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AFRIKA/922: Die große Kehrtwende - kritische Reflexion über die Entwicklung Mosambiks (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 4, September/Oktober 2010

Die große Kehrtwende
Eine kritische Reflexion über die Entwicklung Mosambiks

Von John S. Saul


Anders als in den Anfangsjahren der Unabhängigkeit Mosambiks ist die Kluft zwischen der armen Bevölkerung und der reichen Elite der herrschenden Frelimo in jüngster Zeit stark gewachsen. Die Geber, die Mosambik immer noch als Entwicklungsmodell sehen, haben an einer Entwicklung, die ausländische Megaprojekte im Rohstoffsektor fördert, einen starken Anteil. Braucht Mosambik eine starke Bourgeoisie zum Aufbau eines Entwicklungsstaates oder sollte sich das Land auf die Ideale der Befreiung rückbesinnen?


In den 1960er Jahren kam ich in Daressalam zum ersten Mal mit der Frelimo (Frente de Libertação de Moçambique)in Kontakt. Es waren damals schwierige Jahre für die Befreiungsbewegung, die bis Mitte der 1970er Jahre einen bewaffneten Befreiungskampf gegen den portugiesischen Kolonialismus führte. Mosambik wollte sich damals vereinen und von der unversöhnlichen und arroganten Kolonialherrschaft befreien. Und es gelang der Frelimo unter Führung ihres ersten Präsidenten Eduardo Mondlane und nach dessen Ermordung durch die Portugiesen unter seinem Nachfolger Samora Machel tatsächlich, das Land 1975 zum Sieg zu führen. In den befreiten Gebieten in Mosambik errichtete die Frelimo nach dem Vorbild der in Tansania und Sambia gelegenen Basen eine neue soziale Infrastruktur mit landwirtschaftlichen Anbauprodukten, Schulen und Gesundheitsposten. Sie formte zudem ein beeindruckendes Korps von politisch bewussten und disziplinierten Führungskadern.

In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit hatte die Frelimo ein kühnes Experiment sozialistischer Entwicklung gestartet. Ihre Absicht war, ein die ganze Gesellschaft umfassendes Programm einzuführen, mit dem das ökonomische Potenzial des Landes befreit würde, während zur gleichen Zeit die Bedürfnisse der großen Mehrheit der Bevölkerung befriedigt werden sollten. Das Ergebnis? Portugals damalige "Guerilla-Feinde" boten anfänglich "eine klare Alternative zur zynischen Manipulation von Ethnizität und der neo-kolonialen Gefälligkeit für kleptrokratische Eliten, die zunehmend die Regierungen in Afrika in den 1970er- und 1980er Jahren definierte", wie es der Norrie MacQueen in "The Decolonization of Portuguese Africa: Metropolitan Revolution and the Dissolution of Empire" (Harlow: Longman, 1997) ausdrückte.

Kurz, "was auch immer ihr Schicksal war, die im lusophonen Afrika nach der Unabhängigkeit an die Macht gekommenen Regierungssysteme waren die wahrscheinlich prinzipientreusten und ehrbarsten, die je auf dem Kontinent angeboten wurden. In dieser Hinsicht sind sie bis heute noch nicht überholt worden und werden es wohl auch nicht."

Das scheint mir gerade für das neue Mosambik in seiner heroischen ersten Dekade der Unabhängigkeit zu gelten. Doch genauso dramatisch ist der Richtungswandel gewesen, der seither in dem Land stattgefunden hat. Nach den Worten von Alice Dinermann ("Frelimo and the Political Economy of Mozambique, 1975-2008", Toronto 2009) sind wir heute Zeugen einer "rapiden Auflösung der mosambikanischen Revolution", mit dem Ergebnis, dass Mosambik, "das einmal ein geradezu unvergleichlicher Pionier dafür war, in Afrika einen sozialistischen Pfad einzuschlagen,... sich heute eines gleichermaßen außergewöhnlichen, wenn auch dialektisch entgegengesetzten, Status erfreut: Das Land gilt heute in den Augen von IWF und Weltbank als Flaggschiff neoliberaler Prinzipien." Mehr noch, es war, wie Dinerman schließt, "vorhersehbar, dass viele der führenden Regierungs- und Parteifunktionäre zu den ersten Nutznießern der neuen politischen und ökonomischen Ordnung gehören. Diejenigen, die enthusiastisch versprochen hatten, dass sich Mosambik in einen Friedhof des Kapitalismus verwandeln würde, sind heute die lautesten Befürworter und begierigsten Akkumulatoren der jüngsten ungebremsten Wiederauferstehung des Kapitalismus."

