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SACHSEN-ANHALT/333: ZwischenRuf 2-2017 - Das Magazin des Landtages


ZwischenRuf 2/2017
Das Magazin des Landtages von Sachsen-Anhalt

Unser aller Handlungsrahmen
Die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt wird 25


INHALT
AUS DEM PLENUM

Angriff auf die Meinungsfreiheit?
Ein vom Bundesjustizministerium zur Diskussion gestellter Gesetzentwurf beschäftigt sich mit der Verpflichtung sozialer Medien, gegen Hasskriminalität vorzugehen. In der Opposition regte sich während der Juni-Sitzungsperiode Kritik.

Projekt wird weiterentwickelt
Der Landtag hat im Juni einen Antrag der Koalitionsfraktionen zur Weiterentwicklung des Modellprojekts "Fachkraft in Kindertageseinrichtungen" verabschiedet.

Kinderarmut bekämpfen
Etwa ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt sind von Armut betroffen oder armutsgefährdet. Ein Antrag zum Thema wurde einstimmig zur Beratung in die Ausschüsse überwiesen.

Teilhabegesetz mit Leben füllen
Die Koalitionsfraktionen brachten im Juni-Plenum einen Antrag zur gezielten "Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in den kommunalen Verwaltungen Sachsen-Anhalts" in den Landtag ein.

Klimaschutz spaltet Landtag
Welchen Beitrag kann Sachsen-Anhalt zum Klimaschutz in der Welt leisten? Darüber diskutierten die Landtagsabgeordneten im Rahmen einer Aktuellen Debatte.

AdBlue-Manipulation stoppen
Der Landtag bittet die Landesregierung, im Rahmen einer Bundesratsinitiative aktiv gegen den Betrug durch AdBlue-Emulatoren in Lkws vorzugehen. Durch die Manipulation würden die Umwelt und die Steuerzahler geschädigt.

RÜCKBLICK

Landesverfassung wird 25 Jahre alt
Mit einem Festakt wurde an das Jubiläum der Unterzeichnung der Landesverfassung erinnert.

Mit dem Bürger im Dialog
Anlässlich des 25. Geburtstags der Landesverfassung luden Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch und der Landtag von Sachsen-Anhalt zu sieben regionalen Bürgerdialogen ein.

IM BLICKPUNKT

Ausgetreten und doch noch drin
Was passiert mit Abgeordneten, die ihre Landtagsfraktion verlassen? Der Gesetzgeber hat deren neuen parlamentarischen Status exakt geregelt. Hier dargestellt am Beispiel von drei ausgetretenen AfD-Abgeordneten.

REGIONALFENSTER

Die Welt zu Gast in Luthers Land
Sachsen-Anhalt feiert die Hammerschläge, die die Welt veränderten.

AUSBLICK

160 Gäste in der Lutherstadt
Eisleben war in diesem Jahr Gastgeber für den Sachsen-Anhalt-Tag.

RÜCKBLICK

Junge Forscher im Landtag
Die zehn Landessieger des Wettbewerbs "Jugend forscht" wurden Anfang Juni im Landtag durch Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch geehrt. Auch im Bundeswettbewerb hatten sie geglänzt.

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TAG FÜR TAG - DER SCHÜLERKALENDER 2017/18

Der Schülerkalender 2017/2018 wird derzeit ausgegeben und freut sich wieder auf Kalender sind in freudige Schülerhände abzugeben und werden die Kinder und Jugendlichen durch das kommende Schuljahr leiten.

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Stasi-Untersuchungsausschuss gibt sich eine Geschäftsordnung

Im April-Plenum 2017 hatte der Landtag beschlossen, auch in der 7. Wahlperiode einen Ausschuss zur Überprüfung der Abgeordneten auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR einzusetzen. In der Zwischenzeit hat der Ausschuss eine Geschäftsordnung erarbeitet, die in der Sitzungsperiode im Juni vom Landtag auch abgesegnet wurde.

Vier der fünf Fraktionen entsenden jeweils ein/e Abgeordnete/r in den Ausschuss: Eva Feußner (CDU), Oliver Kirchner (AfD), Silke Schindler (SPD) und Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Die Fraktion DIE LINKE beteiligt sich nicht am Ausschuss. Die Sitzungen des Ausschusses sind laut Geschäftsordnung vertraulich, soweit der Ausschuss nichts anderes beschließt. Die Mitglieder und ihre Stellvertreter sind zur Verschwiegenheit über die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekanntgewordenen schutzwürdigen personenbezogenen Daten verpflichtet.

Dr. Stefan Müller

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Abgeordnete kommen zu zehn Sitzungsperioden zusammen

Der Ältestenrat des Landtags hat sich bereits jetzt über die Termine der Landtagssitzungen im Jahr 2018 verständigt. Verteilt über das Jahr sind folgende Sitzungsperioden vorgesehen:

25./26. Januar 2018
08./09. März 2018
19./20. April 2018
24./25. Mai 2018
20./21./22. Juni 2018
30./31. August 2018
27./28. September 2018
25./26. Oktober 2018
22./23. November 2018
18./19./20. Dezember 2018

Außerhalb der Plenarsitzungen arbeiten die Abgeordneten in den Ausschüssen, ihren Fraktionen oder vor Ort in den Wahlkreis- und Bürgerbüros. Parallel zu den Sommerferien vom 28. Juni bis 8. August 2018 finden keinerlei Sitzungen statt.

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EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

kommt es Ihnen nicht auch merkwürdig vor: Gerade eben Silvester, Ostern und Pfingsten gefeiert - und plötzlich ist das halbe Jahr herum und wir befinden uns im schönsten Sommerwetter und genießen die letzten oder ersten Urlaubstage im In- und Ausland! Die Zeit mahnt uns mit ihren täglichen kleinen, insgesamt aber riesigen Schritten daran, jeden Tag zu einem schönen Tag zu machen und das Leben über alle Umstände hinweg zu genießen.

Wenn Sie die Möglichkeit haben, sich aus dem Alltagsstress - der im Sommer hoffentlich hauptsächlich aus dem nächsten kühlen Getränk, Eis oder Baden im See besteht - herauszureißen und eine Mußeminute zu finden, dann empfehlen wir Ihnen selbstredend die Lektüre des sich in Ihren Händen befindenden ZwischenRufs. Es ist die zweite Ausgabe in diesem Jahr, sie soll Sie über das Geschehen in den vergangenen Wochen rund um den Landtag von Sachsen-Anhalt informieren. Dazu ein kleiner Blick in das Inhaltsverzeichnis:

Dass die Landesverfassung in diesem Jahr ihren 25. Geburtstag feiert, haben Sie sicher über den einen oder anderen Nachrichtenkanal mitbekommen. Wir blicken auf den Festakt im Magdeburger Plenarsaal und die dem vorangegangenen Bürgerdialoge in Hundisburg, Zerbst, Merseburg, Aschersleben, Bitterfeld-Wolfen, Wernigerode und Osterburg zurück. Dort haben Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch und der Landtag "Sind wir in guter Verfassung?" gefragt und Bürgerinnen und Bürgern sowie Abgeordneten des Landtags die Möglichkeit geboten, direkt vor Ort miteinander ins Gespräch zu kommen.

Der Sachsen-Anhalt-Tag fand in diesem Jahr in Eisleben statt, einer der Lutherstädte des Landes. In einer kleinen Bilderschau haben wir Eindrücke von den Festmeilen eingefangen. Passend dazu haben wir uns im Regionalfenster mit dem Lutherjahr 2017 und Lutherorten und Veranstaltungen beschäftigt, die nicht unbedingt im breiten Fokus der Öffentlichkeit stehen.

Ganz ohne aktuelle Landespolitik geht es natürlich auch nicht. Deswegen finden Sie auf sechs Seiten im Heft einen Schnelldurchgang durch die wichtigsten Themen der Landtagssitzungen im Juni. AdBlue, Fachkräfte in der Kita, Kinderarmut, Teilhabegesetz und Meinungsfreiheit sind hier nur die Stichworte für mitunter heiß geführte Debatten. Bei Interesse können Sie die Diskussionen noch einmal im Videoarchiv auf unserer Internetseite www.landtag.sachsen-anhalt.de nachschauen.

Die ZwischenRuf-Redaktion wünscht Ihnen nun einen tollen Sommer mit vielen Ruhestunden, aber auch mit einer Handvoll Abenteuer - denn das Leben sollte doch mindestens jeden zweiten Tag eine Extraüberraschung bereithalten!

Ihr ZwischenRuf-Team

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AUS DEM PLENUM

Angriff auf die Meinungsfreiheit?

Ein vom Bundesjustizministerium zur Diskussion gestellter Gesetzentwurf beschäftigt sich mit der Verpflichtung sozialer Medien, gegen Hasskriminalität vorzugehen. In der Opposition regte sich während der Juni-Sitzungsperiode Kritik.


Wenn es nach Bundesjustizminister Heiko Maas geht, sollen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter zukünftig verpflichtet werden, Hinweise auf strafbare Inhalte zügig zu bearbeiten und wenn nötig zu löschen. Damit wolle der Staat auf eine "zunehmende Verbreitung von Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalten" reagieren, heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf auf Bundesebene, den die AfD in einem Antrag zum Thema einer Debatte im Landtag gemacht hatte. Die AfD sieht mit dem Gesetz die Meinungsfreiheit in Gefahr und wollte das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gegebenenfalls auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüfen lassen. Die Fraktion DIE LINKE brachte einen Alternativantrag ein, durch den sich die Landesregierung auf Bundesebene für die Rücknahme und Überarbeitung des Entwurfs für ein NetzDG einsetzen sollte. Verschärfte Informationskontrollen würden eigentlich nur Diktaturen zugeschrieben, konstatierte André Poggenburg (AfD); die Zensur unerwünschter Wortmeldungen müsse Grenzen haben. Das geplante NetzDG würde diese Grenzen eklatant überschreiten. Beim Gesetz des Bundesjustizministers handle es sich um eine verabscheuungswürdige schrittweise Abschaffung der Meinungsfreiheit, zeigte sich Poggenburg überzeugt. Mario Lehmann (AfD) bezeichnete den von Bundesjustizminister Heiko Maaß vorgelegten Gesetzentwurf als "Sargnagel für die im Sinkflug befindliche Meinungsfreiheit".

Es handle sich um einen Gesetzentwurf, der derzeit intensiv erörtert werde; ob und wann und mit welchem Inhalt er tatsächlich vorgelegt werde, sei bislang nicht abzusehen, stellte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) fest. Es sei richtig und wichtig, gegen Hasskriminalität im Netz vorzugehen und sie unter Strafe zu stellen.

