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AFRIKA/1372: Südafrika - Geleugnete Xenophobie (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2016

Geleugnete Xenophobie

von Barbara Müller und Daniela Zimmermann


"Migration und Xenophobie. Vergleichende Blicke auf Südafrika und die Schweiz". Zu diesem Thema diskutierten südafrikanische und Schweizer Aktivisten, NRO-Vertreter und Forscher Ende November 2015 in Basel. Sie erörterten die Hintergründe xenophober Übergriffe im April 2015 und die Forderungen der Solidaritätsnetze gegenüber den Behörden.


Grundlegende Standpunkte waren schnell klar: Die drei südafrikanischen Referenten/innen, der Soziologe Jean Pierre Misago, der NRO-Vertreter Mervyn Abrahams und die lokale Aktivistin Sindi Mkhize, vertraten in wesentlichen Fragen eine von der ANC-Regierung abweichende Einschätzung xenophober Ereignisse und ihrer Ursachen. Demnach hätte die Regierung versagt und keine der Empfehlungen umgesetzt, die lokale Migrationsexperten nach den Übergriffen von 2008 formuliert hatten.

Angesichts der Gewalt gegen Migranten/innen verzichteten die Behörden darauf, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, stattdessen verschärften sie die Repression gegen die Migranten/innen. Mit diesem Verhalten dulde und decke die Regierung implizit die fremdenfeindliche Gewalt. Mit ihrer Kritik verbanden Misago, Abrahams und Mkhize auch eine große Sorge: Angesichts dieser Straflosigkeit könne die Frustration der Bevölkerung sich jederzeit in erneuten Gewaltakten gegen "Fremde" äußern.

Gemäß Jean Pierre Misago, Soziologe am African Center for Migration and Society der Witwatersrand-Universität in Johannesburg und selbst ein gebürtiger Burundier, fehlt es nicht nur am politischen Willen, das Problem anzupacken - es scheitere bereits bei der Anerkennung des Problems als solchem. Die Regierung leugne, dass es sich um Xenophobie und Rassismus handle. Sie spreche von Kriminalität und von "vereinzelten kriminellen Gewaltakten". Interventionen der Polizei unterstützten die Absichten der Täter, indem die Verfolgten - offiziell zu ihrem eigenen Schutz - aus der Gefahrenzone geleitet werden und ihr Eigentum damit zur Plünderung freigegeben werde. Unmittelbar nach den Attacken im April 2015 führte die Polizei die Operation Fiela durch. Dabei wurde nicht nach den Tätern gesucht, die für die gewaltsamen Übergriffe verantwortlich waren, sondern nach Ausländern, die sich illegal im Land aufhielten und deportiert werden sollten. In den wenigsten Fällen wurden Täter xenophober Übergriffe zur Rechenschaft gezogen.


Hintergründe und Auslöser

Misago erläuterte die vielschichtigen Erklärungsansätze für die immer wieder aufflackernde Gewalt gegenüber Ausländer/innen. Nach dem Ende der Apartheid hegte die Bevölkerung hohe Erwartungen. Trotz Bemühungen vonseiten der ANC-Regierung herrscht in den Townships jedoch weiterhin strukturelle Benachteiligung vor: Es mangelt an Wohnraum, Arbeitsplätzen und guten Schulen. Der Kampf ums Überleben ist existenziell. Die benachteiligte Bevölkerung fühlt sich im Stich gelassen - es fehlt eine Plattform, um den Unmut kundzutun. Die angestaute Wut kann sich - so Misagos Beobachtung - an Ausländern entladen, die in Südafrika erfolgreich Geschäfte betreiben und den Einheimischen Jobs und Wohnraum wegzunehmen scheinen, auf die Südafrikaner Anspruch erheben. Der überhebliche Nationalstolz von Südafrikaner/innen, die sich als etwas Besonderes auf dem afrikanischen Kontinents sähen, verstärke diese Anspruchshaltung.

Ebenso wichtig wie die strukturellen und wirtschaftlichen Faktoren seien lokale, nach Situation variierende Auslöser. Misago führt das Beispiel von Jeff an, einer lokalen Größe in der nach ihm benannten Nachbarschaft im Township Atteridgeville. Jeff verfolgt wirtschaftliche Interessen und sieht in der Ausländerfeindlichkeit eine Chance für ein lukratives Geschäft. Als es zu Unruhen kam, warf er kurzerhand alle Ausländer raus; nur um sie wieder einziehen zu lassen - gegen eine an ihn zu entrichtende Schutzgebühr. Dieses Beispiel verweist auf ein grundlegendes Problem in der Debatte um Ausländerfeindlichkeit: In der Regel handelt es sich nicht einfach um einen außer Kontrolle geratenen Mob, der xenophobe Gewalt ausübt, sondern um einflussreiche Personen, Lokalpolitiker oder Geschäftsleute, die zu Gewalt anstiften oder diese begünstigen.


Sicht der Zivilgesellschaft

Sindi Mkhize vertritt Abahlali baseMjondolo, eine in Durban entstandene soziale Bewegung der Bewohner/-innen illegaler Siedlungen. Abahlali hat sich öffentlich klar gegen Fremdenhass gewendet und verschiedene Solidaritätsaktionen mit Migrantenorganisationen durchgeführt.