Es gibt eine Reihe von möglichen Erklärungen für solch ein Ergebnis. Über ihr Gewicht und ihre Bedeutung haben sich die Kommentatoren in endlosen Debatten den Kopf zerbrochen. Ganz bestimmt war das koloniale Erbe für Mosambik äußerst gering, was sich in einer Schwäche wie dem Mangel an ausgebildetem einheimischen Personal und einer ökonomischen Abhängigkeit widerspiegelte, die dazu führte, dass das Land dem globalen Diktat trotz allen Widerstands dagegen untergeordnet wurde. Dann gab es den anhaltenden regionalen Krieg, der Mosambik zur Zielscheibe vernichtender Angriffe durch die weißen Minderheitenregime in Rhodesien und Südafrika und langwieriger Terrorkampagnen machte. Letztere wurden kaltschnäuzig und vernichtend durch die konterrevolutionäre Renamo geführt, der von diesen Ländern gesponserten Terrorabteilung. Und schließlich gab es, trotz der gut gemeinten Absichten der Frelimo, die eigenen Sünden der Bewegung nach der Machtübernahme, Sünden von vanguardistischer Selbstherrlichkeit und Ungeduld und von einer Übersimplifizierung sozialer Zusammenhänge und Herausforderungen. Diese letztere Schwäche schuf ihre eigenen Hindernisse, die den künftigen Fortschritt zusätzlich im Wege standen.

Die Folgen sahen in der Tat düster aus. Mosambik erlebte eine extrem schnell wachsende und sich dramatische ausbreitende Korruption, die zu Beginn der Unabhängigkeit noch nahezu unbekannt war, und eine geradezu fieberhafte "Jagd nach persönlichem Profit, welche die Legitimität der Frelimo-Parteiführer, die von den am Markt orientierten Gelegenheiten wie Privatisierungen profitiert hatten, um sich selbst zu bereichern", stark beeinträchtigt hatte, so Gretchen Bauer und Scott D. Taylor ("Politics in Southern Africa: State and Society in Transition", Boulder: Lynne Reiner, 2005). Beide Autoren meinen: "Die Wahl Armando Guebuzas (zum neuen Präsidenten Mosambiks im Jahre 2002), der ein ausgedehntes Geschäftsnetz unterhält und einer der reichsten Männer in Mosambik ist, zeigt, dass die Frelimo kaum etwas anderes versucht, als die globalistische, neoliberale Tagesordnung zu verfolgen - unabhängig von der schreienden Armut, die die Mehrheit ihrer Wählerschaft erdulden muss."

Eine solch düstere Schlussfolgerung scheint vielen Beobachtern bedauerlicherweise allzu treffend zu sein. Doch sie rückt die Hauptaufgabe dieses Artikels deutlich in den Fokus: Wie sieht die gegenwärtige " globalistische, neoliberale Tagesordnung" aus? Welche Aussicht, wenn überhaupt, bietet sie dem Land? Welche konkreten Alternativen gibt es zu ihr? Sich allein mit der historischen Forschung oder der Leichenschau und den vertanen Möglichkeiten zu beschäftigen, dafür ist es zu spät. Wir müssen eher die aktuelle Gegenwart im heutigen Mosambik sorgfältig bewerten und zugleich einen vorsichtigen Blick in die Zukunft wagen - keine leichte Aufgabe, wie wir sehen werden.