Man müsse sich der Frage stellen, wie Politik mit der Verrohung der Sprache, mit Fake News und Hassreden im Internet umgehe, sagte Holger Hövelmann (SPD). Wer volksverhetzende Beiträge poste, wer zu Gewalt gegen Flüchtlinge aufrufe oder den Holocaust leugne, der begehe eine Straftat - "Diese Beiträge gehören verboten", so Hövelmann.

Gegen Hasskommentare müsse der Staat eingreifen, machte Wulf Gallert (DIE LINKE) klar. Aber in dem jetzt diskutierten Gesetzentwurf sei dies unglücklich geregelt. Aufgabe des Gesetzes müsse es sein, dass die Anbieter sozialer Mediendienste - unabhängig von Inhaber und Unternehmenssitz - die deutschen Rechtsnormen erfüllten.

Hasserfüllte Kommentare im Netz seien ein Problem, erklärte Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): "Hass und Hetze sind nicht vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt." Die Grünen setzten sich für mehr Prävention gegen Hass im Netz und die Verrohung der Debattenkultur ein, so Striegel.

Immer häufiger werde heute in den sozialen Medien gehetzt, und dagegen müsse vorgegangen werden, meinte Jens Kolze (CDU). Die Verpflichtung zur Löschung von rechtswidrigen Äußerungen sei richtig. Der Gesetzentwurf zum NetzDG sei ein Schritt in die richtige Richtung, die möglichen Eingriffe in die Meinungsfreiheit und die Rechtsübertragung an private Dritte müssten jedoch noch einmal überprüft werden, forderte Kolze. Der Antrag der Fraktion der AfD wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Der Alternativantrag der Fraktion DIE LINKE konnte ebenfalls keine Mehrheit finden.

Dr. Stefan Müller

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AUS DEM PLENUM

Projekt wird weiterentwickelt

Der Landtag hat im Juni einen Antrag der Koalitionsfraktionen zur Weiterentwicklung des Modellprojekts "Fachkraft in Kindertageseinrichtungen" verabschiedet. Die duale Ausbildung von Kita-Erzieher/innen soll intensiviert werden.


Mit dem Antrag von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird die Landesregierung unter anderem gebeten, sich für eine tariforientierte Ausbildungsvergütung einzusetzen, Fortbildungsangebote für Praxisanleiterinnen zu entwickeln und sich langfristig auch bundesweit für eine Anerkennung der dreijährigen dual-orientierten Erstausbildung starkzumachen.

"Wir haben die Pflicht, verlässliche Rahmenbedingungen für die Ausbildung und Beschäftigung von pädagogischen Fachkräften zu schaffen", erklärte Cornelia Lüddemann (Grüne). So solle der personelle Bedarf in den Kitas sichergestellt werden. Die Verantwortung im Beruf und die gesellschaftliche Wertigkeit der frühkindlichen Bildung stiegen fortlaufend, damit seien die Ansprüche an Erzieher/innen und Einrichtung gewachsen. Neben der dreijährigen dualen Ausbildung mit großem Praxisbezug soll es zu einer akademischen Ausbildung für den Bereich der Kita-Leitung kommen. Zudem soll der Berufszweig finanziell und auch für Männer attraktiver werden.

"Wir brauchen jede Erzieherin und jeden Erzieher im Land", sagte Wirtschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann (SPD), die aus dem Beruf ausscheidenden Fachkräfte müssten ersetzt werden. Die Weiterentwicklung des Modellprojekts werde ein wichtiger Baustein für die Sicherung von Fachkräften im Kitabereich sein.

Die AfD begrüße das Vorhaben, die Ausbildungsvergütung an tarifrechtliche Bestimmung anzulehnen, denn das mache den Beruf attraktiv und schaffe ein Mindestmaß an Sicherheit, teilte Jan Wenzel Schmidt (AfD) mit.

Über 50 Prozent der Mitarbeiterinnen in Kitas seien über 50 Jahre alt, der Bedarf an Nachwuchskräften sei also deutlich, stellte Tobias Krull (CDU) fest. Er lobte das Ziel, im Rahmen der Novellierung des Kinderförderungsgesetzes den Abschluss "Fachkraft für Kindertageseinrichtungen" mit dem Ziel einer entsprechenden tariflichen Eingruppierung als geeignete pädagogische Fachkraft anzuerkennen. Die Zahl der Auszubildenden sei noch recht übersichtlich, vor allem auch bei den männlichen Bewerbern, die - bei Besuchen in Kitas zu erleben - bei den Kindern doch sehr beliebt seien.

DIE LINKE zeigte sich zunächst froh, dass die Koalition den Antrag eingebracht habe, bedauerte jedoch, dass er nicht schon zwei Jahre zuvor den Weg in den Landtag gefunden habe, erklärte Thomas Lippmann (DIE LINKE). Sachsen-Anhalt habe mit dem Modellprojekt Neuland betreten, es sei an der Zeit, die "Kinderkrankheiten" des Projekts auszuräumen.

Durch das Modellprojekt sollten dringend benötigte Fachkräfte schneller und praxisorientierter ausgebildet werden, rekapitulierte Dr. Verena Späthe (SPD). Nötige Nachjustierungen beträfen beispielsweise die Ausbildungsvergütung und die Verbesserung der Praxisanleitung. Die im Land ausgebildeten Fachkräfte sollten so in Sachsen-Anhalt gehalten werden. Im Anschluss an die Debatte wurde der Antrag der Koalition angenommen.

Dr. Stefan Müller

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AUS DEM PLENUM

Kinderarmut bekämpfen

Etwa ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt sind von Armut betroffen oder armutsgefährdet. Die Fraktion DIE LINKE appellierte im Juni mit einem Antrag an den Landtag, gemeinsam Abhilfe zu schaffen.


In Deutschland bedeute Armut nicht Verhungern, sondern Entbehrung, gesundheitliche Nachteile, Ausgrenzung und psychische Probleme, betonte Eva von Angern (DIE LINKE). Armut sei kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches und müsste deshalb auch ganzheitlich angegangen werden. Sie warb für ein gemeinsames Engagement aller gegen Kinderarmut. Auch der gesetzliche Mindestlohn schütze nicht vor Armut, so die Linken-Abgeordnete und fragte: "Warum haben arme Menschen eine so kleine Lobby?" Ihrer Erfahrung nach sei es viel schicker, als Sponsor für den 1. zu agieren, anstatt als Sponsor für ein Frauenhaus aufzutreten. Auf dem Weg zu weniger Kinderarmut in Sachsen-Anhalt plädierte sie unter anderem für die Stärkung der Familien, eine gute frühkindliche Bildung, gleiche Bildungschancen und die Erhöhung des Kindergeldes. Gleichzeitig schlug ihre Fraktion einen "Armutscheck" für zukünftige Gesetzesinitiativen vor.

KINDERARMUT
Materielle Not
Gebrauchte Kleidung tragen
Bildungserfolg stark vom sozialen Status abhängig
Hungrig in die Schule - Beim Essen sparen
Armut ist ein Teufelskreis
Auf Sozialhilfe angewiesen
Engpässe in allen Lebenslagen
Wenig Taschengeld - kein Kino - keine Kita

Stichworte, die ausdrücken, was Kinderarmut im
21. Jahrhundert bedeutet.

Wirtschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann (SPD) erklärte in Vertretung der Sozialministerin, das finanzielle Einkommen sei nur ein Armutsfaktor neben einigen anderen. Das Sozialministerium gehe deshalb von einem ganzheitlichen Ansatz bei der Bekämpfung von Kinderarmut aus. Dazu gehörten zum Beispiel die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und eine gute frühkindliche Bildung. Außerdem leiste das Land bereits einen erheblichen Beitrag durch die Förderung der Kinderbetreuung, die Jugendförderung und das neue Unterhaltsrecht.

Natürlich seien die aktuellen Zahlen auch aus Sicht der CDU-Fraktion zu hoch, aber zur Wahrheit gehöre auch, die positive Entwicklung zu sehen, sagte Tobias Krull (CDU). So wären 2011 noch 26,1 Prozent von Kinderarmut betroffen, 2015 seien es "nur noch" 23,8 Prozent gewesen. Nach Ansicht von Krull sei das beste Mittel gegen Armut, Menschen in Arbeit zu bringen, sodass sie für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen und Vorbild für ihre Kinder sein könnten.

Tobias Rausch (AfD) wollte wissen, welche Maßnahmenpakete die Altparteien in der Vergangenheit konkret geschnürt hätten, um Kinderarmut zu bekämpfen? Eine Erhöhung des Kindergeldes von zwei Euro bedeute für ihn keine wirkliche Verbesserung. Wenn man dagegen betrachte, wieviel Geld für unbegleitete minderjährige Ausländer ausgegeben werde, stehe dies in keinem Verhältnis.

Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) machte sich für eine Kindergrundsicherung stark. Eine Zusammenführung aller Sozialleistungen für Kinder wäre vermutlich zielführender als viele einzelne Leistungen aus verschiedenen Töpfen, sagte sie. Die Antwort der Grünen laute daher "steuerfinanzierte Grundsicherung".

"Jedes Kind, das unter Armut leidet, ist eines zu viel", konstatierte Andreas Steppuhn (SPD). Gründe für Kinderarmut seien oft Arbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Situation alleinerziehender Elternteile. Da Armut auch den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden könne, seien alle Maßnahmen zu begrüßen, welche die Situation von Familien verbessern.

Der Antrag wurde einstimmig in den Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration (federführend) und den Ausschuss für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung (mitberatend) überwiesen.

Stefanie Böhme

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AUS DEM PLENUM

Teilhabegesetz mit Leben füllen

Die Koalitionsfraktionen brachten im Juni-Plenum einen Antrag zur gezielten "Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in den kommunalen Verwaltungen Sachsen-Anhalts" in den Landtag ein. Dort konnte er eine große Mehrheit finden.


Durch den von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Antrag sollen die kommunalen Sozialämter bei der Einführung der neuen Planungsinstrumente in der Eingliederungshilfe unterstützt, geschult und begleitet werden. Die Fraktion DIE LINKE brachte dazu einen Änderungsantrag ein, durch den Selbsthilfe- und Selbstvertretungsorganisationen stärker in das Geschehen einbezogen werden sollten.

Durch deren Weiterentwicklung soll die bisherige Eingliederungshilfe in ein modernes Teilhabegesetz umgewandelt werden, erinnerte Dr. Verena Späthe (SPD). Anlass des Antrags sei der Paradigmenwechsel in der Leistungsvergabe und der Leistungsbewilligung ab dem 1. Januar 2018: "Dieser Wechsel muss vor Ort in den Behörden ankommen und umgesetzt werden", forderte Späthe. Der individuelle Bedarf jedes Einzelnen müsse dann festgestellt und passende Lösungen gefunden werden. Beim Aufbau der durch die Bundesregierung geförderten unabhängigen Beratungsstellen müsse darauf geachtet werden, dass der sogenannten Peer-to-Peer-Beratung ein besonderer Stellenwert zugemessen wird.

