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AFRIKA/884: Namibia - "Die Swapo hat ihre Ideale verloren" (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Juli / August 2010

"Die Swapo hat ihre Ideale verloren"

Interview mit Anton von Wietersheim


Es werde zwar weiterhin mit den gleichen Schlagworten und Parolen geworben, doch von den früheren Idealen der namibischen Regierungspartei Swapo sei nichts mehr zu sehen, sagt Anton von Wietersheim im Gespräch mit Henning Hintze. Von Wietersheim war Parlamentarier der Swapo in der ersten Legislaturperiode und Minister im ersten Kabinett von Sam Nujoma. Er wurde von Nujoma entlassen, weil er einen Korruptionsfall in seinem Ministerium nicht auf sich beruhen lassen wollte. Bei den letzten Wahlen 2009 kandidierte er für die neue "Rally for Democracy and Progress" (RDP) und schaffte den Sprung ins Parlament. Den Sitz im Parlament nahm er wie die anderen RDP-Abgeordneten bisher nicht ein, da sie erst das Urteil über die Wahlanfechtungsklage abwarten.


FRAGE: Vor kurzem wurde in Namibia der 20. Jahrestag der Unabhängigkeit gefeiert. Sie waren damals Swapo-Mitglied und gehörten der Regierung nach 1990 erst als stellvertretender Handelsminister und später als Landwirtschaftsminister an. Sind Sie überwiegend zufrieden mit dem, was Namibia in den ersten 20 Jahren erreicht hat, oder eher enttäuscht?

ANTON VON WIETERSHEIM: Ich bin überwiegend enttäuscht. Natürlich haben wir in vieler Hinsicht auch Fortschritte gemacht, aber im Großen und Ganzen ist der Fortschritt, den wir uns damals versprochen haben, nicht eingetreten. Die Hauptproblempunkte sind der Bildungssektor, was ernste Folgen für die Arbeitslosigkeit hat, die jetzt gerade auf über 50 Prozent beziffert wurde. Große Probleme gibt es auch im Gesundheitssektor. Er ist zwar, was die Flächendeckung betrifft, sehr gewachsen, aber entsetzlich zurückgegangen, was die Qualität angeht.

FRAGE: Extrem ungleich ist die Verteilung der Einkommen in Namibia, und das hat unter der Swapo offenbar noch zu genommen.

ANTON VON WIETERSHEIM: Als Namibia unabhängig wurde, war die Einkommensverteilung zwischen schwarz und weiß natürlich sehr, sehr unterschiedlich, aber die Schere ist nach der Unabhängigkeit unter einer schwarzen Regierung noch weiter auseinander gegangen. Inzwischen ist es nicht mehr die Schere zwischen Schwarz und Weiß, sondern zwischen der schwarzen und weißen Elite sowie der stets ärmer werdenden Masse der Bevölkerung. Hinzu kommt eine große Fehlverwendung der Mittel - Millionen werden für Dinge ausgegeben, die der ärmsten Bevölkerung in keiner Weise zugute kommen.

FRAGE: Zum Beispiel?

ANTON VON WIETERSHEIM: Zum Beispiel das aufwändige Heldendenkmal bei Windhoek und der neue Amtssitz des Staatspräsidenten. Und die Regierungspartei hat im Haushalt einen Millionenbetrag für einen Bürokomplex für den ersten, inzwischen Ex-Präsidenten Namibias vorgesehen, der ja bestimmt nicht eine Funktion hat, die ein millionenschweres Projekt - man redet von 40 Millionen Namibia-Dollar - verdient. Und dann, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, eine Verteilung des Reichtums an die Favoriten und die Familien des ersten Präsidenten Sam Nujoma.

FRAGE: Hat sich die Swapo von ihren früheren Prinzipien gelöst?

ANTON VON WIETERSHEIM: Ja, die einstigen Prinzipien und Ideale der Regierungspartei sind völlig verloren gegangen. Es wird zwar noch mit den gleichen Schlagworten und Parolen geworben und bei jedem Wahlkampf werden dieselben Ziele bemüht, aber wenn man die Wirklichkeit betrachtet, kann man nichts mehr von diesen früheren Idealen sehen.

