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AFRIKA/1251: Namibia - Im Abschwung oder vor einem Wendepunkt? (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, August/September 2013

Im Abschwung oder vor einem Wendepunkt?

von Anna Lena Schmidt



Das Pilotprojekt zum bedingunslosen Grundeinkommen (BIG) bewegt immer noch die Gemüter. Im Moment scheinen die Zukunft des Projekts und der Fortgang der Brückenzahlungen unsicher, es fehlt der Koalition langfristig an Geld. Gibt es für die Idee in Namibia eine Zukunft, und könnte sie unter einem anderen Präsidenten noch einmal einen neuen Aufschwung erleben?


In Otjivero ist es ruhiger geworden. Man trifft weniger Menschen auf der Straße, die Handel treiben, Verabredungen treffen, Pläne schmieden, Häuser vergrößern oder sich einfach nur unterhalten. Noch lassen sich die Spuren der durch das BIG angestoßenen Veränderungen erkennen. Man mag zu einem landesweiten Basic Income Grant stehen wie man will, aber dass sich die Dinge hier zumindest zeitweise zum Besseren gewandelt haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Eine reichhaltigere Ernährungsgrundlage, Existenzgründungen, weniger Fehlzeiten und verbesserte Lehrresultate der örtlichen Schule, ein besserer Gesundheitszustand, erhöhte Mobilität und damit einhergehend mehr Versorgungsmöglichkeiten, vor allem aber auch das Wiedergewinnen der eigenen Würde und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Diese durch die BIG-Koalition veröffentlichten, vielfach angegriffenen Ergebnisse des Assessment Reports fand ich zu großen Teilen in meiner eigenen, für meine Diplomarbeit durchgeführten Studie im Sommer 2012 bestätigt. Lediglich die Gewichtung der verbesserten Ernährungssituation scheint hier sogar noch größer zu sein als ursprünglich angenommen, ja, es sieht fast so aus, als ob diese das elementare Schlüsselelement ist und ein großer Teil der positiven Veränderungen vielmehr Folgeeffekte der besseren Ernährung sind.

Dass nun mehr Kinder am Unterricht teilnehmen, scheint weniger auf die Tatsache zurückzuführen zu sein, dass seit BIG mehr Eltern die Schulgebühren bezahlen können. Dies ist zwar eindeutig der Fall, die Direktorin gab aber an, auch die Kinder nicht abzuweisen, deren Eltern die Zahlungen nicht leisten können. Diese können scheinbar vor allem deswegen verstärkt den Unterricht besuchen, weil sie seit BIG ihre Zeit nicht mehr zum Erbetteln von Lebensmitteln bei Verwandten auf den umliegenden und zum Teil weit entfernten Farmen aufwenden müssen. Infektions- und Kinderkrankheiten gehen offenbar nicht nur vor allem deswegen zurück, weil die Menschen die örtliche Gesundheitsstation häufiger nutzen, sondern weil das umfang- und nährstoffreichere Nahrungsangebot die generelle Gesundheit und das Immunsystem der Menschen stärkt und diese widerstandsfähiger macht. Dies ist besonders für die HIV-Patienten in Otjivero von besonderer Relevanz. Durch die Tatsache, dass seit der Zahlung des Grundeinkommens nicht mehr alle Energie und das wenige vorhandende Bargeld für die Beschaffung von Lebensmitteln verwendet werden muss, setzen die Menschen ihre kreativen und ökonomischen Potenziale frei. Es ergibt sich die bei weitem nicht neue Erkenntnis, dass, solange der Alltag täglicher Überlebenskampf bedeutet, Dinge wie Bildung, Produktivität und Schöpfergeist keinen Platz im Leben der Menschen haben. Dementsprechend kann, wie das BIG in Otjivero gezeigt hat, bereits eine kleine Veränderung an der richtigen Stelle große Effekte nach sich ziehen.


Das Ende des Aufschwungs

Was ist also geblieben von diesem positiven Wandel, und was ist der aktuelle Status quo bezüglich der Fortführung des BIG? Totgesagt wurde das Projekt schon des öfteren, z.B. nachdem die offizielle Pilotphase 2010 ausgelaufen war und das Projekt mit reduzierten Auszahlungen von 80 Nam-Dollar fortgeführt wurde.