Die Eingliederungshilfe leiste frühzeitige Unterstützung bei der Eingliederung in den Alltag und den Arbeitsplatz, erklärte Wirtschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann (SPD) in Vertretung für Sozialministerin Petra Grimm-Benne. Er lobte das Mehr an individueller Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung, da die Eingliederungshilfe mit der Novellierung Ende 2016 aus der Sozialhilfe herausgelöst wurde. Für die Umsetzung der Vorhaben arbeite das Sozialministerium derzeit gemeinsam mit der Sozialagentur und den Sozialämtern der Kommunen an einer Konzeption.


Inklusion geht alle an.
Zahlen und Fakten zum Thema Menschen mit Behinderung.

In Deutschland leben 18,1 Mio. Menschen mit einer Beeinträchtigung - das sind mehr als 20 % der Bevölkerung.

• 95 % aller Beeinträchtigungen treffen erst im Verlauf des Lebens auf, die meisten im Alter.

• Schon 87 % der Kinder mit Beeinträchtigungen besuchen einen allgemeinen Kindergarten.

• Nur 22 % aller Schulkinder mit sonderpädagogischer Förderung besuchen eine allgemeine Schule.

• Nur jede 5. Arztpraxis hat rollstuhlgerechte Räume.

• 60 % aller Erwachsenen mit sog. geistigen Behinderungen leben noch im Elternhaus.

• Nur 58 % der Menschen mit Beeinträchtigung im erwerbsfähigen Alter sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt.

• Nur 33 % der Menschen mit Behinderungen treffen sich in ihrer Freizeit mit anderen.


Oliver Kirchner (AfD) warb dafür, die Peer-to-Peer-Beratung schnellstmöglich umzusetzen, da sie Kosten spare und Bürokratie vermeide. Die AfD begrüße den Antrag und werde ihm auch zustimmen. "Behinderungen müssen keine Verhinderungen sein", schloss Kirchner seinen Redebeitrag.

Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung werde durch das Bundesteilhabegesetz auf eine verlässlichere Grundlage gestellt, erklärte Angela Gorr (CDU). Die Umsetzung auf Landesebene werde ein schwieriger Prozess werden, denn alle Beteiligten seien vor große Herausforderungen gestellt.

DIE LINKE habe auf Landes- und Bundesebene Defizite des Teilhabegesetzes benannt und Änderungsvorschläge eingebracht, jedoch keine Mehrheiten gefunden, rekapitulierte Dagmar Zoschke (DIE LINKE). Nun gelte es, die kommunalen Sozialämter so zu stärken, dass sie die vorgesehenen Planungsinstrumente auch umsetzen könnten. In diesem Zuge müsse geschaut werden, wie es gelingen könne, Modellvorhaben zu verstätigen, wenn sie funktionieren.

Man sei es den örtlichen Trägern schuldig, vor Ort in den Ämtern schnell handlungsfähig zu sein, sagte Cornelia Lüddemann (Grüne). Die Hilfe zur Selbsthilfe - Betroffene als Experten - sei zu begrüßen. Einen Sachstandsbericht im Sozialausschuss stellte Lüddemann in Aussicht.

Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE konnte keine Mehrheit finden. Der unveränderte Ursprungsantrag der Koalition fand - unter Enthaltung der Linken - eine deutliche Mehrheit und wurde damit beschlossen.

Dr. Stefan Müller

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AUS DEM PLENUM

Klimaschutz spaltet Landtag

Welchen Beitrag kann Sachsen-Anhalt zum Klimaschutz in der Welt leisten? Darüber diskutierten die Landtagsabgeordneten im Juni im Rahmen einer Aktuellen Debatte und anhand eines Antrags sowie eines Alternativantrags.


Es reicht nicht aus, immer nur über Klimaschutz zu reden, sondern es wird Zeit, endlich zu handeln, in Europa, in Deutschland und hier in Sachsen-Anhalt!", mahnte Wolfgang Aldag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Denn auch die Menschen in Sachsen-Anhalt hätten bereits mit den Klimaveränderungen zu kämpfen. Aldag nannte beispielhaft Hochwasser, Extremtemperaturen, langanhaltende Trockenzeiten oder Tornados. In den nächsten Jahren werde es insbesondere darauf ankommen, den Energieverbrauch durch erneuerbare Energien zu decken und die Energieeffizienz zu verbessern.

Prof. Dr. Claudia Dalbert (Grüne), Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Energie, konstatierte: "Klimaschutz ist eine der dringlichsten Aufgaben, die die Weltgemeinschaft zu bewältigen hat." Trumps Entscheidung, aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen, sei bedauerlich und widerspreche jeglicher Vernunft. Gleichzeitig würden immer mehr Unternehmen auch die Chancen des Klimaschutzes erkennen. Allein der Bereich der erneuerbaren Energie biete 23.000 Menschen im Land einen Arbeitsplatz, dies sei ein Vielfaches im Vergleich zur Kohle.

Ganz anders sah dies Robert Farle (AfD). Die Mehrheit der Klimaforscher bestreite, dass der Klimawandel vom wachsenden CO2-Ausstieg begünstigt werde. Der AfD-Politiker vertrat die These, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sei, sondern schon ewig stattfinde. Die Grünen sollten stattdessen endlich ehrlich sagen, welche Politik sie wirklich verfolgten. Demnach wollten sie "die Autos abschaffen, die Energiepreise vervierfachen und den Weg in die Planwirtschaft".

Ulrich Thomas (CDU) fürchtet, dass die wichtige Balance zwischen Ökonomie und Ökologie langsam verlorengehe. Die Bürger fragten nicht umsonst, warum ein Projekt wie Schierke an den Klimaschutzzielen scheitern soll und ein Feldhamster wichtige Arbeitsplätze in einer der strukturschwächsten Regionen des Landes verhindert. Er plädierte für einen "Klimaschutz mit Augenmaß und nicht mit radikalen Forderungen".

Dieser Ansatz spiegelte sich auch in dem von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Alternativantrag wider. Eine "Nach-mir-die-Sintflut-Politik" sei der falsche Weg und müsse beendet werden, kritisierte Hendrik Lange (DIE LINKE). Daher habe seine Fraktion in ihrem Antrag einige Vorschläge unterbreitet, was konkret getan werden könne, um die Agenda 2030 umzusetzen. Dazu gehörten unter anderem mehr Bildung zum Thema Nachhaltigkeit an Schulen, die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs, die Verbesserung regionaler Wirtschaftskreisläufe sowie die Verringerung der Transportwege bei Lebensmitteln.

Jürgen Barth (SPD) sagte: "Aus dem Verhalten von Donald Trump sollten wir lernen, dass wir die Menschen beim Klimaschutz mitnehmen müssen." Es bedürfe einer sehr umfangreichen Aufklärungsarbeit, bei der auch an eine gerechte Lastenverteilung innerhalb der Bevölkerung gedacht werden müsse. Zuversichtlich stimme ihn eine Studie, der zufolge 93 % der Bundesbürger es gut finden würden, dass die Bundesregierung am Pariser Klimaabkommen festhalte.

Am Ende der Aktuellen Debatte wurden keine Beschlüsse gefasst. Der Antrag der Fraktion DIE LINKE wurde abgelehnt, dem Alternativantrag der Koalitionsfraktionen stimmte eine Mehrheit des Parlaments zu.

Stefanie Böhme

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AUS DEM PLENUM

AdBlue-Manipulation stoppen

Der Landtag bittet die Landesregierung, im Rahmen einer Bundesratsinitiative aktiv gegen den Betrug durch AdBlue-Emulatoren in Lkws vorzugehen. Durch die Manipulation würden die Umwelt und die Steuerzahler geschädigt.


Das zuständige Bundesamt für Güterverkehr müsse rechtlich und technisch in die Lage versetzt werden, die Kontrolldichte für Lkws auf deutschen Straßen deutlich zu erhöhen, fordert ein Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Hintergrund: In modernen Dieselmotoren wird durch die Einspritzung von Harnstoff (AdBlue) in den Abgasstrang der Stickoxidausstoß deutlich minimiert. Kriminelle Speditionen versuchten hier vermehrt zu manipulieren, so die Antragsbegründung.

Pro Jahr ließen sich mit den Manipulationen im Schnitt 2000 Euro je Lkw sparen, erklärte Ulrich Thomas (CDU). Da die Maut unter anderem nach der Schadstoffklasse berechnet werde, entstünden dem Fiskus durch die Betrügereien Schäden in dreistelliger Millionenhöhe. Denn manipulierte Fahrzeuge müssten eigentlich nach Euro-1-Norm abgerechnet werden, anstatt nach Euro-5/6-Norm. Durch diesen Betrug verschafften sich vornehmlich ausländische Speditionen klare Wettbewerbsvorteile gegenüber heimischen Speditionen. Der Verfolgungsdruck bei dieser Thematik tendiere in Deutschland gegen "null", dabei ließe sich ein Betrug schnell feststellen, kritisierte Thomas den laschen Umgang der Behörden. Über leere AdBlue-Tanks, die Stellung der AdBlue-Anzeige im Fahrzeug und eine visuelle Begutachtung der Bordelektrik sei ein Betrug leicht zu erkennen. Seine Fraktion erwarte deshalb von der Landesregierung eine Bundesratsinitiative, die diesen Missstand behebt.

Im Wesentlichen stimmten alle anderen Fraktionen dem Ziel des Antrags zu, vereinzelt zeigten sich in den Redebeiträgen noch weitergehende Forderungen. Um einen noch besseren Schutz vor Betrügereien zu ermöglichen, schlug AfD-Abgeordneter Hannes Loth vor, jeden ausländischen Lkw bereits an der deutschen Staatsgrenze zu überprüfen und dabei gleich zu kontrollieren, ob sich illegale Mitreisende im Lkw befänden. Holger Hövelmann (SPD) erklärte, die Lkw-Maut "ist auch ein ökologisches Steuergerät", deshalb müssten alle Manipulationsversuche bekämpft werden. Es ginge um weit mehr als fairen Wettbewerb, betonte Doreen Hildebrandt (DIE LINKE) und erläuterte die vielfältigen gesundheitlichen Langzeitfolgen von zu vielen Abgasen. Ihre Fraktion hatte deshalb einen Alternativantrag gestellt, der den Fokus stärker auf den Umwelt- und Klimaschutz sowie die Gesundheit der Menschen richtete.

Die Manipulation bei der Einspritzung von AdBlue sei nur eine von vielen, die sich gegen Umwelt und Steuerzahler richteten, betonte Olaf Meister (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). In anderen Ländern sei man bei ähnlichen Vergehen weniger zimperlich, so gebe es in den USA Milliardenstrafen und in China wurde schon einmal mit einem Einfuhrverbot gedroht.

Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) drückte ebenfalls seine uneingeschränkte Unterstützung für den Antrag aus. Es gebe bereits erste Anzeichen, dass die Bundesregierung das Problem erkannt habe. In einer Kleinen Anfrage hätte sie das Verkaufsverbot für AdBlue-Emulatoren begrüßt. Jetzt komme es darauf an, dass der Bund zügig mit den Ländern berate, um möglichst noch vor der Bundestagswahl eine Lösung zu finden. Im Anschluss an die Debatte wurde der Antrag der Koalitionsfraktionen vom Parlament beschlossen.

Stefanie Böhme

Rund 20 Prozent der ost- und südosteuropäischen Fahrzeuge seien derzeit mit AdBlue-Emulatoren unterwegs und schädigten somit Umwelt und Steuerzahler, erklärten die Koalitionsfraktionen im Landtag.

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RÜCKBLICK

25 Jahre Landesverfassung

Ein Vierteljahrhundert ist seit der Unterzeichnung der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vergangen. Diesen Umstand zu würdigen, hatten sich Vertreter/innen aus Politik und Gesellschaft zu einem Festakt im Plenarsaal versammelt.


Die Landesverfassung von Sachsen-Anhalt war am 15. Juli 1992 beschlossen und einen Tag später im Magdeburger Kloster Unser Lieben Frauen vom damaligen Landtagspräsidentin Dr. Klaus Keitel und dem Ministerpräsidenten Dr. Werner Münch unterzeichnet worden. Die Festrede auf der Jubiläumsveranstaltung am 20. Juni 2017 hielt der frühere Ministerpräsident und "Landesvater" Prof. Dr. Wolfgang Böhmer.

"Die Verfassung ist nicht von der Friedlichen Revolution 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 zu trennen", erklärte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch zur Eröffnung der Veranstaltung. Dem Landtag von Sachsen-Anhalt kam es durch einen Beschluss der letzten DDR-Volkskammer zu, eine Landesverfassung auszuarbeiten. Nach zähen Verhandlungen über diverse Entwürfe im Verfassungsausschuss des Landtags wurde die noch heute gültige Verfassung mit Zweidrittelmehrheit vom Plenum verabschiedet.

Die Verfassung, in den zurückliegenden Jahren nur minimal verändert (zum Beispiel Aufnahme von Kinderrechten), habe nichts von ihrer Gültigkeit und Aktualität eingebüßt, resümierte Landtagspräsidentin Brakebusch. Sie sei - auch eingedenk der Übernahme wichtiger Teile des Grundgesetzes - eine großartige Basis für das Miteinander in Sachsen-Anhalt.

Die Expertisen von Verfassungsjuristen und mehrere Tausend Hinweise aus der Bevölkerung seien in die Ausgestaltung der Landesverfassung im Jahr 1992 eingeflossen, erinnerte Wolfgang Böhmer, unter anderem Ministerpräsident des Landes von 2002 bis 2011. Man habe die Freiheitsimpulse der Friedlichen Revolution aufnehmen und in die Landesverfassung zu verankern versucht. Die Verfassung sei eine Art Neuanfang gewesen, gleichwohl keine Stunde Null. Man sei von der Sehnsucht nach Demokratie und Freiheit getrieben gewesen.

"Satz für Satz haben wir sie ausdiskutiert und vor dem Hintergrund des Grundgesetzes geschrieben", sagte Böhmer rückblickend. Die Zusicherung der Meinungsfreiheit sei dabei von besonderer Wichtigkeit gewesen. Deswegen habe man diesen Passus vom Grundgesetz übernommen und sogar noch stärker definiert. "Die Demokratie ist in Deutschland fest verwurzelt", lobte Böhmer. Alle Menschen in Deutschland könnten sich auf das Grundgesetz berufen.

Über den Schutz der Landesverfassung wache das Landesverfassungsgericht. 557 Eingänge seien dort bisher behandelt worden. 189 Fälle resultierten allein aus den Protesten rund um die Kreisgebietsreform. Verfassungsgesetzgebung sei oft von langer Dauer, durch die hohen Mehrheitsforderungen bei Entscheidungen seien Fraktionen in den Landtagen immer auch auf die Stimmen anderer Fraktionen angewiesen.

Freiheit bedeute auch, Grenzen zu überschreiten. Das Gerechtigkeitsgefühl werde aber nie für alle gleich sein, mutmaßte Böhmer: "Unser Ziel von damals war, das Land Sachsen-Anhalt zu einem lebendigen Glied der Bundesrepublik und zum Teil der Gemeinschaft friedliebender Völker zu machen. Dafür gibt es heute und auch in der Zukunft noch viel zu tun. Wir haben mit der Landesverfassung eine identitätsstiftende Grundordnung geschaffen, möge sie für noch viele Generationen eine Richtungshilfe sein."

Unter dem Motto "Sind wir in guter Verfassung?", das auch für die von Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch initiierten Bürgerdialoge (siehe auch Seiten 14/15) als Diskussionsgrundlage Pate stand, äußerten sich in der Festveranstaltung vier Jugendliche aus Sachsen-Anhalt. Sie vermittelten den Blick junger Menschen auf die politische und gesellschaftliche Situation im Land.

Zur Geburtsstunde der Landesverfassung lagen Wirtschaft und Umwelt am Boden, erinnerte Josy Barteld aus Staßfurt, die erst geboren wurde, als es die Verfassung bereits gab. Die Verfassung ermögliche es, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsplatz frei zu wählen. "Wir Jugendlichen sind herausgefordert, dieses Angebot anzunehmen und zu nutzen."

Die Landesverfassung beinhalte die Verpflichtung, Kunst, Kultur und Sport zu fördern, erklärte Moritz Gärtner aus Dessau-Roßlau. Essenzielle Bestandteile der Jugendkultur fänden allerdings keine gezielte Berücksichtigung: "Wir wollen nur mit dem Besten zufrieden sein und auch wissen, warum."

Die Verfassung gebiete das Recht und die Pflicht der Eltern bei der Gestaltung des Schulwesens mitzuwirken. "Die meisten Eltern haben dies erkannt und setzen es um", lobte Antonia Schubert aus Dessau-Roßlau. Sie begrüßte das Voranschreiten der Inklusion in den Schulen und die Förderprogramme für besonders begabte Schülerinnen und Schüler. Unterrichtsausfall und überalterte Lehrerzimmer sorgten allerdings für Frust in den Schulen.

Jeder sei dazu aufgerufen, sich an der Verfassung zu beteiligen, rief Jason Rothe aus Aschersleben auf. Statt immer nur gegen etwas zu sprechen, sollte man lieber für etwas eintreten. Statt nur zu meckern, müssten echte Alternativen geboten werden: "Wir haben durch die Verfassung täglich die Gelegenheit, uns politisch zu engagieren."

"Politik ist immer Menschenwerk", sagte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch zum Abschluss des Festakts im Plenarsaal. Es gelte, stets im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu entscheiden.

Das Magdeburger Rossini-Quartett umrahmte die Festveranstaltung musikalisch. Die Musiker schlugen eine musikalische Brücke in die Vergangenheit: einerseits durch die Wahl von auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt wirkenden Komponisten (Telemann, Bach, Händel), andererseits durch die Wiederholung der Musikstücke aus den Feierlichkeiten zur Unterzeichnung der Landesverfassung am 16. Juli 1992.

Dr. Stefan Müller

Mehr Informationen auf: http://bit.ly/2ul06pn

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RÜCKBLICK

Mit dem Bürger im Dialog

Anlässlich des 25. Geburtstags der Landesverfassung lud Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch im Mai und Juni zu sieben regionalen Bürgerdialogen ein.


Die Landesverfassung von Sachsen-Anhalt feiert am 16. Juli 2017 ihren 25. Geburtstag. Dies nahm der Landtag zum Anlass für einen Bürgerdialog mit dem Titel "Sind wir in guter Verfassung?" An sieben Orten in ganz Sachsen-Anhalt - Hundisburg, Zerbst, Merseburg, Aschersleben, Bitterfeld-Wolfen, Wernigerode und Osterburg - fanden dabei öffentliche dialogische Veranstaltungen nach der sogenannten Fishbowl-Methode statt (http://bit.ly/2ul06pn). "Das Motto habe ich gewählt, weil ich mit unseren Bürgerinnen und Bürgern in allen Regionen des Landes direkt ins Gespräch kommen wollte", sagte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch. Sie habe herausfinden wollen, ob die Sachsen-Anhalter meinen, dass ihr Land politisch in guter Verfassung und gut aufgestellt sei, um seine Probleme zu bewältigen und das Land zukunftsweisend positiv gestalten zu können.

Bei den Veranstaltungen kamen jeweils ein/e Abgeordnete/r der Koalition und Opposition miteinander und mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch. Je Veranstaltungsort war zudem eine "Ankerperson", eine bekannte Persönlichkeit des Ortes oder der Region, eingeladen. Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch, auf die die Einladung zum Bürgerdialog zurückgeht, nahm an jeder der Veranstaltungen teil und gab das Zepter der Diskussionsführung in die Hände einer Moderatorin oder eines Moderators. Die diskutierten Themen der sieben Veranstaltungen waren so vielzählig wie vielfältig. Neben einer recht ähnlichen Einleitungsrunde über die Landesverfassung - ihren Status und ihre Bedeutung für das Miteinander in Sachsen-Anhalt - waren es die Bürgerinnen und Bürger, die das Diskussionsrund in der Saalmitte eroberten und die Gesprächspartner zu Antworten auf bisweilen sehr konkrete Fragen herausforderten. Zum Teil wiederkehrende Themen von Nord bis Süd waren unter anderem die Barrierefreiheit, die frühkindliche Erziehung, die freie Religionsausübung, die Wirtschaft des Landes und die innere Sicherheit.

Mit den Bürgerdialogen wollte der Landtag deutlich machen, dass Parlamentarier trotz trennender politischer Überzeugungen miteinander reden können, dass sie sich respektieren und ausreden lassen und dass sie in verfassungspolitischen Kernpunkten mitunter übereinstimmen.

Landtagspräsidentin Brakebusch betonte, man dürfe nicht vergessen, dass Parlamentsarbeit von Menschen gemacht werde und die parlamentarische Demokratie unter anderem auch deshalb anfällig für Fehler sei: "Darüber, aber auch über unsere politischen Grundüberzeugungen und über unsere Vorstellungen davon, was im Land Not tut, dürfen, ja müssen wir leidenschaftlich und klar in Haltung und Sprache miteinander debattieren." Der notwendige politische Streit sollte jedoch so geführt werden, dass auch der jeweilige Gegenüber sein Gesicht wahren könne. "Respekt ist das unsichtbare Luftpolster zwischen politischen Gegnern", so Brakebusch.

