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EUROPA/812: Das Problem an der Wurzel packen - Irische Kommunisten fordern Veränderungen (ZLV)


Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 29. Dezember 2010

Das Problem an der Wurzel packen
Irische Kommunisten fordern grundlegende Veränderungen

Interview mit Eugene McCartan, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Irlands (*) von Uli Brockmeyer


Frage: Das irische Parlament hat umfangreiche Ausgabenkürzungen beschlossen. Worin siehst du die wichtigsten Folgen für die Menschen in Irland?

Antwort: Die tiefe Krise, von der die irische Wirtschaft erschüttert wird, ist Teil der weltweiten Krise des kapitalistischen Systems selbst, mit einigen irischen Besonderheiten. Der für 2011 beschlossene Staatshaushalt ist eine Fortsetzung des »Austeritätsbudgets« der drei vorangegangenen Jahre. Dieser Haushalt wurde unter Kontrolle und Anleitung der EU und insbesondere der Europäischen Zentralbank konstruiert. Die gemeinsame Strategie der EU und des Internationalen Währungsfonds verlangte Kürzungen in Höhe von 6 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren bei einem Etat von gerade mal 15 Milliarden Euro und angesichts einer Wirtschaft, die ohnehin darum kämpfen muß, sich über Wasser zu halten, zumal etwa 14,5 Milliarden Euro schon aus den drei früheren Budgets herausgenommen worden waren.

Politisch und wirtschaftlich stand bereits in den vergangenen drei Jahren im Vordergrund, den arbeitenden Menschen, den Armen, den von Unterstützungsprogrammen abhängigen Menschen, kleinen Geschäftsleuten, Selbständigen und Bauern mit Familienbetrieben die Lasten der Finanzkrise und der tiefgreifenden strukturellen Probleme, die die Wirtschaft des Landes belasten, aufzubürden. Und das soll so weitergehen.

Während die EU diesen Prozeß steuert und inzwischen die irische Volkswirtschaft von Brüssel aus lenkt, gibt es gleichzeitig keinerlei Strategie für die Schaffung von Arbeitsplätzen für die beinahe 500.000 Arbeitslosen unseres Landes mit 4,5 Millionen Einwohnern, und schon gar nicht für Zehntausende Emigranten, die bei uns Arbeit suchen. Die gegenwärtige Finanzpolitik ist untragbar, ebenso wie die Schulden aus dem privaten Banking, die vom Staat vergesellschaftet und somit in Staatsschulden umgewandelt wurden, oder besser gesagt in illegitime Schulden, wie wir Kommunisten das sehen.

Mehr als 2,2 Milliarden Euro wurden aus dem Regierungshaushalt gestrichen, das sind beinahe 27 Prozent der Kapitalinvestitionen, und das in erster Linie in solchen Bereichen wie Gesundheitsfürsorge, Bildung und soziale Sicherheit. Der gesetzliche Mindestlohn wurde um 11,5 Prozent gekürzt, von 8,65 auf 7,65 Euro Stundenlohn. Wir betrachten das als eine Vorankündigung weiterer harter Angriffe auf die Tarifverträge, mit denen Mindestlöhne und soziale Standards für Arbeiter und Angestellte in einem breiten Bereich der Wirtschaft festgelegt werden. Das wirkt sich besonders auf das Bauwesen sowie auf das Hotel- und Gastronomiegewerbe aus. Viele der dort Beschäftigten arbeiten bereits jetzt zu Niedriglöhnen.

Die nackte Wahrheit über die Budgetkürzungen wird jedoch erst zutage treten, wenn im Februar das Gesetz über den Staatshaushalt veröffentlicht wird, mit dem das Budget dann in Kraft tritt. Erst dann werden die tatsächlichen Einschnitte bekannt, und nicht in den gezielt aus dem Dáil Éireann, dem Parlament, an die Öffentlichkeit lancierten Versatzstücken - so wie es in den meisten bürgerlichen Parlamenten üblich ist.

