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EUROPA/816: Größter Streik im Öffentlichen Dienst auf den Britischen Inseln seit dem 2. Weltkrieg (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 49 vom 9. Dezember 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Da steckt Kraft drin
Größter Streik im Öffentlichen Dienst auf den Britischen Inseln seit dem 2. Weltkrieg

von Hermann Glaser-Baur


Weder Drohungen noch Lügen konnten sie abhalten, die gigantische Propagandakampagne der gleichgeschalteten Medien erwies sich als genau der "feuchte Furz", als den ein tobender Premierminister David Cameron vor versammelter Mannschaft des Parlaments in London die Streikaktion der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes titulierte. Nach offiziellen Angaben beteiligten sich weit über 1,5 Millionen Menschen am Ausstand, die Gewerkschaften zählten 2 Millionen Streikende am 30. November. Auch der verzweifelte Versuch seitens der konservativ-liberalen Koalitionsregierung, einen Tag vor dem Streik mit der Drohung, ihr "großzügiges letztes Angebot" zur Sicherung der Renten komplett vom Tisch zu nehmen, die Gewerkschaften zum Einlenken zu zwingen, half nicht: Weder Gewerkschaftsführungen, noch die Mitglieder ließen sich verbiegen, im Gegenteil: In so gut wie allen Regionen des Königreichs stand die Streikfront geschlossener, als selbst von den Gewerkschaften erwartet.

"Hände weg von unserer Rente" war die Hauptlosung in Glasgow wie in London, in Cardiff wie in Belfast in allen Städten standen Lehrer und Busfahrer, Ärzte und Krankenschwestern, Reinemachefrauen und Psycho-Therapeuten gemeinsam Streikposten. Hier einige Zahlen, die erklären, warum der Herr Premierminister so ausfällig wurde:

98 Prozent aller Schulen in Schottland wurden bestreikt, im "feinen" London waren es immerhin 85 Prozent.

Auf der gesamten Insel standen die Krankentransporter (mit Ausnahme von Rettungswagen für Notfälle) in den Garagen.

Die U-Bahn in Glasgow, der Mersey-Tunnel, die Metro in Newcastle, die Orkney- und Shetland-Fähren, der gesamte Bus- und Bahnverkehr in Nordirland wurden erfolgreich und mit teilweise sehr personalstarken Postenketten bestreikt. Der Platz in diesem Artikel reicht bei weitem nicht, um auch nur annähernd alle Streikaktionen aufzuführen.

Interessant ist, dass in den von den Kürzungen im öffentlichen Dienst (nach gerade veröffentlichter Statistik des "Institute for Fiscal Studies", IFS, hat eine Familie mit durchschnittlichem Einkommen im kommenden Jahr 2500 (!) Pfund Sterling weniger zur Verfügung bzw. mehr zuzuzahlen, als vor 2 Jahren. In den besonders hart betroffenen "peripheren" Regionen wie Schottland und Nordirland, wo die Arbeitslosigkeit aufgrund der Zerstörung der produzierenden Industrie ohnehin schon Europäische Rekordhöhen erreicht hat, führte die weitgehend erwartete Resignation der Menschen genauso wenig zu geringerer Streikbeteiligung wie der finstere Versuch,die Arbeiter des öffentlichen Dienstes gegen ihre in der Privatwirtschaft tätigen bzw. arbeitslosen Kollegen auszuspielen und die Öffentlichkeit gegen die "gierigen gut versorgten" öffentlichen Beschäftigten aufzubringen.

Im Gegenteil: Ein Novum in der Geschichte britischer Streiks ist, dass sich etwa Taxi-Fahrer, also private "Kleinstunternehmer", in erstaunlichen Zahlen (in Belfast über 100!) unterstützend am Bestreiken des öffentlichen Nahverkehrs beteiligten (siehe auch Interview mit Brian Campfield in dieser Ausgabe der UZ). Auch der Schwachsinn von den "faulen Lehrern", die mal wieder einen extra freien Tag wollten, befördert von Boulevardpresse wie von "ernsthaften" Politikern, wurde am 30. November sehr sichtbar ad absurdum geführt: Parallel zu den Streikaktionen nahmen mehrere hunderttausend Menschen an etwa 1000 (!) Gewerkschaftsdemos im ganzen Land teil. In London zählte die Polizei über 30.000, in Manchester gingen 20.000 auf die Straße, in Liverpool, Belfast und Newcastle on Tyne waren es jeweils weit über 10.000 und nicht viel weniger in Leeds, Glasgow, Sheffield und Swansea, um nur die größeren Orte zu nennen.

"We are in for the long haul" - Wir sind auf den langen Weg vorbereitet, war die Grundaussage all dieser arbeitenden Menschen. Sie wurden derweil von "ihrem" Premierminister vor dem hohen Haus in Westminster "unverantwortlich, schädlich, schwachköpfig und linksradikal" genannt.

"... Er sollte mal aus dem Fenster schauen" sagte Dave Prentis, Generalsekretär der Gewerkschaft UNISON. "Dort sind zwei Millionen im Streik und Hunderttausende auf der Straße - ein sehr großer 'feuchter Furz'." Brendan Barber, Vorsitzender des Gewerkschafts-Dachverbands (TUC), lässt keine Zweifel aufkommen: "Der Streik am 30.11. ist der Start eines Winters der Unruhe, der so lange anhält, bis Renten- und Gehaltskürzungen ebenso vom Tisch sind wie Stellenabbau."


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, 49 vom 9. Dezember 2011, Seite 10
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2011