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ASIEN/834: Bangladesch - Verbot von Islamistengruppen und eine weltliche Regierung gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. März 2013

Bangladesch: Hunderttausende bei Protesten - Verbot von Islamistengruppen und weltliche Regierung gefordert

von Naimul Haq


Bild: © Kajal Hazra/IPS

Junge Frauen protestieren auf dem Shahbagh-Platz in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka
Bild: © Kajal Hazra/IPS

Dhaka, 21. März (IPS) - "Das ist eine Revolution" erklärt Mamtaj Jahan Halima, eine Jurastudentin aus dem Distrikt Khulna im Südwesten von Bangladesch. "Menschen jeden Alters sind hier unabhängig von Religion, sozialem Status und Kultur zusammengekommen. Solch einen friedlichen Aufstand haben wir seit der Unabhängigkeit nicht mehr gesehen."

Halima steht inmitten von Tausenden Demonstranten auf dem Shahbagh-Platz in der Hauptstadt Dhaka. Solche Proteste sind in dem südasiatischen Land zurzeit täglich zu beobachten. Die Studentin hat eine Reise von mehr als 300 Kilometern hinter sich gebracht, um gemeinsam mit Gleichgesinnten lautstark ein Verbot islamistischer Gruppen, die Hinrichtung von Kriegsverbrechern und die Einsetzung einer weltlichen Regierung zu fordern.

Obwohl die jungen Studenten den Unabhängigkeitskrieg von 1971 nicht selbst miterlebt haben, rufen sie bei ihren Demonstrationen eine für sie glorreiche Vergangenheit in Erinnerung. Damals erhoben sich die Bewohner des einstigen Ostpakistan, um die westpakistanischen Besatzer zu stürzen und ein freies Bangladesch zu gründen.

"Hängt die Kriegsverbrecher" steht auf Transparenten, die die Demonstranten hoch über ihren Köpfen schwingen. Die Protestwelle begann am 5. Februar, kurz nachdem das Internationale Kriegsverbrechertribunal (ICT) in Bangladesch Abdul Quader Mollah zu lebenslanger Haft anstatt zum Tode verurteilt hatte. Mollah werden schwere Menschenrechtsverletzungen während der Kämpfe 1971 vorgeworfen.

Während die friedliche, überparteiliche Protestbewegung, die in den vergangenen zwei Monaten auch in anderen Städten des Landes Fuß fassen konnte, hauptsächlich auf der Bestrafung von Kriegsverbrechern besteht, fordern die Studenten und anderen Aktivisten auf dem Platz vor allem eine säkulare Demokratie und ein Verbot fundamentalistischer Gruppen wie 'Jamaat-e-Islami' und ihren jungen Flügel 'Shibir'.


Islamisten Gewalttaten im Unabhängigkeitskrieg vorgeworfen

Den derzeitigen Führern von Jamaat-e-Islami, der größten oppositionellen islamistischen Partei im Land, werden Gräueltaten angelastet, die sie seinerzeit auf Geheiß der pakistanischen Armee gegen die Unabhängigkeitsbewegung verübt haben sollen.

Chaity Mazumder, die Tochter eines im Krieg getöteten Freiheitskämpfers, marschiert gemeinsam mit den Demonstranten in Dhaka und stimmt in ihre Sprechchöre ein. "Tausende Unabhängigkeitskämpfer haben ihr Leben geopfert, um eine weltliche Nation aufzubauen. Wir haben uns nun geschworen, ihre Ziele zu erreichen."

Wie die Aufstände im 'Arabischen Frühling' und die Occupy-Bewegung wurden auch die Shahbagh-Proteste von mehreren Hundert Aktivisten durch Aufrufe im Internet ausgelöst. Diese neue Generation hat nun erklärt, das Land aus den Händen der Islamisten zu befreien.

Jamaat-e-Islami ist bereits seit Langem in die Politik in Bangladesch verstrickt. Nach der Ermordung des ersten Staatspräsidenten Sheikh Mujibur Rahman 1975 gewannen die Führer der Bewegung an Einfluss.

Heute ist Jamaat-e-Islami der wichtigste Verbündete der größten Oppositionspartei BNP. Ihr Gründer Ziaur Rahman hatte 1975 radikalen Muslimen die Tür geöffnet, um seine eigene Position zu stärken. Extremistische Gruppen fanden in der armen Bevölkerung, die um ihr Überleben kämpfte, eine ideale Basis. Mit terroristischen Machenschaften sorgten ihre Mitglieder daraufhin dafür, dass ihnen die Menschen weiter gefügig waren.

"General Zia gab den Extremisten die Genehmigung, im Land zu operieren", berichtet der bekannte Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist Shahriar Kabir. 1976 hatte der hohe Militär demnach 66 islamistische Gruppierungen offiziell zugelassen.

In drei Jahrzehnten wurden zahlreiche Terroranschläge verübt, darunter auch das im August 2004 vereitelte Attentat auf die damalige Oppositionsführerin und derzeitige Ministerpräsidentin Sheikh Hasina. Der ehemalige Finanzminister Sams Kibria fiel dagegen einem Mordanschlag zum Opfer. Im Mai 2004 schlug ein Granatenangriff auf den britischen Hochkommissar Anwar Choudhury fehl. Bei mehreren Bombenattentaten wurden nach Regierungsangaben Tausende Zivilisten getötet.


Freiheitsfeindliche Kräfte beseitigen

"Wir haben genug von militanten Islamisten", erklärt Tabbassum Ara Begun, eine 20-jährige Studentin aus dem südlichen Distrikt Barisal. "42 Jahre lang waren wir stille Beobachter, jetzt haben wir eine Plattform für normale Leute mit gewöhnlichen Interessen. Es ist an der Zeit, dass wir uns zusammenschließen und die freiheitsfeindlichen Kräfte beseitigen."

Nach Ansicht von Imran H. Sarker, dem Chef-Koordinator der Proteste, ist die Bevölkerung bisher nicht gegen die Extremisten angekommen, weil die Bewegung zu wenig Zusammenhalt gehabt habe. "Inzwischen sind wir jedoch stärker denn je. Mit der friedlichen Kraft der jungen Leute werden wir ein neues Bangladesch schaffen."

Diesem Aufruf folgen viele junge Menschen in dem Land mit rund 150 Millionen Einwohnern, von denen 35 Prozent als arm gelten und sich die Lebenshaltungskosten seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt haben. Immer weniger junge Männer finden eine Beschäftigung, und fast die Hälfte aller Grundschüler hören vor dem Abschluss der fünften Klasse auf.

Lange Zeit schwiegen die Massen, wenn es um das Thema Armut ging. Durch die Proteste auf dem Shahbagh-Platz beginnt sich dies aber zu ändern. Konservativen Schätzungen zufolge kamen bei den größten Demonstrationen in Dhaka jeweils etwa 300.000 Menschen zusammen. Andere Quellen gehen von noch mehr Teilnehmern aus. (Ende/IPS/ck/2012)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/03/protests-evoke-memories-of-liberation/

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IPS-Tagesdienst vom 21. März 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2013