cannabis bietet nach Ansicht der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE vielfache medizinische Möglichkeiten zur Linderung von schwersten Krankheiten. Daher soll Patienten per ärztlichem Attest der straffreie Anbau, Besitz und Erwerb von Cannabis ermöglicht werden; die Krankenversicherungen sollen die Kosten für Cannabis-Arzneimittel übernehmen. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler hatte kürzlich verlauten lassen, dass für 2016 ein entsprechender Gesetzentwurf auf Bundesebene vorgelegt werden soll. Alle Fraktionen begrüßen dieses Vorhaben. Über die generelle Legalisierung von Cannabis gehen die Meinungen in den Fraktionen aber auseinander. Die Anträge werden in den Ausschüsse weiterberaten.

Dr. Stefan Müller

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JVA Dessau-Roßlau steht kurz vor der Schließung

Wegen sinkender Gefangenenzahlen will die Landesregierung die Justizvollzugsanstalt Dessau-Roßlau schließen. Justizministerin Angela Kolb (SPD) brachte im Februar-Plenum einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Landtag ein. Die JVA Dessau-Roßlau ist mit 237 Haftplätzen die kleinste der Altanstalten und hat den größten Anteil an Mehrfachbelegungen. Sie biete weniger Beschäftigungsmöglichkeiten für die Gefangenen als die Anstalt Volkstedt, so die Ministerin. Eine Schließung der JVA Halle (Hauptanstalt) sei wegen der unterschiedlichen Vollzugsarten nicht möglich. Laut Landesregierung könnten mit der teilhaften Schließung der JVA Dessau-Roßlau (der offene Vollzug und die zentralen Dienstleistungen sollen verbleiben) ab 2016 jährlich rund 400.000 Euro eingespart werden. Die Gefangenen würden auf die anderen JVAs verteilt werden. Der ebenso kurze wie kontrovers diskutierte Gesetzentwurf wurde in die Ausschüsse für Recht, Verfassung und Gleichstellung sowie für Finanzen überwiesen.

Stefanie Böhme

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Aufgabe auf europäischer Ebene

Markus Kunze (CDU) ist neues stellvertretendes Mitglied im Kongress der Gemeinden und Regionen beim Europarat (KGRE). Kurze tritt die Nachfolge von Jürgen Stadelmann (CDU) an, der sein Landtagsmandat aus Berufsgründen niedergelegte hatte. Der KGRE stellt die Teilhabe der lokalen und regionalen Behörden an der europäischen Integration sicher.


Antrag der Linken abgelehnt

Im Mai 2014 hatte die Fraktion DIE LINKE einen Antrag gestellt, dass die Landesregierung von administrativen Eingriffen in die Strukturen von Lehre und Forschung an den Hochschulen absehen solle. Da die Mehrheit der Abgeordneten im Ausschuss für Wissenschaft und Wirtschaft es als gegeben ansahen, dass die benannten Gründe von der Regierung bereits aufgegriffen seien, wurde der Antrag abgelehnt.


Todesumstände bleiben ungeklärt

Der Landtag hat erneut sein Bedauern über den Tod von Oury Jalloh im polizeilichen Gewahrsam in Dessau ausgedrückt und dass eine abschließende Aufklärung der Todesumstände des aus Sierra Leone stammenden Mannes nicht gelungen sei. Der Ausschuss für Inneres und Sport hatte eine entsprechende Beschlussempfehlung ausgearbeitet. Demnach seien nach dem tragischen Tod Jallohs umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen im polizeilichen Gewahrsam ergriffen worden. Diese Maßnahmen hätten sich bewährt.

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IM BLICKPUNKT

Vermittlerin der Geschichte

Die Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt wacht über einige der bedeutendsten Burgen, Schlösser und Sakralbauten zwischen Altmark und Zeitz. Anlässlich der Verabschiedung von Stiftungs-Generaldirektor Boje E. Schmuhl lobte Landtagspräsident Detlef Gürth die Stiftung als "Impulsgeber für die Infrastruktur, den Tourismus und vor allem für die Identität der Menschen".

Großartige gotische Dome, romantisch anmutende mittelalterliche Burgen, imposante Schlösser - im denkmalreichen Sachsen-Anhalt künden steinerne Zeugen en gros von der Baukunst vergangener Jahrhunderte und von der Schönheit der unterschiedlichen Baustile deutscher Architekturgeschichte. Über einige der bedeutendsten Burgen, Schlösser und Sakralbauten zwischen Altmark und Zeitz wacht die Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt. Ihr hat das Land die herausragendsten und kulturhistorisch bedeutsamsten sakralen wie profanen Bau- und Kunstdenkmale zur Betreuung und Verwaltung übertragen.

