Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1400: Chávez' Erbe - Lateinamerikas Linke und regionale Unabhängigkeit gestärkt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. März 2013

Venezuela: Das Erbe von Chávez - Lateinamerikas Linke und regionale Unabhängigkeit gestärkt

eine Analyse von Humberto Márquez



Caracas, 7. März (IPS) - Teil des Erbes von Venezuelas Staatspräsident Hugo Chávez, der am 5. März an den Folgen eines Krebsleidens gestorben ist, war sein entschlossener Kampf für die Integration Lateinamerikas, unabhängig von den Modellen des industrialisierten Nordens. Zudem stärkte er die radikale Linke in Lateinamerika und der Karibik.

Chávez kämpfte sich auf einem Feld nach vorn, das seit dem Ende des Kalten Krieges unbeackert geblieben war. Als Werkzeug nutzte er die reichlichen Erdölvorkommen und finanziellen Ressourcen, die er auf fast willkürliche Weise in Venezuela einsetzte. Mit seinem Charisma und seinem Kommunikationstalent war er ein Führer der Linken, wie es ihn seit Fidel Castro in der Region nicht mehr gegeben hatte.

"Als es schon so schien, dass es keinen Politiker mit Castros Führungsfähigkeiten geben würde, tauchte Chávez auf, vertrat eine neue Vorstellung von der radikalen Linke und förderte diese Tendenz in der gesamten Region", sagt der Politologe Carlos Romero, der an der Zentralen Universität und an der Simón Bolívar Universität in Caracas lehrt.

Seit 1998 wurde Chávez mehrmals zum Präsidenten des südamerikanischen Landes gewählt. Laut dem Politikwissenschaftler Demetrio Boersner sah sich Chávez "vom Schicksal dazu bestimmt", den Weg des Unabhängigkeitskämpfers Simón Bolívar zu gehen und in der ganzen Welt als eine Art Revolutionsführer gegen die Übermacht der USA aufzutreten. "Das war eher rhetorisch als praktisch gedacht", erklärt Boersner.

Chávez kam früher in sein Amt als seine linken Kollegen Evo Morales in Bolivien, Rafael Correa in Ecuador und Daniel Ortega in Nicaragua. Diese Länder sind Partner Venezuelas, Kubas und mehrerer karibischer Staaten in der Bolivarischen Allianz der Völker unseres Amerikas (ALBA). Chávez war auch schon früher da als die amtierenden und ehemaligen nach links tendierenden Regierungen in den Mitgliedsländern des Gemeinsamen Marktes des Südens (MERCOSUR). Venezuela schloss sich dem aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay bestehenden Kreis an, nachdem Chávez die Andengemeinschaft aus Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru verlassen hatte.


Russland und China ins Boot geholt

Auf internationaler Ebene hinterlässt Chávez "mehrere große Aktivposten wie die Verbreitung seines politischen Ansatzes über die Region hinaus bis in entfernte Länder. Andere Akteure wie Russland und China wurden dazu animiert, sich stärker in dieser Region zu engagieren", erklärt Romero. "Hinzu kommt die Integration. Seine Ideen waren nicht unbedingt richtig aber neu und basierten auf authentischeren Modellen als denen, die vom Westen vertreten wurden."

Chávez hat nicht nur ALBA ins Leben gerufen, sondern in der jüngeren Vergangenheit auch eine Schlüsselrolle bei der Gründung der Südamerikanischen Staatengemeinschaft UNASUR, der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC), des regionalen lateinamerikanischen Fernsehsenders 'Telesur' und der Bank des Südens (Banco del Sur) gespielt. Außerdem gab er den Anstoß zu einer regionalen Währung, dem Sucre, der den Handel zwischen den lateinamerikanischen und karibischen Staaten vom US-Dollar und vom Euro unabhängig machen sollte.

Romero hob außerdem hervor, dass Chávez das Erdöl als "Schlüsselinstrument der Zusammenarbeit" nutzte, so wie es das Unternehmen 'Petrocaribe' tat. Damit wurden die Haushalte vieler Länder ausgeglichen und die Energiekapazitäten gefördert. Petrocaribe beliefert 18 Staaten in der Region zu erleichterten Zahlungsbedingungen mit Öl aus Venezuela. Boersner plädiert dafür, dass dieses Modell auf jeden Fall beibehalten und weiter verbessert werden sollte.


Ideologisches Schwarz-Weiß-Denken

Der Experte kritisierte aber zugleich, dass Chávez zwar über Integration sprach. "Mit ideologischer Unnachgiebigkeit tendierte er aber dazu, Nationen und Regierungen in zwei Blöcke zu spalten. Auf der linken Seite standen nach seiner Sicht die Guten, rechts die Schlechten", sagt Boersner. Damit sei Chávez zu einem "Erben eines bürokratischen Kollektivdenkens sowjetischer Prägung" geworden, beanstandet er. Das Versagen dieses Modells sei durch den Fall der Berliner Mauer offensichtlich geworden, allerdings habe es in Kuba unter Chávez' Mentor Fidel Castro überlebt.

Nach Ansicht von Romero hat Chávez "den marxistischen Radikalismus in Lateinamerika wiederbelebt, wobei er ihm autoritäre und populistische Elemente beimischte. Auf diese Weise gelang es ihm aber der freien Marktwirtschaft und der Sozialdemokratie in der Region ins Angesicht zu blicken."

Der frühere salvadorianische Guerillakämpfer Joaquín Villalobos schrieb in der spanischen Tageszeitung 'El País', dass Chávez "der erste linke Führer mit revolutionären Zielen war, der eine enorme Menge Geld zur Verfügung hatte. Andere populistische Experimente erlebten nicht so einen langen Boom, und die kommunistischen Länder waren niemals reich."

Chávez war also immer in der Lage, seine Botschaften mit finanziellen Mitteln zu stärken, ob es nun um Sozialprogramme für Gesundheit und Alphabetisierung, Raffinerien in Brasilien, Nicaragua und Ecuador, Benzin für Armenviertel in den USA, Militärkooperation, Lebensmittelkäufe oder Darlehen an weit von Venezuela entfernt liegende Unternehmen ging.

Romero zufolge ist es derzeit verfrüht zu sagen, wer nun als neue Galionsfigur der Linken in Lateinamerika in Erscheinung treten wird. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102467
http://www.ipsnews.net/2013/03/chavez-invigorated-the-left-in-latin-america/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. März 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2013