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LATEINAMERIKA/1212: Venezuela - Sondervollmachten für Präsidenten, Opposition wieder im Parlament (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Januar 2011

Venezuela: Sondervollmachten für Präsidenten - Opposition wieder im Parlament

Von Humberto Márquez


Caracas, 6. Januar (IPS) - Venezuelas Staatspräsident Hugo Chávez ist für das Neue Jahr mit einer Vielzahl von Sondervollmachten ausgestattet, die sein Projekt 'Sozialismus des 21. Jahrhunderts' auch nach dem Wahlerfolg der Opposition voranbringen sollen. Seine Widersacher, die seit fünf Jahren erstmals wieder im Parlament vertreten sind, hoffen in Anbetracht ihrer 65 errungenen Parlamentssitze auf eine baldige Rückkehr an die Macht.

Seit ihrem Wahlboykott 2005 saßen vor allem Anhänger des seit 1999 regierenden Chávez im Parlament. Doch bei dem letzten Urnengang im September 2010 gelang es den politischen Gegnern stolze 40 Prozent aller Parlamentssitze zu erringen. Obwohl die Chávez-Fraktion mit 98 Abgeordneten über eine bequeme parlamentarische Mehrheit verfügt, rechnet sich die Opposition gute Chancen aus, nach Ablauf der dritten Amtszeit des Staatschefs 2013 die Regierungsgeschäfte zu übernehmen.

Die Regierung hat die letzten Wochen genutzt, um rund 30 neue Gesetze zu verabschieden, die sie mit besonderen Vollmachten ausstatten. Sie begrenzen unter anderem den Handlungsspielraum von Banken, Medien, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und politischen Parteien. So wurde im Dezember ein Gesetz beschlossen, das Abgeordnete regelrecht diskriminiert, die die politischen Seiten wechseln oder gegen die Beschlüsse ihrer Parteien stimmen, für die sie in die 165 Sitze zählende Nationalversammlung eingezogen sind. In letzter Zeit hatte ein Dutzend Abgeordneter der Regierungspartei mit Chávez gebrochen.

Ebenfalls verabschiedet wurde das sogenannte Ermächtigungsgesetz, das Chávez in den kommenden 18 Monaten erlaubt, Entscheidungen in acht Schlüsselbereichen wie Wirtschaft, Soziales, Kommunikation, Militär und Polizei per Dekret zu treffen. Der Staatspräsident und seine Parteigenossen rechtfertigen das Gesetz als notwendige Antwort auf die starken Regenfälle im November, die 132.000 Menschen obdachlos machten.


"Autoritärer Führungsstil"

Doch nach Ansicht von Ramón Guillermo Aveledo, dem Koordinator der oppositionellen Koalition 'Mesa de Unidad Democrática' (MUD), ist das Gesetz "ein schwerer Anschlag auf die demokratische Institutionalität". So habe die Regierung erneut ihren autoritären, willkürlichen und antidemokratischen Regierungsstil unter Beweis gestellt.

Regierungskritiker einschließlich Politiker, Unternehmer, Kirchenverbände und NGOs verurteilten die Gesetze als Vorboten eines kommunistischen Systems. "Auch wenn wir nicht in einer Diktatur leben, erlauben diese Gesetze nicht nur eine verstärkte Kontrolle der Behörden", warnte Teodoro Petkoff, ein ehemaliger Sozialistenführer und Herausgeber der oppositionellen Tageszeitung 'Tal Cual'. "Sie dienen auch der Kontrolle der Gesellschaft."

Trotz aller Einschränkungen ist die Opposition optimistisch, bei den nächsten Präsidentschaftswahlen Ende 2012 den Sieg davonzutragen. Allerdings ist Chávez "gut in Verteidigung und Angriff und noch viel besser im Gegenangriff", wie Kubas ehemaliger Staatspräsident und Chávez-Mentor Fidel Castro einmal in einem Interview erklärt haben soll.


Demoralisierungsstrategien

Als 'Gegenangriff' lassen sich durchaus die umstrittenen Gesetze nach den Septemberwahlen verstehen. Sie sind nach Ansicht des Politologen John Magdalena, der Versuch, "die Opposition zu demoralisieren und dem Land zu zeigen, dass die Regierung auch weiterhin unverzagt am Aufbau des Sozialismus arbeitet".

"Es gibt einige Herren, die ständig davon sprechen, dass wir in einer Diktatur leben. Sie sollen reden, was sie wollen - mir geht es darum, meinem Volk zu dienen und den Bedürftigsten zu helfen", antwortete Chávez auf die Kritik. Darüber hinaus bezeichnete er die neuen Gesetze als Notwendigkeit, um die Ursachen der Schäden anzugehen, die durch die Niederschläge Ende des letzten Jahres verursacht wurden.

Studenten waren an den Weihnachts- und Neujahrsfeiertagen auf die Straßen gezogen, um gegen das neue Universitätsgesetz zu protestieren, das sie als Angriff auf die Autonomie der Hochschulen ablehnen. Chávez kündigte am 4. Januar an, sein Veto gegen die Norm einzulegen. Darüber hinaus zog er die Ankündigung zurück, die Mehrwertsteuer von derzeit elf Prozent um zwei bis drei Punkte zu erhöhen. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.unidadvenezuela.org/
http://www.chavez.org.ve/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97276

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2011