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LATEINAMERIKA/1363: Kolumbien - Präsident verhandelt mit indigenen Nasa (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2012

Kolumbien: Präsident verhandelt mit indigenen Nasa

von Constanza Vieira


Indigene empfangen den Präsidenten - Bild: © Constanza Vieira/IPS

Indigene empfangen den Präsidenten
Bild: © Constanza Vieira/IPS

Piendamó, Kolumbien, 17. August (IPS) - Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos hat sich mit tausenden ethnischen Nasa im indigenen Schutzgebiet La María im südwestlichen Departement Cauca getroffen. Die Ureinwohner verlangen das Ende der bewaffneten Kämpfe in ihren Territorien.

Wie IPS in Erfahrung bringen konnte, war der rechtskonservative Staatschef am 15. August entgegen des Rats seines Kabinetts nach Piendamó aufgebrochen. "Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass ich heute hier sein sollte", erklärte er gegenüber den Indigenen, die fünf Tage lang auf ihn gewartet hatten.

Innenminister Federico Renjifo hatte die Verhandlungen mit den Nasa geführt. Als er am 14. August das Zusammentreffen zwischen dem Präsidenten und den Indigenen offiziell bekannt gab, würdigte er die Indigenen als "Menschen, die in Frieden leben wollen".

Die Ureinwohner in diesem Teil von Cauca wollen die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen FARC-Rebellen und Sicherheitskräften auf ihrem Kollektivland, die in den letzten eineinhalb Jahren 100 Zivilisten das Leben kosteten, nicht länger dulden. Das Sterben in Cauca müsse ein Ende haben, hieß es.

La María ist eine Schutzreservation der ethnischen Misak, auch Guambiano genannt. Es stößt an seiner Südgrenze an das Gebiet der Vereinigung der Räte des nördlichen Cauca (ACIN), Heimat der Nasa oder Paez. Mit 300.000 Mitgliedern ist diese Gruppe die zweitgrößte indigene Gemeinschaft Kolumbiens. Insgesamt leben in dem 46 Millionen Einwohner zählenden Land eine Million Ureinwohner, die sich auf 90 indigene Gemeinschaften verteilen.


Penible Schutzvorkehrungen

Wer an dem Treffen mit Santos in La María teilnehmen wollte, musste vier Kontrollen passieren, die zum Schutz des Präsidenten errichtet worden waren. Die ersten drei Checkpoints wurden von der Indigenen-Garde bewacht, einer traditionellen zivilen Schutztruppe aus Männern und Frauen, die ausschließlich mit ihren Kommandostäben bewaffnet waren. Der vierte Kontrollpunkt wurde von der Polizei bewacht.

Bereits an den drei vorherigen Sperren waren die Ankömmlinge penibel durchsucht worden. Sämtliche Taschen und Behälter wurden ausgeleert und durchgesehen, die Menschen nach möglichen Waffen abgetastet. Nach Angaben einer Polizistin hatte die Indigenen-Garde in der Tasche eines Mannes eine Handgranate sichergestellt. Der Mann habe zu fliehen versucht, sei aber gefasst worden. Der Vorfall sei geheim gehalten worden, um eine Absage von Santos zu verhindern.

Nach indigenen Angaben wurde der Staatschef von 18.000 Menschen empfangen. Einem politischen Beobachter zufolge waren höchstens 8.000 Indigene anwesend. Die Zahl wurde von einem Sicherheitsagenten des Präsidenten auf 7.000 nochmals nach unten korrigiert. "Die Nasa scheinen recht gut organisiert", meinte er anerkennend. "Sie haben das Umfeld unter Kontrolle."

Zustandekommen war das Treffen nicht zuletzt durch die Intervention des Jesuitenpriesters Francisco de Roux. Auch der kolumbianische UN-Koordinator, Bruno Moro, und der Leiter der Kolumbien-Sektion des UN-Menschenrechtsbüros, Todd Howland, sollen Einfluss auf die Entscheidung des Präsidenten genommen haben. "Die Mobilisierung so vieler Menschen ist bemerkenswert", meinte Howland in La María. "Die Nasa kennen ihre Rechte, sie bedienen sich der Sprache des Friedens, und der Staat hat ihnen zugehört."

"80 Prozent der kolumbianischen Bevölkerung leben in den Städten. Diese Menschen kennen nur den Frieden, nicht das Leid der ländlichen Bevölkerung, die den bewaffneten Konflikt unmittelbar zu spüren bekommt", sagte der UN-Vertreter. Die Ureinwohner verlangten ein Ende des Konflikts auf ihren Territorien, weil sie die Leidtragenden seien.


Indigene Forderungen

Wie IPS von Insidern erfahren konnte, zeigte sich Santos in den ersten Verhandlungsrunden den Menschenrechtsanliegen und Friedensbemühungen der Indigenen aufgeschlossen. Zwei Stunden lang trugen die indigenen Sprecher dem Präsidenten ihre Hauptanliegen vor. Sie forderten die Einstellung der Kämpfe auf ihren Territorien, das Verfassungsrecht von 1991 auf eine autonome Regierung und eine kultursensible Bildungs- und Gesundheitsversorgung.

In La María erklärten die indigenen Führer, künftige Gespräche mit der Regierung von der Bereitschaft der Militärs abhängig zu machen, ihre Übergriffe auf die Indigenen einzustellen. Jesús Chávez, Führer des einflussreichen Regionalen Indigenen Rats von Cauca (CRIC), drängte Santos zu konkreten Schritten. So forderte er die unverzügliche Auflösung der von dem ehemaligen Staatspräsidenten Álvaro Uribe 2009 gegründeten und von der Armee finanzierten parallelen Indigenen-Vereinigung.

Darüber hinaus verlangte er die von der Uribe-Administration (2002-2010) vergebenen Konzessionen für Bergbauaktivitäten auf indigenen Gebieten rückgängig zu machen. Sie waren ohne Rücksprache mit den Ureinwohnern erteilt worden. Chávez forderte Santos ferner dazu auf, den Abzug der Truppen vom heiligen Berg Berlín zu veranlassen. Im Juli hatten die Nasa Soldaten von deren dortiger Militärbasis vertrieben. Allerdings kehrten die Soldaten wenige Stunden später zurück.

"Lassen Sie uns im Klartext reden, Herr Präsident. Wir bitten die Sicherheitskräfte nicht um den Abzug aus Toribío, sondern um das Verlassen unseres heiligen Berges Berlín. Sie sollen dies als Zeichen ihrer Bereitschaft zum Frieden tun. Sind diese drei kleinen Dinge machbar, Herr Präsident?", fragte Chávez unter Applaus und Gelächter.

Santos reagierte auf die Frage zurückhaltend. Er treffe grundsätzlich keine Entscheidungen, ohne sie rechtlich geprüft zu haben. Auch erklärte er, dass er bilaterale Treffen für den geeigneteren Rahmen halte, um diese Fragen zu erörtern. Das war der einzige Moment, in dem er von den anwesenden Indigenen ausgebuht wurde. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.nasaacin.org/
http://www.cric-colombia.org/
http://www.ipsnews.net/2012/08/colombian-president-meets-with-nasa-indians/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2012