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LATEINAMERIKA/1312: Kolumbien - Gefährlicher Wahlkampf, fast 40 Kandidaten ermordet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Oktober 2011

Kolumbien: Gefährlicher Wahlkampf - Fast 40 Kandidaten ermordet

von Helda Martínez


Bogotá, 25. Oktober (IPS) - In Kolumbien hat die Gewalt im Vorfeld der Regional- und Kommunalwahlen am 30. Oktober ein dramatisches Ausmaß angenommen. So wurden dem Innenministerium zufolge bis zum 19. Oktober 37 Kandidaten ermordet. Die unabhängige Wahlbeobachtermission (MOE) berichtet von 232 gewaltsamen Zwischenfällen.

Wie die MOE-Direktorin Alejandra Barrios erläutert, ist das südamerikanische Bürgerkriegsland von Gewalt durchzogen. Morde, Entführungen, Massaker und Vertreibungen sind Teil eines Machtkampfes zwischen den unterschiedlichen Kriegsparteien, der oft mit wirtschaftlichen Interessen verbunden ist.

MOE, die sich aus Wissenschaftlern kolumbianischer Universitäten und Studienzentren zusammensetzt, warnt zudem vor der Gefahr von Wahlbetrug in 534 und gewaltsamen Übergriffen in 447 Gemeinden. Nahezu 102.000 Kandidaten bewerben sich derzeit um Ämter in den Regionalverwaltungen und Gemeinden. Mehr als 400 regionale Abgeordnete, 12.068 Dezernenten und etwa 5.000 Stadträte sind im Rennen.

Die Wahlsieger werden ihre Posten Anfang 2012 für vier Jahre übernehmen und haben damit eine ebenso lange Amtszeit wie der Staatspräsident und die Abgeordneten im nationalen Parlament. In dem 46 Millionen Einwohnern zählenden Land sind Wahlen "ein sehr komplexer Prozess", wie Barrios betont. Das Staatsgebiet besteht aus 32 Departements mit eigenen Regierungen und Parlamenten, die weiter in Gemeinden unterteilt sind.


Konfliktstoff reichlich vorhanden

Der Expertin zufolge bietet der von Staatspräsident Juan Manuel Santos vehement vorangetriebene Bergbau auch bei den Regional- und Kommunalwahlen reichlich Konfliktstoff. Derzeit warten zahlreiche multinationale Unternehmen in verschiedenen Regionen auf Genehmigungen für die Förderung von Bodenschätzen. 'Anglo Gold Ashanti' beispielsweise bemüht sich seit Jahren darum, im zentralen Departement Tolima aktiv zu werden. Gegen solche Projekte und die sozialen und ökologischen Folgen mehrt sich jedoch zunehmend Widerstand.

Die Rückgabe von Land ist ebenfalls ein heikles Wahlkampfthema. So gibt es Bürgermeister und andere Vertreter der Kommunen, die nicht bereit sind, den im Verlauf des fast 50-jährigen Bürgerkrieges enteigneten Bauern ihr Land zurückzugeben. Ein im Juni erlassenes Gesetz sieht die Rückgabe von insgesamt zwei Millionen Hektar Land an die ursprünglichen Besitzer vor, die von den illegalen bewaffneten Gruppen, Grundbesitzern und auch Staatsbeamten vertrieben worden waren. Auch der illegale Kokaanbau und der Handel mit Drogen sind weitere heiße Eisen mit einem hohen Konfliktpotenzial.

Etliche Kandidaten kündigten im Fall ihres Wahlsiegs den raschen Wiederaufbau der im letzten Jahr von schweren Überschwemmungen heimgesuchten Kommunen und Regionen an. Da 90 Prozent aller Gemeinden von den Überflutungen betroffen sind, warnt Barrios die Wählerschaft, derartige Versprechen für bare Münze zu nehmen.


Gewaltfaktor Bürgerkrieg

Sie verweist zudem auf die Problematik, dass der Wiederaufbau vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs stattfindet, in den die regulären Streitkräfte, ultrarechte Paramilitärs und die drei linken Rebellengruppen Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC), Nationales Befreiungsheer und Volksbefreiungsheer involviert sind.

Viele Paramilitärs haben sich nach ihrer Demobilisierung vor einigen Jahren zu kriminellen Banden, den sogenannten 'Bacrim', zusammengeschlossen. Die Bacrim sind die Weiterentwicklung der ultrarechten und inzwischen aufgelösten Selbstverteidigungskräfte AUC. Sie fördern die Verbindungen zwischen Gesetzlosigkeit und Politik. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2011