FRAGE: Sie persönlich sind bei den jüngsten Parlamentswahlen ins Parlament gewählt worden, doch keiner der Abgeordneten der RDP hat bisher sein Mandat angenommen. Bedeutet das nicht eine Missachtung des Wählerwillens?

ANTON VON WIETERSHEIM: Wir haben gleich nach der Wahl die Wahlergebnisse angezweifelt. Wir haben durch einen Gerichtsbeschluss die Möglichkeit bekommen, die Wahlunterlagen einzusehen, und als Folge dieser Sichtung haben wir Klage gegen die Wahlergebnisse eingereicht. Es war ganz offensichtlich, dass eine ganz schwere Missachtung der wahren Ergebnisse stattgefunden hat. Wir haben uns Ende März nicht der Vereidigung angeschlossen, weil wir die Ergebnisse so lange nicht akzeptieren, bis sie vom Gericht bestätigt wurden. Sobald das Urteil vorliegt, werden wir die Situation neu überdenken.

FRAGE: Welche Beispiele für Verletzungen der Wahlgesetze gibt es?

ANTON VON WIETERSHEIM: In den Büchern mit den Wahlzetteln wird beispielsweise auf einem Gegenblatt die Wählerregistrierungsnummer eingetragen. Da die Wahlzettel nicht nummeriert sind, ist der Wahlzettel nicht identifizierbar, aber auf dem Gegenblatt sieht man, dass die Stimme abgegeben wurde. Es gibt hunderte von Wahlbüchern, in denen keine Wählerregistrierung vermerkt ist, d.h. die Wahlzettel sind verbraucht worden, ohne dass es Wähler dafür gab. In einigen Wahlbezirken gab es eine Wahlbeteiligung bis über 170 Prozent, da ist es einfach unvorstellbar, dass das echte Zahlen sind. Auffällig ist auch, dass wir kurz vor der Wahl schon 390.000 Mitglieder hatten, aber dann angeblich nur 90.000 Stimmen bekommen haben sollen.

FRAGE: Sie haben sich vor einiger Zeit der neuen Partei RDP (Rally for Democracy and Progress) des früheren Außenministers Hamutenya angeschlossen, für welches Programm steht diese Partei?

ANTON VON WIETERSHEIM: Unsere Partei steht für Demokratie und Fortschritt, beides Dinge, die, wie wir meinen, im Moment nicht auf Namibia zutreffen. Die Demokratie ist durch die übermäßige Mehrheit der Regierung gefährdet, und Fortschritt hat es in den letzten Jahren kaum noch gegeben. Die RDP ist zum großen Teil aus ehemaligen Swapo-Politikern entstanden, und vieles in unseren Programmen entspricht den ursprünglichen Idealen und Vorstellungen der Swapo. Ich würde unser Programm am ehesten sozialdemokratisch nennen.

FRAGE: Der Führer der RDP, der ehemalige Außenminister Hidipo Hamutenya, war jahrzehntelang Mitglied des Swapo-Zentralkomitees, er ist also letztlich mitverantwortlich für die Entwicklung der Regierungspartei. Belastet das nicht die Glaubwürdigkeit der RDP?

ANTON VON WIETERSHEIM: Nachdem Staatspräsident Nujoma seine drei Amtszeiten hinter sich hatte, hat sich bei der Entscheidung über einen Nachfolgekandidaten Nujomas deutlich gezeigt, dass Hamutenya mit der damaligen Entwicklung nicht zufrieden war. Die Swapo hat Nujoma während seiner drei Amtszeiten walten lassen, aber es gab schon viele Jahre vorher innerhalb der Partei Stimmen gegen die Art und Weise, wie Nujoma damals die Geschicke des Landes gelenkt hat, und als dann der Moment kam, wo er dann wirklich sein Amt abgab, war Hamutenya ja einer der Kandidaten für die Präsidentschaft, und er wurde dann mit großem Aufwand seitens Nujomas und seiner Unterstützer daran gehindert, dieses Amt zu erreichen.

