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AFRIKA/813: Im Angesicht der Fußball-WM 2010 (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 112, 2/10

Im Angesicht der Fußball-WM 2010
Der Kampf für ein faires Spiel ist noch nicht vorbei

Von Jenni Jerabek


Die WM 2010 in Südafrika rückt näher und marginalisierte Bevölkerungsschichten kämpfen weiter für ihre Rechte, denn im Zuge der Modernisierung der Gastgeberstädte werden sie noch weiter an die Peripherie gedrängt. Zwangsumsiedlungen und das Entziehen der Existenzgrundlage sind Probleme, von denen besonders Frauen betroffen sind. StreetNet, eine internationale Organisation von und für StraßenhändlerInnen, fordert seit 2007 in einer Kampagne "Inklusive Weltklassestädte" für alle.

Im März veröffentlichte die Koordinatorin von StreetNet international, Pat Horn, eine Pressemeldung, in der sie erneut auf die Probleme für arme und marginalisierte Gemeinschaften in Südafrika aufmerksam machte. Die Kampagne "World Class Cities for All" (WCCA) wird von verschiedenen Partnerorganisationen getragen, die Straßen- und MarkthändlerInnen, Obdachlose, SlumbewohnerInnen, Straßenkinder, SexarbeiterInnen u. a. repräsentieren. Sie alle verlangen mit dieser Kampagne seit 2007 eine Miteinbeziehung der urbanen Armutsgesellschaft in die Planung der WM 2010 und der sogenannten modernen Weltklassestädte, indem neben den Gastgebergemeinden auch das lokale FIFA-Komitee angesprochen wurde. "Weltklassestadt" bedeutet im herkömmlichen Zusammenhang eine Stadt, die durch Sauberkeit und offene, weite Plätze besticht, keinerlei für die BesucherInnen sichtbare, das Erlebnis störende Armut aufweist, sich also ideal für internationale Events eignet und ein Image des Gastgeberlandes zeichnet, das potentiell Investoren anzieht. Bis heute haben von den Gastgeberstädten alle einer Kooperation mit den Organisationen der WCCA-Kampagne zugestimmt, bis auf zwei - Tswane und Durban.


Hohe Erwartungen an die WM 2010

Nicht nur in Südafrika, sondern im ganzen südlichen Afrika sind die Erwartungen der Bevölkerung an die WM 2010 sehr hoch. Mann und Frau versprechen sich finanziellen Profit und Gewinn durch Arbeitsmöglichkeiten, Tourismus und Handel. SchülerInnen hoffen, in ihren verlängerten Schulferien mit Nebenjobs Geld zu verdienen, in Malawi wird Marketing betrieben, um die BesucherInnen der WM an den Lake Malawi zu locken. Auch in Namibia und Mosambik hofft man, möglichst viele Fussballfans als TouristInnen anziehen zu können. Diese Erwartungen werden, wie Pat Horn im Interview mit der Frauensolidarität im Herbst 2009 konstatierte, ziemlich sicher enttäuscht werden. So wie dies KleinunternehmerInnen aus Südafrika spüren durften, als bereits vor Beginn der offiziellen Verhandlungen mit der FIFA klar war, dass nicht sie, sondern internationale Großkonzerne Verträge mit ebendieser abschließen würden und der finanzielle Gewinn der WM 2010 somit fest in transnationaler, kapitalistischer Hand bleiben würde.

Ein weiteres Problem stellt die Unbedachtsamkeit der lokalen GemeinderätInnen dar. Auch wenn die Finanzkrise zum Großteil überwunden wurde, so ist die Arbeits- und Wirtschaftskrise noch nicht vorbei. Dies scheinen besonders die Gastgebergemeinden in Südafrika zu ignorieren, wenn sie Modernisierungsmaßnahmen setzen, um ausländische Investitionen anzuziehen, welche dazu führen, dass marginalisierte Gemeinden zwangsumgesiedelt werden und so ihre Existenzgrundlage verlieren. Gleichzeitig handeln sie gegen den Beschäftigungsentwicklungsplan der südafrikanischen Regierung, welcher vorsieht, dass bestehende Beschäftigungsverhältnisse nicht aufgelöst werden dürfen.