Es gibt jedoch keine verlässlichen Angaben darüber, für welchen Zeitraum die Finanzierung gesichert war und ist, bzw. wie lange sich das reduzierte Programm noch durchhalten lässt. Die Aussagen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Projekts wie auch der Adressaten in Otjivero widersprechen einander. Meine Gewährsleute in Otjivero aber berichten, schon seit April des Jahres keine Gelder mehr erhalten zu haben.

Offensichtlich ist, dass es erheblich Schwierigkeiten bei der Finanzierung des BIG gibt. Sie hängt weitgehend von Zuwendungen der evangelischen Hilfsorgsanisation "Brot für die Welt" ab. "Brot" hat bisher jährlich ca. 35.000 Euro für den Desk for Social Development (DfSD)der Lutherischen Kirche in der Republik Namibia (ELCRN) zur Verfügung gestellt. Die Summe soll auf 50.000 Euro aufgestockt werden. Der DfSD koordiniert eine ganze Reihe von Projekten; BIG ist nur ein Teil davon. Wie viel Geld von dem Geld also nach Otjivero geht, ist momentan unklar.

Die Vereinigte Evangelische Mission (VEM) in Wuppertal hat über ihre Mitgliedkirchen 2011 und 2012 Spenden von insgesamt 50.000 Euro für BIG gesammelt. Ein Aufruf der ELCRN Anfang 2012 blieb jedoch praktisch ohne Resonanz. Es ist der BIG-Koalition bisher nicht gelungen, das Projekt zu einem namibischen Anliegen zu machen. Und das dürfte ein Kernproblem des Projektes zu sein, dass es völlig abhängig ist, von auswärtigen Geldern.

Trotz aller Zusagen, die finanzielle Förderung aufrechtzuerhalten, scheinen die Zukunftsaussichten des BIG im Moment unsicher oder zumindest unklar zu sein. Die BIG-Koalition hat die Menschen bereits seit längerem darauf vorbereitet, dass die Gelder früher oder später erschöpft sein könnten. Dennoch gestaltet sich die aktuelle Situation für die meisten schwierig. Trotz zahlreicher Unternehmensgründungen und aufblühendem Einzelhandel in der Ortschaft war es kaum jemandem möglich, langfristig Ersparnisse anzulegen oder sich unabhängig vom BIG eine langfristige Einnahmequelle zu schaffen. Dies verhinderten die hohen Kosten, die aufgrund der abgelegenen Lage der Ortschaft für Mobilität aufgewendet werden müssen, die traditionelle Verpflichtung, den neugewonnen "Reichtum" mit Verwandten, Nachbarn und den zahlreichen Zugezogenen zu teilen und die Tatsache, dass der im Rahmen des BIG gezahlte Betrag mit 100 N$ pro Person von Anfang sowieso nie so hoch war, dass dies von den Initiatoren als realistische Erwartung betrachtet wurde.

Noch finden sich in Otjivero die meisten der im Rahmen des BIG gegründeten Unternehmen und Geschäfte. Die Regale aber sind leerer, sowohl das Angebot als auch die Nachfrage sinken mit den offensichtlich zeitweise ausbleibenden Zahlungen und der steigenden Unsicherheit. Ohne weitere Auszahlung geht zum Einen die Kaufkraft in der Ortschaft zurück, aber auch die Versorgung mit Waren wird aufgrund der hohen Transportkosten immer schwieriger. Ohne BIG droht den Geschäften langfristig die Pleite; ohne die Geschäfte und Geld zum Kaufen drohen den Bewohnern wieder Hunger und Perspektivlosigkeit. Auch die schulischen Leistungen sowie die Gesundheit der Menschen werden wieder leiden müssen. So werden die positiven Veränderungen ohne BIG nach und nach wieder wegbrechen. Es ist nicht absehbar, wie lange es dauern würde, bis in Otjivero wieder absolute Armut, Hunger und Hoffnungslosigkeit einkehren würden, aber absehbar ist, dass dies ohne weitere Zahlungen wohl auf jeden Fall passieren wird.