Armut trotz Wachstum

Es gibt eine Reihe konkurrierender Paradigmen, die für eine solche Bewertung vorgeschlagen werden. Eine ziemlich einfache Erklärung geht davon aus, dass das gegenwärtige unangefochtene kapitalistische Projekt die Aussicht bietet, dass wieder Nüchternheit einkehrt in Mosambik. So argumentieren etwa die globalen und lokalen Eliten, dass die Frelimo und das von ihr regierte Land schließlich die nutzbringende Logik des globalen Kapitalismus und den mit diesem System verbundenen langsamen, aber doch sicheren Entwicklungszauber anerkannt hätten. Zur Untermauerung dieser Behauptung werden in der Regel bestimmte Daten etwa zum Wachstum herangezogen: So erwähnt zum Beispiel ein Bericht des Internationalen Armutszentrums des UNDP aus dem Jahre 2007 ein beeindruckendes Wachstum von 7,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Doch der Bericht bezeichnet diese Art Wachstumsrate - wie ähnliche Statistiken, die zur Erklärung des sozio-ökonomischen Fortschritts des Landes seit dem Ende des verheerenden Krieges 1992 und der damit verbundenen Einführung noch rasanterer Reformen des "freien Marktes" herangezogen werden - als "allenfalls illusorisch". "Der Großteil des Wachstums bei Einkommen und Konsumption ging an das reichste Fünftel der Bevölkerung, während weniger als zehn Prozent des Wachstums bei den Ärmstes des Landes ankamen", heißt es in dem UNDP-Bericht. Nach dem HDI, dem UN-Index zur Menschlichen Entwicklung, von 2007/2008 rangiert Mosambik immer noch auf Rang 172 von 177 aufgelisteten Staaten.

Zwei miteinander verbundene Dimensionen dieses Wachstums stechen hier hervor. Die erste ist die unausweichliche Tatsache der viel zitierten tiefgreifenden und weit verbreiteten Armut. Selbst wenn manche Wachstumsergebnisse rein mathematisch positiv bewertet werden können, die nationale Dividende für Entwicklung und Armutsreduzierung dieser beeindruckenden Wachstumsrate ist praktisch gleich null. Die Wirklichkeit einer extrem ungleichen Verteilung und ihre Auswirkung auf das Leben der Menschen ist erschreckend. Joseph Hanlon schildert das soziale Chaos, das sowohl auf dem Lande als auch im städtischen Raum "verzweifelte Armut und Hunger" hervorgerufen hat, besonders anschaulich. Er verweist auf die "Panik und die Wut der Armen" als "den verzweifelten Versuch der lokalen Bevölkerung, ein wenig von der Macht wiederzugewinnen - als eine entmachtete Gruppe, die schließlich aufsteht, um ihr eigenes Überleben zu sichern." (J. Hanlon, "Mozambique: The Panic and Rage of the Poor", in Review of African Political Economy 119, March 2009).

Sicherlich, die organisierte Arbeiterklasse hat sich einigen Spielraum erhalten, um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen auszuhandeln und sich mit sonstigen Aktionen besser zu schützen. Gewerkschaften können frei agieren und die Arbeiterschaft hat die freie Wahl, ob sie sich einer Gewerkschaft anschließen will oder nicht. Zentrale Arbeitgeber- und -nehmerverbände haben "konzertierte" Strukturen geschaffen, in denen Fragen gemeinsamen Interesses behandelt werden. Über sie beteiligt man sich an nationalen Politikdebatten über öffentliche Fragen wie die Festlegung von Mindestlöhnen und Änderungen im Arbeitsrecht. Einige Gewerkschaften z.B. des Sicherheitspersonals haben besonders militant agiert und Lohn- wie Arbeitszeitfragen vor Arbeitsgerichte gebracht.

Interessanterweise haben sich in den letzten Jahren weniger die Gewerkschaften als vielmehr die zur Frelimo gehörende Arbeitsministerin Helena Taipo als Verteidigerin von Arbeiterrechten hervorgetan. Gemäß ihrer eigenen Überzeugung, dass es Aufgabe der Regierung sei, für einen Ausgleich und gegenseitigen Respekt unter den Akteuren der Wirtschaft zu sorgen, hat sie verschiedentlich interveniert, wo sie Arbeiterrechte nicht anerkannt sah, etwa bei der Sicherheitsfirma G4S, bei der Aluminiumschmelze Mozal oder bei chinesischen Unternehmen wie auch bei Firmen von Regierungsangehörigen.

Gleichwohl bleibt der Raum für die Herausforderungen der Arbeiter noch stark beschränkt, nicht nur wegen der für das Kapitalinteresse günstigen Strukturfaktoren, sondern auch, weil die Gewerkschaften selbst wenig Sinn für die berechtigten Ansprüche der Arbeiter zu haben scheinen - das in einem Kontext, in dem laut einem erhellenden Zitat von Anne Pitcher jedes offenkundige Zugeständnis an Arbeiter abgewogen werden muss gegen "die Wirklichkeit der wachsenden Arbeitslosigkeit; gegen einen Mindestlohn, der nicht ausreicht, die Bedürfnisse der Menschen zu decken; und gegen unzureichende Bemühungen der Regierung, Aspekte des Arbeitsrechts bezüglich bezahlten Urlaubs, regelmäßiger Auszahlung der Gehälter und der Bestrafung von Arbeitgebern, die die Rechte von Arbeitern verletzen, geltend zu machen." (A. Pitcher, "Forgetting from above and memory from below: strategies of legitimation and struggle in postsocialist Mozambique", in "Rhetorics of Dissidence in the Era of Liberalization", Africa 76, 1 2006)


Rekolonisierung Mosambiks?