2005 hervorgegangen aus der 1996 auf Regierungsbeschluss errichteten Stiftung Schlösser, Burgen und Gärten sowie einer Stiftung zu Erhalt und Nutzung der Dome, Kirchen und Klöster des Landes Sachsen-Anhalt - der Domstiftung -, sieht sie sich über die Symbiose von Kultur- und Denkmalpflege mit der touristischen und wirtschaftlichen Erschließung der Kunst- und Kulturgüter als eine Vermittlerin zwischen Vergangenheit und Gegenwart, in der die Bauwerke nicht einfach nur nette historische Kulisse sind, sondern durch ihre vielfältige kulturelle Nutzung auch wirklich leben.

Von der Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt treuhänderisch verwaltet werden auch die unselbstständige Stiftung Moritzburg Kunstmuseum Halle (Saale) und deren Lyonel-Feininger-Galerie in Quedlinburg sowie die Stiftung Kloster Michaelstein - Musikakademie Sachsen-Anhalt für Bildung und Aufführungspraxis - und deren beider Vermögen.

Ebenfalls treuhänderisch verwaltet werden die "Kloster Bergesche Stiftung" und die "Stiftung Kloster Unser Lieben Frauen", zwei der wenigen öffentlich-rechtlichen Stiftungen in Sachsen-Anhalt, die unmittelbar fördernd tätig sind und mit ihren Zuwendungen zur Bereicherung der Kulturlandschaft beitragen.

Die Liegenschaften - lange Zeit vernachlässigte oder heruntergewirtschaftete Schlösser, Dome, Burgen, wertvolle Bauwerke und Kunstschätze - wurden nach Übernahme durch die Stiftung nicht nur konservierend denkmalpflegerisch geschützt, sondern "auch zu Impulsgebern für die Infrastruktur, den Tourismus und vor allem für die Identität der Menschen", lobte Landtagspräsident Detlef Gürth anlässlich der Verabschiedung des langjährigen Generaldirektors Boje E. Hans Schmuhl.

Der war 1996 aus dem Kultusministerium "mal stiften" gegangen, ins Renaissanceschloss Leitzkau, dem Verwaltungssitz der Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt. Sie wuchs von einem kleinen Stiftungsbetrieb mit anfangs gerade mal neun Mitstreitern im Laufe von fast 20 Jahren zu einem mittelständischen Stiftungsunternehmen mit heute rund 170 Mitarbeitern heran.

Vom Dom in Havelberg im Norden bis zu den Schlössern Neuenburg und Goseck im Süden gehören insgesamt 18 Burgen, Schlösser, Dome, Klöster und Museen des Landes zur inzwischen größten Kulturstiftung Sachsen-Anhalts, die sich von Anfang an auch der Erforschung der ihr anvertrauten Bauten und der darin verwahrten Kunstwerke widmete und über die Ergebnisse in einer Schriftenreihe informiert. Sitz der wissenschaftlichen Abteilung ist Schloss Wernigerode, wo die Stiftung eine Außenstelle unterhält.

Zu neuem alten Glanz verhalf die Stiftung unter anderem dem Jagdschloss Letzlingen, dem Kloster Michaelstein und dem Westwerk des Magdeburger Doms.

Weitere bisherige Großprojekte waren die Neupräsentation des Domschatzes und der Anbau am Dom in Halberstadt, der Bau des Johann-Sebastian-Bach-Saales im Schloss Köthen, wo aus der Ruine der ehemaligen Reithalle ein moderner Konzertsaal entstand, oder der Anbau "Schlossberg 11" in Quedlinburg, der der Feininger-Galerie mehr Platz bietet.

