Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

AFRIKA/784: Südafrika - Erinnerungen an Apartheidverbrechen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 110, 4/09

Erinnerungen an Apartheidverbrechen
Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen in Südafrika

Von Rita Schäfer


15 Jahre sind seit dem offiziellen Ende der Apartheid in Südafrika vergangen. Bis heute wirkt das schwere Erbe der politisch motivierten Gewalt nach. Davon sind vor allem Frauen betroffen. Viele verloren ihre Söhne und Ehemänner, zahllose wurden selbst Opfer brutaler Polizeiübergriffe. In selbstorganisierten Gruppen versuchen sie nun, ihren Alltag gemeinsam zu meistern.


Khulumani - "Laut sprechen, Aussprechen" - so lautet der Name des Interessenverbandes von Apartheidopfern, die sich keineswegs nur als Opfer, sondern vor allem als Überlebende und als politische AktivistInnen verstehen. Über 55.000 Menschen zählen landesweit zu den Mitgliedern. Mehrheitlich sind es Frauen, die sich für die Aufarbeitung der Vergangenheit einsetzen. Während ihre Ehemänner und Söhne umgebracht wurden oder spurlos verschwanden, wurden die Frauen bei Verhören gefoltert und vergewaltigt. Bis heute trauern sie über den Verlust ihrer Angehörigen, deren Tod wirtschaftliche Not und soziale Isolation zur Folge hatte. Gleichzeitig leiden sie an den gesundheitlichen Schäden und psychischen Traumatisierungen durch die Gewalt, die ihnen persönlich zugefügt wurde. Für Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt wurde bislang kein Täter zur Rechenschaft gezogen.

Der internationale Tag der Menschenrechte, der jährlich am 10. Dezember begangen wird, bietet einen Anlass, die Hintergründe und die mangelnde strafrechtliche Verfolgung der Gewaltverbrechen zu beleuchten. Dieser Tag bildet gleichzeitig den Abschluss der in jedem Jahr durchgeführten internationalen Kampagne "16 Tage gegen Gewalt gegen Frauen". Deren Auftakt ist immer am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Politische Aktivistinnen in Südafrika nutzen diese Jahrestage und die Anti-Gewalt-Kampagne, um die Apartheidverbrechen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.


Gewalt und Schweigen

Während der Apartheid (1948-1994) zählten Repression, Zwangsumsiedlungen, Ausbeutung, Rechtlosigkeit, Demütigungen und Polizeiwillkür zu den Machtinstrumenten der weißen Minderheitenregierung. Systematisch setzten staatliche Sicherheitskräfte sexuelle Gewalt als Foltermethode gegen schwarze politische Aktivistinnen und Partnerinnen politischer Aktivisten ein. Auch Gruppenvergewaltigungen zählten zu den Verhörmethoden. Hierdurch sollten nicht nur die Frauen, sondern auch deren männliche Angehörige oder Partner gedemütigt und in ihrem männlichen Selbstbild angegriffen werden. Die weißen Polizisten führten ihnen vor, dass sie nicht in der Lage waren, ihre weiblichen Angehörigen zu beschützen.

Obwohl es sich also eindeutig um politisch motivierte Gewaltakte handelte, beantragte kein einziger weißer Sicherheitspolizist vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission Amnestie für die Vergewaltigungen. Diese 1996 eingesetzte Kommission sollte schwere Menschenrechtsverletzungen aufarbeiten, die während der Apartheid begangen worden waren. Täter konnten um individuelle Amnestie bitten, dafür mussten sie ihre Kenntnisse über die Verbrechen und deren politische Hintergründe offen legen. Ein Schuldeingeständnis oder eine Entschuldigung bei den Opfern wurde nicht verlangt. Etliche Täter bekannten sich zwar zu Morden, zahllose verschwiegen jedoch ihre Verantwortung für sexuelle Folterungen. Sie ignorierten und bagatellisierten ihre oft kollektiv ausgeübten Vergewaltigungen, die zur gängigen Verhörpraxis im Sicherheitsapparat zählten. Damit blieb die systematische Anwendung sexualisierter Gewalt aus den öffentlichen Diskussionen über die Apartheidverbrechen weitgehend ausgeschlossen.


Enges Geschlechterkonzept der Kommission

Die meisten Gewaltopfer wagten es nicht, über die erlittenen Gräuel zu sprechen. Sie fürchteten, noch im Nachhinein sozial ausgegrenzt zu werden. Das konnten auch die wenigen Spezialanhörungen für Frauen nicht ändern, die die Wahrheits- und Versöhnungskommission auf Druck von Frauenrechtsexpertinnen anberaumte.

