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LATEINAMERIKA/1209: Peru - Bürgerkrieg aus Sicht des Militärs, Armee legt umstrittene Studie vor (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Dezember 2010

Peru: Bürgerkrieg aus Sicht des Militärs - Armee legt umstrittene Studie vor

Von Ángel Páez


Lima, 29. Dezember (IPS) - Zehn Jahre nach dem Ende des peruanischen Bürgerkriegs hat die Armee ihr Schweigen über die in zwei Dekaden begangenen Menschenrechtsverletzungen (1980-2000) gebrochen. Wie sie in einem neuen Bericht 'Zu Ehren der Wahrheit' hervorhebt, waren die Massaker an Zivilisten nicht Teil der Militärdoktrin, sondern das Werk einzelner Personen.

Der Report, dem etliche Ausführungen von Armeeangehörigen zugrunde liegen, die in jenen Jahren an Militäroperationen teilnahmen, widerspricht den Untersuchungsergebnissen der Wahrheits- und Versöhnungskommission von 2003, die auf den Aussagen von Überlebenden und Opferangehörigen basieren. Laut CVR ermordeten Rebellen des Leuchtenden Pfades und die staatlichen Streitkräfte fast 70.000 Menschen.

"Jeder weiß, dass es notwendig ist, die Kriegsberichte zu lesen, um die Geschichte eines Krieges schreiben zu können", erklärte General Otto Guibovich, der bis Anfang Dezember peruanischer Armeechef war und die Militärstudie im letzten Jahr in Auftrag gegeben hatte. Der vorliegende Bericht gebe nicht nur die Meinungen der kriegsteilnehmenden Offiziere wider, sondern bringe auch interessante Episoden aus dem Soldatenleben.

"Die Menschenrechtsverletzungen, die bedauerlicherweise während des Krieges begangen wurden, waren keine systematisch durchgeführten Handlungen", heißt es in dem Report. "Sie wurden weder von der Armeeführung angeordnet noch ausgeführt, sondern folgten den Anweisungen und Handlungen einzelner Personen."


Informationen ausgespart

Dem Menschenrechtsanwalt Karim Ninaquispe von der Runamasinchiqpaq-Menschenrechtsvereinigung (ADEHR) zufolge, der die Angehörigen der Opfer des Massakers von Accomarca vertritt, lässt der Bericht einige entscheidende Informationen aus. Er verwies auf Äußerungen von Telmo Hurtado, dem Befehlshaber der Massaker an insgesamt 69 Dorfbewohnern der Andenortschaft, die das Oberkommando der Armee belasten und die Version, die Verbrechen seien Handlungen eines exzessiven Krieges, unglaubwürdig machen.

Ebenso umstritten ist die Darstellung, die Colina-Gruppe sei niemals Teil der Armee gewesen. Die Todesschwadron des Heeresgeheimdienstes SIE hatte in den Stadtteilen der Hauptstadt Lima, in Barrios Altos und La Cantuta, 1991 und 1992 Massaker an 25 Zivilisten angerichtet. Der damalige Präsident Alberto Fujimori (1990-2000) sitzt im Zusammenhang mit diesen Verbrechen derzeit eine 25-jährige Haftstrafe ab.

"Es gibt keinen Hinweis zur Existenz einer solchen Gruppe, Einheit, Behörde oder Abteilung, auch nicht in den Armeearchiven", heißt es in dem Bericht, der indirekt die Schuld für die Verbrechen bei Fujimori und dessen ehemaligen Sicherheitschef Vladimiro Montesinos sucht. Montesinos sitzt ebenfalls wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption hinter Gittern.

"Während der Regierung, die zwischen den 90er Jahren und 2000 an der Macht war, nutzten gewisse Einzelpersonen das ihnen übertragene Amt, um eine Abfolge illegaler Handlungen durchzuführen, die die Befehle inner- und außerhalb der Armee veränderten", geht aus dem Armeebericht hervor. Auf diese Weise seien illegale Gruppierungen entstanden.

Doch während der Gerichtsverhandlungen gegen Fujimori und Montesinos im Zusammenhang mit der Colina-Gruppe bewiesen offizielle Dokumente und Zeugenaussagen von Militärs, dass die Todesschwadron durchaus Teil der Armee gewesen war. Auch räumte der damalige Armeekommandant Nicolás Hermoza ein, in einem privaten Treffen mit Mitgliedern der Miliz am Hauptarmeestützpunkt zusammengekommen zu sein und diese aufgefordert zu haben, 'ihre Pflicht zu tun'. "Solche Beweismaterialien können von der Armee nicht einfach ignoriert werden, sagte Guillén.


"Von systematischen Massakern kann keine Rede sein"

Nach Angaben des Berichts 'Zu Ehren der Wahrheit' starben im bewaffneten Konflikt gegen die Rebellen des Leuchtenden Pfades 1.067 Armeeangehörige. Insgesamt seien mehr als eine Million Militärpatrouillen durchgeführt worden, von denen nur 47 Anlass für gerichtliche Untersuchungen gegeben hätten, berichtet General Guibovich. "Das entspricht, gemessen an der Gesamtzahl, einem Anteil von 0,004 Prozent." Diese Zahlen seien historisch belegt und zeigten, dass von systematischen Massakern durch die Armee keine Rede sein könne.

Der peruanische Richter Diego García Sayán, Präsident des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), begrüßte die Entscheidung der Armee, ihre Sicht des Bürgerkrieges wiederzugeben. Auch wenn man die Version der Militärs nicht teile - über die Ereignisse zu schweigen, trage nicht zur Suche nach der Wahrheit bei, erklärte er. "In diesem Sinne ist die Bereitschaft der Armee, über ihre zentrale Rolle zu sprechen, die sie in dem bewaffneten Konflikt gespielt hat, eine Herausforderung für all jene, die aus Angst vor ihrer Beurteilung durch die Geschichte lieber schweigen." (Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://www.cverdad.org.pe/
http://www.adehrperu.org/
http://www.ejercito.mil.pe/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97220

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2010