Die von ihr getragenen Denkmale, von denen zehn Glanzlichter der "Straße der Romanik" sind, gehören alle zu den beliebtesten Ausflugs- und Reisezielen in Sachsen-Anhalt, entführen auf eine Zeitreise und bringen eine jahrtausendalte Geschichte näher. Von der Stiftung empfohlene Entdeckungstouren führen:

• vom Dom St. Mauritius und St. Katharina zu Magdeburg, dem ersten Sakralbau der Gotik in Deutschland, zum Schloss Leitzkau, dem Verwaltungssitz der Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt. Das einstige Prämonstratenser-Stift nahe der Elbe kam im 16. Jahrhundert in den Besitz derer von Münchhausen, die die Anlage im Stil der Weserrenaissance um- und ausbauen ließen,

• vom Jagdschloss Letzlingen, dem repräsentativen Hohenzollern-Jagdquartier in der Altmark, zum Dom und ehemaligen Prämonstratenser-Stift St. Marien zu Havelberg,

• vom Residenzschloss der Fürsten von Anhalt-Köthen, einer bedeutenden Wirkungsstätte Johann Sebastian Bachs, zum Schloss Bernburg, der "Krone Anhalts", und zum Schloss Plötzkau, einer Renaissanceanlage auf mittelalterlichen Mauern,

• von Kloster und Stiftskirche Hamersleben, einem Kleinod der Romanik, über den Dom St. Stephanus und St. Sixtus zu Halberstadt, eine der schönsten gotischen Kathedralen Deutschlands, und dessen kostbarem Domschatz, über die Stiftung Kloster Michaelstein und ihre Musikakademie bis zur Konradsburg am Harzrand und zur Burg Falkenstein, wo Spuren deutscher Rechtsgeschichte zu finden sind,

• vom "Schatzkästchen" Kardinal Albrechts von Brandenburg - Halles Dom - über Schloss Goseck hoch über dem Saaletal zum Schloss Neuenburg bei Freyburg, einem glanzvollen Zentrum ritterlich-höfischer Kultur, bis zur Eckartsburg der Landgrafen von Thüringen.

Mit der Bewerbung von "Naumburger Dom und die hochmittelalterliche Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut" um Aufnahme in die UNESCO-Welterbe-Liste könnten ab Sommer 2015 - bei positiver Entscheidung der WelterbeKommission - auch die zur Stiftung gehörenden Schlösser Neuenburg und Goseck diesen international renommierten und touristisch werbewirksamen Status erhalten.

Gudrun Oelze

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RÜCKBLICK

Jedes Opfer steht für ein Schicksal

Landtag und Landesregierung gedachten in Bernburg der Millionen Toten des Völkermords durch die Naztionalsozialisten. Am Holocaust-Gedenktag wurde in der ehemaligen Bernburger Heilanstalt auch an die Opfer des NS-"Euthanasie"-Programms erinnert.

Der Landtag und die Landesregierung von Sachsen-Anhalt haben am Holocaust-Gedenktag, der jedes Jahr am 27. Januar (Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz) begangen wird, in einer gemeinsamen Gedenkveranstaltung der Millionen Opfer des Holocausts und der NS-Diktatur in Europa gedacht.

Die zentrale Veranstaltung in Sachsen-Anhalt fand in diesem Jahr in der ehemaligen NS-"Euthanasie"-Anstalt (heute eine Gedenkstätte) in Bernburg statt. Allein hier wurden 9835 Menschen aufgrund einer Krankheit oder Behinderung vergast, zudem wurden etwa 5000 kranke KZ-Häftlinge hier in der Gaskammer ermordet.

Vertreter/innen aus Politik, Religion und Gesellschaft legten an der Gedenkstätte in der Bernburger Olga-Benario-Straße Blumen und Kränze nieder. Die Heilanstalt war Anfang der 1940er Jahre zur Tötungsanstalt für Menschen mit einer Behinderung geworden - "man hatte sie zu 'unwertem' Leben bestimmt", erinnerte Kultusminister Stephan Dorgerloh an den Grund ihrer Vernichtung. Die 9835 Opfer waren Kinder und Erwachsene im Alter von vier bis 86 Jahren.

In der Gedenkstätte zeugen heute einige Portraitfotos von den wehrlosen Opfern. "Die Geschichte der Gewalt ist unmittelbar mit der Geschichte unseres Landes verbunden", erklärte Landtagspräsident Detlef Gürth. Versagen und Schuld der Täter und der Tätergeneration dürften nicht vergessen werden; aus dem Wissen über die Vergangenheit müsse das Gewissen für die Zukunft erwachsen, betonte Gürth. Dann sprach er das Totengedenken; mit einer Schweigeminute wurde der Opfer gedacht.