Frage: Wie wird sich das alles auf das Leben einer normalen Arbeiterfamilie auswirken?

Antwort: Drei Viertel der geplanten Einsparungen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro betreffen das Ressort Soziales (873 Millionen), das Ministerium für Gesundheit und Kinder (746 Millionen) und das Bildungsministerium (170 Millionen), während sich der verbleibende Rest auf die übrigen Ressorts verteilt. Auch die Studiengebühren werden erhöht, was bedeutet, daß die Hürden für junge Menschen aus Arbeiterfamilien, eine bessere Bildung zu erlangen, noch höher gesetzt werden.

Neue Steuerverordnungen werden das Maß der Ungleichheit noch weiter verschärfen. Dazu kommen die Kürzung der Sozialhilfe um acht Euro pro Woche und die zu erwartenden Kürzungen bei den Mindestlöhnen. Das Kindergeld wurde um 312 Euro pro Jahr verringert. Die angekündigte Reduzierung bei den Steuerkrediten ist regressiv, denn dadurch wird das Einkommen aller Menschen, die weniger als 18.000 Euro pro Jahr verdienen, um 12 Prozent gekürzt. Das hat demzufolge größere Auswirkungen auf Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, und weniger für die Großverdiener.

Die Streichungen bei den Sozialausgaben haben zum Beispiel zur Folge, daß eine Familie, die auf soziale Leistungen angewiesen ist, auf einen Betrag zwischen 619 und 1.115 Euro pro Jahr verzichten muß. Mehr als 14 Prozent der Bevölkerung unseres Landes leben unterhalb der Armutsgrenze, und mehr als 18 Prozent aller Kinder wachsen in Armut auf. Diese Zahlen steigen, ebenso wie die Zahl derjenigen, die Arbeit haben und dennoch nicht genügend Geld zum Leben verdienen. Nur den Leuten, die mehr als 75.000 Euro pro Jahr einnehmen, wird es besser gehen, sie werden 1.185 Euro pro Jahr mehr bekommen. Dazu muß man wissen, daß das Durchschnittseinkommen bei 30.000 - 35.000 Euro liegt.

Frage: Meint die Regierung wirklich, daß die Kürzungen ein Ausweg aus der Krise sind?

Antwort: Noch vor dem Haushalt hat die Regierung ihren »Nationalen Plan für den Aufschwung« veröffentlicht. Dazu gehört ein sogenannter »Vierjahresplan«, in dem die Prioritäten beschrieben werden. Wie immer unter den Bedingungen des Monopolkapitalismus rangiert das, was im Interesse der Menschen liegt, erst weit unten auf dieser Prioritäten-Liste.

Nach der Veröffentlichung drängten sowohl die EU als auch die ausländischen Finanzhäuser alle politischen Parteien, die im Dáil Éireann vertreten sind, diesem Plan zuzustimmen. Sie wollten erreichen, daß sich auch mögliche künftige Regierungskoalitionen an diese Strategie gebunden fühlen, die jetzt durchgesetzt wird.

Die drei größten Parteien - Fianna Fáil, Fine Gael, und die Labour Party - haben die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prioritäten, die von der EU und dem IWF durchgedrückt wurden, mehr oder weniger akzeptiert, wenn sie auch noch den üblichen rituellen Tanz aufführen, der Vereinbarung mal beizutreten und mal aus ihr auszutreten.

Unter dem Schema der Bankgarantie der Regierung wurden die Unternehmensschulden von sechs irischen Banken und Finanzhäusern vergesellschaftet. Das kann ganz leicht dazu führen, daß dem irischen Volk eine Last unbezahlbarer Schulden in Höhe von 240 Milliarden Euro oder letztlich sogar von rund 500 Milliarden Euro aufgebürdet wird - und das, wie gesagt bei einer Bevölkerung von 4,5 Millionen Menschen. Diese Strategie wurde erträumt und dann umgesetzt durch die EZB und die EU-Kommission.