Dr. Stefan Müller

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IM BLICKPUNKT

Ausgetreten und doch noch drin

Was passiert mit Abgeordneten, die ihre Landtagsfraktion verlassen? Der Gesetzgeber hat deren neuen parlamentarischen Status exakt geregelt. Hier dargestellt am Beispiel von drei ausgetretenen AfD-Abgeordneten.


Ende Mai beziehungsweise Anfang Juni 2017 haben die Abgeordneten Sarah Sauermann, Gottfried Backhaus und Jens Diederichs ihren Austritt aus der AfD-Fraktion des Landtags von Sachsen-Anhalt erklärt und dies schriftlich der Landtagspräsidentin mitgeteilt. Die drei Abgeordneten gehören aber weiter dem Parlament an und haben das Recht, an der Arbeit des Landtags als Abgeordnete ohne Fraktionszugehörigkeit teilzunehmen. Abgeordnete gehören mit der Erklärung, die Wahl anzunehmen, dem Landtag für fünf Jahre bis zum Ende der Wahlperiode an. Es sei denn, sie legen ihr Mandat vorzeitig nieder. Das ist hier aber nicht der Fall. Diederichs ist außerdem aus der AfD-Partei ausgetreten und hat um Aufnahme in die CDU-Fraktion gebeten.

Die 87 Mitglieder des sachsen-anhaltischen Landtags der 7. Wahlperiode sind am 13. März 2016 "in freier, gleicher, allgemeiner, geheimer und unmittelbarer Wahl nach einem Verfahren gewählt [... worden], das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet", wie es der Artikel 42 der Landesverfassung vorschreibt. Die Verfassung bestimmt auch, dass die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes sind.

"Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." (Artikel 41) Die Abgeordneten, die als Direktkandidaten und über die Landeslisten der Parteien in den Landtag eingezogen sind, bilden für die Arbeit im Landtag Fraktionen. Im gegenwärtigen Landtag sind das die Fraktionen der CDU (30 Mitglieder plus 1), der AfD (25 minus 3), von DIE LINKE (16), der SPD (11) und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (5).

So wie die Abgeordneten weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden sind, so sind sie auch nicht zur Mitgliedschaft in einer Fraktion verpflichtet. Sie können jederzeit ihren Austritt aus einer Fraktion verkünden, ohne dass sie dadurch ihr Mandat als Volksvertreter verlieren. Sie gehören weiterhin dem Landtag als Mitglied an, allerdings mit eingeschränkten Rechten. Dieser Rechtsgrundsatz ist in allen Landesparlamenten und im Bundestag gleich und entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Sarah Sauermann (Wahlkreis 21) hat bei der Landtagswahl im März 2016 das Direktmandat im Wahlkreis Bernburg gewonnen. Die aus Wolfen stammende 29-jährige Architektin vertrat die AfD-Fraktion zuletzt als Mitglied im Petitionsausschuss. In einem veröffentlichten Schreiben erklärte sie am 28. Mai 2017 bei ihrem Fraktionsaustritt, dass sie zwar das Wahlprogramm der AfD weiterhin vertrete, eine konstruktive Arbeit im Sinne der Sache aber nicht mehr möglich sei. "Diese Umstände kann ich nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren", begründete sie ihren Schritt. Die Ziele der AfD-Fraktion seien nicht mehr die Ziele der AfD, so Sauermann.

Der 58-jährige Gottfried Backhaus errang das Direktmandat im Wahlkreis 40 (Querfurt) und saß für die AfD im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie für Bildung und Kultur und in der aktuellen Enquete-Kommission. Am 2. Juni 2017 begründete er in einem Facebook-Beitrag seinen Austritt aus der AfD-Fraktion und teilte seine Entscheidung der Landtagspräsidentin schriftlich mit. Der gelernte Orgelbauer aus Langeneichstädt (Saalekreis) verlor im Frühjahr seinen Posten als AfD-Kreisvorsitzender.

Vor Kurzem entzog ihm die AfD-Landtagsfraktion sämtliche Funktionen, etwa das Amt als kirchenpolitischer Sprecher. "Gemäßigte, konservativ und liberal denkende Mitglieder, welche sich kritisch zu Vorgängen innerhalb der Partei äußern, werden durch den Landesvorstand und den Fraktionsvorstand benachteiligt und undemokratischen Vorgehensweisen unterzogen", schreibt Backhaus. "Die Ziele und das Programm der AfD werde ich weiterhin im Parlament als Abgeordneter vertreten."

Das dritte bisherige AfD-Mitglied, das die Fraktion verlassen hat, ist Jens Diederichs, Gewinner des Direktmandats des Wahlkreises 32 (Eisleben) und zuletzt Mitglied im Ausschuss für Petitionen sowie im 16. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Der 53-Jährige begründete seinen Austritt aus der Fraktion und aus der Partei am 6. Juni 2017 im Regionalfernsehsender PUNKTum Fernsehen des Landkreises Mansfeld-Südharz mit einem "Rechtsruck" der AfD-Fraktion und des Landesverbandes. Als Beispiel nannte er die Nähe zwischen AfD und der rechtsextremen "Identitären Bewegung". Der Bundesvorstand der Partei hätte sich in einem Unvereinbarkeitsbeschluss von der Bewegung distanziert. "Daran scheinen sich einige überhaupt nicht mehr zu halten." Damit sei für ihn eine rote Linie überschritten, erklärte Diederichs. Die AfD sei nicht mehr die Partei, für die er 2016 in den Landtag eingezogen sei. "Ich werde mein Mandat behalten und mich für die Interessen der Bürger einsetzen", sagte er.

Diedrichs hat nach seinen Austritten die CDU-Fraktion im Landtag um Aufnahme gebeten. Das wurde von der Fraktion mehrheitlich ermöglicht. Wie CDU-Fraktionschef Siegfried Borwardt mitteilte, erlaube es die Satzung der CDU-Fraktion, partei- und fraktionslosen Abgeordneten als Hospitanten mitzuwirken. Diederichs werde die CDU in der Arbeitsgruppe Recht, Verfassung und Gleichstellung sowie im Ausschuss für Petitionen unterstützen, sagte Borgwardt.

Nachdem die drei Abgeordneten ihre Austritte aus der AfD-Fraktion gegenüber der Landtagspräsidentin angezeigt hatten, hat Gabriele Brakebusch dem Ältestenrat des Landtags einen Entscheidungsvorschlag "Parlamentsrechtlicher Status von Mitgliedern des Landtags ohne Fraktionszugehörigkeit" vorgelegt, den dieser am 15. Juni 2017 bestätigt hat (Drs. 7/1558). Der Beschluss regelt die Mitarbeit von fraktionslosen Abgeordneten in den Ausschüssen sowie deren Rederecht im Plenum.

So steht einem Mitglied des Landtags ohne Fraktionszugehörigkeit das Recht zu, in einem Ausschuss seiner Wahl mit Rede- und Antragsrecht mitzuwirken. Allerdings hat er kein Stimmrecht. Je Sitzungsperiode des Plenums wird dem freien Abgeordneten 20 v. H. der Gesamtredezeit der kleinsten Fraktion eingeräumt. Er kann dabei frei entscheiden, zu welchen der Beratungspunkte er sich äußern will. Das muss er der Landtagsverwaltung rechtzeitig anzeigen.

Fraktionslose Abgeordneten haben das Recht, eine eigene Fraktion zu bilden. Dafür bedarf es mindestens fünf Abgeordneter. Die nebenstehende Auflistung zeigt den Wechsel von Abgeordneten im Landtag von Sachsen-Anhalt, den es in den verschiedenen Wahlperioden gegeben hat. Dass Abgeordnete ihre Fraktion verlassen, ist im Übrigen keine Erscheinung nur in Sachsen-Anhalt. In anderen Landesparlamenten gibt es ebenfalls Austritte und auch Neugründungen von Fraktionen.

Wolfgang Schulz

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Fraktionsaustritte und -wechsel

1. WAHLPERIODE (1990-1994)
Der erste Landtag war geprägt von gleich einem Dutzend Abgeordneten, das nicht in ihrer ursprünglichen Fraktion verblieb. Von Austritten und Wechseln waren mit Ausnahme von Bündnis 90/Grüne alle übrigen Fraktionen des Landtags (CDU, SPD, PDS und F.D.P.) betroffen. Die meisten Abgeordneten wechselten nach einiger Zeit ohne Fraktion zu einer anderen Partei oder es wurden neue Fraktionen gegründet, so etwa die "Fraktion Unabhängiger Abgeordneter" oder die "Deutsche Soziale Union".

3. WAHLPERIODE (1998-2002)
Während aus der 2. Wahlperiode dem Landtagsarchiv keine Fraktionswechsel bekannt sind, waren es in der darauffolgenden gleich 16. Grund dafür war die Spaltung der DVU-Fraktion. Die rechtsextreme "Deutsche Volksunion" zog 1998 mit 16 Abgeordneten in den Landtag ein, zwei Jahre später folgte nach internen Querelen die Spaltung der Fraktion. Daraus hervor gingen zwei neue Gruppen, zwischen denen in der Folge noch einige DVU-Abgeordnete hin und her wechselten, einzelne Politiker blieben fraktionslos. Abgeordnete anderer Parteien vollzogen in dieser Zeit keine Wechsel oder Austritte.

5. UND 6. WAHLPERIODE (2006-2016)
Aus der 4. Wahlperiode sind keine Fraktionswechsel bekannt, in der 5. waren es mit Barbara Knöfler (DIE LINKE) und Thomas Madl (CDU) zwei Abgeordnete, die ihre Fraktion verließen und auch keiner neuen beitraten. In der vergangenen Wahlperiode war es nur Edwina Koch-Kupfer - die heutige Staatssekretärin im Ministerium für Bildung - die von der Fraktion DIE LINKE zur CDU wechselte. ws

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REGIONALFENSTER

Die Welt zu Gast in Luthers Land

Mit mächtigen Hammerschlägen soll Martin Luther der Legende nach am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen am Portal der Wittenberger Schlosskirche befestigt haben. Auf dem ganzen Erdball, besonders aber in Sachsen-Anhalt und den hiesigen Lutherstätten, feiern evangelische Christen 2017 das 500. Jubiläum jener Hammerschläge, die die Kirche und die Welt veränderten.


