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SCHLESWIG-HOLSTEIN/2131: Treffen sich ein Christ, eine Muslima und ein Atheist - Interview über Politik und Religion (Landtag)


Der Landtag - Nr. 01 / März 2016
Die Parlamentszeitschrift für Schleswig-Holstein

Treffen sich ein Christ, eine Muslima und ein Atheist...

Interview von Vivien Albers


... und diskutieren über Politik und Religion. Im Februar führte die Landtagszeitschrift am Rande der Plenarsitzung ein Gespräch mit drei Landtagsabgeordneten mit unterschiedlichem religiös-kulturellem Hintergrund: Serpil Midyatli (SPD), deren Familie aus der Türkei stammt, ist die erste muslimische Abgeordnete in Schleswig-Holstein. Andreas Tietze (Grüne) steht als Präses der Landessynode vor, dem Kirchenparlament der evangelischen Nordkirche. Uli König (Piraten) bezeichnet sich im Handbuch des Landtages als Atheist.


Der Landtag: Frau Midyatli, meine Herren, wieviel Religion verträgt Politik - wann haben Sie sich zum Beispiel das letzte Mal über zu viel Religion in der Politik geärgert?

Tietze: Mich hat es geärgert, dass die AfD und Pegida mit christlichen Symbolen auf die Straße gehen. Damit wollen sie das Christentum für sich okkupieren. Das ist eine Trittbrettfahrerei, denn diese Leute sind menschenfeindlich und vertreten rechtes Gedankengut - das ist nicht mit dem Christentum vereinbar. Für mich sind das falsche Propheten, sie verunglimpfen das Kreuz und darüber ärgere ich mich absolut.

König: Ich habe mich das letzte Mal richtig geärgert, als ich gelesen habe, dass die Berliner Behörden der evangelischen Kirche offenbar alle Steuerakten vorlegen. Die Kirche soll so überprüfen, wer Kirchensteuer bezahlen muss. Sie überprüft insbesondere diejenigen, die ausgetreten sind oder nie Mitglied waren. Der Film auf Arte "Die Kirche und das Geld" hatte einen solchen Fall im Januar aufgedeckt.

Midyatli: Ich habe mich bei der Plenardebatte zum Gottesbezug geärgert, als ich den Imam auf der Tribüne habe sitzen sehen. Ich wusste nicht, wer er ist und welche Gemeinde er vertritt. Im islamischen Glauben gibt es kein Oberhaupt wie in der katholischen oder evangelischen Kirche. Es kann also niemand für alle schleswig-holsteinischen Gemeinden sprechen. In dem Moment habe ich gemerkt, dass es in der Verfassung um den christlichen Gott geht. Würde es um einen Gott gehen, der für uns alle steht, hätten sich die Fürsprecher des Gottesbezugs eingehend mit den anderen Religionen auseinandergesetzt. Dann hätten sie ernsthaft überlegen müssen, ob es in Ordnung ist, pro forma einen Imam da oben hinzusetzen. Ich habe mich richtig gekränkt gefühlt.


Der Landtag: Sind Sie durch Ihren Glauben bei politischen Entscheidungen schon mal beeinflusst worden?

König: Nein.

Midyatli: Ich kann das nicht voneinander trennen. Wenn ich vor einer politischen Frage stehe, schlage ich sie nicht im Koran nach. Aber ich bin mit bestimmten Werten erzogen worden. Meine Eltern haben mich gelehrt, aufrichtig, gerecht, rücksichtsvoll zu sein. Das sind nicht nur muslimische Werte, aber das hat mich geprägt, und daran mache ich bestimmte Entscheidungen fest.

Tietze: Ich habe drei Themen, bei denen ich in der Regel auf Grundlage meiner christlichen Werte entscheide: Erstens der Frieden, stark bezogen auf das Friedensgebot des Neuen Testaments. Hinzu kommen Umwelt und Klima - dass wir Gottes Schöpfung hegen und pflegen müssen - sowie die Gerechtigkeitsfrage. Wenn ich zum Beispiel politisch für den Mindestlohn streite, dann hat das für mich auch viel mit meinem christlichen Glauben zu tun. Gerade bei Gewissensfragen ist mir das wichtig. In der Debatte um die Karfreitagsruhe habe ich mich beispielsweise auf mein Gewissen berufen. Das ist für Christen der höchste Feiertag, da zu tanzen, ist für mich persönlich schräg.


Der Landtag: Es heißt häufig, Politik und Religion passen nicht zusammen - mit Verweis auf viele geschichtliche Beispiele. Wie sehen Sie das?

Midyatli: Das erste Mal habe ich diese Frage gehört, als ich in den Landtag eingezogen bin. Eine Journalistin wollte wissen, wie mein muslimischer Glaube meinen politischen Alltag prägen würde. Daraufhin habe ich geantwortet: Wie prägt Ihr christlicher Glaube Ihren Alltag? Genauso ist es bei mir. Ich bin auch der Meinung, dass Religion Privatangelegenheit ist. Meine Werte sind die sozialdemokratischen Werte.