Der Fall des King Zwelithini Stadion in Umlazi

Im Sommer 2009 wurden die BewohnerInnen rund um das King Zwelithini Stadion in Umlazi zwangsumgesiedelt. Das im Süden von Durban gelegene Stadion sollte im Rahmen der WM 2010 vergrößert werden, damit es als potentielles Trainingsgelände für in Durban spielende Mannschaften verwendet werden könnte. Da die Hotels der Spieler von der FIFA nun im Norden Durbans ausgewählt wurden, wurde die Distanz zum Hindernis. Die GemeinderätInnen haben den Entschluss der Zwangsumsiedlungen zu früh getroffen. Die Häuser der ehemals dort lebenden Gemeinde sind längst dem Erdboden gleichgemacht, sie lebt jetzt vier Kilometer entfernt in einem toxischen Gebiet, in Baracken ohne Strom- oder Wasserversorgung und ohne Infrastruktur, wo weder Schule noch Einkaufsmöglichkeiten, Spital oder Notfallversorgung existieren, da das Land vergiftet ist. Und dort, wo ehemals die Steinhäuser der umgesiedelten Bewohnerinnen standen, wird ein Parkplatz gebaut, um das für die WM nun eigentlich nutzlose Stadionprojekt als offizielle Public Viewing-Zone zu nutzen.


StraßenhändlerInnen von Profiten ausgeschlossen

Der Early Morning-Markt im Warwick Bezirk konnte vor ungerechten Modernisierungsmaßnahmen zugunsten eines modernen Einkaufszentrums - auch dank internationaler Proteste - gerettet werden. Er ist die Lebensgrundlage von ca. 10.000 StraßenhändlerInnen, zumeist Frauen. In Kapstadt jedoch werden StraßenhändlerInnen mit dem Aufbau eines Fan-Parks im Zentrum der Stadt aus dem wirtschaftlichen Treiben während der WM ausgeschlossen. Die WCCA-Kampagne hat bereits gegen die Vertreibung der StraßenhändlerInnen appelliert, jedoch noch keine Reaktion erhalten. Problematisch ist hierbei die unterschiedliche Sichtweise der FIFA und ihrer PartnerInnen sowie der Organisationen, welche in der WCCA-Kampagne partizipieren. Was wollen Touristinnen sehen, wenn sie nach Südafrika reisen? Die eine Seite möchte anhand von Weltklassestädten eine vereinheitlichte globalisierte Welt repräsentiert wissen. Die andere sieht in der WM 2010 auch die Möglichkeit, dass sich Kulturen näher kommen können, indem die TouristInnen traditionelle Märkte besuchen, lokale Musik hören und die afrikanische Straßenkultur und lokales Essen kennen lernen.


Fair Play auch außerhalb der Stadien

Die oben angeführten Beispiele zeigen deutlich auf, dass das Fair Play der FIFA die armen Bevölkerungsgruppen nicht erreicht hat. Die WCCA-Kampagne hat noch kurz vor dem Auftaktspiel der WM 2010 alle Hände voll zu tun, um die Rechte verschiedener betroffener Gemeinden und besonders der Frauen, welche im informellen Bereich arbeiten, aufzuzeigen und umzusetzen. Wenn Frauen durch Verlust ihrer Arbeit die Existenzgrundlage entzogen wird, so leiden viele Familien darunter. "Inklusive Weltklassestädte", in denen jede Bevölkerungsschicht ein demokratisches Mitspracherecht besitzt, sind notwendig, damit eine nachhaltige soziale Welt entstehen kann, in der Ungleichheiten bekämpft und nicht verstärkt werden.


Webtipps:
StreetNet: www.streetnet.org.za
World Class Cities for All-Kampagne:
www.streetnet.org.za/WCCAcampaignnews.htm

Hörtipp:
"Nothing for us - without us" - StraßenhändlerInnen in Südafrika kämpfen mit StreetNet gegen Vertreibungen vor und während der WM": Pat Horn im Interview mit der Frauensolidarität (vom 26. Jänner 2010):
www.noso.at


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 112, 2/2010, S. 6-7
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2010