Als zweite Dimension wird ein klares Muster der Rekolonisierung des neuen Mosambik durch das globale Kapital offenbar. Die gegenwärtig so übergewichtigen transnationalen Konzerne scheren sich mit ihren "Megaprojekten" nicht um eine Unabhängigkeit, die angeblich "Befreiung" gebracht haben soll. Die mosambikanische Elite selbst hat eifrig auf diese Investitionen gesetzt, um sich lukrative Unterverträge für ihre eigenen Wirtschaftsvorhaben zu sichern. Der Fall Mozal ist eine besonders anschaulicher Beleg für dieses Muster: ein Aluminiumwerk, das laut dem oben erwähnten UNDP-Bericht "ein Symbol für Mosambiks brandaktuelle Wirtschaft" sein soll, "angepriesen als Indikator eines investorenfreundlichen Umfelds, das das Wall Street Journal dazu veranlasst hat, das Land als 'eine afrikanische Erfolgsgeschichte' zu erklären. Die Exporte von Mozal haben Mosambiks Bruttoinlandsprodukt zwischen 3,2 und fünf Prozent vergrößert. Seine Produktion macht fast die Hälfte des Industriewachstums des Landes aus."

Doch: "Trotz dieser offenbaren Vorteile hat das wenig zur Entwicklung des Landes beigetragen. Die anfängliche Investition in das Projekt belief sich auf etwa 40 Prozent des BIP, schuf aber nur rund 1.500 Arbeitsplätze, von denen fast ein Drittel von Ausländern besetzt werden. Die Schmelze braucht mehr Elektrizität als der Rest des gesamten Mosambik. Das Unternehmen führt den Großteil seiner Rohstoffe und Ausrüstung zollfrei ein und profitiert von einer umfassenden Liste von Anreizen, die von ermäßigten Strompreisen bis zu einer verlängerten Steuerbefreiung reichen. Es kann zudem seine Gewinne repatriieren. Das Ergebnis ist eine isolierte Wirtschaftsenklave, die große Mengen knapper Mittel vergeudet, ohne erkennbare Erlöse und Arbeitsplätze für die Wirtschaft."

Der Ökonom Carlos Nuno Castel-Branco und Anne Pitcher dokumentieren ähnliche Muster korporativen Freíbeutertums durch Megaprojekte in Mosambiks Wirtschaft. Pitcher (2006, s.o.) etwa beschreibt das Beispiel der staatlichen mosambikanischen Hafen- und Eisenbahngesellschaft CFM, die bis vor kurzem, "der größte Arbeitgeber in Mosambik" war. Das Management hat sich aggressiv bemüht, "die Belegschaft wegzurationalisieren" und andere Anpassungen vorzunehmen, die für zeitgemäß gehalten wurden. Dabei hat es - ähnlich wie auch bei Mozal - durchaus versuchten Widerstand der betroffenen Arbeiter gegeben.

Der Charakter des "neuen Mosambik" zeigt sich in einem noch drastischeren Beispiel, auf das mich die südafrikanische Wirtschaftsjournalistin Judith Marshall hinwies: Die Schlüsselrolle, die der riesige brasilianische multinationale Konzern Vale in einer Reihe von großen Bergbau-, hydroelektrischen und Transportprojekten in der Tete Provinz spielt. Vale steht sowohl im Zentrum der Ankündigung (nicht zuletzt durch Präsident Guebuza selbst) einer "Tete-Korridor"-Initiative als auch einer neuen "hyper-dynamischen Weltwirtschaft, die Chinas Industrialisierung füttert und in der Vales Rolle darin besteht, unverarbeitete Rohstoffe" zu liefern. Und Mosambik? All das, schließt Marschall, "hat nichts mit dem Aufbau einer nationalen Wirtschaft - ob sozialistisch oder kapitalistisch - oder der Schaffung von Arbeitsplätzen und von Entwicklung für die Bürger eines spezifischen geopolitischen Raums zu tun." Wer da von Rekolonisierung durch die Herrschaft des Kapitals spricht, liegt sicherlich nicht falsch.


