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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2065: Reform der Landesverfassung - Sonderausschuss schließt Arbeit ab (Landtag)


Der Landtag - Nr. 02 / Juli 2014
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

REFORM DER LANDESVERFASSUNG
Sonderausschuss schließt Arbeit ab - Schlie: Gute Atmosphäre, gutes Ergebnis



Die Vorgeschichte:

Erst vor 24 Jahren wurde aus der alten schleswig-holsteinischen Landessatzung nach mehrjähriger Diskussion die heutige Landesverfassung. Doch die hat bereits ein anderes Gesicht als im Jahr 1990. Denn der Landtag hat das Landes-Grundgesetz mehrmals erweitert. Beispielsweise wurden 2006 der Schutz pflegebedürftiger Menschen und 2012 der Schutz der deutschen Sinti und Roma als Staatsziele aufgenommen.

Zu Beginn dieser Wahlperiode häuften sich im Parlament die Vorschläge für neue Verfassungsartikel. Es ging unter anderem um die Zusammenarbeit der norddeutschen Bundesländer, um ein Klagerecht des Landtages vor dem Bundesverfassungsgericht und um eine bürgernahe Verwaltung. Angesichts der vielen Ergänzungen und Änderungswünsche sei es Zeit, die "Systematik" der Landesverfassung auf den Prüfstand zu stellen, erklärte Landtagspräsident Klaus Schlie im Frühjahr 2013. Sein Vorschlag: Ein Sonderausschuss des Landtages soll die Anregungen aus Politik und Bevölkerung sammeln und ein umfassendes Reformpaket vorlegen.


Der Sonderausschuss:

Der Landtag setzte die Kommission im April letzten Jahres ein und gab ihr den Auftrag, "den Bedarf einer grundlegenden systematischen Überarbeitung der Landesverfassung zu prüfen". Zehn Mal traf sich das Gremium, holte insgesamt 66 schriftliche Stellungnahmen ein und hörte Experten an. Über ein Internetportal hatte jeder Bürger die Möglichkeit, sich einzuschalten. Ende Juni dieses Jahres schlossen die sieben Mitglieder des Sonderausschusses ihre Beratungen ab.


Die Bilanz:

Im Interview mit der Landtagszeitschrift zieht Landtagspräsident Schlie eine positive Bilanz: In konstruktiver Atmosphäre sei ein "guter, lang anhaltender Verfassungstext" entstanden.


LANDTAG: Herr Landtagspräsident, warum halten Sie es für notwendig, die Schleswig-Holsteinische Landesverfassung nach nur 24 Jahren erneut zu überarbeiten?

KLAUS SCHLIE: Das Leben der Menschen, aber auch die Gesellschaft haben sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr verändert. Es ist nur konsequent, zu überprüfen, ob die Regelungen von damals in die heutige Welt passen. Das erwarten die Menschen auch von uns.


LANDTAG: Der Sonderausschuss hat ein Jahr lang getagt und intensiv beraten. Wie war die Atmosphäre?

KLAUS SCHLIE: Sehr konstruktiv und inhaltsreich. Es ist beruhigend zu sehen, dass abseits des politischen Alltagsstreits fair und nachhaltig diskutiert werden kann. Die Änderung der Verfassung ist ja kein Pappenstiel, das war und ist allen bewusst.


LANDTAG: Die neue Präambel nennt eine Reihe von Grundwerten wie Toleranz, Solidarität, Nachhaltigkeit und kulturelle Vielfalt. Was erhoffen Sie sich dadurch für das konkrete Handeln der Politik und für das Zusammenleben in der Gesellschaft?

KLAUS SCHLIE: Die Frage ist doch: Was hält unsere Gesellschaft zusammen und was zeichnet sie aus? Die Diskussion um unsere Verantwortung für andere Menschen, für die Schöpfung und letztendlich vor Gott war ein wesentlicher Baustein unserer Gespräche. Diese Rückbesinnung kann uns in so mancher Diskussion wieder Bodenhaftung und Orientierung geben.


LANDTAG: Welche Bestimmung ist aus Ihrer Sicht die bedeutendste?

KLAUS SCHLIE: Es ist schwer, einzelne Formulierungen herauszuheben. Jeder Artikel unserer Verfassung ist wichtig und hat seine Berechtigung. Die größte Sympathie habe ich für den Schutz unserer Kinder. Das ist der Anfang von allem.


LANDTAG: Die Verfassung soll auf die Höhe der Zeit gebracht werden. Wie lange wird das vorhalten? Wann ist die nächste Reform nötig?

KLAUS SCHLIE: Ich denke, wir haben einen guten, einen lang anhaltenden Verfassungstext gefunden. Ich bin aber auch nicht so naiv zu glauben, die Verfassung werde jetzt in Stein gemeißelt. Doch diese Entscheidung treffen die nachfolgenden Generationen. Vielleicht erlebe ich eine erneute Reform, aber sicher erst im Ruhestand.

