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ASIEN/783: Indien - Indigene ausgegrenzt, Adivasi und Maoisten rebellieren gegen Bergbau (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Dezember 2011

Indien: Indigene ausgegrenzt - Adivasi und Maoisten rebellieren gegen Bergbau

von Sujoy Dhar


Lalgarh, Indien, 29. Dezember (IPS) - Drei Jahre ist es her, dass die indische Kleinstadt Lalgarh, rund 150 Kilometer von Kalkutta entfernt, plötzlich in die Schlagzeilen geriet. Sie wurde von 'Adivasi' (Ureinwohner) unter Führung maoistischer Rebellen besetzt.

Im Juni 2009 übernahmen die Sicherheitskräfte erneut die Kontrolle über die Stadt im Bundesstaat Westbengalen im Osten Indiens. In den umliegenden Wäldern - auch 'Jangalmahal' genannt - sind jedoch auch weiterhin die seit mehr als zwei Jahren als Terrorgruppe eingestuften Maoisten aktiv.

Die Maoisten treten nach eigenen Angaben für die Rechte der indigenen Bevölkerung im rohstoffreichen Zentrum und Osten des Subkontinents gegen die Interessen der Bergbauindustrie ein. Die meisten der schätzungsweise 100.000 Adivasi leben in dieser Region, zu der die Bundesstaaten Orissa, Jharkhand, Bihar, Andhra Pradesh, Chhattisgarh, Madhya Pradesh und Westbengalen gehören.

Große Armut hat die Ureinwohner den bewaffneten Maoisten zugetrieben. Mit welch schwierigen Bedingungen sich die Menschen arrangieren müssen, wird auch in Lalgarh deutlich. Die Behörden haben bisher nichts unternommen, um dort die Not zu lindern.

Er habe niemals von einem Hilfsprogramm für diejenigen gehört, die unterhalb der Armutsgrenze lebten, meint Rajan Gharai, ein ausgemergelter Adivasi, der mit seiner Frau in Lalgarh auf der Straße lebt. Ein solches Programm gibt es jedoch. Es nennt sich 'Below Poverty Line' (BPL).

In einem Dorf in der Nähe der Stadt beklagte sich Sohan, ein junger Mann, dass in den trockenen Sommermonaten noch nicht einmal einfache Brunnen gebohrt würden, um den Menschen zu helfen.


Vertreibung statt Entwicklung

Aktivisten führen das Problem mit den Maoisten auf ein Entwicklungsmodell zurück, das Ureinwohner und andere Bevölkerungsgruppen ausschließt. Es überrasche niemanden, dass die miserablen Zustände in Gewalt mündeten, sagen sie.

"Die Gier der Unternehmen führt zu Vertreibungen der Indigenen in ganz Indien. Diese Menschen sind abhängig von den Ressourcen, die Eigentum aller sind", meint der Menschenrechtler Binayak Sen. "Da sie in ihrer Existenz bedroht sind, leisten sie Widerstand."

Nach Angaben von Sen, Vizepräsident der 'People's Union of Civil Liberties', herrscht in weiten Teilen Indiens Hunger. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge ist jede Person mit einem Bodymaßindex unter 18,5 chronisch unterernährt", erläutert der Arzt und Menschenrechtsaktivist, der mehrere Jahre im Gefängnis saß, weil er angeblich einem inhaftierten Maoisten als Kurier gedient hat. "Den offiziellen Angaben zufolge trifft dies auf 36 bis 37 Prozent der indischen Bevölkerung zu. In Gruppen, die am Rand der Gesellschaft stehen, kann die Rate sogar 60 Prozent erreichen."

Sen kritisiert, dass die Regierung mit harter Hand gegen die Aufständischen vorgeht. So würden Sicherheitskräfte ausgesandt, um die von den Maoisten angeführte Ureinwohner-Revolte zu unterdrücken. "Als Menschenrechtsaktivisten verurteilen wir jede Form von Gewalt - gleichgültig, ob sie vom Staat oder von seinen Gegnern ausgeübt wird."

Nach dem Scheitern von Gesprächen zwischen der Regierung und den Maoisten erschossen am 24. November Paramilitärs und Polizeikräfte den Rebellenführer Koteswar Rao alias 'Kishenji'. Die Vorgehensweise wurde von Menschenrechtsaktivisten scharf kritisiert.

Die Guerilla reagierte mit weiterer Gewalt und erzwang dadurch die Schließung von Firmen und Geschäften. Anfang Dezember wurden bei Bombenattentaten in Jharkhand mindestens acht Polizisten und zwei Zivilisten getötet. In anderen Bundesstaaten im Osten Indiens verübten die Rebellen Anschläge auf Schulen und Eisenbahnstrecken. Ein Sprecher der Maoisten, der sich als 'Akash' vorstellte, machte die fortgesetzten Angriffe der Armee für den Bruch eines Waffenstillstands in Westbengalen verantwortlich.


Chance vertan

Die Regierung von Westbengalen habe den Waffenstillstand nicht zu schätzen gewusst, meint Sujato Bhadra, einer von zwei amtlichen Unterhändlern. Doch hätte er eine weitere Eskalation der Gewalt verhindern können. Der Vertrauensverlust auf beiden Seiten sei groß. Bhadra zufolge wird aber nur Geduld Früchte tragen. "Vielleicht können die Rebellen den gleichen Weg wie die Maoisten in Nepal gehen und als Partei bei den Wahlen kandidieren."

Aktivisten zufolge ist das Erstarken der Guerillabewegung das Ergebnis eines falschen Entwicklungskonzepts, das die Rechte der indigenen Bevölkerung missachtet. Als Beispiel dafür führen sie die vorübergehende Bergbaugenehmigung für den britischen Konzern 'Vedanta Resources Plc' ins Feld, der Bauxit in einem von Ureinwohnern bewohnten Gebiet in Orissa fördern wollte. Indigene und Naturschützer konnten das Projekt jedoch mit Unterstützung des früheren indischen Umweltministers Jairam Ramesh stoppen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2011