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AFRIKA/808: Niger - Der Wüstenmarsch zur Datteloase (welt der frau)


welt der frau 5/2010 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Frauen allein unterwegs
Der Wüstenmarsch zur Datteloase

Von Michaela Herzog


Bei dem afrikanischen Nomadenvolk der Toubou in Niger haben gewöhnlich die Männer das Sagen. Doch einmal im Jahr ziehen ihre Frauen alleine durch die Sahara zu den Oasen, um Datteln zu ernten und mit dem Verkauf das Jahreseinkommen einer Familie zu erwirtschaften. Und um monatelang in der Weite der Wüste der Enge ihres Alltags zu entkommen.


Vollgepackt stehen die Kamele zum Abmarsch bereit. Die Nomadenfrauen, die ihr Nachtlager ganz nah an einem Brunnen aufgeschlagen hatten, rollen ihre Zelte ein. Die Kinder treiben die Ziegen zusammen.

Die siebenköpfige Frauengruppe wird von der Nomadin Domagali angeführt. Wie alt sie ist, weiß niemand genau. Doch sie ist die Erfahrenste von allen. Der Wind, Steine und die Struktur des Wüstensandes geben ihr Auskunft, in welchem Teil der Wüste Sahara sich die Karawane befindet. So wie viele Frauen vom Stamm der Toubou vor ihr ist Domagali schon als kleines Mädchen mit der Frauenkarawane in die Oase Bilma in den Norden von Niger gezogen, um in den Hainen Datteln zu ernten.

Domagali mahnt zum Aufbruch. Ein heißer Tag steht bevor. Über 50 Grad im Schatten. Die Frauen ziehen sich ihre bunten Tücher noch tiefer ins Gesicht. Der Wind brennt bereits jetzt am frühen Morgen auf der Haut. Der Tross setzt sich in Bewegung. Bis Sonnenuntergang werden die groß gewachsenen, zartgliedrigen Frauen entlang der endlos scheinenden Sanddünen marschieren, schweigend, mit schnellen Schritten. Jede von ihnen ist mit einem Dolch bewaffnet. Doch Angst haben sie keine. Weder vor Sandstürmen, Skorpionen, Schlangen noch vor der Geburt eines Kindes. "Wir gehen immer ohne Männer", sagt die 27-jährige, geschiedene Amina selbstbewusst.


Kamel als Mass aller Dinge

Innerhalb der Frauenkarawane gibt es keine Hierarchie. Gemeinsam entscheiden die Frauen, wo sie Rast machen oder wie lange sie ihr Lager neben einer Quelle aufgeschlagen lassen. Das steht im Gegensatz zur Gesellschaft des afrikanischen Nomadenstammes der Toubou, in der die Männer über das Leben von Frauen, Kindern und Tieren am Rande der heißesten Wüste der Welt bestimmen. Als Ernährer der Familie, der auch mehrere Frauen gleichzeitig haben kann, ist der Mann für die Kamelzucht zuständig. Der Reichtum einer Familie, der Preis einer Braut, die Sühne für eine Straftat..., alles wird in Kamelen gemessen und gezählt. Laut Toubou-Gesetzbuch ist das Leben eines Mannes 100 Kamele wert, das einer Frau 50 Kamele.

Bis zur Heirat und Geburt des ersten Kindes verfügt ein Mädchen über keinen sozialen Status. Den bekommt sie erst, wenn sie mit einem Mann verheiratet wird, den die Eltern für sie ausgehandelt haben. So wie bei Mariama. Als einzige Tochter musste sie die Schule abbrechen, weil eine Arbeitskraft für die Hausarbeit der Familie fehlte. Im Alter von 16 Jahren wurde sie verheiratet. Im Gegensatz zu Amina, die gegen ihr Schicksal rebelliert und nach jahrelangem Kampf die Scheidung von ihrem brutalen Ehemann erreicht hat, musste die heute 22-jährige Mariama den Ehemann um Erlaubnis fragen, vier Monate mit der Karawane mitziehen zu dürfen. Aus wirtschaftlichem Interesse lassen die meisten Männer ihre Frauen und die kleinen Kinder einmal im Jahr gehen. Garantiert doch der Erlös aus dem Verkauf der Datteln das Überleben einer Familie für ein ganzes Jahr. Und kein Mann ist dann mehr gezwungen, ein Kamel zu verkaufen.


Der Dattelhandel ist Frauensache

Nach einem 20 Tage dauernden, für Mensch und Tier kräfteraubenden Fußmarsch erreicht die Karawane Mitte August die Oase Bilma.

