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ASIEN/888: Afghanistan - Warten auf Gerechtigkeit, künftige Regierung unter Handlungsdruck (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. März 2014

Afghanistan: Warten auf Gerechtigkeit - Künftige Regierung unter Handlungsdruck

von Giuliano Battiston


Bild: © Giuliano Battiston/IPS

Blick auf Bamiyan
Bild: © Giuliano Battiston/IPS

Kabul, 18. März (IPS) - Wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in Afghanistan am 5. April fragt sich die Bevölkerung, ob auch die nächste Regierung die schweren Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit unter den Teppich kehren oder ob sie sich der Herausforderung einer 'Übergangsjustiz' stellen wird.

Zivilgesellschaftliche Aktivisten in Bamiyan, der Hauptstadt der gleichnamigen zentralen Provinz, in der die radikalislamischen Taliban 2001 zwei historische Buddha-Statuen sprengten, scheinen besonders interessiert, was die Präsidentschaftskandidaten zu diesem Thema zu sagen haben. Es geht um juristische und nicht-juristische Maßnahmen, darunter Strafverfolgung, Wahrheitskommissionen und institutionelle Reformen, die für den nationalen Versöhnungsprozess so wichtig sind.

"Gerechtigkeit ist die Voraussetzung für Frieden", sagt Ismail Zaki, Regionalkoordinator des Zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsnetzwerks (CSHRN). "Ohne Gerechtigkeit kann es keinen wirklich, starken und stabilen Frieden geben. Ich würde sagen, dass die Gerechtigkeit - die auch die Ahndung zurückliegender Verbrechen beinhaltet - sogar noch wichtiger ist als der Frieden selbst."

Ein Friedensprozess könne nur dann Wirkung zeigen, wenn er die strafrechtliche Verfolgung früher begangener Straftaten ermögliche, so auch Said Hussein Shah Hussainy von der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission (AIHRC).


Umsetzung des Friedensplans von 2005 gefordert

Zaki und Hussainy drängen auf eine Revision und vollständige Umsetzung des Aktionsplans der Regierung für Frieden, Versöhnung und Gerechtigkeit von 2005, der von Staatspräsident Hamid Karsai angenommen worden war und unter anderem auf Wahrheitsfindung, Versöhnung und Maßnahmen zur strafrechtlichen Verfolgung der vergangenen Menschenrechtsverletzungen abzielt.

Bisher sei der Plan jedoch größtenteils nicht umgesetzt worden, berichten die Forscher Niamatullah Ibrahimi und Emily Winterbotham in ihrer Studie 'Zwischen Vergangenheit und Gegenwart gefangen', die auf Aussagen von Überlebenden von drei Massakern in Afghanistan basiert.

"Die bevorzugte Strategie der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft im Umgang mit dem früheren und gegenwärtigen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in Afghanistan bestand bislang darin, diese unter den Teppich zu kehren", schreibt Sari Kouvo, Mitbegründerin und Ko-Direktorin des Netzwerks Afghanischer Analysten mit Sitz in Kabul in dem im Juli 2012 verbreiteten Report 'Ein aktionsloser Plan'.


Fragebogen für die Kandidaten

'Human Rights Watch' (HRW) hat allen Präsidentschaftskandidaten einen Fragebogen zu den wichtigsten Menschenrechtsherausforderungen Afghanistans zugestellt. Die wenigen, die darauf reagiert haben, scheinen zumindest auf dem Papier bereit, eine Übergangsjustiz zu schaffen.

Wie Abdullah Abdullah, aussichtsreichster Präsidentschaftsanwärter und Vorsitzender der Nationalen Koalition Afghanistans, gegenüber HRW versicherte, ist "die Übergangsjustiz eines der wichtigsten Anliegen unserer Gesellschaft". Gleichzeitig erklärte er, dass es notwendig sei, der Gefahr des politischen Missbrauchs und der Erstarkung von Rachegefühlen vorzubeugen, indem man erst den angemessenen kulturellen, moralischen und rechtlichen Rahmen schaffe, der die Diskussion über die Übergangsjustiz ermögliche.

Außer Abdullah haben nur noch die Kandidaten Qutbuddin Helal, Daoud Sultanzoy und Qayum Karsai die Fragen beantwortet. Der ältere Bruder des amtierenden Staatschefs Hamid Karsai hat sich inzwischen jedoch zugunsten eines anderen Kandidaten aus dem Rennen um das Amt zurückgezogen. Helal, der mit der radikalen islamistischen Partei 'Hezb-e-Islami' verbunden ist, erklärte gegenüber HRW, dass es wichtig sei, Menschenrechtsverletzungen zu ahnden und die Schuldigen zu bestrafen.

Auch zivilgesellschaftliche Akteure sind der Meinung, dass es bestimmter Voraussetzungen bedarf, um zu verhindern, dass der Ruf nach einer Übergangsjustiz den Konflikt verschärft. "Zunächst muss eine legitime und anerkannte Regierung die vollständige Kontrolle über das Land ausüben", sagte Ali Jan Fahim, Mitglied von CSHRN in Bamiyan. "Erst wenn die Warlords nicht mehr an der Macht sind, hat die Übergangsjustiz eine Chance. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass wir getötet werden und die Instabilität im Lande zunimmt."

"Die Verbrecher und ihre Helfershelfer sitzen alle in der Regierung und haben Macht", erklärte Amir Sharif, Soziologiedozent an der Universität von Bamiyan. "Wir sollten uns mehr auf die nationale Einheit konzentrieren. Erst auf dem weiteren Weg, wenn es eine starke, funktionsfähige und zentrale Regierung gibt, die von den meisten Afghanen anerkannt wird, sollten wir über ein nationales oder internationales Sondergericht beraten." (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/03/past-crimes-haunt-afghan-progress/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2014