Auschwitz ist Synonym für den Völkermord

Die eigentliche Gedenkfeier fand im Bernburger Carl-Maria-von-Weber-Theater statt. Als Hauptredner wurde Andrzej Matuszewicz, Direktor des polnischen Regionalmuseums in Siedlce (Gedenkstätte Treblinka), begrüßt. Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz sei zum Synonym für den Völkermord geworden, sagte Bernburgs Oberbürgermeister Henry Schütze: "Es ist nicht leicht, sich mit den Schrecken der Vergangenheit auseinanderzusetzen." Die von den Opfern durchlebte Hölle könne man als Nachgeborener nur schwer nachvollziehen. Wichtig sei, das Wissen um das Gewesene an die jungen Generationen weiterzugeben und die Erinnerung daran zu bewahren und zu verbreiten.

Rassismus sei auch heute in unserer Gesellschaft zu finden, erinnerte Schütze mit Blick auf die aktuellen Ereignisse. "Deutschland ist ein vergleichsweise reiches Land - wir haben genug, um anderen einen Teil dieses Wohlstands abzugeben", so Schütze.

Eine jede Zahl ist eine menschliche Tragödie

Für Ministerpräsident Reiner Haseloff bedeuten die Schrecken von Auschwitz einen Zivilisationsbruch. Die unvorstellbaren Todeszahlen ließen das Leid, die Qualen und das Sterben der Opfer mehr als erahnen. Hinter jeder Zahl stecke eine menschliche Tragödie, sagte Haseloff, auch und ganz besonders hinter denen der 200.000 Kinder, die in Auschwitz ermordet wurden. Es sei eine staatsbürgerliche Pflicht, die Erinnerung an die Opfer aufrechtzuerhalten; sie müsse schon im Elternhaus und in der Schule beginnen.

Die Täter und ihre Taten sollten beim Namen genannt werden, forderte Haseloff. Die Nationalsozialisten hätten ihr Unwesen nicht nur in den Konzentrationslagern getrieben, sondern auch mitten unter uns. Der sogenannte "Gnadentod" in den "Euthanasie"-Anstalten wie die in Bernburg zeige, wie perfide und perfekt die Tötungsmaschinerie der Nazis funktioniert habe. Die Frage nach dem Warum werde vermutlich nie vollständig beantwortet werden können, mutmaßte der Ministerpräsident - "aber es ist besser, immer wieder zu fragen als teilnahmslos zu schweigen." Es sei an uns Menschen heute, den Opfern von damals unser Gedächtnis zu schenken.

Treblinka - Todesort für 800.000 Menschen

Andrzej Matuszewicz, Direktor der Gedenkstätte des Vernichtungslagers Treblinka, betonte, dass die Menschen in ihrer Trauer vereint seien. Die Todesfabriken hätten perfekt funktioniert, und das auch, weil die Nazis mit ihrem System aus pseudowissenschaftlichen Theorien eine Veränderung des gesellschaftlichen, politischen und menschlichen Bewusstseins allen voran der Deutschen bewirkt hätten. Neben dem Arbeits- und Straflager Treblinka I war 1942 das Vernichtungslager Treblinka II errichtet worden. Am 23. Juli 1942 erreichte der erste Transport mit 7400 Juden aus Warschau den Todesort. Etwa 800.000 Menschen fanden in den folgenden Monaten hier den Tod in den eigens konstruierten Gaskammern. Die Hunderttausenden Leichen wurden auf großen Leichenrosten kremiert. Die Gaskammern waren für ein Kontingent von 6000 zu tötenden Menschen am Tag konzipiert.

Nicht selten vergingen lediglich zwei Stunden von der Ankunft der Menschen in Viehwaggons bis zu ihrer Vergasung. Die Selektion dauerte etwa eine Viertelstunde, nur wenige durften am Leben bleiben, hauptsächlich junge Menschen, deren berufliche Fähigkeiten man im Lager benötigte. Die Todgeweihten mussten sich entkleiden und ihre Wertgegenstände abgeben. Durch den sogenannten Schlauch (ein enger Weg) ging es direkt in die Gaskammer; unter den Lagerinsassen trug der Weg die zynische Bezeichnung "Himmelfahrtsstraße". Während die Vergasung betrieben wurde, machte man sich an anderer Stelle schon an die Sortierung des Gepäcks. Den Getöteten wurden die Goldzähne ausgebrochen, bevor man sie verbrannte. Die Opfer verloren ihr Leben, die Täter jedoch keine Zeit, um sich auf den nächsten eintreffenden Transport vorzubereiten.

