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AFRIKA/1065: Kann die panafrikanische Idee neu belebt werden? (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 43 vom 28. Oktober 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Afrika in Bewegung
Kann die panafrikanische Idee neu belebt werden?

von Hilmar Franz


Wie werden in Nigeria oder in Senegal die arabischen Aufstände gegen Armut und autoritäre Regimes wahrgenommen, einschließlich der Versuche, politische Umbrüche im imperialistischen Interesse zu instrumentalisieren? Kann die panafrikanische Idee neu belebt werden? Im Exil lebende Intellektuelle und Aktivisten aus linken politischen Gruppierungen der Subsahara-Region trafen sich Mitte Oktober zu einer öffentlichen Verständigung in Brüssel und nutzten den Zwischenstopp für ein Forum in Berlin. Die solidarische Initiative der gastgebenden Linksfraktion im Bundestag eröffnete afrikanische Perspektiven auf die problematisierten Schwerpunkte "Migration, Interventionen und demokratischer Aufbruch". Die Fraktion spricht sich deutlich für das Ende jeglicher polizeilicher und militärischer Kooperationen mit afrikanischen "Partnerstaaten" aus.

Der Druck unmenschlicher Grenzregimes zwischen Nachbarländern des Subkontinents und an den Außengrenzen der EU stoppt die Flüchtlingsströme nicht. Denn vor Ort entstehen die Probleme für die Menschen, die vom Land in die Stadt ziehen oder von der afrikanischen zur europäischen Küste gelangen wollen. Pur ökonomisch betriebener Landraub ist eine wesentliche Ursache für das Überhandnehmen der afrikanischen Wanderungsbewegungen, der damit verbundene traditionelle Kleinhandel wird jetzt gleich mit unterbunden. Immer weniger Kleinbauern beispielsweise in Senegal, Burkina Faso oder Mali halten dem Dumpingpreisdruck aufgrund der staatlichen "Nahrungsmittelhilfen" von IWF und Weltbank stand. Die Kosten für landwirtschaftliche Einsatzgüter steigen, Staatsunternehmen und Ackerland werden privatisiert. Der Raub des Bodens entzieht den nicht entschädigten Familien die produktive Existenzgrundlage. Einzäunung verwehrt ihnen über Nacht den Zugang zum Stückchen Land, ohne dass der Staat die kriminellen Akte verfolgt. Die einheimischen Eliten verhökern aufgrund ungleicher Wirtschaftsbeziehungen zusätzlich große Flächen für den Anbau von Agrartreibstoffen. Das erhöht den Zuwanderungsdruck in die dicht bevölkerten Städte, Arbeitslosigkeit und Verarmungsrisiko. In Senegal vegetieren bereits 57 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Wenn immer weniger Nahrungsmittel gekauft werden können, kollabieren die vormals gesicherte Ernährung, Gesundheit und damit alle existentiellen Lebensgrundlagen.

Im gleichen Maß, wie EU und andere internationale Regierungsagenturen die "menschlichen" Verwertungsinteressen und das globale Profitstreben der Konzerne absichern, müssen auch die einheimischen afrikanischen Eliten das postkoloniale Staatsmodell immer tiefer in die Krise führen. Sie ignorieren die Probleme aus der eigenen Geschichte und arbeiten mit der direkt in Afrika tätigen Grenzschutzagentur FRONTEX zusammen. Über abgedrängte Bootsflüchtlinge, unmenschliche, käfigähnliche Internierungslager in Italien und Griechenland führt der Komplex menschenrechtsverletzender Maßnahmen zu einem europäisch vernetzten Fingerabdrucksystem, verweigerten Unterstützungsleistungen, zu Abschiebungen und Wiedereinreiseverboten. In der Berliner Vertretung von Togo setzten in der vergangenen Woche staatliche Stellen praktische Finanzierungsübernahmen für die "Rücknahme" dort vorgeladener Flüchtlinge in Gang. Der begleitende Protest zu dieser Botschafts-"Anhörung" schlug Wellen, als einer der Mit-Entscheider über die Ausstellung von Ausreisepapieren als beteiligter "Schlepper" bei illegalen Einreisen wiedererkannt wurde. So wird zweimal kassiert.

Der nigerianische Staat ist der Rahmen für die straff organisierte Ausbeutung von Rohstoffen und zerstörte Lebensgrundlagen - er muss aber der Rahmen für die Emanzipation der Afrikaner werden, hieß es beim afrikanischen Diskurs über Ansätze für Gegenstrategien in Berlin. Dem sei aber die Frage vorauszuschicken: In wessen Händen befindet sich der jeweilige Staat? Welchen Klassen und Schichten dient er? Welchen gravierenden Aufgaben muss er sich stellen? Nahrung, Landwirtschaft, Energie, das Projekt einer unabhängigen Subsahara-Währung ("Afro") sind für die sozialen Bewegungen brisante Themen. Militärdiktaturen und infrastrukturelle Veränderungen in Abhängigkeit von ausländischem Kapital schränkten linke Handlungsebenen in Nigeria grundlegend ein. Den Generalstreiks der Autobauer in den achtziger Jahren folgten im nächsten Jahrzehnt Ansätze für prodemokratische emanzipatorische Bürgerbewegungen, die aber bald mit westeuropäischen Wahlgeldern zerstört wurden. Die geschwächte politische Linke habe inzwischen aus Fehlern gelernt, sich neu und breit verankert.

Unter den disputierenden afrikanischen Vertretern können es sich einige vorstellen, aus dem Vorbild des lateinamerikanischen ALBA-Konzepts neue Wege zu einer Süd-Süd-Kooperation abzuleiten. Kann Panafrikanismus einen Weg weisen, sich dem Diktat der Kreditinstitutionen und Finanzmärkte länderübergreifend zu entziehen? Das Beispiel des größten afrikanischen Erdölexporteurs Nigeria zeigt, dass französische Konzerne wie Elf Aquitaine schon wieder Fuß fassten. Auch Senegals Industrie ist in ausländischer Hand. "Wenn der Wille dazu vorhanden ist, wird die Idee konkreter diskutiert und durchgesetzt werden", heißt es von Seiten der Revolutionären Panafrikanischen Liga. Überzeugt davon, dass wir vor einer neuen Ära der sozialen Bewegungen in Afrika stehen, geht ihr Appell an solidarische Partner in Europa: Sympathisiert nicht nur, sondern bringt den Kampf auch in eurem eigenen Land und international voran.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, 43 vom 28. Oktober 2011, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2011