Der tiefere Sinn dieser Strategie besteht darin, die deutschen Banken und das deutsche Finanzsystem zu stützen und zu erhalten, aber auch die britischen und die französischen Banken. Es ist noch nicht lange her, da wurde aufgedeckt, daß die Banken der Republik Irland die fünftgrößten Anleger in Portugal, Spanien und Griechenland sind, und auf Platz 17 in der Liste der weltgrößten Anleger stehen. Das irische System der »Finanzdienstleistungen« wurde ausgenutzt als ein Kanal für spekulative Investitionen von Finanzhäusern der EU-Länder, insbesondere für das deutsche Finanzkapital. Es wird geschätzt, daß irische Banken den deutschen Banken eine Summe von etwa 130 Milliarden Euro schulden - und das irische Volk soll nun gezwungen werden, diese Schulden zu bezahlen.

All das dient dazu, den Euro zu retten. Die irischen Kommunisten hatten seinerzeit dazu aufgefordert, im Referendum gegen den Beitritt zur Eurozone zu stimmen. Jetzt fordern wir öffentlich dazu auf, mit dem Euro endgültig zu brechen.

Frage: Welche Auswirkungen erwartest du für die irische Volkswirtschaft?

Anwort: Von einem sehr frühen Entwicklungsstadium an war die Wirtschaft ganz Irlands - also der Republik und auch des vom britischen Staat besetzten nördlichen Teils des Landes - darauf ausgerichtet, den Interessen des britischen Weltreiches zu dienen. Diese Abhängigkeit war einer der wesentlichen Gründe für die Spaltung des Landes im Jahre 1922, als der Norden der am höchsten entwickelte Teil war, während der Süden vor allem ein Reservoir für billige Lebensmittel und Arbeitskräfte war.

Seit seiner Gründung hat der Staat vor allem eine Politik der Aufrechterhaltung dieser Abhängigkeit auf die eine oder andere Weise verfolgt. In den späten 50ern und in den 60er Jahren war es ein wichtiges Ziel, transnationale Konzerne dazu zu bringen, sich in der Republik Irland anzusiedeln. Daraus entstanden neue Abhängigkeitsbeziehungen mit den USA, und letztlich zu Westeuropa, nachdem Irland der EWG beigetreten war. Die irische herrschende Clique hat sich stets vor allem darum bemüht, unter diesem Trio von Beziehungen - USA, EU und Britannien - das Gleichgewicht zu erhalten, um ihren eigenen Klasseninteressen zu dienen.

Diese große strukturelle Schwäche ist nun das Herzstück unserer Probleme. Irisches Kapital war nicht in der Lage, und in gewissem Maße auch nicht willens, in die langfristige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des Landes zu investieren. Das führte dazu, daß wir es mit einer sehr spekulativen, parasitären herrschenden Clique zu tun haben, die auf engste Weise mit den Bedürfnissen und den Interessen des internationalen Kapitals verquickt ist.

Die wachsende Verschuldung des Staates hat zu »Notverkäufen« von gesellschaftlichem Eigentum geführt, womit die ausländischen Aufkäufer nun einen schnellen und großen Reibach machen wollen. Dieses Heuschrecken-Unwesen wird aktiv unterstützt durch das Abkommen mit der EU und dem IWF. Die irische Regierung ist verpflichtet, beiden Institutionen wöchentlich und vierteljährlich Berichte vorzulegen, welche der Ziele, die dem irischen Staat diktiert wurden, erreicht worden sind. Sehr strikte und harte Sanktionen werden Irland angedroht, bis hin zum Entzug des sogenannten »Rettungsschirms«.

Frage: Was schlägt die Kommunistische Partei vor, um das Problem zu lösen?