Megaprojekte verhindern Entwicklungsstaat

In der Praxis scheint Mosambik mit einer Zwei-Säulen-Entwicklungsstrategie aufzuwarten. Die erste Säule soll die Wirtschaft privaten Investoren öffnen, um Megaprojekte im Energie- und Rohstoffsektor zu fördern. Diese Projekte werden von den Auslandsinteressen der Industriestaaten gesteuert. Eine aktive Rolle spielt dabei das Kapital aus Ländern wie Südafrika, Brasilien und China. Die Rolle des mosambikanischen Staates, der Unternehmen selbst und der Zivilgesellschaft in diesen neuen Projekten ist höchst problematisch.

Zudem sind solche Megaprojekte nur als ein Teil der Welle neoliberalen Wirtschaftens und sozialen Umbaus in Betrieb gegangen. Insofern sind sie weit davon entfernt, sich in eine Strategie der nationalen Wirtschaftsentwicklung einzubringen, bei der die Schaffung von Arbeitsplätzen und Pläne für eine expandierende Industrialisierung im Vordergrund stehen - wo Gebühren und Steuern zum Wohle der umliegenden Gemeinden und für eine ganze Reihe von sozialen und Umverteilungsprogrammen verwendet werden könnten. Ganz im Gegenteil sind solche Projekte in einer Weise geschaffen worden, die implizit jede Möglichkeit zum Aufbau eines nationalistischen oder Entwicklungsstaates verneint.

Tatsächlich deutet die Häufung von Megaprojekten im Rohstoffsektor einen allgemeinen Trend in Mosambik an, der die Folgen des "Minenbooms" in Lateinamerika widerspiegelt. Alle möglichen Bedingungen werden geschaffen, um private Auslandsinvestitionen anzulocken - von Steuerbefreiungen bis hin zu Änderungen der Richtlinien in Bergbau und Arbeit und zum Verzicht auf Umweltvorschriften. Natürlich wird in der Öffentlichkeit viel von "sozialer Verantwortung" der Unternehmer und über die Aussicht auf Schulen, Kliniken, Straßen und Malaria-Ausrottung durch die Großzügigkeit der Minenunternehmen geredet. Doch hinter den Kulissen werden mit hohem Einsatz Verhandlungen geführt um Steuer- und Zollbefreiungen, um Änderungen im Arbeitsrecht für die Sektoren Landwirtschaft und Bergbau, um die Abschwächung von Umweltvorschriften und um einen ausgesprochen saloppen Umgang mit Zwangsumsiedlungen von Einwohnern. Der Einsatz in diese alles andere als durchsichtigen Verhandlungen ist umso höher, je mehr die Aussichten auf Zusatzgeschäfte bei diesen Megaprojekten allzu augenscheinlich mit den Geschäftsinteressen verschiedener Regierungsangehöriger verknüpft sind.


"Liebling der Geber"

Megaprojekte im Rohstoffsektor sind also die eine Säule von Mosambiks Wirtschaftsstrategie, die andere Säule der nationalen Wirtschaft ist die von Joseph Hanlon viel zitierte Rolle Mosambiks als "Liebling der Geber": Ein Land, das zur offensichtlichen Belohnung für seinen eifrigen Gehorsam gegenüber IWF und Weltbank und der periodischen Abhaltung von Mehrparteienwahlen (wenngleich die Gebersorge regelmäßig über "Unregelmäßigkeiten" die Stirn runzelt) beträchtliche Summen an Auslandshilfe erhält, um seine sozialen Programme zu finanzieren. Sicherlich hat der Staat dadurch eine wichtige Rolle erhalten - in der Bereitstellung von landwirtschaftlichen, Gesundheits- und Ausbildungsdienstleistungen -, freilich nicht ohne kräftige Subventionen von den Gebern aus dem Westen.