Nach 1943 - das Lager wurde vollständig liquidiert, die Asche- und Leichenstätte wurde umgepflügt und mit Lupinen bestellt - war Treblinka für gut 20 Jahre aus dem Gedächtnis verschwunden. Erst 1964 wurde ein erster Gedenkstein aufgestellt. Die Gedenkstätte in Treblinka zählt heute jedes Jahr rund 50.000 Besucher aus aller Welt. Mit Ausstellungen, Vorträgen und Museumsunterricht wird an die Vernichtung von 800.000 Menschen erinnert.

Dr. Stefan Müller


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Landtagspräsident Detlef Gürth (o.) fand am Holocaustgedenktag mahnende Worte und sprach am historischen Ort das Totengedenken. Erinnerungsstein (r.) für die "Euthanasie"-Opfer in Bernburg und die erhalten gebliebene Gaskammer der Tötungsanstalt.

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EINBLICK

Das Gedächtnis des Parlaments

Sie brauchen Ohren wie ein Luchs und mindestens so flinke Finger wie ein guter Pianist, außerdem jede Menge Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer und sehr gutes Allgemeinwissen - Landtagsstenografen haben einen anspruchsvollen Job.

Eigentlich verrückt: Per Zehn-Finger-System kann er an der Computertastatur nicht schreiben, aber über die Stenografiermaschine fliegen seine Hände wie die eines Klavierspielers über die weißen und schwarzen Tasten seines Flügels. Denn als einer von zehn Parlamentsstenografen ist Ringo Ulrich dafür zuständig, alles, was in Plenar- und Ausschusssitzungen gesagt wird, schnellstmöglich in Papierform zu bringen. "Es geht aber nicht darum, alles eins zu eins niederzuschreiben, sondern das wiederzugeben, was der Redner gemeint hat", betont Ulrich.

Die eigentliche Arbeit beginne daher erst, nachdem eine Rede stenografiert wurde - der Text wird von der Stenografiermaschine in den Computer übertragen und dort weiter bearbeitet. So müssen unter anderem Versprecher korrigiert, aus abgebrochenen Sätzen ganze gemacht und Zahlenangaben und Fachbegriffe recherchiert oder auf Richtigkeit geprüft werden, beschreibt Ulrich die umfangreichen Nacharbeiten, bevor ein stenografisches Protokoll einer Landtagssitzung fertig ist. "Für eine Stunde stenografiertes Material benötigen wir etwa acht Stunden zur Nachbereitung." Am Ende des gesamten Prozesses müssen die Abgeordneten das Protokoll freigeben, erst danach wird es veröffentlicht.

Die Anfänge der Parlamentsstenografie gehen auf die alten Römer zurück, die bereits zu Ciceros Zeiten einen Vorläufer der Handstenografie entwickelten. Heute stenografieren nur noch wenige von Ulrichs Kollegen per Hand, die meisten nutzen eine Stenografiermaschine. Sie lässt sich vielleicht am ehesten mit einer Schreibmaschine vergleichen, mit dem Unterschied, dass es viel weniger Tasten gibt und diese nicht mit Buchstaben belegt sind - zumindest nicht sichtbar. Trotzdem verbirgt sich hinter jeder Kombination ein Wort. Ähnlich wie beim Akkordeon- oder Klavierspielen können mehrere Tasten gleichzeitig gedrückt werden. "Wir können mehrere Silben durch Tastenkombinationen zusammenziehen und nutzen ein komplexes System aus Kürzungen, sodass wir die Reden in Echtzeit mitschreiben können." Der Computer übersetzt die Zeichen später wieder in Wörter und ganze Sätze.

Ob des Aufwands könnte sich der eine oder andere jetzt vielleicht fragen: Warum lässt der Landtag nicht einfach von allen Sitzungen eine Tonaufnahme anfertigen? Das werde auch gemacht, erklärt der 36-jährige Ulrich. Die Tonaufnahme diene der Unterstützung der Stenografen, falls doch einmal ein Wort beim Schreiben verloren geht. Sie gebe aber nicht wieder, was der Redner zur Illustration vielleicht mitgebracht hat oder welcher Gesten er sich bedient und welche anderen Vorgänge Anlass zu Heiterkeit, Widerspruch oder Zwischenrufen gegeben haben. Das alles finde sich aber im stenografischen Protokoll, so Ulrich.