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DER VERFASSUNGSTEXT:
Viele neue Ziele - Gott bleibt umstritten

Eine Reihe von neuen Staatszielen soll nach Vorschlag des Sonderausschusses in die Landesverfassung einfließen. Hierzu zählen etwa die norddeutsche Zusammenarbeit, die Partnerschaft im Nord- und Ostseeraum oder die Inklusion von Behinderten und Nichtbehinderten. Auch die Politik für künftige Generationen, eine bürgernahe Verwaltung, der Zugang zum Internet und der Schutz der digitalen Privatsphäre erhalten wohl Verfassungsrang. Zudem unterstreichen die Abgeordneten in der neuen Präambel gesellschaftliche Grundwerte wie Demokratie, Freiheit, Toleranz und Solidarität. Während diese Punkte einstimmig im Vorschlagspapier landeten, bleibt ein Punkt umstritten: der Gottesbezug. Hier wird sich erst bei der endgültigen Abstimmung im Landtag herausstellen, ob die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit von 46 Abgeordneten zusammenkommt.
Einige Vorschläge des Sonderausschusses
("UMSTRITTENE FORMULIERUNG HERVORGEHOBEN"):

Präambel:
Der Landtag hat in Vertretung der schleswig-holsteinischen Bürgerinnen und Bürger ("IN VERANTWORTUNG VOR GOTT UND DEN MENSCHEN UND") auf der Grundlage der unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte als Fundament jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit, in dem Willen, Demokratie, Freiheit, Toleranz und Solidarität auf Dauer zu sichern und weiter zu stärken, im Bewusstsein der eigenen Geschichte, bestrebt, durch nachhaltiges Handeln die Interessen gegenwärtiger wie künftiger Generationen zu schützen, in dem Willen, die kulturelle und sprachliche Vielfalt in unserem Land zu bewahren, und in dem Bestreben, die Zusammenarbeit der norddeutschen Länder sowie die grenzüberschreitende Partnerschaft der Regionen an Nord- und Ostsee und im vereinten Europa zu vertiefen, diese Verfassung beschlossen.


Artikel 7
Inklusion

Das Land setzt sich für die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und ihre gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ein.


Artikel 12
Schulwesen

(3) Die öffentlichen Schulen fassen die Schülerinnen und Schüler ohne Unterschied des Bekenntnisses und der Weltanschauung zusammen.
(5) Schulen der nationalen dänischen Minderheit gewährleisten für deren Angehörige Schulunterricht im Rahmen der Gesetze. Ihre Finanzierung durch das Land erfolgt in einer der Finanzierung der öffentlichen Schulen entsprechenden Höhe.
(6) Das Land schützt und fördert die Erteilung von Friesischunterricht und Niederdeutschunterricht in öffentlichen Schulen.


Artikel 14
Digitale Basisdienste, Zugang zu Behörden und Gerichten

(1) Das Land gewährleistet im Rahmen seiner Kompetenzen den Aufbau, die Weiterentwicklung und den Schutz digitaler Basisdienste sowie die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an diesen.
(2) Das Land sichert im Rahmen seiner Kompetenzen einen persönlichen, schriftlichen und elektronischen Zugang zu seinen Behörden und Gerichten. Niemand darf wegen der Art des Zugangs benachteiligt werden.


Artikel 15
Digitale Privatsphäre

Das Land gewährleistet im Rahmen seiner Kompetenzen auch den Schutz der digitalen Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger.


Artikel 30
Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auf Verlangen des Landtages

Die Landesregierung ist verpflichtet, beim Bundesverfassungsgericht für das Land ein Verfahren gegen eine Maßnahme oder Unterlassung des Bundes anhängig zu machen, wenn der Landtag dies zur Wahrung seiner Rechte verlangt.


Artikel 52
Gesetzesvorrang, Verwaltungsorganisation

(2) Die Organisation der Verwaltung sowie die Zuständigkeiten und das Verfahren werden durch Gesetz bestimmt. Die Organisation der Verwaltung und die Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren orientieren sich an den Grundsätzen der Bürgernähe, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit.


Artikel 53
Transparenz

Die Behörden des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände stellen amtliche Informationen zur Verfügung, soweit nicht entgegenstehende öffentliche oder schutzwürdige private Interessen überwiegen. Das Nähere regelt ein Gesetz.

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Quelle:
Der Landtag, Nr. 02 / Juli 2014, S. 6-7
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
Referat für Öffentlichkeitsarbeit, L143,
Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel
Tobias Rischer (verantwortlich)
Telefon: 0431/988 1120
E-Mail: tobias.rischer@landtag.ltsh.de
Internet: www.sh-landtag.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2014