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AFRIKA/1270: Westafrika - Flüchtlings- und Sicherheitskrise destabilisiert die Region (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. März 2014

Westafrika: Flüchtlings- und Sicherheitskrise destabilisiert die Region

von Marc-André Boisvert


Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Ein Kind in einem Flüchtlingslager in Ouagadougou in Burkina Faso im Februar 2013
Bild: © Marc-André Boisvert/IPS

Abidjan, 20. März (IPS) - Westafrika verdankt das Gros der Flüchtlinge den politischen Krisen in Côte d'Ivoire und Mali. Da bewaffnete Gruppen die Region auch weiterhin destabilisieren, ist eine baldige Rückkehr dieser Menschen unwahrscheinlich.

In Nigeria lösten Angriffe von Islamisten auf Zivilisten eine Fluchtwelle in den Niger und nach Kamerun aus. Und in Mali bleibt die Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika (MUJWA) trotz der Anwesenheit der UN-Stabilisierungsmission MINUSMA eine ernst zu nehmende Gefahr und es kommt nach wie vor zu Bombenanschlägen.

Auch in Côte d'Ivoire herrscht Unsicherheit. Das Land erholt sich noch immer von der politischen Krise im Anschluss an die Wahlen von 2010, die 3.000 Menschen das Leben kostete. Die Rückkehrbereitschaft der 93.738 ivorischen Flüchtlinge, von denen die meisten nach Ghana, Togo und Liberia geflohen sind, ist gering. Hinzu kommen 24.000 Vertriebene.

Die Situation im Westen von Côte d'Ivoire, in Bas-Sassandra, wo auch die meisten Menschen 2010 und 2011 getötet wurden, ist nach wie vor prekär. Dort kommt es seit Wochen erneut zu gewalttätigen Übergriffen.


Warten auf Ausgang der Wahlen

Ilmari Käihkö, Doktorand an der Fakultät für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität von Uppsala in Schweden, hat im Osten Liberias umfassende Untersuchungen in den Gebieten durchgeführt, in denen ivorische Flüchtlinge leben. Wie er berichtet, warten die Menschen den Ausgang der Wahlen von 2015 ab, bevor sie eine Entscheidung über ihre Rückkehr treffen wollen.

"Die Flüchtlinge gehen davon aus, dass der derzeitige Präsident Allassane Ouattara die Wahlen verlieren wird", erklärte er gegenüber IPS. "Für den Fall, dass er dennoch gewinnt, prognostizieren sie negative Reaktionen."

Die Regierung Ouattara hatte sich intensiv um eine Rückkehr der Flüchtlinge bemüht. So wurden Beamte zu den Flüchtlingen geschickt, um diesen mitzuteilen, dass sie in ihrem Heimatland willkommen seien. Diese Strategie hat sich teilweise bewährt. So sind sogar etliche Getreue des ehemaligen Staatspräsidenten Laurent Gbagbo, unter anderem der ehemalige Leiter der Hafenbehörde von Abidjan, Marcel Gossio, und mehr als 1.300 ehemalige Kämpfer heimgekehrt.

Gbagbo wartet derzeit in den Niederlanden auf seinen Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) wegen Menschenrechtsverbrechen im Zusammenhang mit der Gewalt nach den Wahlen 2010.

Käihkö zufolge ist die Lage weiterhin angespannt und die Gefahr neuer Konflikte gegeben. Um den Flüchtlingen eine sichere Rückkehr ermöglichen zu können, müssten zudem Landbesitzstreitigkeiten im Westen von Côte d'Ivoire geklärt werden.

Viele der derzeit in Liberia lebenden Ivorer stammen aus dem Westen von Côte d'Ivoire, wo auch die weltgrößten Kakaoproduzenten ursprünglich herkommen. Doch hatten viele auf Land gelebt, ohne über Landtitel zu verfügen - gemäß dem Prinzip, dass das Land demjenigen gehört, der es bewirtschaftet. Dies hat zu Landbesitzstreitigkeiten zwischen indigenen Guérés und den Siedlern im Westen Côte d'Ivoires geführt.

