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KANADA/001: Auf Stimmenfang in Quebec, Ministerpräsident verspricht Asbestindustrie Hilfe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. April 2011

Kanada: Auf Stimmenfang in Quebec - Ministerpräsident Harper verspricht Asbestindustrie Hilfe

Von Grit Porsch


Berlin, 29. April (IPS) - Wenige Tage vor den am 2. Mai anstehenden Parlamentswahlen hat Kanadas konservativer Regierungschef Stephen Harper auf einer Wahlveranstaltung in der Quebecker Kleinstadt Asbestos bekräftigt, seine Regierung werde der in Quebec ansässigen Asbestindustrie weiterhin den Rücken stärken.

An ein Exportverbot des von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als krebserregend eingestuften, weithin umstrittenen Minerals, das inzwischen in rund 40 Ländern einschließlich der Europäischen Union verboten ist, werde nicht gedacht, betonte Harper. In seiner Rede bevorzugte er die unverfänglichere Bezeichnung Chrysolith (Weißer Asbest).

Vor Medienvertretern erklärte Harper: "Unter kontrollierten und sicheren Bedingungen ist die Verwendung von Chrysolith international erlaubt". Die Montréaler Tageszeitung 'The Gazette' zitierte ihn mit den Worten: "Kanada ist nicht der einzige Exporteur von Chrysolith, und die Regierung wird nicht zulassen, dass die kanadische Wirtschaft gegenüber der Konkurrenz auf einem Markt ins Hintertreffen gerät, auf dem es legal verkauft wird."

Während die auf Bundesebene oppositionellen Neue Demokratische und Liberale Partei den Asbestexport ablehnen, liegt Kanadas konservativer Regierungschef in Quebec auf einer Linie mit der politischen Konkurrenz in der Provinz. Ungeachtet des Protestes des lokalen Gewerkschaftsverbandes und Warnungen internationaler Gesundheitsexperten sowie von Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten will Jean Charests liberale Provinzregierung einen 58-Millionen-Dollar-Kredit bewilligen, damit Kanadas letzte noch betriebe Asbestmine (Jeffrey Mine in Asbestos) mit Hilfe eines internationalen, vornehmlich indischen Investorenkonsortiums unter Tage auf eine geplante Jahreskapazität von rund 260.000 Tonnen Weißem Asbest ausgebaut wird.

Nach Schätzungen der WHO sterben jährlich weltweit etwa 100.000 Menschen an Krankheiten wie Lungen- und Rippenfellkrebs (Mesotheliom) oder Asbestose, die durch das Einatmen von Asbestfasern hervorgerufen werden. Als immer noch viertgrößter Exporteur nach Russland, Kasachstan und Brasilien lieferte Kanada 2010 150.000 Tonnen Asbest fast ausschließlich an Länder wie Indien, Indonesien und die Philippinen, in denen es kaum gesetzliche Vorschriften zum Schutz vor dem vor allem in der Bauindustrie verwendeten gesundheitsgefährdenden Mineral gibt.

Zahlreiche kanadische Organisationen, darunter der Ärzteverband von Quebec, Kanadas Krebsgesellschaft, der kanadische Ärzteverband und Kanadas Ärzteorganisation für Umweltschutz, kritisieren Kanadas Asbestexport in arme Länder, die nicht vor den Gesundheitsgefahren gewarnt werden, als beschämend und unethisch und bezeichnete die Ausfuhr als Premierminister Harpers 'Lizenz zum Töten'.


"Kanadas Ansehen in der Welt ist beschädigt"

Die Menschenrechtsaktivistin Kathleen Ruff vom 'Rideau Institute' in Ottawa, einer unabhängigen Forschungs- und Rechtshilfeorganisation, warf der Regierung vor, sie beschädige mit ihrer Unterstützung der Asbestindustrie Kanadas Ansehen in der Welt. In Kanada selbst werden asbesthaltige Bauelemente nicht mehr verwendet. Für die Sanierung zahlloser asbestverseuchter Gebäude, darunter auch des Parlamentsgebäudes in Ottawa, wurden viele Millionen Dollar ausgegeben.

Ende März kritisierte auch 'The Lancet', eine in Großbritannien erscheinende, weltweit renommierte medizinische Fachzeitschrift, Kanadas Regierung, weil sie Asbest in arme Länder exportiert, während seine Verwendung im eigenen Land praktisch verboten ist. Lancet-Chefredakteur Richard Horton forderte ein Ende "dieses unmoralischen, Tod und Krankheit bringenden Exports in Regionen mit besonders armen, schutzlosen Menschen".

Auch in Indien machen Aktivisten mobil. Anlässlich des Indienbesuchs einer hochrangigen Handelsdelegation aus Montreal im Februar verurteilte das 'Ban Asbestos Network of India' (BANI) das Handels-, Finanz- und Umweltministerium in Neu-Delhi, weil sie sich auf "die Händler des Todes aus Quebec" eingelassen hätten. BANI forderte Indiens Finanzminister Pranab Mukherjee auf, für die Baustoffindustrie nach Alternativen für Asbest zu suchen. In Indien boomt die Produktion von mit Asbest versetzten Baumaterialien. Der Industriezweig weist jährliche Wachstumsraten von zehn bis zwölf Prozent auf. (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://www.who.int
http://www.cape.ca
http://www.cancer.ca
http://www.banasbestosindia.blogspot.com

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2011