Abahlali kämpft seit über zehn Jahren gegen Zwangsräumungen und für die offizielle Anerkennung dieser Siedlungen sowie für deren Anschluss an die kommunalen Dienstleistungen. Abahlali baseMjondolo tritt als Sprachrohr der "shack dwellers" auf. Die Regierungspartei ANC betrachtet die Organisation als Konkurrenz an der eigenen Basis und bekämpft sie dementsprechend. In diesem Kontext erstaunt es nicht, dass die Kontakte mit den Behörden oft konfliktreich verlaufen und physische Auseinandersetzungen zwischen Abahlali und der Polizei keine Seltenheit sind.

Sindi Mkhize war sichtlich betroffen vom Ausmaß der Gewalt: "Wir können die Wut der Leute nicht unter Kontrolle bringen". Abahlali glaubt nicht, dass die Politik zur Lösung der Probleme beitragen kann. "Wir versuchen immer wieder, den Dialog mit den Behörden zu führen. Die Politiker kommen zu unseren Veranstaltungen und versprechen das Blaue vom Himmel. Aber nichts davon wird eingehalten, sie sind korrupt bis auf die Knochen." Deshalb verweigere Abahlali den politischen Parteien bei Wahlen die Stimme, meint Mkhize: "No land, no house, no vote" lautet die Parole von Abahlali.

Ebenfalls aus der Provinz KwaZulu-Natal kommt Mervyn Abrahams. Er ist der Direktor von Pacsa (Pietermaritzburg Agency for Community Social Action), einer kirchennahen Organisation aus Pietermaritzburg, wo im Frühjahr 2015 die ersten fremdenfeindlichen Übergriffe bekannt wurden. Pacsa war bereits während der Apartheid aktiv und setzt sich heute für soziale Gerechtigkeit ein. Die Organisation arbeitet mit lokalen, vor allem ländlichen Gemeinden um Pietermaritzburg.

Pacsa versucht, über die Stärkung von Netzwerken unter Einbezug von integren Regierungsvertretern auf die Entspannung der Situation hinzuwirken. Auch Abrahams nannte das geringe Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen als Problem. Viele hätten die Erfahrung gemacht, dass ihre Anliegen nicht wahrgenommen würden. Die Südafrikaner seien es gewohnt, ihre Forderungen auf die Straße zu tragen. Aus dieser Perspektive sei Gewalt gegen Fremde auch ein Mittel, um sich Gehör zu verschaffen. Die Gewalt gegen Fremde finde nicht in den Zentren statt, sondern in den Townships und informellen Siedlungen. Pacsa hat deshalb im Zentrum von Pietermaritzburg Solidarität mit den Gewaltopfern bekundet. Gelbe Spruchbänder um Bäume hätten auf die Verantwortung der Behörden hingewiesen.


Wie geht es weiter?

Die aus der Vergangenheit ererbte hohe Gewaltbereitschaft bringe Südafrika immer wieder in die internationalen Schlagzeilen, meint der Soziologe Misago. Dabei werde Xenophobie in Südafrika als ein isoliertes Phänomen dargestellt, obwohl sich in anderen afrikanischen Ländern wie Nigeria, der Elfenbeinküste oder Libyen ähnliche Vorkommnisse ereignet hätten. Misago unterstreicht, dass fremdenfeindliche Einstellungen ein weltweites Phänomen sind. Erst wenn sich xenophobe Gedanken in Taten manifestieren, in Form von Hetzreden oder Gewaltakten, werden sie zum Problem. Dann sei der Staat gefordert.

Im Gegensatz zu früheren Gewalteskalationen reagierten die afrikanischen Länder und die Afrikanische Union mit starkem Protest auf die xenophobe Gewalt vom April 2015 in Südafrika. Besonders kritisch äußerten sich jene Länder, die Staatsangehörige unter den Opfern wussten. Dabei richtete sich die Empörung besonders auf die Tatenlosigkeit des südafrikanischen Staates, der seiner Aufgabe nicht nachgekommen war, alle Menschen in seinem Land zu schützen. Die heftigen Reaktionen aus anderen afrikanischen Ländern seien für die südafrikanische Regierung ein Problem, das sie zum Handeln motivieren könne, hofft Misago.

Zivilgesellschaftliche Initiativen in Südafrika haben demnach zu wenig Durchsetzungskraft, um den Staat zum Schutz der Bevölkerung anzuhalten. Diese Schwäche zeigte sich in den eher defensiven Beiträgen der Vertreter aus der Zivilgeseilschaft gegen Xenophobie. Nicht überall ist es indessen zu Gewalt gegen Fremde gekommen. An einigen Orten hat die lokale Bevölkerung die Fremden in ihrer Mitte geschützt und sich gegen die Gewaltanstifter gestellt. Ob das genügt, um zukünftige Wellen xenophober Gewalt eindämmen zu können, ist fraglich.


Barbara Müller ist Ethnologin und Koordinatorin der Schweizer "Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika" (KEESA).

Daniela Zimmermann ist Masterstudierende an der Universität Basel und forscht im Rahmen eines südafrikanisch-schweizerischen Forschungsprojektes zu Migration in Südafrika.

Die Konferenz "Migration und Xenophobie. Vergleichende Blicke auf Südafrika und die Schweiz" wurde von KEESA in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Afrikastudien Basel, dem Afrika-Komitee, Solifonds und fepa organisiert.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
45. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2016, S. 10-11
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2016

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