Die volle Wucht der Reformation" treffen "3xHammer" bei den Nationalen Sonderausstellungen in Wittenberg, Berlin und Eisenach. Sie spiegeln die globale Wirkung der Reformation wider, behandeln das Thema mit jeweils eigenen Schwerpunkten. Während das Deutsche Historische Museum im Berliner Martin-Gropius-Bau mit dem "Luthereffekt" zu einer Reise durch die Vielfalt und Wirkungsgeschichte des Protestantismus einlädt, beleuchtet die Ausstellung auf der Wartburg, der meistbesuchten Lutherstätte der Welt, unter dem Motto "Luther und die Deutschen", wie jede Epoche deutscher Geschichte ihr ganz eigenes Lutherbild prägte. In der Lutherstadt Wittenberg wurde das Collegium Augusteum, deutschlandweit eines der am besten erhaltenen Universitätsgebäude des 16. Jahrhunderts, zum Schauplatz der Nationalen Sonderausstellung "Luther! 95 Schätze - 95 Menschen". Die Schau folgt mit "95 Schätzen" der Spur des Mönches Luder, der zum Weltveränderer Luther wurde, und stellt "95 Menschen" mit ihren Beziehungen zu Martin Luther und seinem Werk vor.

In der "Weltausstellung Reformation" laden in der Lutherstadt Wittenberg im Jubiläumsjahr bildliche "Tore der Freiheit" Besucher ein, sich mit der Kirche, ihrem Glauben und der heutigen Lage in der Welt auseinanderzusetzen. Kirchen aus aller Welt und aller Konfession haben in der Stadt einen Luthergarten angelegt, in dem 500 Bäume aus den verschiedensten Regionen des Erdballs wachsen und gedeihen. Hunderte Stimmen werden am letzten Augustsamstag an der Schlosskirche von Wittenberg in 20 neu komponierten Liedern sowie traditionellen Chorälen lautstark Luthers Ringen um die biblische Wahrheit, für ein eigenständiges Denken und Gottvertrauen zu Gehör bringen. Das Pop-Oratorium "Luther" wurde als "Projekt der tausend Stimmen" konzipiert und wird bei einer bundesweiten Tournee deutschlandweit aufgeführt.

Einen Blick auf das mittelalterliche Wittenberg ermöglicht ein Besuch im eigens für ein 360-Grad-Panorama entstandenen Rundbau. Das Kunstwerk "Luther 1517" von Yadegar Asisi stellt das Leben der einfachen Stadtbevölkerung, der Gelehrten und der Oberen an jenem Tag dar, als der Mönch und Gelehrte Martin Luther seine 95 Thesen veröffentlichte. Besucher blicken von einer Aussichtsplattform aus auf den Schlossplatz im Wittenberg der Renaissance und können das Panorama, eingebettet in eine eigens komponierte Begleitmusik, in einem Tag-Nacht-Rhythmus erleben.

Unter dem Motto "Die Welt zu Gast in Luthers Heimat" hatte das Ursprungsland der Reformation am dritten Juni-Wochenende in Eisleben den diesjährigen Sachsen-Anhalt-Tag gefeiert. In Eisleben nahm der Lebensweg Martin Luthers seinen Anfang und fand dort auch sein Ende. Dort wurde er am 10. November 1483 geboren und in der St.-Petri-Pauli-Kirche getauft, dort predigte er später mehrfach in der Marktkirche St. Andreas, unweit davon starb er am 18. Februar 1546. Sein Geburts- und sein Sterbehaus in Eisleben stehen für die Eckdaten im Leben des Reformators. Zusammen mit dem Luther- und dem Melanchthonhaus in Wittenberg und der dortigen Stadt- und der Schlosskirche gehören sie zum UNESCO-Welterbe, da sie "einen bedeutsamen Abschnitt in der menschlichen Geschichte repräsentieren und als authentische Schauplätze der Reformation von außergewöhnlicher universeller Bedeutung sind". Luthers Geburtshaus gilt als eines der ältesten Geschichtsmuseen im deutschsprachigen Raum. Die Ausstellung "Von daher bin ich - Martin Luther und Eisleben" zeigt jene gesellschaftlichen Verhältnisse, die Luthers Kindheit und Jugend prägten. Das Sterbehaus in Eisleben indes erzählt von "Luthers letztem Weg".

Viele Jahre seiner Kindheit und Jugend verbrachte er in Mansfeld, sah sich später als "Mansfeldisch Kind". "Ich bin ein Mansfeldisch Kind" überschrieben ist auch die Ausstellung in seinem Elternhaus in dem einstigen Bergbau-Städtchen. In Luthers Schule, nur einen Steinwurf davon entfernt, lernte der kleine Martin Lesen und Schreiben. In der Stadtkirche St. Georg lauschte er dem Gottesdienst, wuchs er in das kirchliche Leben der Stadtgemeinde hinein und wurde Ministrant. 1545 predigte er selbst dort. In jenem Jahr war er auch Gast auf Schloss Mansfeld, einem von vier "Luther-war-hier" Orten in der Stadt seiner Kindheit.

Neben bekannten und berühmten Stätten, die mit dem Leben und Wirken Martin Luthers verbunden sind, gibt es in Sachsen-Anhalt zahlreiche weitere Orte, an denen sich der Reformator nachweislich aufhielt oder aufgehalten haben soll.

Das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie sowie die Investitions- und Marketinggesellschaft haben in dem kulturtouristischen Projekt "Luther war hier" jene rund 60 Häuser und Schlösser, Klöster und Kirchen sowie Steine und Bäume in 33 Städten und Gemeinden des Landes erfasst, um die sich Mythen und Legenden ranken. Diese Lutherorte sind einheitlich gekennzeichnet, über eine durch QR-Codes aktivierbare mobile Internetseite miteinander vernetzt und laden ein, mit dem Smartphone den Spuren des für seine Zeit vielgereisten Mannes durch das heutige Sachsen-Anhalt zu folgen - von A wie Annaburg bis Z wie Zerbst. In Lochau, wie Annaburg zu Luthers Zeiten hieß, weilte der Reformator zwischen 1519 und 1538 an die zwölf Mal. Pfarrhaus, Kirche und Schloss Annaburg gehören ebenso zu den "Luther-war-hier"-Orten in Sachsen-Anhalt wie in Zerbst die Stadtkirche und das ehemalige Augustinerkloster. Luther verbanden enge persönliche Beziehungen mit Zerbst, wovon sein umfangreicher Briefverkehr mit dem Bürgermeister und den Räten der Stadt zeugt.

Ein "Luther war hier"-Ort ist auch Wimmelburg unweit von Eisleben. Dort befand sich einst ein Benediktinerkloster, deren Mönche ein "Cyriacus-Glöckchen" besaßen, dem man im Mittelalter besondere Heilkräfte zuschrieb. Das Wimmelburger "Silberglöckchen" lockte Scharen von Kranken an, die sich vom Klang des Glöckchens eine Gesundung versprachen. Für Luther aber waren Wallfahrten nichts anderes als Teufelszeug. Er lehnte sie als "Abgötterei", "eittel menschen tand" oder als "meisterlichen beschiss" ab. In seiner Polemik spielten persönliche Erfahrungen eine Rolle, hatte er doch als Jugendlicher einmal eine Teufelsaustreibung in Wimmelburg miterlebt.

In Jessens Stadtteil Schweinitz befand sich an der Stelle, an der heute das Amtshaus steht, im 16. Jahrhundert ein kurfürstliches Jagdschloss. Mit dem Schweinitzer Schloss verbindet sich die Legende vom "Göttlichen Traum Friedrichs des Weisen". Der Kurfürst soll in der Nacht vom 30. zum 31. Oktober 1517 in einem dreifachen Traum den Thesenanschlag Luthers vorausgesehen haben. So berichtet es ein 1617 anlässlich des 100. Reformationsjubiläums veröffentlichter Einzelblattdruck.

"Luther war hier" - auch im Dessauer Museum für Stadtgeschichte, wobei dessen Domizil damals noch Teil des Residenzschlosses der Fürsten von Anhalt-Dessau war. Der Reformator unterhielt zu ihnen engen brieflichen Kontakt und war auch mehrmals in der Stadt. In der Marienkirche - ebenfalls ein "Luther war hier"-Ort in Dessau - hat er vier Mal gepredigt. Sie wurde ebenso wie das Schloss beim Luftangriff auf Dessau am 7. März 1945 schwer getroffen und brannte völlig aus, nach 1990 aber wieder aufgebaut und beherbergt das städtische Kultur- und Veranstaltungszentrum. Vom repräsentativen Residenzschloss blieb lediglich der Westflügel - der Johannbau - erhalten und als Ruine die gesamte DDR-Zeit über stehen. Nach 1990 rekonstruiert, befindet sich dort nun das Museum.

Europa- und Thomas-Müntzer-Stadt, Luftkurort und Perle des Südharzes, so wirbt die Fachwerkstadt Stolberg für sich. Doch auch "Luther war hier", wie ein Blick in die Chronik des Ortes mit mittelalterlichem Flair beweist. Sie berichtet, dass Luther bei einem Aufenthalt in Stolberg einen Spaziergang auf den die Stadt umgebenen Hügeln unternahm und dabei den Ort mit einem Vogel verglich. Das Schloss sei der Kopf, die beiden Gassen die Flügel, der Markt bilde den Rumpf und die Niedergasse den Schwanz. Bis heute erinnert die Lutherbuche im Tiergarten an dieses Ereignis.

Im Herzen der Weinregion Saale-Unstrut gelegen, wird die fast tausendjährige Stadt Naumburg zumeist mit ihrem berühmten Dom, den Stifterfiguren Uta und Ekkehard sowie einer bunten Altstadt in Verbindung gebracht. Doch hat sie auch darüber hinaus Geschichte - Reformationsgeschichte - geschrieben. Dass "Luther war hier", ist in Naumburg zweimal verbrieft. Bereits im April 1521 machte er dort auf seiner Reise zum Reichstag in Worms Station. Sein zweiter Aufenthalt in Naumburg hatte einen spektakuläreren Hintergrund. Im Naumburger Dom wurde Nikolaus von Amsdorf, ein enger Freund und Mitstreiter Martin Luthers, im Januar 1542 zum weltweit ersten evangelischen Bischofs geweiht - durch keinen geringeren als den Reformator selbst.

Zwei Tage danach nahm Martin Luther in der Zeitzer Stiftskirche, dem heutigen Dom, an einem Gottesdienst teil. Dort hielt der gerade erst ordinierte evangelische Bischof Nikolaus von Amsdorf seine Antrittspredigt - Grund genug, als einer von vier "Luther war hier"-Orten in Zeitz ausgewiesen zu werden. Derzeit befindet sich die Dom- und Residenzstadt zudem im "Dialog der Konfessionen" - in einer Sonderausstellung zur Ökumene, die den letzten katholischen Bischof des Bistums Naumburg würdigt: Julius Pflug, eine für die Reformationsgeschichte herausragende katholische Persönlichkeit.