Zynischere Stimmen unterstellen, dass die mosambikanische Regierung bei schon recht bescheidenen Steuern und Lizenzgebühren auf Investitionen alle gewünschten Sozialprogramme selbst finanzieren könnte. Doch sie hat sich gegen solche Steuereinnahmen entschieden und erduldet stattdessen lieber eine Entwürdigung durch die Geber, deren Diktat sich die Ministerien für Gesundheit, Landwirtschaft und Erziehung unterwerfen. Tatsächlich scheint dieses Muster - niedrige Steuern, geringe Regierungskontrolle - dazu bestimmt, Investitionsgeschäfte abzuschließen, die es Regierungsmitgliedern erlauben, sich bei den Investoren einzuschmeicheln und den Grundstein für ihre Geschäftsinteressen zu legen, um lukrative private Partnerschaftsgeschäfte zu besiegeln. Derweil bringen die ausländischen Geber die Finanzierung der sozialen Kosten auf: Insofern könnte man sagen, dass die Steuerzahler in den Geberländern die transnationalen, von der Finanzierung der sozialen Kosten befreiten Bergwerksgesellschaften in Mosambik subventionieren.

Lassen sich zu diesen zerstörerischen Mustern ausgleichende Trends - und Interpretationsmuster - finden, die mehr versprechen? Hanlon ist bekanntlich ein scharfsichtiger Beobachter der kruden Ungleichheit zwischen der Elite und der Masse, die das heutige Mosambik kennzeichnet, und war auch ein scharfer Kritiker der ganz von den Multis gesteuerten Wirtschaftsstrategie, wie sie von der Elite des Landes in den letzten Jahrzehnten verfochten wurde. Nun scheint er aber zu einer eher resignierten Erkenntnis gekommen zu sein. Für ihn und seine Co-Autorin Teresa Smart "tendiert Entwicklung in der gegenwärtigen Welt dazu, in gewisser Form kapitalistisch zu sein." (J. Hanlon, Teresa Smart, "Do Bicycles Equal Development in Mozambique?", Woodbridge, Suffolk: James Currey, 2008, S. 3) Folglich befürworten sie die Ansicht von Präsident Guebuza, dass, in ihren Worten, "Mosambik nicht mit ausgestreckten Händen auf mythische Investoren aus dem Ausland warten kann, sondern seine eigenen Geschäftsleute schaffen, unterstützen und fördern muss." Leute also wie Präsident Guebuza selbst und andere Mitglieder der aufstrebenden nationalen Bourgeoisie, wie man unterstreichen muss!

In seinen neueren Schriften hat Hanlon einigermaßen überraschend Argumente - wenn auch nicht ganz überzeugend - für die Entwicklungsberufung solch einer "nationalen Bourgeoisie" vorgebracht. Seine einstige Elite mosambikanischer Räuber-Barone hat sich plötzlich in Kapitäne der Industrie und echter Entwicklung gewandelt. Hüten wir uns aber vor Fehlern. Hanlon ist natürlich äußerst gut informiert und macht sich ernste Sorgen um Mosambik, über die Aussichten für echte Entwicklung und über das Schicksal der zahllosen Armen. Aber wäre es nicht besser, nach unten zur verarmten Bevölkerung statt aufwärts zur einheimischen Bourgeoisie zu schauen, um Aussicht auf einen wirklich fairen und bedeutenden Wandel zu haben? In scharfem Kontrast zur nationalistischen wie bourgeoisen Vision Hanlons bleibt noch ein abschließendes Szenario zu betrachten, eine Aussicht, die ihre Hoffnungen auf einem Wiederbeleben der progressiven Berufung des Landes setzt.


Rückbesinnung auf sozialistische Zeiten?

Ist diese Hoffnung weniger wirklichkeitsfremd und flüchtig als Hanlons? Gewiss sind die unmittelbaren Aussichten in diese Richtung nicht groß - doch bestimmt nicht geringer als die Aussichten auf eine heroische, von der nationalen Bourgeoisie geschmiedeten Entwicklungszukunft! Anne Pitcher (2006) ist sich des wachsenden Reichtums und der Macht der mosambikanischen Elite bewusst, kann sich aber nicht abfinden mit dem negativen Einfluss dieser Selbstbereicherung auf die Einstellungen und Handlungen jener vieler Millionen verlassener und oft auch verzweifelter Bürgerinnen und Bürgern, die dazu verurteilt scheinen, "am Boden" und weit "unter" dem Status und Komfort derer zu schmachten, die an der Spitze der mosambikanischen Gesellschaft stehen.