Geingob als Hoffnungsträger?

Auch in der namibischen Öffentlichkeit ist es stiller um das BIG geworden. Die BIG-Koalition äußerte sich seit Ende letzten Jahres in Namibia nur noch wenig öffentlich. Interne Unstimmigkeiten behinderten teilweise die Arbeit, was besonders im Kontext der aktuellen Geschehnisse kritisch ist, droht die BIG-Idee doch wieder in der Versenkung zu verschwinden. Dabei wäre der Zeitpunkt günstig, das Grundeinkommen grade jetzt wieder verstärkt in den Fokus des allgemeinen Bewusstseins zu rücken. Ende 2014 wird in Namibia ein neuer Präsident gewählt. Es ist wahrscheinlich, dass es der Swapo-Vize und Premierminister Hage Geingob sein wird. Im Gegensatz zu Präsident Pohamba, der ein landesweites, staatlich getragenes BIG kategorisch ablehnt, war Geingob von Beginn des Projekts an ein Unterstützer des Grundeinkommens. Er gehörte sogar zu den ersten Spendern, die Gelder für die Realisierung des Pilotprojekts in Otjivero bereit stellten. Im Laufe der letzten Jahre äußerte er sich mehrfach öffentlich positiv über das BIG, betonte die Bedeutung der Armutsbekämpfung in Namibia und bezeichnete die Finanzierung eines Grundeinkommens angesichts des großen Reichtums Namibias an natürlichen Ressourcen als unproblematisch, während fortwährender Hunger hingegen eine dauerhafte Gefährdung für den Frieden im Land sei.

Hat das BIG unter diesen Vorzeichen also vielleicht doch noch eine Chance? Auch in den letzten Jahren stand man innerhalb der Swapo durchaus nicht geschlossen gegen ein Grundeinkommen, allerdings erschwerte die Ablehnung von höchster Instanz eine freie und offene Diskussion in den eigenen Reihen. Unter einem Präsidenten, der der Idee eines Grundeinkommens aufgeschlossen gegenübersteht, ist eine Renaissance der BIG-Idee nicht ausgeschlossen. Auch wenn das BIG auf Geingobs Agenda sicher nicht ganz oben steht, gibt es zumindest Hoffnung, dass eine Diskussion um eine potenzielle Einführung auf Landesebene weniger vorurteilsbehaftet angegangen werden würde als dies bisher der Fall war.

Das BIG kann keine Wunder vollbringen. Namibias Probleme sind zu weitreichend und tiefgreifend, als dass diese mit der Gabe von 100 N$ pro Person gelöst werden könnten, worauf auch die BIG-Koalition selbst wiederholt hingewiesen hat. Aber Otjivero hat bewiesen, dass es durchaus das Potenzial hat, kleine Dinge zu ändern, welche in der Folge für die Menschen einen elementaren Unterschied machen können. Hunger ist in Namibia immer noch Realität und Alltag für viele*. Im Licht der oben präsentierten Ergebnisse scheint es also auch ökonomisch durchaus sinnvoll, an diesem Punkt anzusetzen. Denn was würden selbst die besten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Programme nutzen, wenn die Arbeitskräfte, auf die sie treffen, mangelernährt, ungebildet und krank sind? Das BIG kann selbstverständlich nicht die dringend notwendigen strukturellen Reformen im Wirtschafts- und Bildungssektor ersetzen, aber es kann den Menschen an der Basis helfen, ihre Potenziale freizusetzen und "von unten" hin auf einen langfristigen positiven Wandel in Namibia hinzuarbeiten. Alleine dafür lohnt es sich, das BIG auch weiterhin zu thematisieren und es nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.


Die Autorin ist Redaktionsmitglied von afrika süd. Sie hat im April 2013 ihre Diplomarbeit zum Thema "Das Basic Income Grant in Namibia - Analyse eines Pilotprojektes" im Geographischen Institut der Universität Bonn vorgelegt.

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Quelle:
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42. Jahrgang, Nr. 4, August/September 2013, S. 26 - 27
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2013