Domagali, Amina und Mariama können jene Anzahl von Dattelpalmen abernten, die ihnen durch Erbschaft oder Familienbande zustehen. Besitzlose Frauen stellen ihre Arbeitskraft zum Einsammeln und Sortieren der reifen Früchte zur Verfügung. Dafür bekommen sie ein Drittel der Ernte "ausbezahlt". Es dauert circa einen Monat, bis die von der Sonne getrockneten Früchte in Jutesäcke verpackt und auf wohlgenährte Kamele verladen werden können, die ein Bote während der Dattelernte nach Bilma gebracht hat. Amina und Mariama genießen das abwechslungsreiche Leben in der Oase, wo fast jeden Abend ausgelassen getanzt wird. Bis die Karawanenführerin Domagali zum Aufbruch drängt. Vor den Frauen liegt der Fußmarsch durch die Wüste mit schwer beladenen Kamelen, zurück in den Süden des Landes, wo keine Datteln wachsen. Auf den Märkten in der Stadt Nguigmi werden sie einen guten Preis für die Datteln aushandeln, Hirse, Seife, Zucker, Tee und Schuhe kaufen, bevor sie wieder zu ihren Ehemännern und in die Familie zurückkehren.


DREI TOUBOU-FRAUEN, DIE DURCH DIE WÜSTE ZIEHEN

Amina Ahmed träumt von einem Leben in der Stadt. Mit 15 Jahren war sie mit einem alten, sehr brutalen Mann zwangsverheiratet worden. Sechs Jahre lang hat sie dagegen rebelliert, war geflüchtet, doch sie wurde immer wieder gefunden und gewaltsam zurückgebracht. Bis ihre Großmutter die Scheidung beantragt hat.

Mariama Dadi will wieder in die Schule gehen und lernen. Vor allem Französisch, die Amtssprache in Niger, der ehemaligen französischen Kolonie. Da der Ehemann nach nur sechsjähriger Ehe überraschend verstorben ist, steht der 22-jährigen Nomadenfrau nun mit dem selbst verdienten Geld der Weg offen.

Domagali Issouf, Witwe und Mutter von fünf Töchtern, hat sich immer an die Gebräuche der Toubou gehalten. Eigentlich hätte sie den Bruder des verstorbenen Mannes geheiratet, um als Witwe im Schutz der Familie zu bleiben. Doch der hatte keinen. Ob sie mit der Karawane ziehen will, entscheidet sie selbst.


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"Sie akzeptieren, was das Leben bringt"

Die belgische Regisseurin Nathalie Borgers hat für ihren Film "Die Frauenkarawane" Toubou-Frauen acht Wochen lang mit der Kamera durch die Wüste in Niger begleitet.


WDF: Wie schaffen es Frauen, in einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft eine gewisse Unabhängigkeit zu leben?

NATHALIE BORGERS: In einem Leben, das geprägt ist von Dürre, Tod, Geburt und Patriarchat, gelten die Frauen der Toubou als rebellisch und stolz, obwohl sie kein Gesetz dabei unterstützt. Die Männer behandeln sie ähnlich hart wie ihre störrischen Kamele. Zugleich brauchen sie aber die Frauen im Interesse der Familie. Was die Frau bei der Dattelkarawane verdient, kann sie nach Belieben ausgeben, es kommt aber immer der Familie zugute. Der beschwerliche Marsch durch die Wüste bedeutet für jede von ihnen Freiraum, Unabhängigkeit und ein Entkommen aus dem Alltag.

WDF: Wie ist eine Scheidung für Frauen möglich, wenn Männer das Sagen haben?

NATHALIE BORGERS: Für Frauen ist es sehr kompliziert, diese zu erreichen. Ist sie aber ausgesprochen, wird sie innerhalb einer Familie gefeiert wie eine Hochzeit. Es wird gegessen, gelacht, gesungen, weil die Frau die Freiheit gewonnen hat. Sie kann nun zurück in die eigene Familie oder alleine in einem Zelt leben.

WDF: Seit wann gibt es diese Frauenkarawanen in Niger?

NATHALIE BORGERS: "Immer schon", haben mir die Toubou-Frauen zur Antwort gegeben. Diese Form des Handels ist aber weltweit einzigartig.


FILMTIPP:
Unter www.frauenkarawane.at besteht neben detailreichem Unterrichtsmaterial zum Downloaden die Möglichkeit für Schulen, eine Kopie des Films "Die Frauenkarawane" von Nathalie Borgers zu entlehnen.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Mai 2010, Seite 52-55
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2010