FRAGE: Staatspräsident Pohamba hat kürzlich seine zweite fünfjährige Amtszeit begonnen. Wie beurteilen Sie seine erste?

ANTON VON WIETERSHEIM: Ich war nach seinem Amtsantritt beeindruckt von der Art und Weise, wie er Dinge angepackt hat, vor allem die Korruptionsbekämpfung. Ich wurde dann allerdings sehr enttäuscht, als sich zeigte, dass er gegen das Erbe Nujomas, das noch in vielen Köpfen vorhanden ist, und gegen die Unterstützer Nujomas, die überall noch im Amt sind, nicht ankommt.

FRAGE: Ist die häufig zu hörende Einschätzung richtig, dass der Beamtenapparat von Kräften dominiert wird, die dem Ex-Präsidenten gegenüber loyaler als dem jetzigen sind?

ANTON VON WIETERSHEIM: Nicht nur der Beamtenapparat, in den höheren Beamtenstellen gibt es solche Leute, aber es handelt sich auch um all die Posten in den halbstaatlichen Institutionen, es handelt sich um Wirtschaftsimperien, die aufgebaut wurden mit Nujoma-Unterstützern, und diese Leute sind es, die den Präsidenten eigentlich in Schach halten.


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Wahlanfechtungsklage

Das jetzige Parlament in Namibia wurde am 27. und 28. November 2009 gewählt. Das amtliche Wahlergebnis wurde am 4. Dezember bekannt gegeben.

Neun Parteien - acht von ihnen hatten den Sprung ins Parlament geschafft - erkannten das Wahlergebnis wegen verschiedener Unregelmäßigkeiten und Ungereimtheiten nicht an. Sie reichten am 4. Januar 2010 Klage beim Obersten Gericht in Windhoek ein. Eine solche Klage muss bis spätestens 30 Tage nach Bekanntgabe der Ergebnisse beim Gericht eingehen.

Am 5. März 2010 wies das Oberste Gericht in Windhoek die Klage aus formalen Gründen zurück. Sie sei erst um 16.30 Uhr eingegangen; der letzte Zeitpunkt sei jedoch 15 Uhr gewesen. Schwerwiegende Gründe für die Verspätung seien nicht angeführt worden. Die Klage könne deshalb nicht vom Gericht behandelt werden, auch wenn das Sekretariat sie noch ordnungsgemäß angenommen habe.

Die Kläger haben daraufhin am 8. März beim Obersten Gericht in Windhoek Revision eingereicht. Sie verwiesen darauf, dass Bürostunden im Wahlgesetz nicht erwähnt werden, insofern sei die 30-Tage-Frist erst um Mitternacht des 4. Januar abgelaufen.

Das Oberste Gericht hat die Beweisführung am 1. Juni abgeschlossen. Ein Urteil steht bis heute (20. August) aus.

Drei im Parlament vertretene Oppositionsparteien, Democratic Turnhalle Alliance (DTA), Rally for Democracy and Progress (RDP) und Republikanische Partei (RP), haben sich wegen der schwebenden Wahlklage nicht vereidigen lassen und erklärt, ihre Sitze solange nicht einzunehmen und die Parlamentssitzungen zu boykottieren, bis das Oberste Gericht über die Berufung entschieden hat.

Die DTA kehrte jedoch am 29. Juni mit ihren beiden Abgeordneten ins Parlament zurück. Für die Partei sei der Zeitpunkt gekommen, "das zu tun, wofür wir gewählt wurden, nämlich die Interessen unserer Wählerinnen und Wähler im Parlament zu vertreten", erklärte der DTA-Generalssekretär. Die beiden anderen Parteien waren nicht zu dem Beschluss konsultiert worden. Sie halten den Boykott weiterhin aufrecht.


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Nord-Süd-Infos, Rezensionen


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 3, Juli / August 2010, S. 23 - 24
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2010