Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1111: Mexiko - Protest gegen Gewalt und Verfolgung, Journalisten fordern mehr Schutz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. August 2010

Mexiko: Aufschrei gegen Gewalt und Verfolgung - Journalisten fordern mehr Schutz

Von Daniela Pastrana


Mexiko-Stadt, 9. August (IPS) - In mehreren mexikanischen Städten sind zahlreiche Journalisten auf die Straße gegangen, um gegen die Verschleppung und Ermordung von Kollegen zu protestieren. Es waren die ersten öffentlichen Massenproteste von Medienvertretern in dem lateinamerikanischen Land.

Die Demonstrationen fanden am 7. August unter anderem in Mexiko-Stadt, Hermosillo, Monterrey, Ciudad Juárez und Morella statt. Dort sind seit langem Verbrecherkartelle aktiv, die mit brutaler Gewalt gegen alle diejenigen vorgehen, die ihre kriminellen Machenschaften aufzudecken drohen.

Eines der Opfer ist der Redakteur José Antonio García Apac, der für die Zeitung 'Ecos de la Cuenca' arbeitete. Zuletzt wurde er im November 2006 im südwestlichen Bundesstaat Michoacán gesehen. Als Apac zum letzten Mal über sein Handy mit seinen Kindern telefonierte, hörten sie, wie jemand ihren Vater aufforderte, aus dem Auto auszusteigen.

Weder der Journalist noch das Fahrzeug wurden bisher gefunden. Als später zwei Bekannte des Mannes ermordet wurden, lag die Befürchtung nahe, dass Apac das gleiche Schicksal erlitten haben könnte.

Auch von María Esther Aguilar Casimbre fehlt seit November vergangenen Jahres jede Spur. Die Reporterin aus Michoacán hatte kurz zuvor in dem Magazin 'Cambio' über einen Fall von Machtmissbrauch berichtet, in den ein lokaler Polizeichef verwickelt gewesen sein soll. Wenig später wurde Oberst Jorge Arturo Cambroni Torres aller Ämter enthoben.


Folgenreiche Reportage über Drogenhandel

Auch Alfredo Jiménez Mota von der Zeitung 'El Imparcial' im nördlichen Staat Sonora wurde eine brisante Reportage offenbar zum Verhängnis. Er verschwand, nachdem er Verbindungen zwischen einem berüchtigten Drogenkartell von Sinaloa und der Mafiaorganisation 'Los Números' aufgedeckt hatte.

Die mexikanischen Journalisten versuchten bisher allerdings kaum, gemeinsam der permanenten Bedrohung von außen zu trotzen. Politische Beobachter reagierten daher erstaunt auf die jüngsten Massenproteste.

"Erst in den vergangenen Tagen ist Bewegung entstanden, die sich mit vereinten Kräften gegen die Bedrohung von Journalisten durch die Drogenkartelle wehrt", schrieb Raymundo Riva Palacio in seiner Kolumne 'Estrictamente Personal' (Streng persönlich).

Nach Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen wurden in den vergangenen zehn Jahren 64 Journalisten in Mexiko ermordet. Zwölf weitere Pressevertreter gelten als vermisst. Allein seit Beginn dieses Jahres wurden zudem mindestens sechs Redaktionen mit Waffengewalt angegriffen. In einigen Fällen drohten Unbekannte damit, Bomben zu zünden.

Beobachtern zufolge hat sich die Situation seit dem vergangenen Jahr weiter verschärft. Die 2006 gegründete Sonderstaatsanwaltschaft, die Verbrechen an Journalisten untersucht, hat allerdings erst in drei von 86 angezeigten Fällen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet.

Aus Unzufriedenheit über die Untätigkeit der Behörden formierte sich im Internet eine soziale Protestbewegung. Die Nachricht von der Geiselnahme mehrerer Reporter im Norden des Landes verbreitete sich Ende Juli wie ein Lauffeuer über das soziale Netzwerk 'Twitter'.


Gefangene nahmen Journalisten als Geiseln

Insassen eines Gefängnis in der Stadt Gómez Palacio im Bundesstaat Durango hatten die Journalisten vorübergehend in ihre Gewalt gebracht, als diese über eine Meuterei hinter Gittern berichteten. Anlass war die Festnahme der Direktorin der Haftanstalt. Durch ein auf der Plattform YouTube verbreitetes Video war bekannt geworden, dass Margarita Rojas Rodríguez Häftlingen erlaubte, nachts das Gefängnis zu verlassen, um sich an rivalisierenden Drogenbanden zu rächen.

Die Häftlinge erklärten, ihre Geiseln nur dann freizulassen, wenn zwei große Fernsehsender Videos von Rauschgifthändlern ausstrahlen würden. Ein Kanal der TV-Anstalt 'Televisa' verzichtete daraufhin aus Protest auf die Ausstrahlung einer Sendung, an der einer der festgehaltenen Journalisten mitarbeitete.

"Wir sind an einem Punkt angekommen, den niemand erreichen wollte", sagte Elia Baltazar von dem nichtstaatlichen Zentrum für Journalismus und öffentliche Ethik (Cepet).

Die Reporter wurden wenig später von der Polizei befreit. Das New Yorker 'Committee to Protect Journalists' (CPJ) sprach daraufhin von einer "ungewöhnlich raschen Reaktion der Behörden in einem Land, in dem mehr als 90 Prozent der Verbrechen gegen Medienvertreter nicht aufgeklärt werden."

Eine der befreiten Geiseln, Héctor Gordea, beschwerte sich allerdings in einem offenen Brief an die Organisatoren der Proteste darüber, dass die Regierung Journalisten keinen ausreichenden Schutz garantiere.


UNESCO protestierte

"Als ich in der Gewalt der Geiselnehmer war, dachte ich an meine Familie und fragte mich, ob es sich tatsächlich lohnt, das eigene Leben für den Journalismus aufs Spiel zu setzen. Die Antwort war klar: 'Ja, das ist es wert'", erklärte Gordea.

Auch die Weltkultur- und Wissenschaftsorganisation der Vereinten Nationen (UNESCO) hat die Gewalt gegen Journalisten in Mexiko aufs Schärfste verurteilt. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zu Meinungsfreiheit, Frank La Rue, und seine Kollegin Catalina Botero von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sind inzwischen zu einem dreiwöchigen Aufenthalt in Mexiko eingetroffen. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.cpj.org/
http://www.cepet.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=96100

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. August 2010
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2010