Antwort: Seit Beginn der Krise haben die irischen Kommunisten es abgelehnt, den Banken staatliche Blanko-Garantien zu geben. Wir sind in unseren Kampagnen dafür eingetreten, es dem Bankensektor zu ermöglichen, entsprechend den Gesetzen des »Marktes« zu existieren, was bedeutet, daß Banken auch bankrott gehen dürfen. Wir haben dazu aufgefordert, eine staatliche Entwicklungsbank zu schaffen, unter demokratischer Kontrolle und mit verfassungsmäßigen Garantien, um die Ersparnisse und die Pensionen der Menschen zu schützen. Außer einer neuen Staatsbank haben wir die Gründung eines Unternehmens für die wirtschaftliche Entwicklung ganz Irlands vorgeschlagen, um den staatlichen Sektor in die Bereiche der neuen Technologien auszuweiten und alle Naturressourcen zu verwalten und zu erschließen, insbesondere die Meeresressourcen sowie die Öl- und Gasreserven - es wird geschätzt, daß es vor der Westküste Öl- und Gaslagerstätten mit einem Wert von etwa 500 Milliarden Euro gibt.

Eine staatliche Bank und ein staatliches Entwicklungsunternehmen könnten das staatliche Kapital sowohl konsolidieren als auch dessen Einsatz in einer für die Zukunft der Gesellschaft und der Umwelt vertretbaren Weise zu konzentrieren. Aufgrund des nationalen Charakters der beiden Einrichtungen würden sie einen wesentlichen Beitrag leisten zur Schaffung einer gesamt-irischen Wirtschaft und damit zur Herstellung eines festeren Zusammenhalts innerhalb der Arbeiterklasse und zwischen dem Norden und dem Süden Irlands.

Wir definieren das gegenwärtige Stadium des Kampfes als national-demokratische Transformationsstrategie. Das ist eine Strategie, mit der die Forderung nach Veränderung in eine strategische Notwendigkeit überführt wird und die den Weg bereitet für die Vertiefung des Kampfes für nationale demokratische und wirtschaftliche Souveränität und eines Tages für den Sozialismus. Wir sind überzeugt, daß dadurch auch der Wunsch nach Sozialismus in die Wirklichkeit umgesetzt wird.

Die Kräfte für diese Veränderungen gewinnen allmählich an Gewicht. Ende November haben mehr als 100.000 Arbeiter und Angestellte an einer Massendemonstration teilgenommen. Eine Konferenz Ende Oktober unter dem Motto »Wir fordern unsere Zukunft« brachte mehr als tausend Aktivisten zusammen. Eine ähnlich große Konferenz ist für Ende Januar geplant. Nach dem Beschluß über den Staatshaushalt haben Tausende an einem Straßenkarneval teilgenommen, der unter dem Motto stand »Ihr schneidet, wir bluten«.

Die Reaktion der Gewerkschaften war sehr zurückhaltend - das ist ein Ergebnis der jahrzehntelangen Politik der »Sozialpartnerschaft«, die wir als »Klassenkollaboration« bezeichnen. Die Gewerkschaften hatten zwar zur Demo im November aufgerufen, aber in einem Brief, der unter Mitgliedern kursierte, stellte die Gewerkschaftsführung fest, sie habe das nur getan, weil man »irgendetwas tun mußte«.

Kurz vor Weihnachten hatte die Kommunistische Partei Irlands zu einer öffentlichen Versammlung zum Thema »Staatsbudget - und was nun?« eingeladen. Daran nahmen auch einige Gewerkschaftsführer teil, was wir als ein bedeutendes Anzeichen für einen Bruch mit der antikommunistischen Ideologie ansehen, die seit Jahrzehnten große Teile der Gewerkschaftsbewegung infiziert hat. Die irischen Kommunisten führen ihre Kampagne jetzt unter dem Motto weiter »Den Widerstand des Volkes aufbauen - die Alternative des Volkes aufbauen«.


(*) Die 1933 gegründete KP Irlands organisiert die Kommunisten der Republik Irland und des von Britannien okkupierten Nordirland.


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Quelle:
Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
Artikel-URL: http://www.zlv.lu/spip/spip.php?article4118
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2010