Stenografische Berichte sind außerdem ein wichtiges Mittel, um das politische Geschehen transparenter zu machen. So könnten die Bürger anhand der stenografischen Plenarprotokolle nachvollziehen, wie Gesetze entstehen, wie einzelne Abgeordnete zu bestimmten Themen stehen und sogar wie sie abgestimmt haben, betont Ulrich. Daneben ist es Arbeitsmittel für das Parlament, die Regierung und die Verwaltung, sagt Ulrich. "Unsere Arbeit bildet quasi das Gedächtnis des Parlaments."

Stefanie Böhme

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SACHSEN-ANHALT

"Marathonmann der Rechnungshöfe"

Zwölf Jahre dauert die Amtszeit des Präsidenten des Landesrechnungshofes in Sachsen-Anhalt. Ende Februar wurde Ralf Seibicke als Präsident verabschiedet.

Ralf Seibicke hatte das Amt seit 2003 inne, und da keine Wiederwahl möglich ist, wird nun nach einem Nachfolger gesucht. Er habe sein Amt geprägt und den starken Landesrechnungshof fortentwickelt, lobte Landtagspräsident Detlef Gürth die Arbeit von Ralf Seibicke. "Sie haben Ihr Amt unerschrocken ausgeübt, ihren Augen schien nichts zu entgehen." Bei der richterlich unabhängigen Kontrolltätigkeit bestehe nicht nur eine Schuld gegenüber dem Steuerzahler, sie zeige zudem Chancen auf, fehlende Effizienzen im System zu markieren und diese mit Handlungsvorschlägen zu versetzen.

Ohne Ansehen und Stand der Person oder Institution hätten Seibicke und seine Mitarbeiter zur finanziellen Stabilität des Landes beigetragen, erinnerte Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff. Die Berufung auf zwölf Amtsjahre habe Seibicke die Möglichkeit gegeben, relativ unabhängig Entscheidungen mit Nachhaltigkeit zu treffen.

Christoph Weiser, Vorsitzender der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder, betonte, dass er und seine Kolleginnen und Kollegen jederzeit vom Erfahrungsschatz Ralf Seibickes profitiert hätten. Er habe in keiner Präsidentenkonferenz gefehlt und durchaus die Bezeichnung "Marathonmann der Rechnungshöfe" verdient. Seibicke habe sich während seiner zwölfjährigen Amtszeit freilich nicht nur Freunde gemacht, aber schließlich seien Finanzkontrolleure nun mal kritische Zeitgenossen.

Für Ralf Seibicke ist rückblickend immer der Steuerzahler das entscheidende Kriterium seiner Arbeit gewesen; ihm gegenüber habe er stets Rechenschaft abzulegen versucht. Er habe heiße Eisen angefasst und mutig die Konsequenzen getragen, bekannte Seibicke am Ende seiner Amtszeit, manchmal habe man auch an einer Einzelmeinung gegenüber allen anderen festhalten müssen, weil bestimmte Wertvorstellungen keine andere Möglichkeit gelassen hätten. Seibicke sprach sich abschließend für eine zügige Neubesetzung des Präsidiums des Landesrechnungshofes aus.

Dr. Stefan Müller

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Lobbyregister im Aufbau

Landtag veröffentlicht Liste mit Interessenvertretern.

Im Zuge der Parlamentsreform hat der Landtag von Sachsen-Anhalt im November eine Ergänzung der Geschäftsordnung vorgenommen und die Einführung eines Lobbyregisters beschlossen. In dieser öffentlich geführten und auf der Website des Landtags kontinuierlich aktualisierten Liste (PDF) wird jeder registriert, der Interessen gegenüber dem Landtag oder der Landesregierung vertritt.

Durch die Registrierung wird die Möglichkeit eingeräumt, die Institution und deren Tätigkeitsfelder gegenüber den politischen Akteuren, aber auch gegenüber der breiten Öffentlichkeit darzustellen und damit das Zustandekommen demokratischer Entscheidungen in der öffentlichen Wahrnehmung transparenter mitzugestalten.

Das Lobbyregister wird kontinuierlich ergänzt. Die aktuelle Version ist als PDF-Dokument einzusehen und downloadbar. Institutionen, die ihre Interessen gegenüber und Verknüpfungen mit dem Landtag deutlich machen wollen, müssen sich ab sofort ins neue Lobbyregister eintragen lassen.

Eine automatische Eintragung in das Register erfolgt nicht, es bedarf hierzu eines schriftlichen Antrags. Wichtig ist jedoch: Die Beteiligung von Interessenvertretern soll künftig nur stattfinden, wenn sich diese in das Lobbyregister eingetragen haben.