Tatsächlich geht sie einen Schritt weiter und schlägt eine besonders spannende Interpretation der Realität vor. Einerseits findet Pitcher, dass die Elite eifrig Geschichte umschreibt und ihre öffentlichen Verlautbarungen - wie sie sorgfältig dokumentiert -, so umarbeitet, dass jede populäre - vor allem positive - Rückbesinnung auf eine frühere sozialistische und progressive Frelimo im Keime erstickt wird. Doch die gewöhnlichen Mosambikaner sind, wie sie fortfährt, nicht so leicht zu überzeugen. Die drastisch eskalierende Korruption und zügellose Habgier, die sie überall im "neuen Mosambik" sich ausbreiten sehen, hat sie krank und zornig gemacht. Sie halten sich an ihre eigenen Erinnerungen an eine hoffnungsvollere Zeit und drücken ihre fortgesetzten Erwartungen an einen Staat aus, der seine Bürger schützt.

Pitcher legt mehr Hoffnung als vielleicht berechtigt in die mosambikanischen Gewerkschaften, deren Schwächen weiter oben schon beschrieben wurden. Dennoch macht sie sich tatkräftig für die Bedeutung weit verbreiteter Arbeiterproteste stark, in deren Zentrum die Forderung nach den "Leistungen und Zuschüssen, die die Regierung ihnen in der Vergangenheit gewährt hatte", steht. Und sie betont auch die Bedeutung von Tatsachen wie "dem guten Verkauf der auf Band aufgenommenen Reden von Präsident Samora Machel, der von 1977 bis zu seinem Tode 1986 für die Einführung des Sozialismus stand. Das offenbart eine andauernde Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der gegenwärtigen Regierungsführung und eine anhaltende Bindung an andere Zeiten." (Pitcher 2006).

Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Industrien im Rohstoffsektor - von denen einige wie im Bergbau einen unersättlichen Appetit auch auf Land haben - häufig in zunehmendem Konflikt mit ländlichen Gemeinden stehen. Mit dem Rückzug des Staates aus der Verantwortung für seine Bürger verfolgen die Firmen und Gemeinden tatsächlich ziemlich unterschiedliche und konkurrierende Visionen von Entwicklung. Lokaler Bedarf nach Arbeitsplätzen, Kontrolle vor Ort über neue Geschäftsmöglichkeiten wie Transport, Nahrungsmitteldienste und Sicherheit, adäquate Entschädigung der Vertriebenen, Umweltschutz von Wasserressourcen und Ähnliches: Um jedes dieser Probleme kann es potenziell wachsenden Widerstand geben.

In der Tat, Pitcher beruft sich auf die jüngsten Protestaktionen, Streiks und andere Beispiele offenen Widerstands im heutigen Mosambik und schließt daraus, dass selbst wenn ein (von ihr zitierter) jüngster Protestbrief an den Herausgeber der staatlichen Tageszeitung Noticias in Maputo "die guten alten Tage etwas romantisch sehen mag, so zeigt er doch, dass in Mosambik eine anti-hegemonistische Strategie, die ihre Wurzeln in sozialistischen Idealen hat, wieder auftauchen könnte."

Etwas bescheidener ausgedrückt könnte man sich, wenn man das ursprüngliche Projekt der Frelimo wiederbelebt, die Möglichkeit vorstellen, die Gegenwart so umzugestalten, dass sie wieder etwas mehr Positives annehmen könnte. Der berühmte Griff nach dem Strohhalm? Es ist bekannt, dass diese manchmal populistische Form des Widerstands gegen Knappheit und Unterdrückung häufig zu wahlloser Gewalt und Fremdenfeindlichkeit führen oder fehlgeleitet werden kann, wie Hanlon betont hat. Außerdem ist es selbst bei optimistischer Perspektive noch ein langer Weg bis zur Entfaltung einer prinzipientreuen und organisierten Kraft des Wandels, die alsbald eine Alternative und - gewonnene - "anti-hegemonistische Strategie" (wie sie Pitcher beschwört) präsentieren könnte zur zügellosen und weitgehend von eigenen Interessen geleiteten Herrschaft der Frelimo-Elite. Doch man könnte zumindest festhalten, dass der Kampf um eine echte Befreiung zu den gegenwärtigen trostlosen Zeiten in Mosambik weit davon entfernt ist, ganz dem Tode geweiht zu sein.


Der Beitrag von John S. Saul, Autor zahlreicher Schriften zu Mosambik und der Region, gehört zu einer Reihe von Aufsätzen, die AfricaFiles seit Mai 2010 unter dem Thema "The Liberation of Southern Africa" ins Netz stellt (www.africafiles.org).


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 4, September/Oktober 2010, S. 13 - 17
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2010