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LATEINAMERIKA/1279: Kolumbien - Wo Sicherheitskräfte den Multis dienen, Leben im Niemandsland Caguán (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Juli 2011

Kolumbien: Wo Sicherheitskräfte den Multis dienen - Leben im Niemandsland Caguán

Von Constanza Vieira


Bogotá, Berlin, 1. Juli (IPS) - Im südkolumbianischen Departement Caguán ist eine neue Initiative zu Entwaffnung linker Guerillaverbände angelaufen. Sie soll "Hoffnung gegen den Terror der FARC säen", schrieb Verteidigungsminister Rodrigo Rivera unlängst auf seiner Twitterseite.

In Caguán wurden erst kürzlich drei Chinesen und ein Dolmetscher von der FARC entführt, der größten Rebellenorganisation des südamerikanischen Landes. Zhau Hong, Yang Jing, Tang Guo Fu und ihr Übersetzer hatten für die Firma Emerald Energy mit Sitz in Großbritannien gearbeitet, einem Ableger des chinesischen Petrochemiekonzerns Sinochem.

Verschleppt wurden die vier in einer entlegenen Dschungelregion am 7. Juni längs der Autostraße zwischen der Stadt San Vicente del Caguán und dem Dorf Los Pozos, wo von Januar 1999 bis Februar 2002 Friedensgespräche zwischen der Regierung des ehemaligen Staatspräsidenten Andrés Pastrana (1998-2002) und Vertretern der FARC-Rebellen stattfanden. Nach dem Scheitern des dreijährigen Dialogs wurden die Kämpfe im Süden des Departements mit der finanziellen und logistischen Unterstützung der USA wieder aufgenommen.

Die ersten Stunden der Bombardierung von Los Pozos durch die kolumbianische Luftwaffe nach dem Abbruch der Friedensverhandlungen wurden von einem brasilianischen Satelliten festgehalten. Die Aufnahmen zeigen eine riesige Feuerwalze, die zerstörerischer war als alle Brände im Amazonasgebiet zusammengenommen. Die großflächige Vernichtung der Kokafelder im Rahmen der US-Anti-Drogen-Strategie 'Plan Colombia' führte zur Vertreibung von hunderttausenden Kokabauern.

2002 war auch das Jahr, in dem der rechtsgerichtete Álvaro Uribe die Präsidentschaft übernahm. Uribe setzte auf eine militärische Lösung des mehr als 50-jährigen Bürgerkriegs und ging gezielt gegen die FARC vor, die in ihren besten Zeiten 40 Prozent des kolumbianischen Territoriums kontrollierte.

Nachdem sich die Rebellen zunächst aus der Kampfregion zurückgezogen hatten, kehrten sie 2005 nach Caguán zurück. Später folgten langjährige Militäroperationen im Rahmen der Pläne 'Patriota' und 'Consolidación'. Seit 2008 wird die FARC von einem in Bogotá geborenen Anthropologen mit dem Codenamen 'Alfonso Cano' geführt, der die FARC umstrukturierte. Im August 2010 wurde Uribes ehemaliger Verteidigungsminister Juan Manuel Santos neuer Präsident des südamerikanischen Landes.


Von Rebellen umzingelt

San Vicente del Caguán und Los Pozos sind nun von verschiedenen FARC-Einheiten umzingelt: im Westen von der Eliteeinheit 'Teófilo Forero', im Norden von der sogenannten Yari-Front, im Süden von der 15. Front und im Osten von drei Kolonnen seiner 14. Front, wie der Militärexperte Ariel Ávila von der Beobachterstelle für bewaffnete Konflikte der in Bogotá angesiedelten Denkfabrik 'Nuevo Arco Iris' erläutert.

Doch die Situation in dem Dschungelgebiet, in dem die FARC Rebellen nun Anfang des Monats den drei chinesischen Ölarbeitern und ihrem Übersetzer aufgelauert hatten, ist noch komplexer. Hier treibt die paramilitärische Anti-Kommunistische Revolutionäre Volksarmee (ERPAC) ihr Unwesen, die von dem Drogenhändler Pedro Oliveiro alias 'Cuchillo' (Das Messer) gegründet wurde. Bevor Oliveiro im Dezember bei einem Polizeieinsatz getötet wurde, hatte er an Diskussionen teilgenommen, die von den von lokalen Zivil- und Militärbehörden ins Leben gerufenen Sicherheitsräten organisiert worden waren. Mit der Suche nach den Entführungsopfern ist die Armee-Eliteeinheit 'Tarea Omega' betraut, die Ávila zufolge eng mit der ERPAC verbandelt ist.

