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LATEINAMERIKA/1443: Venezuela - Sorge über Präsenz kolumbianischer Rebellen in Amazonas-Grenzregion (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2013

Venezuela: Sorge über Präsenz kolumbianischer Rebellen in Amazonas-Grenzregion

von Humberto Márquez


Bild: © Humberto Márquez/IPS

Der den Indigenen heilige Tafelberg Autana
Bild: © Humberto Márquez/IPS

Puerto Ayacucho, Venezuela, 29. November (IPS) - Im venezolanischen Bundesstaat Amazonas an der Grenze zu Kolumbien sind sie nicht zu übersehen: die Mitglieder der kolumbianischen FARC-Rebellen. "Erkennbar an ihren grünen Tarnanzügen und den Waffen, die sie mit sich führen, brausen sie meist abends in ihren Schnellbooten vorbei", bestätigt der Schiffer Antonio am Ufer des Cuao, einem Zufluss des Orinoco.

Rund 100 Kilometer südlich liegt Maroa, eine 2.000 Einwohner zählende Stadt am Ufer des venezolanisch-kolumbianischen Grenzflusses Guainía. "Immer wenn die Nahrungsmittel für Mercal angeliefert werden, geht ein Teil an die FARC", berichten Mitarbeiter des katholischen Bischofsvikars von Amazonas, José Ángel Divassón. Mercal ist eine staatliche Ladenkette, die Nahrungsmittel zu stark subventionierten Preisen verkauft.

Aus der gleichen Quelle ist zu hören, dass die Rebellen in der Grenzstadt Atabapo als Ordnungshüter auftreten, dass sie sich um Genehmigungen bemühen, ihre Lager in der Nähe indigener Dörfer aufzuschlagen und junge Ureinwohner rekrutieren.

Der mineralien- und wasserreiche Bundesstaat Amazonas im äußersten Süden Venezuelas ist 184.000 Quadratkilometer groß und Lebensraum von 180.000 Menschen. 54 Prozent der Bevölkerung - das geht aus dem Zensus von 2011 hervor - gehören 20 unterschiedlichen Volksgruppen an.


Neue Probleme in rückständiger Region

Die kolumbianischen Rebellen stellen für die isolierte, verarmte und mit öffentlichen Dienstleistungen unterversorgte Region eine zusätzliche Belastung dar. Der linksgerichtete indigene Gouverneur von Amazonas, Liborio Guarulla, schätzt die Zahl der kolumbianischen Milizionäre in dem riesigen Bundesstaat auf bis zu 4.000.

In Puerto Ayacucho, der lokalen Hauptstadt, fordert die Guerilla von den dortigen Ladenbesitzern Schutzgelder, wie Guarulla, ein erklärter Gegner der Mitte-Links-Regierung Venezuelas, unlängst vor Journalisten erläuterte. Er führt die Anwesenheit der FARC in Amazonas auf die siebenjährige Militäroffensive im Osten des Nachbarlands gegen die Guerilla zurück. Die FARC, die sich 1964 mit Waffengewalt erhoben hatte, ist die älteste linke Rebellengruppe Südamerikas. Seit November 2012 führt sie Friedensgespräche mit der kolumbianischen Regierung in Kuba.

Im Mai hatten FARC-Mitglieder unter Leitung von 'Antonio Medina' Kontakt zu den Anführern der indigenen Gemeinschaft Uwottyja oder Piaroa aufgenommen, die in Caño de Uña am Ufer des mittleren Orinoco und seiner Zuflüsse leben. "Doch wir haben ihnen erklärt, dass wir sie und auch die Goldschürfer nicht in unseren Gebieten haben wollen", so der Schamane José Carmona. "Wir wollen ohne Waffen leben. Wir besitzen lediglich Macheten, um unsere Ernten einzubringen, und Schrotflinten für die Jagd."

Nach den Treffen haben die Organisationen der Uwottyja einen öffentlichen Brief an die FARC geschrieben, in dem sie sich gegen die Anwesenheit und Bewegungen der Guerilla in ihren Gebieten aussprachen. Die Uwottyja erklärten weiter, dass sie kein Interesse an einem Handel mit der FARC hätten und auch die Anwerbung Indigener durch die Guerilleros ablehnten. Sie forderten die Rebellen zum Rückzug aus ihren Territorien auf.

César Sanguinetti, ein Abgeordneter der regierenden Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas und Mitglied der indigenen Gemeinschaft der Curripaco, die im Süden der Amazonas-Provinz und im Südosten Kolumbiens lebt, meinte gegenüber IPS: "Wir sind ein souveräner Staat und sollten das Eindringen bewaffneter Kräfte nicht erlauben. Wir fordern Respekt."


Indigene unter wachsendem Druck

Andere Indigene wie der Uwottyja-Lehrer Juan Pablo Arana und der Yanomami-Gesundheitsarbeiter Luis Shatiwe berichten, dass die Anwesenheit der Guerilla die Probleme der indigenen Gemeinschaften, an Nahrungsmittel, Treibstoff und andere Güter zu kommen, weiter verschärft hat. Denn dadurch würden die Indigenen gezwungen, mit Schmugglern zu konkurrieren.

"Wir sind Stunden unterwegs, um an Mehl, Zucker, Öl, Reis und Kaffee zu kommen. Manchmal müssen wir bis Puerto Ayacucho fahren", berichtet Arana in der Ortschaft Raudal de Seguera am Fuß des Tafelbergs (Tepuy) Autana, der für die Indigenen heilig ist. "Das kommt uns teuer zu stehen, weil die langen Flussfahrten viel Treibstoff verschlingen. Und wenn wir bei den Mercal-Läden ankommen, sind die Produkte häufig ausverkauft."

Nirgendwo sonst auf der Welt ist Treibstoff so preiswert wie in Venezuela. Dort kostet der Liter für 1,5 US-Cent. 200 Liter sind in Puerto Ayacucho für 20 Bolivar zu haben - der Preis für eine Dose Limonade. Doch am Oberlauf des Orinoco werden für Benzin und Diesel für die Boote bis zu 10.000 Bolivar verlangt.

"Die motorisierten Kanus der Indigenen werden vom Militär regelmäßig durchsucht. Die Boote der Goldschürfer und Schmuggler hingegen werden durchgewunken", weist Shatiwe auf eine weitere Benachteiligung der Indigenen hin. Hunderte Bergleute suchen im Bundesstaat Amazonas nach Gold, obwohl der Bergbau dort verboten ist.

Guarulla erläutert, dass das Benzin, das nach Marao geliefert wird, schnell aufgebraucht ist. Demnach hält eine 100.000-Liter-Lieferung nur drei Tage, obwohl es in der Stadt nur ein einziges Kraftwerk gibt. "An wen wird es wohl verkauft?"

Divassón zufolge sind der illegale Bergbau, die Präsenz der kolumbianischen Rebellen, die Unsicherheit, der Mangel an Energie, Basisdienstleistungen und Gütern die größten Probleme für die Menschen der Region.

Der Bundesstaat Amazonas spiegelt zudem die politische Spaltung Venezuelas wider. So sind die Metalldächer in den indigenen Gemeinden je nachdem, ob sie von Venezuelas Staatspräsident Nicolás Maduro oder vom Gouverneur Guarulla finanziert wurden, entweder rot oder blau. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.ipsnews.net/2013/11/rearguard-colombias-farc-rebels/
http://www.ipsnoticias.net/2013/11/la-otra-retaguardia-de-las-farc/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2013