Das eng gesteckte Geschlechterkonzept dieser Kommission sprach Frauen vor allem als Mütter an, die sich für ihre ermordeten Söhne oder Ehemänner einsetzten. Manche Frauen nahmen den von einzelnen Kommissionsmitgliedern auf sie ausgeübten moralischen Druck, während öffentlicher Anhörungen den Killern ihrer Angehörigen großherzig zu verzeihen, als unerträgliche Zumutung wahr. Umso mehr, weil die Kommission dies als Beitrag zur nationalen Versöhnung zelebrierte. Frauen, die sich nach wie vor als politische Aktivistinnen verstanden, fanden bei den öffentlichen Anhörungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission kaum Gehör. Das betraf vor allem Frauen, die betonten, sie seien wegen ihrer politischen Arbeit vergewaltigt worden. Die wenigen Frauen, die den Mut aufbrachten, über Vergewaltigungen zu sprechen, wurden von den Medien vorgeführt. Die voyeuristische Berichterstattung sexistischer Journalisten raubte ihnen erneut ihre Würde.


Keine Schlussstriche

Mit dem offiziellen Abschlussbericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission ist die Vergangenheit für die Mehrzahl der Apartheidüberlebenden und die Angehörigen der Ermordeten keineswegs bewältigt. Umso wichtiger ist der Austausch in den bereits 1995 gegründeten Khulumani Support Groups. Anfänglich informierten diese Gruppen über die Wahrheits- und Versöhnungskommission, nach deren Ende 1998 versteht sich Khulumani als Interessenvertretung der Überlebenden. In den vielen hundert lokalen Khulumani-Gruppen treffen sich Gleichgesinnte. Hier finden sie emotionalen Rückhalt und bestärken sich gegenseitig darin, weiterhin für Gerechtigkeit einzutreten. Sie sprechen über die erlittene Gewalt und halten die Erinnerung an die mutigen politischen Kämpfe gegen das rassistische Unrechtsregime wach. Oft unterstützen sie sich beim mühsamen Weg durch die staatliche Bürokratie, beispielsweise bei Anträgen auf Invalidenrenten. Dennoch reichen die wenigen staatlichen Gelder keineswegs, weil die meisten medizinischen Leistungen direkt bezahlt werden müssen. So können Frauen, die seit Jahren wegen nicht behandelter Verwundungen durch Polizeikugeln und Folterungen gesundheitlich beeinträchtigt sind, sich noch immer nicht behandeln lassen. Anerkannte Apartheidopfer sollten Entschädigungszahlungen erhalten, so die Vorgabe der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Doch sie wurden mit geringen einmaligen Abschlagszahlungen abgespeist, von denen sogar ein Teil bei korrupten Bankmitarbeitern versickerte.

Trotz alledem setzen sich viele Khulumani-Mitglieder unermüdlich mit großem Engagement für die nationale Versöhnung ein und verlangen von der Regierung, ihre Verpflichtungen einzuhalten. Sie leisteten rechtspolitische Lobbyarbeit gegen wiederholt vorgebrachte Pläne des Präsidenten Thabo Mbeki (1999-2008), der mit neuen Amnestieregeln bekannten Apartheidverbrechern Straffreiheit gewähren wollte.

Seit 2002 versucht Khulumani gegen internationale Konzerne und Banken, die von Geschäften mit dem Apartheidregime profitierten, juristisch vorzugehen. Sie sollen Entschädigungen zahlen. Die Mbeki-Regierung warf Khulumani vor, unpatriotisch zu sein. Sie befürchtete, solche Entschädigungsforderungen und eine angestrebte Klage würden dem Wirtschaftsstandort Südafrika schaden.

Am 1. September 2009 nahm die seit Mai 2009 amtierende Regierung unter Jacob Zuma die Vorbehalte gegen eine Klage zurück. Nun ist der Weg frei für einen Prozess gegen internationale Konzerne und Banken. Gerade bei den Banken ist die südafrikanische Regierung noch immer hoch verschuldet. Im Unterschied zum Irak wurden der ersten demokratischen Regierung am Kap keine Schulden erlassen. Diese finanzielle Bürde belastet den südafrikanischen Staatshaushalt bis heute. Umso mutiger ist der Kampf der Khulumani-Mitglieder gegen die Apartheid-Profiteure, wodurch sie auch gesellschaftliche Anerkennung und ihre Würde wiederzuerlangen versuchen. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass die Verbindungen zwischen den Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene nicht in Vergessenheit geraten.


Zur Autorin:

Rita Schäfer ist Autorin mehrerer Bücher, z. B. "Im Schatten der Apartheid" (2008) und "Frauen und Kriege in Afrika" (2008). Sie ist Lehrbeauftragte an der Universität Marburg.


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 110, 4/2009, S. 30-31
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Senseng 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2010