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ASIEN/838: Philippinen - Konflikte an mehreren Fronten, 6.000 Philippiner aus Malaysia vertrieben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. April 2013

Philippinen:
Konflikte an mehreren Fronten - 6.000 Philippiner aus Malaysia vertrieben

Von Richard Heydarian



Manila, 19. April (IPS) - Die Philippinen sehen sich derzeit mit drei politischen Krisen konfrontiert. Neben den Guerillaaktivitäten im Süden machen der Regierung in Manila die diplomatischen Spannungen mit China und Malaysia schwer zu schaffen.

Die Beziehungen zu Malaysia sind seit dem 14. Februar gestört. Auslöser ist die Besetzung eines entlegenen Gebietes im malaysischen Bundesstaat Sabah durch 80 bis 100 bewaffnete Anhänger der Nachfahren des Sultanats von Sulu. Der von Sultan Jamalul Kiram III. angeführte Vorstoß hat wiederum den Einsatz der malaysischen Streitkräfte provoziert.

Trotz aller Bemühungen Manilas, eine bewaffnete Konfrontation mit dem westlichen Nachbarland zu vermeiden - die Regierung hatte sogar eine humanitäre Einsatztruppe losgeschickt, um Frauen und Kinder aus Kirams sogenannten Königlichen Sicherheitskräften (RSF) zu entfernen -, kam es zu einer Neuauflage des seit Jahrhunderten währenden Konflikts um das erdölreiche Sabah.

Die bewaffneten Auseinandersetzungen haben in den letzten beiden Monaten zur Vertreibung von 6.000 der rund 800.000 in Sabah lebenden Philippiner geführt. Dutzende Flüchtlinge warfen den malaysischen Behörden vor, unter dem Deckmantel der Militäroperationen gegen mutmaßliche RSF-Kämpfer schwere Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben.

Angesichts der zunehmenden Feindseligkeiten überqueren immer mehr Anhänger des Sulu-Sultanats die poröse Grenze und unterlaufen die Seeblockade der philippinischen und malaysischen Truppen. Bei den Auseinandersetzungen wurden mindestens 68 RSF-Kämpfer getötet, weitere 126 festgenommen.


Versagen der Geheimdienste

Für politische Beobachter ist das Fiasko ein klassisches Beispiel dafür, dass die Geheimdienste beider Länder versagt haben, den unilateralen Vorstoß zu antizipieren. Auch gilt der Konflikt als diplomatisches Krisenmanagementdesaster.

Hinzu kommt, dass sich die Philippinen in den letzten Monaten mit einer gefährlichen Eskalation im Südchinesischen Meer konfrontiert sehen. Zum einen weist Peking den Wunsch Manilas zurück, die maritimen Streitigkeiten mit Hilfe internationaler Vermittler beizulegen. Zum anderen hat die Volksrepublik in einem bislang einmaligen Vorgang drei 'Überwachungsschiffe' und einen Hubschrauber losgeschickt, die die Ansprüche der Volksrepublik konsolidieren sollen.

Dass die genauen Umstände der Krise weitgehend im Dunkeln liegen, hat auf den Philippinen einer Reihe von Verschwörungstheorien Auftrieb gegeben. Die Regierung von Staatspräsident Benigno Aquino III. sieht sich im Zuge der Parlamentswahlen mit einem De-facto-Referendum konfrontiert. Aquino wird vorgeworfen, aus der Krise in Sabah politisches Kapital schlagen zu wollen. In Malaysia wiederum steht eine historische Parlamentswahl gegen eine zunehmend erstarkende Opposition an. Dort wird Oppositionsführer Anwar Ibrahim der gleiche Vorwurf wie Aquino gemacht.

Die malaysische Regierung von Staatspräsident Najib Razak spielt im Wahlkampf durchaus erfolgreich die nationale Karte aus, während auf den Philippinen immer mehr Menschen ihren Staatschef zu einer energischeren Haltung in der Sabah-Frage anhalten. Auch wurde bereits der Oberste Gerichtshof des Landes aufgefordert, den Gebietsanspruch der Philippinen durch internationale Gerichte klären zu lassen. Die Aquino-Regierung hat indes versprochen, einen Sonderausschuss aus Experten und Regierungsvertretern einzurichten, die die Option, internationale Streitschlichter einzuschalten, prüfen sollen.


Alte Ansprüche

Vor der Unabhängigkeit Malaysias und der Philippinen hatte das Sultanat von Sulu Anspruch auf Nordborneo, ein Geschenk des Königshauses von Brunei, erhoben, das es 1878 an die 'British North Borneo Company' für jährlich 5.000 malaysische Dollar (damalige Währung) verpachtet hatte. 1903 wurde die Pachtgebühr um weitere 300 malaysische Dollar erhöht.

Gleich nach der Entstehung der Malaysischen Föderation nach dem Rückzug der britischen Streitkräfte trat das Sulu-Sultanat 1962 seinen Anspruch auf Nordborneo an die Philippinen ab. Im Jahr darauf jedoch wurde Sabah in die Malaysische Föderation aufgenommen, was zu einer diplomatischen Krise zwischen Manila und seinem neuen Nachbarn führte.

Das Regime des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos - das geht aus jüngst veröffentlichten Telegrammen hervor - agitierte gegen den neugegründeten malaysischen Staat und drohte mit der Rückeroberung von Sabah. Dies wiederum veranlasste Kuala Lumpur dazu, die USA zu bitten, Manila von diesem Vorhaben abzubringen.

Zu Anfangs bemühte sich Marcos in der Sabah-Frage um die Unterstützung der philippinischen Muslime, der sogenannten 'Moros'. Doch eine Serie von Ereignissen, vor allem das Massaker von Jabbidah, mündeten in einen Bürgerkrieg zwischen der Regierung und den Rebellen im Süden, angeführt von der Nationalen Moro-Befreiungsfront (MNLF) des charismatischen Nur Misuari.


An der Heimatfront

Zunächst stellte sich Malaysia auf die Seite der philippinischen Rebellen. Daraufhin entschloss sich Manila die Sabah-Frage den strategischen Beziehungen zu dem westlichen Nachbarn zu opfern. Das von Malaysia vorangebrachte Rahmenabkommen für einen Frieden mit der Islamistischen Moro-Befreiungsfront (MILF), der größten Rebellengruppe und ein Ableger der MNLF, im letzten Jahr brachte der Aquino-Administration den Vorwurf ein, den Anspruch auf Sabah nicht rigoros genug weiterverfolgt zu haben.

Für viele ist Kirams Vorstoß der verzweifelte Versuch, auf einen ansonsten vergessenen Grenzkonflikt aufmerksam zu machen, nachdem das Sulu-Sultanat vor der Krise wiederholt Manilas Zusicherung gefordert hatte, Anspruch auf Sabah zu erheben und durchzusetzen.

In der Zwischenzeit haben die MNLF und Misuari, die Kirams Haltung gegenüber Sabah unterstützen, der philippinischen Regierung vorgeworfen, neue Abkommen mit der MILF ohne Rücksicht auf die mit ihnen getroffenen Übereinkünfte geschlossen zu haben.

Doch ist es Manila bisher nicht gelungen, sich nach einer Serie von Verhandlungen mit der MILF auf Schlüsselaspekte des Rahmenabkommens zu einigen. Dies alles zeigt das Ausmaß und die Reichweite der Herausforderungen, mit denen sich die Aquino-Regierung konfrontiert sieht. (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/04/new-dispute-dogs-philippines-and-malaysia/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2013