Die Eintragung in die Liste ist kostenfrei, sie begründet jedoch keinen Rechtsanspruch auf Anhörung.

Weitergehende Informationen zur Registrierung und das entsprechende Formular sind auf der Internetseite www.landtag. sachsen-anhalt.de zu finden.

Dr. Stefan Müller

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VORGESTELLT

Kulturparadies Köthen

Der diesjährige Gastgeber des Sachsen-Anhalt-Tags hat einiges zu bieten: Bach-Stadt, Weltstadt der Homöopathie und Vogelkundler. Außerdem feiert die Stadt im Herzen Anhalts ihr 900-jähriges Stadtjubiläum.

Unter dem Motto "Köthen - ANHALTen und erleben!" findet der Sachsen-Anhalt-Tag in diesem Jahr vom 29. bis 31. Mai in Köthen statt. Wie in den vergangenen Jahren präsentiert sich natürlich auch der Landtag von Sachsen-Anhalt im Festgebiet. In der Themenstraße "Weltoffenes Sachsen-Anhalt" werden Abgeordnete der vier im Landtag vertretenen Fraktionen an allen drei Tagen den Bürgerinnen und Bürgern Rede und Antwort stehen. Außerdem bietet der Landtag jede Menge Informationen rund um die politische Arbeit und zu den Besuchsmöglichkeiten im Hause. Beim Parlaments- und Kinderquiz können Jung und Alt ihr Wissen testen und tolle Preise gewinnen.

Die Stadt Köthen liegt im Herzen Anhalts und war als solche über Jahrhunderte die Residenzstadt der Fürsten und Herzöge von Anhalt-Köthen. Diese Zeit hat die Stadt nachhaltig geprägt und macht sie noch heute für Kulturliebhaber interessant. Besonders alle Freunde von Johann Sebastian Bach können in Köthen ausgiebig auf dessen Spuren wandeln. Bach war zwischen 1717 und 1723 Hofkapellmeister am Schloss Köthen und schrieb dort einige seiner bekanntesten Werke - zum Beispiel das "Wohltemperierte Clavier (Teil 1)" oder die Brandenburgischen Konzerte. Heute erinnert ein vielseitiger Veranstaltungskalender an den berühmten deutschen Komponisten und viele der einstigen Wirkungsstätten können besucht werden, darunter die Bachgedenkstätte und die Schlosskapelle.

Köthen ist aber nicht nur als Bachstadt bekannt, sondern hat sich nach der Wiedervereinigung 1990 auch einen Namen als internationale Stadt der Homöopathie erworben. Im Jahre 1829 wurde in Köthen im Beisein des Begründers Samuel Hahnemann der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) ins Leben gerufen, der bis heute aktiv ist. Unter dem Dach des DZVhÄ befindet sich auch die Europäische Bibliothek für Homöopathie, die im Jahr 2009 im ehemaligen Spitalgebäude in Köthen eröffnet wurde. Das ehemalige Wohnhaus Hahnemanns wird heute teilweise als Museum genutzt. 2013 hat der Weltverband der homöopathischen Ärzte seinen Sitz von Genf ins Hahnenmann-Haus nach Köthen verlegt.

Ein Stadtrundgang durch Köthen lässt erkennen, wie positiv sich die Stadt mit den knapp 30.000 Einwohnern in den letzten Jahren entwickelt hat. Viele historische Gebäude wurden saniert und sind jetzt wieder in ihrer ursprünglichen Schönheit zu bewundern. Unbedingt einen Besuch wert sind das Köthener Schloss und das über 100 Jahre alte Rathaus. Darüber hinaus lockt Köthen auch mit einer Reihe von Kirchenbauten, darunter zum Beispiel die St. Jakobskirche mit Fürstengruft und Ladegastorgel.

Alle weiteren Informationen rund um Köthen und den Sachsen-Anhalt-Tag 2015 finden Sie im Internet auf: www.sachsen-anhalt-tag-2015.de.

Stefanie Böhme

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IM BLICKPUNKT

Free Jazz in der DDR - Weltniveau im Überwachungsstaat

Vom 25. März bis zum 20. April 2015 präsentiert der Landtag von Sachsen-Anhalt in Zusammenarbeit mit dem Erinnerungslabor Berlin eine vielseitige und interaktive Ausstellung, die die Free-Jazz-Szene in der ehemaligen DDR beleuchtet. Anhand verschiedener Collagen aus Originaldokumenten in Verbindung mit zehn Audiostationen und einer Videoprojektion können sich Besucherinnen und Besucher vielseitig über die Situation in der Musiker-Szene der 1970er Jahre informieren. Zahlreiche Bilder, Plakate und persönliche Erinnerungen von Zeitzeugen zeichnen ein authentisches Bild dieser Zeit. Insbesondere durch die Hörstationen, die sowohl einen musikalischen Eindruck bieten als auch Interviews verschiedener Akteure zum Inhalt haben, wird die Entwicklung des Jazz in der DDR aus Sicht der Musiker und ihres Publikums verdeutlicht.