An der Bundesstraße 2, inmitten der Dübener Heide auf halber Strecke zwischen Bad Düben und Kemberg, befindet sich ein von Linden und Eichen umgebener Rastplatz. Dort liegt ein mächtiger Granitfindling. Eines seiner markanten Kennzeichen: die in den Felsblock eingemeißelten Worte "D.M.L. Eine feste Burg ist Gott". Zu einem "Lutherstein" wurde der Findling durch zahlreiche Anekdoten und Legenden. So soll der Augustinermönch Martin Luther den Stein in der Dübener Heide schon im Herbst 1508 passiert haben, als er von Erfurt nach Wittenberg unterwegs war. Auch davon, dass der Teufel mit einem Stein nach Luther geworfen, ihn aber verfehlt habe, ist zu lesen.

Einer anderen Legende zufolge ist eine der größeren Vertiefungen im Stein darauf zurückzuführen, dass Martin Luther mit seiner Faust hineingeschlagen habe. Das klingt fast schon nach den Hammerschlägen, mit denen Luther angeblich die 95 Thesen an Tür der Wittenberger Schlosskirche nagelte und damit die Welt erschütterte ...

Gudrun Oelze

Mehr Infos zu den "Luther war hier"-Orten in Sachsen-Anhalt finden Sie im Internet auf www.luther-erleben.de

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WEITBLICK

Interview mit einer Generation

Sind die Jahrgänge der zwischen 1967 und 1973 Geborenen "Glückskinder der deutschen Einheit"? Dieser interessanten Frage geht die Dissertation von Volker Benkert auf der Grundlage sogenannter narrativer Interviews nach. Im Zentrum der Befragungen stehen die Einflüsse der späten DDR-Diktatur und deren Zusammenbruch sowie die vielfältigen Wirkungen der Transformationsprozesse nach 1990 auf diese Altersgruppe. Der Autor stellt eine große Bandbreite an politischer Sozialisation fest, die schließlich in sieben Typen unterschieden werden kann. Eine vereinende Generationenidentität weist diese Altersgruppe nicht auf.

Als gemeinsames Merkmal verbleibt einzig die Tatsache, dass ihre Kindheits- und Jugendsozialisation in der DDR stattfand. Nach 1990 waren sie dann - gemeinsam mit ihren Altersgenossen im Westen - die ersten Kinder der elektronischen Revolution und der Globalisierung. Aus den genannten Gründen kann dieser Altersgruppe ohnehin kein gemeinsames und verbindendes Attribut zugeschrieben werden, zu unterschiedlich sind die jeweiligen Erfahrungen, Prägungen und Handlungsmaximen der Mitglieder dieser Generation.

Volker Benkert, Glückskinder der Einheit?
Lebenswege der um 1970 in der DDR Geborenen,
Berlin: Christoph Links, 2017

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Umfassender Blick hinter die Fassade

Das hier umfassend beschriebene Justizgebäude stellt wohl unbestritten eines der attraktivsten Bauwerke in Halle (Saale) dar. Die Bezeichnung als "Zivilgericht" nimmt dabei Bezug auf die Einweihung des Bauwerkes am 1. Oktober 1905. Nach vier Jahren Bauzeit wurde das monumentale Gebäude - wie zahlreiche weitere repräsentative Gerichtsgebäude in dieser Zeit - seiner Zweckbestimmung übergeben. Die stürmische Entwicklung Halles seit der Mitte des 19. Jahrhunderts führte zu einem spürbaren Zuwachs an Unternehmen und Einwohnern, sodass in der Folge auch die Anzahl der Gerichtsverfahren stark zunahm. Um die zusätzlichen Richter, Staatsanwälte und Justizbeamten unterbringen zu können, wurden vom preußischen Staat Areale für einen repräsentativen Neubau außerhalb der unmittelbaren Altstadt erworben.

Über 100 Jahre später wurde das renovierte Gebäude am 22. Mai 2013 nach umfangreichen Sanierungs- und Renovierungsarbeiten als neues Landgerichtsgebäude Sachsen-Anhalt übergeben. Die Beiträge dieses Sammelbandes gewähren einen breit angelegten Überblick zu den bau- und justizgeschichtlichen Hintergründen, jedoch auch zu den bau- und restaurationsfachlichen Aspekten des Gebäudes. Dieses somit für Laien und Experten gleichermaßen interessante Werk wird durch die Aufnahme zahlreicher historischer und aktueller Fotografien und Detaildarstellungen zusätzlich aufgewertet.

Das Zivilgericht in Halle (Saale), hrsg. von Elisabeth Rüber-Schütte / Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie des Landes Sachsen-Anhalt, Beiträge zur Denkmalkunde 11, Halle (Saale), 2017

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Eine subjektive Zeitreise

Der Diplom Politologe Frank Stauss hat in 25 Jahren mehr als ebenso viele Wahlkämpfe im nationalen und internationalen Rahmen begleitet und organisiert. Zum Erfolg des zuerst 2013 erschienenen Werks mag beigetragen haben, dass es sich nach seiner eigenen Darstellung weniger um ein Sachbuch über Wahlkämpfe, sondern um einen subjektiven und emotionalen Blick hinter die Kulissen zahlreicher Wahlkämpfe handelt. Daraus entsteht eine farbige Zeitreise, bei der uns der Autor von der ersten freien Wahl in der DDR bis zum Wahlkampf in Rheinland-Pfalz 2016 Eindrücke aus den "Maschinenräumen einer Kampagne" vermittelt. In der vorliegenden Neuausgabe analysiert Stauss zusätzlich die Mechanismen der aktuellen Populisten und die Auswirkungen der digitalen Revolution für unsere Demokratie. Bezug nehmend auf die US-Wahlen kommt er zu dem beunruhigenden Fazit, dass die dortige Entwicklung keineswegs losgelöst von derjenigen in Europa zu sehen ist.

Frank Stauss, Höllenritt Wahlkampf:
Ein Insider-Bericht, Erweiterte Neuausgabe
München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, 2017

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Beobachtung des politischen Alltags

Der vorliegende Sammelband basiert auf den Vorträgen einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zeithistoriker und Politikwissenschaftler untersuchen die Koalitionsverhandlungen und die daraus resultierenden Regierungsbildungen der Bundesrepublik über einen Zeitraum von nahezu sieben Jahrzehnten.

Insbesondere der alltägliche politische Betrieb, der "Arkanbereich" des Koalitionsmanagements, steht im Mittelpunkt der Beiträge, jedoch auch die Charakteristik und die Entwicklung der politischen Verhandlungen als Vorbedingung stabiler Koalitionsregierungen sowie die Bedeutung wichtiger handelnder Personen in Partei- und Regierungsämtern.

Als Resümee können drei wichtige Trends ausgemacht werden: Die zunehmende Formalisierung und Fixierung von Koalitionsvereinbarungen einschließlich ihrer medialen Inszenierung, die Vielfalt der dem Parteien- und Fraktionsmanagement zur Verfügung stehenden Werkzeuge sowie besonders hervorstechend die zunehmende Überlagerung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers durch diejenige der beteiligten Parteichefs.

Eine Besonderheit des vorliegenden Werkes stellt die Einbeziehung eines mit den früheren Bundesministern Michael Glos, Klaus Kinkel und Jürgen Rüttgers geführten Zeitzeugengesprächs zu den Kanzlerschaften Helmut Kohls und Angela Merkels dar.

Philipp Gassert, Hans Jörg Hennecke (Hg.)
Koalitionen in der Bundesrepublik:
Bildung, Management und Krisen von Adenauer bis Merkel
Paderborn: Schöningh, 2017

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Zeichen gegen das Vergessen

Nach Friedrich Weißler wurde am 19. November 2008 das neue Gebäude des Magdeburger Landgerichts benannt. Der in Oberschlesien im Jahr 1891 geborene Jurist war dort nach Stationen unter anderem am Oberlandesgericht Naumburg und am Arbeitsgericht in Halle im Oktober 1932 zum Landgerichtsdirektor ernannt worden. Nur zehn Monate später wurde Friedrich Weißler von den NS-Machthabern aus dem Justizdienst entlassen. Er wurde dann juristischer Berater und Kanzleichef der "Bekennenden Kirche", durch eine Indiskretion im Oktober 1936 verhaftet und im KZ Sachsenhausen im Februar 1937 ermordet.

Der Neuzeithistoriker an der Technischen Universität Berlin, Manfred Gailus, ruft die Lebensgeschichte dieses evangelischen Christen jüdischer Abstammung ins Gedächtnis. Dabei bettet er die Familiengeschichte umfassend in die politischen und kulturellen Bezüge des 20. Jahrhunderts ein. Obwohl Staat und Kirche sich in den letzten Jahren zunehmend auf Friedrich Weißler als "ersten Märtyrer der Bekennenden Kirche" besinnen, ist dieser einer breiteren Öffentlichkeit im Jahr seines 80. Todestages kaum bekannt. Gegen dieses Vergessen ein deutliches Zeichen gesetzt zu haben, ist das besondere Verdienst dieser Biographie.

Manfred Gailus, Friedrich Weißler
Ein Jurist und bekennender Christ im Widerstand gegen Hitler
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2017

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Die Landtagsbibliothek stellt vor

Als wissenschaftliche Spezialbibliothek steht die Landtagsbibliothek den Abgeordneten und ihren Mitarbeitern sowie den Beschäftigten der Parlamentsverwaltung zur Verfügung. Sie ist jedoch auch für interessierte Bürgerinnen und Bürger zugänglich und nutzbar. Sie finden dort einen umfangreichen Literatur- und Zeitschriftenbestand sowie komfortable Arbeitsmöglichkeiten im Lesesaal vor. Die Sammelschwerpunkte umfassen die Bereiche Recht, Politik, Parlamentarismus, Sozialwissenschaften, Geschichte und Landeskunde. Als kleinen "Appetizer" stellt die Bibliothek an dieser Stelle interessante Werke vor, die vor Ort eingesehen werden können. Sind Sie interessiert?! Die Landtagsbibliothek ist von Montag bis Donnerstag von 8 bis 16.30 Uhr und am Freitag von 8 bis 15 Uhr geöffnet. Für die Ausleihe von Literatur benötigen Sie einen Personalausweis. Nähere Informationen erhalten Sie unter der Nummer 0391 560 1135. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Michael Rahmfeld

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AUSBLICK

160.000 Gäste in der Lutherstadt

Wo sonst als im Geburts- und Sterbeort von Reformator Martin Luther hätte in diesem Jahr der Sachsen-Anhalt-Tag stattfinden sollen? Natürlich in Eisleben. Mit dabei wie immer der Landtag und die Landesregierung.


Die Welt zu Gast in Luthers Heimatstadt" - Unter diesem Motto fand am Wochenende vom 16. bis 18. Juni 2017 in der Lutherstadt Eisleben der 21. Sachsen-Anhalt-Tag statt. Bei weitestgehend strahlendem Sonnenschein waren in der zweitgrößten Stadt im Landkreis Mansfeld-Südharz nach Angaben der Veranstalter rund 160.000 Besucher zu Gast.