Die Aktivitäten der Firma, für die die drei gekidnappten Chinesen tätig waren, stoßen in den umliegenden Gemeinden auf Widerstand. Die Menschen werfen Emerald Energy und anderen Ölunternehmen vor, ihre Territorien auszubeuten, ohne sich mit ihnen beraten zu haben. Außerdem kritisieren sie, dass sich die Multis der regulären Sicherheitskräfte bedienen, um ihre Interessen gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durchzusetzen.

"Der größte Traum eines multilateralen Konzerns: eine Armee in seinen Diensten zu haben", titelte 'Action on Colombia' titelte die Oktoberausgabe des Bulletins des US-amerikanischen 'Colombia Support Network' (CSN). Die lokalen Gemeinden werfen Emerald Energy vor, die Freilassung von sechs Ureinwohnern verhindert zu haben, die während einer friedlichen Demonstration vor dem Regionalbüro des Unternehmens nördlich von Putumayo von Polizeieinheiten festgenommen, gefoltert und verletzt worden seien. Außerdem sei den Opfern stundenlang jede medizinische Versorgung verweigert worden.


Firma mit politischem Einfluss

Die Entscheidung der Zivilbehörden und Militärs einen Tag nach der gewaltsamen Auflösung der Proteste, die Gefangenen freizulassen, sei auf Veranlassung von Emerald Energy zurückgenommen worden, heißt es in einer Mitteilung der indigenen Gemeinden, die vom CSN veröffentlicht wurde. Drei der sechs Häftlinge sind Weisen der Nasa- und Uno-Völker, denen traditionell die Rolle der Vermittler zwischen Indigenen und Behörden zukommt.

Wirtschaftunternehmen sind in Caguán auf dem Vormarsch. Die Bergbau- und Erdölindustrie sind die Motoren der Wirtschaftspolitik der Santos-Regierung. Die ERPAC-Paramilitärs sehen sich in der Rolle der Vermittler zwischen den Unternehmen und den Behörden, während die Firmen selbst die Arbeiten an lokale Betriebe outsourcen.

"Hier wird sehr viel mit Land spekuliert", sagt der Experte Ávila und berichtet, dass Mitglieder der ERPAC in der Dschungelregion Land gekauft beziehungsweise Kleinbauern von ihren Parzellen vertrieben haben, die hier seit Generationen lebten. Dass sie keine Landtitel besitzen, begünstigt den Diebstahl ihrer Territorien durch Großgrundbesitzer und ultrarechte Paramilitärs.

Die FARC wiederum, die Geld für die Umsetzung ihres Erneuerungsprozesses braucht, presst den Erdölunternehmen in der Region eine 'Steuer' ab. In dem Gebiet, in dem die drei Chinesen gekidnappt wurden, streut sie Ávila zufolge die Angst, dass die Präsenz der Erdölunternehmen die Paramilitärs stärken wird und bietet sich selbst als Retter in der Not an.

Dem Militärexperten zufolge haben die Erdölunternehmen in der Region vom Bürgermeister bis zum Gouverneur des Departements und sogar die Leiter der indigenen Reservationen korrumpiert. "Dort geht es zu wie im Wilden Westen vor zweieinhalb Jahrhunderten. Hier ist Niemandsland und die Losung lautet 'Rette sich, wer kann!'."


Korruption nutzt der FARC

Die Unterwanderung der staatlichen Institutionen habe dazu geführt, dass ein Teil der lokalen Bevölkerung die FARC als Helden verehre. "Vor diesem Hintergrund betrachtet sind die FARC zu Sprechern der Gemeinden geworden", so Ávila. Die Entführung der Emerald Energy-Arbeiter sei eine Botschaft an die lokalen Gemeinden.

Sprecher der chinesischen Regierung haben inzwischen mitgeteilt, dass sie alles unternehmen werden, um die Freilassung ihrer Bürger zu erwirken. Die kolumbianische Regierung ließ verlauten, dass sie jedes Unternehmen, dass der Guerilla Lösegeld zahle, des Landes verweisen werde. Zur ERPAC und ihren Beziehungen zu den Behörden bezog sie keine Stellung. (Ende/IPS/kb/2011)


Link:
http://www.nuevoarcoiris.org.co/sac/
http://www.colombiasupport.net/
http://www.ipsnoticias.net/print.asp?idnews=98501

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 1. Juli 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2011