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EUROPA/827: Britisches Unterhaus stimmt für die Anerkennung Palästinas (UZ)




UZ - Unsere Zeit, Nr. 43 vom 24. Oktober 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Britisches Unterhaus stimmt für die Anerkennung Palästinas

Labour-Abgeordnete: Israel hat kein Veto-Recht gegen das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser

von Georg Polikeit

Der Vorgang hat in den vorherrschenden Medien keine große Beachtung gefunden. Dabei war es durchaus etwas Außergewöhnliches: das britische Unterhaus sprach sich am 13. Oktober mit großer Mehrheit für die Anerkennung Palästinas als eigenständigen Staat aus. 274 Abgeordnete waren dafür, nur 12 stimmten mit Nein.

Die Abstimmung erfolgte wenige Tage, nachdem der neue sozialdemokratische Ministerpräsident Schwedens, Stefan Loefven, seine Absicht bekundet hat, Palästina als Staat anzuerkennen. Beide Vorgänge verweisen auf Meinungsveränderungen in der Nahostfrage und zum Verhältnis Israel-Palästina nicht nur in der europäischen Öffentlichkeit, sondern auch in Teilen der "oberen Ränge" der europäischen Politik.

Die im britischen Unterhaus beschlossene Resolution hat allerdings keinen bindenden Charakter. Der Text besagt lediglich, das Unterhaus sei der Meinung, "dass die Regierung den Staat Palästina neben dem Staat Israel anerkennen sollte, als ein Beitrag, um eine ausgehandelte Zwei-Staaten-Lösung sicherzustellen". Sprecher der Cameron-Regierung erklärten denn auch sogleich, dass die Annahme dieser Resolution die Haltung der britischen Regierung nicht ändern werde. Für sie komme eine Anerkennung Palästinas erst in Frage, wenn vorher zwischen Israel und den Palästinensern ein Friedensabkommen zustande gekommen ist.

Dennoch ist die Abstimmung im Ergebnis einer mehr als vierstündigen heftigen Debatte im Unterhaus mit über 40 Rednern und mit einem Votum im deutlichen Gegensatz zur Haltung der Regierung ein bemerkenswertes Ereignis, möglicherweise mit weitergehenden politischen Wirkungen über Großbritannien hinaus. Das hat offenbar auch die israelische Rechtsregierung unter Netanjahu so gesehen. Denn sie hat heftig und wütend darauf reagiert.

An der Abstimmung über den Text, der ursprünglich von einem Labour-Abgeordneten initiiert worden ist, dem sich aber auch konservative und liberale Abgeordnete als Unterstützer angeschlossen haben, nahmen zwar nur 286 der insgesamt 650 Unterhausmitglieder teil. Ein großer Teil der konservativen Abgeordneten hatte es vorgezogen, zur Abstimmung gegen 22 Uhr nicht mehr im Parlament anwesend zu sein. Aber natürlich ist auch dies ein politischer Vorgang. Offensichtlich hielten es diese Abgeordneten nicht mehr für so wichtig, dem Antrag auf Anerkennung Palästinas unbedingt eine Niederlage zuzufügen.

Zu den 274 Abgeordneten, die dafür stimmten, gehörten neben vielen Labour-Abgeordneten unter anderem auch der konservative Abgeordnete Nicholas Soames, ein Enkel des berühmten britischen Premierministers Winston Churchill, und Alan Duncan, bis vor kurzem noch Staatsminister für internationale Entwicklung in der Cameron-Regierung.

Das Abstimmungsergebnis gilt als Signal eines gewissen Stimmungsumschwungs in Teilen des britischen "Establishments". Neben der von der israelischen Rechtsregierung an den Tag gelegten Zerstörungswut beim Gaza-Krieg im vergangenen Sommer spielt dabei auch die Einsicht eine Rolle, dass der Nahost-Friedensprozess nicht zuletzt durch mangelnden Verständigungswillen der israelischen Regierung in eine Sackgasse geraten ist, die im Verein mit den übrigen Konflikt- und Krisensituationen im Umfeld (Syrien, Irak usw.) dazu beiträgt, die Stabilität der gesamten Nahostregion zu gefährden. Die "Neue Züricher Zeitung" vermerkte in ihrem Bericht über den Vorgang, westliche Politiker zeigten sich zunehmend "frustriert über den von Israel vorangetriebenen Siedlungsbau im Westjordanland".

Dieser Frust widerspiegelte sich auch in der britischen Unterhausdebatte. Der Labour-Abgeordnete Grahame M. Morris, Initiator der Resolution, erklärte dort zum Beispiel: "Es ist jetzt mehr als 20 Jahre her seit den Oslo-Abkommen, und wir sind weiter entfernt vom Frieden als je zuvor ... Wir erlebten eine signifikante Expansion illegaler israelischer Siedlungen, verschärfte Gefahren für die Sicherheit auf beiden Seiten, einschränkende Strafmaßnahmen gegen die Palästinenser-Bewegung, wirtschaftlichen Niedergang, eine humanitäre Krise katastrophalen Ausmaßes in Gaza und den Bau einer illegalen Annexionsmauer durch palästinensisches Land." In dieser Situation könne die Anerkennung Palästinas nicht länger von der Zustimmung Israels abhängig gemacht werden. Israel könne kein Veto-Recht gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser haben.

Der Konservative Nicholas Soames sagte in der Debatte u. a.: "Ich bin überzeugt, dass es sowohl moralisch richtig als auch in unserem nationalen Interesse ist, Palästina anzuerkennen. Es ist moralisch richtig, weil die Palästinenser das Recht auf einen Staat haben, genau so, wie die Israelis das Recht auf ihre Heimat haben." Die Anerkennung Palästinas durch Großbritannien und andere Staaten sei notwendig, um den paralysierten Friedensverhandlungen einen neuen Anstoß zu geben und deutlich zu machen, dass die Beibehaltung des Status quo unakzeptabel ist. Was den Frieden verhindere, sei "der traurige Mangel an politischem Willen, die nötigen Konzessionen zu ziehen, und eine Tendenz in Israel, zu glauben, dass es immer von den Vereinigten Staaten davor geschützt werden wird, diese schwierigen Schritte zu tun". Die Anerkennung Palästinas durch Großbritannien werde "ein starkes Signal sein, dass die Geduld der Welt nicht grenzenlos ist".

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 43 vom 24. Oktober 2014, Seite 6
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2014