Traditionell waren auch der Landtag und die Landesregierung mit einem breiten Informationsangebot in der Lutherstadt Eisleben dabei. So eröffnete Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch beispielsweise am Freitag mit vielen Kindern und Luftballons die Themenstraße "Weltoffenes Sachsen-Anhalt". Großer Beliebtheit erfreute sich das Kinder-Memory-Quiz rund um Sachsen-Anhalt am Stand des Landtags.

An allen drei Tagen standen zudem Abgeordnete aller im Landtag vertretenen Fraktionen für persönliche Gespräche zur Verfügung. Viele Bürger nutzten die Gelegenheit und verteilten Lob oder erklärten ihren gewählten Volksvertretern direkt, was sie unbedingt angehen sollten.

Zukünftig wird der Sachsen-Anhalt-Tag nur noch im Zweijahresrhythmus stattfinden. Mit der Umstellung sollen vor allem die ausrichtenden Kommunen entlastet werden. Neben mehr Zeit zur Vorbereitung soll es auch höhere Landeszuweisungen für den Ausrichter des Sachsen-Anhalt-Tages geben.

Nach Aussagen der Landesregierung wird das 22. Landesfest somit erst im Jahr 2019 durchgeführt. 2021 werden in Sachsen-Anhalt die zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit stattfinden, daher wird der Sachsen-Anhalt-Tag dann ebenfalls ausfallen. Ab 2022 soll das Landesfest dann regelmäßig im Zweijahresrhythmus, immer in den geraden Jahren stattfinden. Der erste Sachsen-Anhalt-Tag wurde 1996 in Bernburg veranstaltet.

Stefanie Böhme

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RÜCKBLICK

Junge Forscher im Landtag

Die zehn Landessieger des Wettbewerbs "Jugend forscht" wurden Anfang Juni im Landtag durch Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch geehrt. Auch im Bundeswettbewerb hatten sie geglänzt.


Gemeinsam mit dem Schirmherrn des Landeswettbewerbs, Bildungsminister Marco Tullner, würdigte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch die Jungforscher aus Sachsen-Anhalt und ihre wissenschaftlichen Leistungen. An der kleinen Zeremonie nahmen auch die Betreuungslehrerinnen und -lehrer sowie die Patenbeauftragten der den Landeswettbewerb unterstützenden Unternehmen teil.

Die Landtagspräsidentin lobte "Jugend forscht" als größten Jugendwettbewerb für Wissenschaft und Technik: "Ihre Arbeiten beweisen, dass Sachsen-Anhalt gut mit Nachwuchs in der Wissenschaft ausgestattet ist." Ihren Dank richtete sie an die Betreuungslehrer/innen und die Patenunternehmen, die beispielsweise für die Kosten von hochwertigen Gerätschaften aufkommen. Bildungsminister Marco Tullner sagte, der Wettbewerb mache deutlich, wie eng Bildung und Wissenschaft zusammengehörten. Der Unterricht selbst, aber auch der Wettbewerb fördere die Lust auf Erkenntnis und Innovation.

In acht Kategorien waren Landessieger ermittelt worden: Im Fachgebiet "Arbeitswelt" errang Georg Lewald von der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt Halle mit einem "höhen- und längenverstellbaren Sägeanschlag für die Bandsäge" den Titel. Sieger im Fachgebiet "Biologie" waren Christoph Griehl und Lorenz Pfordte von der Otto-von-Guericke-Universität/Hochschule Anhalt. Sie widmeten sich "Kunststoffen aus der Natur - Untersuchung zur Bildung von Polyhydroxyalkanoaten in Bakterien". Den Spitzenplatz im Fachgebiet "Chemie" sicherte sich Jonas Winkler, Schüler des Technologie- und Gründerzentrum Bitterfeld-Wolfen (TGZ). Er stellte "Versuche zur Darstellung von Nanocellulose zur Verbesserung von Materialien und deren Eigenschaften" an. Im Fachgebiet "Mathematik/Informatik" waren Marcel Ullrich und Christopher Pfeiffer (Georg-Cantor-Gymnasium Halle/Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) erfolgreich. Sie untersuchten den "Quantenzufall mit Dioden zur verschlüsselten Datenübertragung mit Neuronalen Netzwerken". Mit dem "Selbstbau einer Nebelkammer zum Nachweis radioaktiver Strahlung" sicherte sich Julius Vincent Grams vom Markgraf-Albrecht-Gymnasium Osterburg den Titel im Fachbereich "Physik". Benedikt Fassian und Fabian Schmidtchen vom Elisabeth-Gymnasium Halle (Saale) konnten die Landessiegertitel im Fachbereich "Technik" erringen. Mit dem "SmartTurtleCooling" optimierten sie den Winterschlaf von Schildkröten. Für das "beste interdisziplinäre Projekt" mit dem Titel "Spröde sein ist lebensgefährlich" errang Justus Vaerst von der Landesschule Pforta den Landessiegertitel.

Im Fachgebiet Fachgebiet "Geo- und Raumwissenschaften" wurden zwei zweite Plätze und ein dritter Platz, aber kein Landessieger ermittelt.

Insgesamt hatten sich für das Landesfinale von "Jugend forscht" 60 Jugendliche mit 40 Projekten qualifiziert. Beim 52. Bundesfinale vom 25. bis 28. Mai 2017 in Erlangen, an dem die zehn Landessieger mit sieben Arbeiten teilnahmen, konnten die sachsen-anhaltischen Jungforscher einen zweiten Platz und einen vierten Platz erreichen. Außerdem erhielten sie vier Sonderpreise, darunter eine Forschungsreise in die USA.

Dr. Stefan Müller

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AUSSTELLUNGEN IM LANDTAG
VON JULI BIS SEPTEMBER 2017

25 JAHRE STAATLICHES BAUEN IN SACHSEN-ANHALT
TERMIN: NOCH BIS 28. JULI 2017

Überall in Sachsen-Anhalt wird gebaut, restauriert, saniert und modernisiert. Das Ergebnis ist, dass unser Land immer attraktiver wird. Zahlreiche Projekte wurden mit Hilfe des Landesbetriebes für Bau- und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt (BLSA) sowie gemeinsam mit freiberuflichen Architekten, Ingenieuren, dem Handwerk und der Bauindustrie erfolgreich auf den Weg gebracht bzw. abgeschlossen. Um diese Leistungen einem breiten Publikum präsentieren zu können, wurde von der Pressestelle des Ministeriums der Finanzen eine Ausstellung mit 25 Großmotiven entwickelt.


BRUNO GROTH - BAUKERAMIK

TERMIN: VOM 10. AUGUST BIS 14. SEPTEMBER 2017

Wissen Sie sofort, was "Baukeramik" ist? Wenn nicht, denken Sie an aufwendig gestaltete Hausfassaden. Der Magdeburger Künstler Bruno Groth ist ein Spezialist. Sein besonderes Interesse gilt der Baukeramik. Viele Werke entstanden in Zusammenarbeit mit dem Maler und Grafiker Manfred Gabriel, so unter anderem die Keramikwände der Schwimmhallen in Magdeburg-Nord, Genthin und Burg. Zwei seiner wichtigsten Arbeiten sind die Klinkerwände in der Leiterstraße und Sieverstorstraße in Magdeburg. Die Ausstellung zeigt unter anderem Dokumentationen zur Entstehung der Arbeiten im Bereich der Baukeramik und freigeformter Tonmassen als Wandgestaltung sowie Restaurierungsbeispiele und Teile von "geretteten" Keramik-Wänden abgerissener Gebäude.



TRANS* IN DER ARBEITSWELT
TERMIN: VOM 21. SEPTEMBER BIS 6. OKTOBER 2017

Die Wanderausstellung von Anja Weber verarbeitet mittels großformatiger Fotos das Thema Transsexualität. Gezeigt werden zwölf Einzelporträts von transgeschlechtlichen Menschen, die den Mut haben, sich mit ihrem Bild und ihrem Namen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Die Fotos zeigen die Personen in unterschiedlichen Berufen und Arbeitsumfeldern. Anja Weber lädt ein, "über die Lebensgeschichten, Diskriminierungs- und Erfolgserfahrungen transgeschlechtlicher Menschen nachzudenken". Dies aus unterschiedlichsten Blickwinkeln, zum Beispiel als Verwandte, Freunde und insbesondere als Arbeitgebende, um sich "für Trans*Menschen zu öffnen und das Potenzial zu erkennen, das in dieser Öffnung steckt".

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NEU FÜR DEN UNTERRICHT

Ein Film über das Landesparlament und seine Aufgaben steht zur Verfügung - speziell für Jugendliche und den Einsatz im Unterricht. Der Film kann online angesehen, heruntergeladen oder als DVD bestellt werden: www.landtag.sachsen-anhalt.de

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IMPRESSUM

Herausgeber: Der Präsident des Landtages von Sachsen-Anhalt

Auflage und Erscheinen: 10.000 Exemplare, vierteljährlich

Redaktion/Bestelladresse: Landtag von Sachsen-Anhalt
Ref. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,
Besucherdienst und Protokoll
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Fon: 0391 / 560 0
Fax: 0391 / 560 1123
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Redaktion: Ursula Lüdkemeier (Ltg.),
Stefanie Böhme, Ulrich Grimm, Dr. Stefan Müller,
Gudrun Oelze, Michael Rahmfeld, Wolfgang Schulz

Fotos & Grafiken:
Titelseite:
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Seite 9: Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
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Seite 11: Erika Hartmann/pixelio.de
Seite 12: Stefanie Böhme, Dr. Stefan Müller
Seite 14: Stefanie Böhme, Dr. Stefan Müller
Seite 16: fotolia.com
Seite 18: Bildarchiv des Museums für Stadtgeschichte; Staatliche Geschäftsstelle Luther 2017;
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Seite 20: Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt; Tourist-Information Stadt Stolberg (Harz);
Stadtverwaltung Lutherstadt Eisleben, Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH
Seite 22-23: Verlage Ch. Links, dtv, Schöningh, Vandenhoek & Ruprecht, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie
Seite 24-25: Stefanie Böhme/ Dr. Stefan Müller
Seite 26: Dr. Stefan Müller
Seite 27: Landtag
Seite 28: Landtag/Ideengut

Satz & Gestaltung: Ideengut OHG | www.ideengut.info

Druck: Harzdruckerei GmbH. www.harzdruck.de

Redaktionsschluss: 23.6.2017

Dieses Magazin dient der Öffentlichkeitsarbeit des Landtages von Sachsen-Anhalt. Es wird kostenfrei verteilt. Es darf weder von Wahlbewerbern noch von Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden.

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Quelle:
ZwischenRuf 2/2017
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Der ZwischenRuf erscheint vierteljährlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2017

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