Tietze: Ich bin Christ in der Politik und Politiker in der Kirche. Ich wechsele zwar die Funktion, aber im Kern bin ich sowohl als Christ wie auch als Politiker meinem Glauben verpflichtet.

König: Ich sehe das anders. Meiner Meinung nach ist Religion Privatsache. Jeder muss selbst entscheiden, ob er an einen Gott glaubt, ob er Atheist oder Agnostiker ist. Wenn wir Politik machen wollen, müssen wir gemeinsame Werte haben. Viele sind schon aufgeschrieben - siehe die ersten Artikel unseres Grundgesetzes. Und die überschneiden sich ja stark mit den kirchlichen Werten.


Der Landtag: Ist Religion für Sie etwas Privates oder gilt auch hier "das Private ist politisch"?

Midyatli: Wenn es zum Beispiel um den sogenannten Islamischen Staat geht, kann Religion gar nicht privat sein. Dann ist sie absolut politisch. Aber da wird eine Religion missbraucht. Die geehrten und geschätzten Oberhäupter des Islam sind mir viel zu leise. Im Grunde müsste bei jedem Freitagsgebet, in jeder Moschee auf der Welt, gegen den IS gepredigt werden. Das vermisse ich.

Tietze: Das Private hat auch immer eine politische Dimension. Ich würde mir wie Serpil wünschen, dass die drei großen Weltreligionen mehr politische Verantwortung übernehmen. Wir bräuchten eine interreligiöse Bewegung, die so etwas wie den IS ächtet und eine Weltfriedensordnung anhand der religiösen Schriften aufbaut. Die Schriften und Botschaften des Christentums, Judentums und Islams verkünden eindeutig Frieden, Unversehrtheit und Liebe.

König: Ich habe die Beobachtung gemacht, dass sich Politik auf dünnes Eis begibt, wenn sie sich auf Religion beruft. So ist es bei den Abtreibungsgegnern in den USA, die sich auf christliche Werte berufen, oder beim IS, der sich auf den Islam beruft. Ich sehe die meisten Religionen im Kern aber auch als Friedensreligionen. Insofern würde ich mir wie Serpil wünschen, dass von den religiösen Gruppen mehr Protest gegen sogenannte Gotteskrieger kommt.


Der Landtag: An welcher Stelle sollte eine Trennlinie zwischen Politik und Religion gezogen werden?

Tietze: Das ist ja im Grundgesetz festgelegt. Die Kirche soll sich nicht in parlamentarische und demokratische Prozesse einmischen. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen und die Bewertung einer gesellschaftlichen Lage durch kirchliche Amtspersonen oder durch Synoden mit kirchlicher Einmischung verwechseln.

Midyatli: In einer pluralistischen Gesellschaft gehört es dazu, dass sich Verbände, Gewerkschaften und eben auch Kirchen einmischen.

König: Die rote Linie ist dann überschritten, wenn die Freiheit eingeschränkt wird - wiederum die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes. Es gibt viele Beispiele, wo Religion die Grenze des Privaten überschreitet. Wenn gesellschaftliche Gruppen vorschreiben, wie sich ein Einzelner zu verhalten hat, beispielsweise. Bei dem Tanzverbot am Karfreitag ist diese Grenze für mich überschritten.

Tietze: Du sagst, die sollen weiter tanzen, ich sage, die sollen nicht tanzen. Wo ist das Problem wenn man mal einen Tag von 365 die Füße still hält?

König: Genau, da sind wir deutlich unterschiedlicher Meinung.


Der Landtag: Was würden Sie davon halten, wenn statt des konfessionellen Religionsunterrichts überkonfessionelle Religionswissenschaft unterrichtet würde?

König: Religionswissenschaftlichen Unterricht würde ich begrüßen. Es ist wichtig, dass die junge Generation nicht nur über ihre eigene Religion aufgeklärt wird, sondern auch über andere Religionen. Gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass alle Kinder einen systematischen Ethik- und Werteunterricht erhalten, damit sie lernen, dass es gesellschaftliche Werte auch ohne Religionen geben kann.

Midyatli: Ich glaube, dass wir irgendwann in Schleswig-Holstein einen interkonfessionellen Religionsunterricht haben werden. Die Zeit ist jetzt schon dafür reif. Wir hängen, das muss ich ganz ehrlich sagen, mit der Politik ein bisschen nach.

Tietze: Es wäre ein schlauer Weg, den Religionsunterricht für einen modernen, interkonfessionellen Rahmen zu öffnen. Man sollte aber nicht die Rechte der Kirche beschneiden.

Midyatli: Interkonfessioneller Religionsunterricht ist, nebenbei gesagt, auch wichtig, damit Menschen anderen Glaubens die Werte der Gesellschaft mitbekommen, in der sie leben. Deswegen war es für meinen Mann und mich auch gar kein Problem, unser Kind in einer evangelischen Kindertagesstätte anzumelden.

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Quelle:
Der Landtag, Nr. 01 / März 2016, S. 8-9
Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers:
Der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages
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Tobias Rischer (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2016

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