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ASIEN/962: Nepal - Proteste an Grenze zu Indien blockieren Spritlieferungen nach Kathmandu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Dezember 2015

Nepal: Proteste an Grenze zu Indien blockieren Spritlieferungen nach Kathmandu

von Stella Paul



Bild: © Stella Paul/IPS

Tankstellen in Kathmandu müssen wegen Spritmangels schließen
Bild: © Stella Paul/IPS

KATHMANDU (IPS) - Durga Rajak, Miteigentümerin des beliebten Restaurants 'Mailadai Hans ko Choila' in Kathmandu, lernt gerade, wie man einen Dieselherd bedient. "Bei Diesel besteht immer die Gefahr, dass der Herd explodiert", erklärt sie. "Man darf den Hebel nicht zu schnell bewegen oder die Flamme zu hoch schalten." Bisher hatte die 40-Jährige mit Kerosin gekocht, das momentan jedoch kaum noch irgendwo erhältlich ist.

In der Hauptstadt Nepals ist Treibstoff seit etwa drei Monaten knapp, weil die Lieferungen durch politische Proteste in der Provinz Madhes blockiert werden. Sowohl LPG-Kochgas als auch Kerosin sind in Kathmandu Mangelware.

Rajak ist dringend auf eine Alternative angewiesen, um ihr Lokal geöffnet zu halten. Immerhin haben sie und ihr Mann Kontakte auf dem Schwarzmarkt und können es sich leisten, Diesel für das Dreifache des Normalpreises zu kaufen. Ein Großteil der Einwohner Kathmandus und anderer Distrikte hat jedoch das Nachsehen. Eine warme Mahlzeit zuzubereiten, ist zurzeit für viele Menschen ein riesiges Problem.


Ethnie sieht sich durch neue Verfassung benachteiligt

Der Energienotstand begann im Oktober, kurz nachdem die erste Verfassung in der Geschichte des Landes verabschiedet worden war. Bereits am 20. September, als das Parlament den Entwurf annahm, brachen in Madhes an der Grenze zu Indien Proteste aus. In der Provinz leben etwa 52 Prozent der Bevölkerung Nepals. Die Angehörigen der Madhesi-Ethnie, die sich sprachlich und kulturell mit Indien verbunden fühlen, sahen sich durch die Verfassung diskriminiert.

"Wir wollen erreichen, dass die Provinz, zu der 21 Distrikte gehören, einen Autonomiestatus erhält", sagte Mohan Kumar Singh, der für den staatlichen Sender 'Nepal Television' in Kathmandu arbeitet und Vorsitzender des Madhesi-Journalistenverbandes ist. Die neue Verfassung gewähre der Provinz jedoch nur eine politische Selbstverwaltung in acht Distrikten. Zudem würden Angehörige der Ethnie auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt.

Zu Beginn der Proteste verbrannten Anhänger der politischen Parteien in Madhes öffentlich die neue Verfassung und verlangten unverzügliche Änderungen. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, blockierten sie unter anderem die Nachschubroute entlang der Grenze zwischen Nepal und Indien.

Entlang der 1.236 Kilometer langen Grenze verlaufen etwa ein halbes Dutzend Versorgungswege. Alle LKW, die Treibstoff nach Kathmandu bringen, müssen den nepalesischen Grenzposten Birganj passieren, der etwa 90 Kilometer südlich der Hauptstadt Kathmandu auf dem Gebiet der Provinz Madhes liegt. Tausende Laster, die Benzin, Diesel, Kochgas und Medikamente transportieren, sind seitdem aufgehalten worden.

Inzwischen haben die meisten Tankstellen in Kathmandu geschlossen, auch Kochgas und Kerosin sind fast nirgendwo mehr erhältlich. Die akute Knappheit hat den Schwarzhandel angeheizt. Am härtesten trifft die Krise diejenigen, die noch immer unter den Folgen des verheerenden Erdbebens im Juni leiden. Fast 8.000 Menschen wurden bei dem Beben getötet. Mehr als eine halbe Millionen Nepalesen verloren ihre Wohnungen.

Aufgrund des Spritmangels mussten in Kathmandu auch fliegende Händler, die Speisen am Straßenrand verkaufen, ihre Stände schließen. Die meisten Taxis sind ebenfalls zu einer Zwangspause gezwungen.


Taxifahrer ohne Arbeit

"Um einmal den Tank zu füllen, habe ich einen ganzen Tag lang in der Schlange gestanden", sagt der Taxifahrer Chandra Bahadur. "Manchmal komme ich überhaupt nicht an Benzin." Ohnehin besuchen seit dem Erdbeben deutlich weniger Touristen den Himalajastaat. "Die wenigen, die noch kommen, wollen nicht im Land herumfahren, da sie befürchten, wegen des Benzinmangels irgendwo zu stranden", berichtet Bahadur, der nun in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi Arbeit suchen will.

Auch die Hausfrauen, von denen 90 Prozent Kochgas benötigen, haben es derzeit schwer, für ihre Familien zu sorgen. Usha K. C. Raut geht sehr sparsam mit ihren Gasvorräten um und kocht nur noch einmal am Tag. "Abends essen wir die Reste vom Vormittag. Zwei Mal am Tag zu kochen, geht einfach nicht", sagte sie. Die meisten ihrer Nachbarn kochen mit Kerosin oder Brennholz, einige haben sogar elektrische Induktionsherde. Raut erwartet, dass die Strompreise bald steigen werden.

Die Versorgungsengpässe haben in der Bevölkerung Ressentiments gegen Indien geschürt. Auch die Regierung Nepals hat den Nachbarstaat beschuldigt, die Blockade angeordnet zu haben, um die Forderungen der Madhesi zu unterstützen. Indien weist die Vorwürfe jedoch entschieden zurück. Die Proteste seien politischer Natur und eine innere Angelegenheit Nepals, erklärte der Sprecher des Außenministeriums in Neu-Delhi, Vikas Swaroop. Nur die Führung in Kathmandu könne sie auf dem Weg des Dialogs lösen.

Die Bewohner der Provinz Madhes glauben dagegen, dass eine Lösung nur dann erreicht werden könne, wenn Indien sich als Vermittler einschaltet. Demnächst wird eine Delegation aus Vertretern der Madhesi nach Neu-Delhi reisen, um die Regierung um Hilfe zu bitten. In Nepal steht unterdessen der Winter vor der Tür, und die Menschen stellen sich auf noch größere Härten ein. (Ende/IPS/ck/21.12.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/12/earthquake-survivors-struggle-amid-fuel-shortages-due-to-protests/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2015

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