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EUROPA/726: Das deutsch-französische Verhältnis auf dem Prüfstand (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2009

Analyse:
Le mariage de raison
Das deutsch-französische Verhältnis auf dem Prüfstand

Von Ernst Hillebrand


Die deutsch-französischen Beziehungen stehen, so heißt es allenthalben, nicht zum Besten. Merkel und Sarkozy verstehen sich nicht. Die Streitpunkte zwischen den Ländern nehmen zu, gerade auch im wirtschaftlichen Bereich. Die französische EU-Ratspräsidentschaft hat dem deutsch-französischen Verhältnis eher geschadet als genützt: Sarko nervt.


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Vieles an dem angeblichen deutsch-französischen Zerwürfnis scheint medial aufgebläht und überinterpretiert. Dennoch steckt darin ein wahrer Kern. Dieser hat aber weniger mit dem Temperament Sarkozys und der Kanzlerin zu tun und auch nicht mit dem Management der EU-Ratspräsidentschaft. Schön wäre es, wenn es so einfach wäre. Denn die Basis der deutsch-französischen Beziehungen ist nach wie vor grundsolide. Die politischen, wirtschaftlichen, zivilgesellschaftlichen und kulturellen Verbindungen verknüpfen sich zu einem weltweit einzigartigen System von zwischenstaatlichen und -gesellschaftlichen thick relations. Dieses System vermag weit heftigere Erschütterungen abzufedern als eine charakterliche Unverträglichkeit des jeweiligen politischen Spitzenpersonals.


Erkennbare Etappenziele fehlen

Nein, die Abkühlung zwischen Paris und Berlin hat andere Gründe. Nicht die Gegenwart ist das Problem, sondern die Zukunft: Weder für die Fortentwicklung der bilateralen Beziehungen noch für die Europas gibt es so etwas wie eine beiderseits des Rheins geteilte Vision. Beginnen wir mit dem Bilateralen: Die deutsch-französischen Beziehungen sind dicht und solide, die Verknüpfung einzigartig, die Fülle der Institutionen - von den Städtepartnerschaften über das Jugendwerk und die deutsch-französische Universität bis zu den regelmäßigen gemeinsamen Kabinettssitzungen - ist überwältigend. Das Problem ist, dass kaum einer der Beteiligten so recht weiß, wofür man viele dieser schönen Dinge jetzt denn noch benutzen soll. In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer wieder klar erkennbare Etappenziele der deutsch-französischen Zusammenarbeit: Die Aussöhnung der Nachkriegszeit, die Konstruktion Europas, die Vertiefung und Verdichtung der Beziehungen auf allen Ebenen der Gesellschaft. Aber heute? Die Länder - besser: die Gesellschaften - sind versöhnt. Europa steht. Die Beziehungen sind dicht und, im positiven Sinne, Routine. Niemand hat im Moment so recht eine Idee, was auf bilateraler Ebene jetzt noch kommen soll. Zumal die Grenzen des durch politischen Voluntarismus Erzwingbaren erreicht scheinen: Das Interesse an der jeweils anderen Sprache und Kultur - in der Breite der Bevölkerung ohnehin nie so richtig überwältigend - sinkt kontinuierlich. Die "alten" Kulturnationen Europas verlieren an Bedeutung: Die Welt ist in den letzten Jahrzehnten größer und bunter geworden. Und auch Franzosen sprechen mittlerweile Englisch.

Dies alles wäre nicht so schlimm, gäbe es eine geteilte übergeordnete Vision für Europa. Aber auch diese existiert nicht mehr. Spätestens seit dem Referendum 2005 und der Ablehnung des europäischen Verfassungsvertrages durch die Bevölkerung Frankreichs geht der Blick der politischen Eliten in Frankreich und Deutschland in unterschiedliche Richtungen. Frankreichs Politik ist vorsichtig geworden. Deutschlands Politik fordert den Rest des Kontinents auf, so zu tun, als sei nichts passiert - weder in Frankreich, noch in den Niederlanden, noch in Irland. Aber spätestens seit den gescheiterten Referenden in den Kernländern der alten EU steht die Frage nach der Finalität der Union im Raum: Was ist die geografische Finalität der EU? Was ihre institutionell-politische? Was ihre wirtschaftliche? Deutschlands Politik verweigert bis heute jede ernsthafte Diskussion dieser Fragen - sowohl gegenüber der eigenen Bevölkerung wie gegenüber der Politik anderer europäischer Länder, nicht zuletzt Frankreichs. Aber dieses Fehlen einer offenen Debatte fordert ihren Preis: Und der besteht darin, dass es kein geteiltes Projekt mehr gibt. Dieses Fehlen schleicht sich ein in den bilateralen Alltag. Plötzlich werden all die anderen Dinge wichtiger: die Alltagsprobleme im Zusammenleben zweier Länder, die viel verbindet, die aber auch in vielerlei Hinsicht in Konkurrenz und Wettbewerb zueinander stehen.

