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ASIEN/633: Malaysia - Teenager-Schwangerschaften und Kindstötungen, Tabu-Debatte nimmt zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2010

Malaysia: Teenager-Schwangerschaften und Kindstötungen - Die Tabu-Debatte nimmt zu

Von Baradan Kuppusamy


Kuala Lumpur, 17. August (IPS) - Malaysia ist ein Land zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite ist der Zugang zu Informationen und Technologie wie in einem hoch industrialisierten Land gegeben. Auf der anderen Seite bestehen viele Einschränkungen und Tabus aufgrund der muslimischen Staatsreligion. Dieser Konflikt tritt deutlich zutage im Bereich Sexualität und Aufklärung. Sex und Schwangerschaften vor und außerhalb der Ehe sind stigmatisiert. Immer wieder werden daher von Teenager-Müttern Kinder ausgesetzt oder getötet, weil sie Angst vor gesellschaftlichen Repressalien haben.

Im Frühjahr 2010 stand Fatimah (nicht ihr wirklicher Name) vor Gericht. Die 17-jährige Muslimin hatte ihr Neugeborenes in einem Müllsack ausgesetzt und sterben lassen. "Ich hatte Angst vor Strafe und Ausgrenzung durch meine Familie und die Lehrer am College", sagte sie zu ihrer Verteidigung.

Auf das Aussetzen von Kindern unter zwölf steht nach malaysischem Recht bis zu sieben Jahre Haft. Immer wieder gehen Fälle von Kindstötungen und Aussetzungen durch die Medien. "Ich konnte mich an niemanden wenden. Ich habe die Schwangerschaft verborgen, indem ich weite Kleider trug", berichtete Fatimah. Die Beziehung zu dem Vater des Kindes war auseinander gegangen. Sie brachte das Baby schließlich auf den Treppen eines Geschäfts zur Welt. Der Richter ließ mildernde Umstände gelten und entließ sie mit einer schriftlichen Verpflichtung zu guter Führung in die Freiheit.

Fatimahs Fall zeigt, dass keineswegs nur Teenager aus sozial schwachen Familien ungewollt schwanger werden. Selbst Studenten wissen oft zu wenig über Sexualität und Biologie. Aufklärungsunterricht findet an malaysischen Schulen wegen religiös motivierter Widerstände nicht statt. Die wichtigsten Organe werden wissenschaftlich erklärt, Safer Sex und Verhütung nicht. So fürchtet der konservative Geistliche Nik Aziz Nik Mat, Aufklärung würde nur der Promiskuität der Jugend Vorschub leisten. "Am besten ist es, mehr islamische Werte zu vermitteln", so sein Lösungsansatz.

Sogar der frühere Ministerpräsident Mahathir Mohamad hielt Aufklärung an Schulen für unnötig, schließlich würden ja schon die islamischen und moralischen Grundwerte vermittelt. Die derzeitige Regierung hat immerhin einen Ausschuss eingesetzt, der sich der Lehrpläne annehmen soll.


Angst und Halbwissen aus dem Internet

Außerhalb der Schule soll ein spezielles, offiziell sanktioniertes Internetportal helfen. Der Jugend sollen dort der Verzicht auf Sex vor der Ehe, die Folgen ungeschützten Geschlechtsverkehrs und Enthaltsamkeit nahe gebracht werden. "Das Portal soll ihnen auch die notwendigen Tipps vermitteln, um sexuelle Annäherungsversuche abzuwehren", erläutert Familienministerin Shahrizat Abdul Jalil. "Die Wurzel des Übels ist, dass sie sich nicht über die Risiken im Klaren sind. Die meisten der ausgesetzten Babys stammen aus ungewollten Schwangerschaften."

Nicht alle halten diesen Ansatz für zielführend, da er sich auf Schuld und Strafe konzentriert, anstatt offen und deutlich aufzuklären. Die malaysische Gesellschaft sei "mehr auf die Verurteilung und Bestrafung (von Sex unter Jugendlichen), als auf Verstehen und Hilfe fokussiert", beklagt Ragunath Kesavan, Präsident des Anwaltsverbandes.

Hilfe und Aufklärung aber brauchen die Jugendlichen, und so suchen sie sie bei Gleichaltrigen im Internet. Doch "die Informationen dort sind im besten Fall lückenhaft, oft romantisch verbrämt und helfen nicht, die richtige und sichere Entscheidung zu treffen", sagt der Parlamentsabgeordnete Chong Eng, der das Thema schon oft auf die Tagesordnung gebracht hat.


Hilfe bei selbstständigen Entscheidungen

"Wir können die Herausforderungen, vor denen junge Menschen stehen, nicht einfach ignorieren. Wir müssen sie aufklären, sie leiten und ihnen bei der richtigen Entscheidung helfen", so der Parlamentarier.

Eine Studie der Universität Kebangsaan zeigt, dass nicht allein Teenager ihre ungewollten Kinder im Stich lassen, sondern auch noch Frauen in den 20ern, die aus Mangel an Aufklärung schwanger wurden. Die meisten jungen Mütter merkten erst durch das Ausbleiben der Regel, dass sie in anderen Umständen seien, so die Autorin der Studie. Viele könnten ihre Vagina nicht von ihrer Harnröhre unterscheiden.

Auch den Vereinten Nationen ist das Problem bewusst. "Nicht verheiratete Mütter werden mit einem starken Stigma belegt. Die Folge sind unsichere Abtreibungen junger Mütter, Hinterhof-Praxen und Gefahr für Leib und Leben", warnt ein Sprecher des Welkinderhilfswerks UNICEF in Malaysia. "Die emotionalen und psychologischen Folgen für ein Mädchen können enorm sein, wenn es keinen anderen Ausweg sieht, als sein Baby zu töten oder es bei der Geburt wegzugeben." (Ende/IPS/sv/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2010