Wie Käihkö berichtet, ist die Landbesitzfrage einer der Hauptgründe, warum es viele Ivorer vorziehen, in Liberia zu bleiben. Viele fürchten, dass es für sie keinen Ort mehr gibt, an den sie zurückkehren könnten.

Auch in Nigeria ist die Sicherheitslage schwierig. Anschläge der Islamisten der 'Boko Haram' im Norden Nigerias haben 1.500 Menschen in die Flucht nach Diffa getrieben, einer Region im Süden des Niger. Weitere 4.000 Nigerianer flohen in den letzten Monaten nach Kamerun.

Boko Haram greift Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen an, die die Gruppe mit dem ihr verhassten Westen in Verbindung bringt. Die Möglichkeiten, den Binnenflüchtlingen im Lande zu helfen sind begrenzt.

Doch ist es nicht nur in Nigeria für die Hilfsorganisationen schwer, die Vertriebenen zu erreichen. In der gesamten Region Westafrika werden Helfer verschleppt oder attackiert. Am 8. Februar griff die MUJWA einen Konvoi des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz an und verschleppte fünf malische Mitarbeiter.


Investitionen in Schutzmaßnahmen für Helfer

Da die Hilfsorganisationen zunehmend zu Zielscheiben von Gewalt werden, sind sie gezwungen, in Schutzmaßnahmen zu investieren. Auf diese Weise wiederum gehen finanzielle Mittel verloren, die für die Versorgung der Notleidenden bestimmt waren. "Wir brauchen militärisches Geleit in dieser Region, um Entführungen vorzubeugen", so Mohamed Bah, Pressesprecher des UNHCR in Burkina Faso.

Burkina Faso teilt sich mit Mali eine gemeinsame Grenze. Obwohl die Sicherheitslage relativ stabil ist, werden nach UNHCR-Angaben in den ländlichen Gebieten und vor allem in Dori und Djibo strikte Schutzvorkehrungen eingehalten. Neben der Schwierigkeit, die Bedürftigen zu erreichen, sind auch die Möglichkeiten, die Menschen aus Mali repatriieren zu können, gering.

"Wir brauchen die Unterstützung der MINUSMA, um an die potenziellen Heimkehrer heranzukommen", sagt Olivier Beer vom UNHRC-Büro in Mali. Im Dezember 2012, wenige Wochen bevor die französischen Truppen mit der Bombardierung islamistischer Ziele begonnen hatten, belief sich die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen auf 500.000. Inzwischen leben 167.000 Flüchtlinge in isolierten Lagern in den Nachbarländern Burkina Faso, Niger, Algerien und Mauretanien. Die Zahl der Binnenflüchtlinge beläuft sich auf etwa 200.000.

Das UNHCR hält eine Repatriierung der Flüchtlinge für verfrüht. "Für eine vom UNHRC organisierte Rückkehr bedarf es einiger erforderlicher Schutzkriterien", heißt es. Doch könnte es gut sein, dass die Flüchtlinge auch nach einer Lösung des Sicherheitsproblems nicht heimkehren können. Etliche UN-Organisationen und Nichtregierungsorganisationen warnen vor einer Ernährungskrise in Westafrika. Wie die britische Hilfsorganisation 'Oxfam' berichtet, brauchen mehr als 800.000 Malier Nahrungsmittelhilfe. Die Zahl dürfte weiter ansteigen, wenn die Reserven aufgebraucht sind.

Für die Flüchtlinge aus Côte d'Ivoire stehen ebenso schwierige Zeiten bevor. Dem Liberia-Bürochef Khassim Diagne zufolge werden 52.000 ivorische Flüchtlinge verhungern, sollte ihre Nahrungsmittelreserven nicht binnen der nächsten zwei Monate aufgestockt werden. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/03/west-africas-refugee-security-crisis/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2014