Dies gilt zumal für die Wirtschaft: Deutschland und Frankreich sind die beiden großen Industrienationen Westeuropas und der jeweils größte Handelspartner füreinander. Mit sehr unterschiedlichen Entwicklungen in den letzten Jahren. Deutschlands Exportüberschuss wächst. Frankreichs Handelsdefizit steigt. Und zwar vor allem mit zwei Ländern. Das eine heißt China, das andere Deutschland. Die Bundesrepublik verfolgt seit Ende der 90er Jahre einen harten Kurs der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Diese Politik übt Druck auf die europäischen Nachbarn aus: auch und gerade auf Frankreich. Frankreichs Reallöhne sind seit dem Jahr 2000 um 9,6% gestiegen. Deutschlands um 0,8% gefallen. Über 90% der französischen Industrieproduktion stehen in direkter Konkurrenz mit deutschen Produkten. Frankreich sieht sich immer stärker auch in jenen Bereichen einer deutschen Konkurrenz ausgesetzt, wo es seine eigenen european champions vermutet: SNCF versus Deutsche Bahn, EDF versus E.on und RWE, Air France versus Lufthansa, der TGV gegen den ICE. Aber auch in Deutschland misstraut man Frankreich zunehmend. Zu oft haben deutsche Unternehmen und deutsche Manager in den letzten Jahren mit Frankreichs politique industrielle schlechte Erfahrungen gemacht.


Das Ziel heißt positive Normalität

Angesichts der vorhersehbaren wirtschaftlichen Turbulenzen erscheint ein intensiver politischer Dialog umso wichtiger. Nicht immer wirkt es von Paris aus betrachtet so, als sei Deutschland daran wirklich interessiert. Ob Mittelmeer-Union, europäische Rettung des Finanzsektors oder stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Eurozone - Berlins Antwort auf Frankreichs Initiativen ist (fast) immer die gleiche. "Ich bin der Geist, der stets verneint"... Was natürlich auch an Sarkozy liegt. Sein außen- und europapolitischer Stil nervt tatsächlich, nicht nur in Deutschland. So geht man nicht mit Partnern um - und so kann man innerhalb der EU schon lange nicht mehr Politik machen. Das ursprüngliche Projekt der Mittelmeerunion war eine Provokation, die harte deutsche Reaktion richtig. Andere Unterfangen wirken ähnlich undurchdacht: Sarkozys aktueller Flirt mit Großbritannien beispielsweise wird ihn nicht weit bringen. Spätestens beim G20-Gipfel zur Regulierung des Weltfinanzsystems wird Frankreich - sollte es ihm mit einer echten Neuregulierung Ernst sein - nur noch einen soliden Verbündeten haben: Die Sauerkrautesser.

Das deutsch-französische Paar ist tatsächlich in die Jahre gekommen. Die Beziehung - sie war von Anfang an keine reine Liebesheirat gewesen - ist im Wesentlichen eine Vernunftehe geblieben. Die Zeiten des Zusammenwachsens sind vorbei. Große gemeinsame Pläne gibt es nicht mehr. Die Kinder - Versöhnung, Europa, Zusammenarbeit - sind flügge. In Zukunft wird es im deutsch-französischen Verhältnis um so etwas wie eine positive Normalität in der Zusammenarbeit zweier eng miteinander verflochtener Länder gehen, die alleine immer weniger erreichen können. Um nicht mehr, aber auch um nicht weniger.


Ernst Hillebrand (* 1959) ist Leiter des Pariser Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Ernst.Hillebrand/fesparis.org


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2009, S. 22-24
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2009