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ASIEN/761: Pakistan - Wer es sich leisten kann, verlässt die Nordwest-Grenzregion (IPS)



IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. August 2011

Pakistan: Exodus der Ärzte - Wer es sich leisten kann, verlässt die Nordwest-Grenzregion

Von Ashfaq Yusufzai

Peschawar, Pakistan, 1. August (IPS) - Im Nordwesten Pakistans kehren immer mehr Ärzte und andere gut verdienende Berufsgruppem ihrer Heimat den Rücken. Für viele wird der Auszug aus der als Hochburg der Taliban geltenden Region eine Reise ohne Wiederkehr. Sie haben genug von den Schikanen der Taliban und den ständigen Militäroperationen, denen sie seit Jahren ausgesetzt sind.

Für die sechs Millionen Bewohner der rückständigen Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA), die eine 2.400 Kilometer lange, durchlässige Grenze von Afghanistan trennt, bedeutet der Exodus von Ärzten und anderem medizinischen Personal eine Ausdünnung der ohnehin bescheidenen regionalen Gesundheitsdienste.

Doch einheimische Ärzte wie Zararullah Mahsud geben auf. Mahsud führte in Süd-Waziristan eine florierende Praxis. Dennoch verließ er sein Heimatdorf, ließ sich Ende 2008 in die Provinzhauptstadt Peschawar nieder und baute dort eine eigene Klinik auf. "Die schlechten Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre haben zu dieser Entscheidung geführt", sagte er. "Es war die Hölle. Meine Kinder konnten weder zur Schule gehen noch draußen spielen", berichtete der Arzt.

"Es ist sehr schwer, die Heimat für immer zu verlassen, doch irgendwann muss man für die eigene Sicherheit und die der jungen Generation sorgen", betonte Mahsud. Seine Brüder und Vettern haben sich ebenfalls vor der ständigen Gewalt in Sicherheit gebracht.

Wohlhabende verlassen nicht nur Süd-Waziristan, sondern auch die Nachbarprovinz Khyber Pakhtunkhwa und die Regionalhauptstadt Peschawar. "Ich bleibe hier, um mein privates Hospital weiterzuführen, doch meine Familie lebt inzwischen in der Hauptstadt Islamabad", sagte Muhibur Rehman. Der Arzt berichtete IPS, Taliban hätten ihm im vergangenen Jahr entführt und erst nach Zahlung eines Lösegelds von 25.000 US-Dollar einen Monat später freigelassen.


Erfahrung mit Entführungen

Ein Chirurg, der anonym bleiben wollte, berichtete IPS, er sei zu seinen Söhnen nach Lahore gezogen, weil ihn die Taliban ständig bedrohten. "Sie verlangten von mir 5.000 Dollar monatlich, eine Summe, die meine finanziellen Möglichkeiten überstieg. Ich habe meinen gesamten Besitz verkauft und werde nie mehr nach Khyber Pakhtunkhwa zurückkommen, denn hier haben die Taliban das Sagen", stellte er fest.

Auch Abdullah Khan, dessen Familie aus Orakzai stammt, bekam es mit den Taliban zu tun. Als Vorsitzender eines Friedenskomitees geriet er ins Visier der verbotenen Gruppe 'Tehrik-e-Taliban Pakistan' (TTP). "Sie verlangten die Auflösung des Komitees, und als wir uns nicht darauf einließen, überfielen sie uns eines Nachts und ermordeten meine beiden jüngeren Brüder", berichtete er. Der Notverkauf seines Besitzes in Orakzai brachte nur 20 Prozent des eigentlichen Wertes von einer Million Dollar ein, immerhin genug, um für seine Familie in Islamabad ein kleines Haus zu erwerben.

"Wenn Immobilienhändler den Menschen, die die Militäreinsätze aus den Stammesgebieten vertreiben, ihre Häuser abkaufen, verdienen sie gewaltige Summen", sagte Abid Shah, Vizepräsident des Verbandes der Grundstückmakler in Peschawar.

Der Geschäftsmann Muhammad Omar aus dem Distrikt Bajazr bedauert, auf Druck seiner Familie seine Läden und seinen Landbesitz unter Wert verkauft zu haben. "Wenn wir eines Tages zurückkehren müssen, gehört mir nichts mehr", klagte er.


Eine Million Menschen in Lagern

Mehr als eine Million Menschen, die vor der Gewalt im nordwestlichen Pakistan geflohen sind, leben in Lagern, haben sich eine Wohnung gemietet oder sind bei Verwandten untergekommen. "Wer es sich leisten kann, zieht in sichere Gebiete weiter", berichtete der Oberschullehrer Muktar Khan aus dem Bezirk Mohmand. Nach Umzügen von Mohmand nach Peschawar und wieder zurück nach Mohmand lebt er inzwischen mit seiner Familie in einem eigenen Haus in Peschawar. "Für meine Kinder hatte es in den vergangenen fünf Jahren keine ordentliche Schulbildung gegeben", erklärte er.

"Die Menschen hier haben das Vertrauen in das Militär und die Regierung verloren, denn es gibt keine Aussicht auf eine Zukunft in Frieden. Nur arme Familien bleiben hier", meinte Hashimullah Afridi. Der Bezirk Khyber, aus dem der Kleiderhändler kommt, ist seit zwei Jahren militärisches Einsatzgebiet. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2011