9. April 2015

Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen zu Magdeburg
20 UHR KONZERT
"DIE KUNST DES DUOS" Stefan Poetsch & Eyal Maoz
Johannes Bauer & Christoph Winckel

Podiumsgespräch mit Zeitzeugen
Moderation: Jörg Zieprig

Eintritt 10 Euro | Ermäßigt 8 Euro

Die Ausstellung kann im Landtagsgebäude kostenfrei montags bis freitags (außer am Karfreitag) in der Zeit von 8 bis 18 Uhr besichtigt werden.

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IMPRESSUM

Herausgeber: Der Präsident des Landtages von Sachsen-Anhalt

Auflage und Erscheinen: 10.000 Exemplare, vierteljährlich

Redaktion/Bestelladresse: Landtag von Sachsen-Anhalt
Ref. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Besucherdienst
und Protokoll
Domplatz 6-9, 39094 Magdeburg
Fon: 0391 / 560 0
Fax: 0391 / 560 1123
www.landtag.sachsen-anhalt.de
landtag@lt.sachsen-anhalt.de

Redaktion: Ursula Lüdkemeier (Ltg.), Stefanie Böhme,
Ulrich Grimm, Dr. Stefan Müller, Gudrun Oelze,
Wolfgang Schulz

Fotos & Grafiken:
Titel: Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH (Jahrtausendturm, Fachwerkhäuser Quelinburg, Brocken, Trogbrücke), dpa/Jens Wolf (Röntgenbild), Dom­schatzverwaltung Halberstadt (Dom innen), dpa/Matthias Bein (Röhrensystem für Kugelalgen), Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH (Chemiepark Bitterfeld), Valeriy Lebedev 123RF (Schweißer), Grekov 123RF (Familie); Seite 4: Staatskanzlei Sachsen-Anhalt, Thomas Nawrath; Anja Grothe; Seite 5: Foto Klapper Magdeburg; Seite 6: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0618-408, Foto: Schindler, Karl-Heinz; Seite 7: Wolfgang Schulz (Detlef Gürth), Foto Klapper Magdeburg (Dr. Rüdiger Fikentscher); Seite: 8: Martin Hünecke; Seite 9: Pavel Losevsky/fotolia.com; Seite 10: privat; Seite 11: privat; Seite 12: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0506-018, Foto: Lochmann, Hanns-Peter; Seite 13: Wolfgnag Schulz; Seite 14-17: Bundesgartenschau 2015 Havelregion; Seite 18: nemar74/fotolia.com; Seite 19: H. SiepmannH_pixelio.de; Seite 20: I-vista/pixelio.de (EU-Fahne); Seite 21: Kurhan/fotolia.com; Foto 22: Manfred Schäfer/fotolia; Foto: 23 William Casey/fotolia.com; Olaf Meister (JVA); Seite 24: Mathias Kasuptke, IdeenGut; Seite 25: Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt; Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH (Bernburg); Seite 26: Dr. Stefan Müller; Seite 27: Dr. Stefan Müller; Seite 28: Stefanie Böhme; Seite 29: Dr. Stefan Müller; Seite 30: Christian Ratzel - Köthen Kultur und Marketing und Stadt Köthen GmbH ; TourismusRegion Anhalt-Dessau-Wittenberg e.V.; TourismusRegion Anhalt-Dessau-Wittenberg e.V.

Satz & Gestaltung: IdeenGut OHG | www.ideengut.info

Druck: Harzdruckerei GmbH. www.harzdruck.de

Redaktionsschluss: 27.2.2015

Dieses Magazin dient der Öffentlichkeitsarbeit des Landtages von Sachsen-Anhalt. Es wird kostenfrei verteilt. Es darf weder von Wahlbewerbern noch von Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden.

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Quelle:
ZwischenRuf 1/2015
Das Magazin des Landtages von Sachsen-Anhalt
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Der ZwischenRuf erscheint vierteljährlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2015

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