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LATEINAMERIKA/1523: Argentinien - Präsidentschaftskandidaten setzen in der Außenpolitik auf Dialog (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. November 2015

Argentinien: Nach den Wahlen - Präsidentschaftskandidaten setzen in Außenpolitik auf Dialog statt Konfrontation

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Marcela Valente/IPS

Präsidentschaftssitz Casa Rosada in Buenos Aires
Bild: © Marcela Valente/IPS

BUENOS AIRES (IPS) - Nur knapp zog der Favorit der argentinischen Präsidentschaftswahlen Daniel Scioli vor einer Woche an seinem Rivalen Mauricio Macri vorbei. Damit müssen sich die beiden Kandidaten einer Stichwahl stellen. Egal, wer gewinnt: Mit dem Ende der Ära Kirchner wird es mit beiden Kandidaten eine Neuausrichtung der Außenpolitik des Landes geben. Eine Annäherung an die USA ist wahrscheinlich, eine stärkere wirtschaftliche Integration mit allen lateinamerikanischen Ländern absehbar.

Dass die beiden Kandidaten bei den Wahlen am 25. Oktober so dicht aufeinander folgen würden, war in den Wochen zuvor nicht absehbar gewesen. Die Umfragen sahen Scioli von der regierenden 'Frente para la Victoria' weit vorne. Tatsächlich erhielt er schließlich nur 2,5 Prozent mehr Stimmen als Mauricio Macri von der Oppositionspartei 'Pro'.

Bereits seit Monaten tourt Scioli durch die lateinamerikanischen Länder und macht dabei deutlich, wen er zu seinen Verbündeten zählt. Im Falle eines Wahlsieges am 22. November ist er entsprechend gut aufgestellt. Zuletzt gratulierte er - wenn auch nur telefonisch - dem ehemaligen Präsidenten Brasiliens Luiz Inácio Lula da Silva zwei Tage nach der ersten Wahlrunde zu dessen 70. Geburtstag. Dies sei ein sicheres Zeichen dafür, dass Scioli "die regionale Integration vertiefen" möchte, erklärte der politische Analyst Pablo Gentili, der IPS auch von Sciolis Telefonat mit dem brasilianischen Politiker berichtet hatte.

Der Anruf war nur die bisher letzte bekannte Kontaktaufnahme des argentinischen Präsidentschaftskandidaten mit dem großen Nachbar. Bereits mehrere Male hatte Scioli in den vergangenen Monaten Brasilien besucht und sich mit Lula da Silva getroffen. Darüber hinaus besuchte Scioli die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet und den kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos. Dass er grundsätzlich keine Berührungsängste mit Politikern unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung hat, bewies Scioli, indem er auch den kubanischen Präsidenten Raúl Castro, den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa und den uruguayischen Staatschef Tabaré Vázquez besuchte sowie dessen Vorgänger im Amt José Mujica.

"Scioli zeigt, dass er die politischen Erfolge in der Außenpolitik der vergangenen zehn Jahre weiterverfolgen würde, aber auch neue Wege eröffnen will - sowohl auf dem lateinamerikanischen Kontinent als auch global", so Gentili, Vorstandsmitglied des Lateinamerikanischen Rates der Sozialwissenschaften. "Scioli bietet die Chance, Argentinien als globalen Akteur neu aufzustellen: auf der einen Seite als souveränen, autonomen Staat mit eigener politischer Linie, auf der anderen Seite als solidarischen und kooperativen Partner."


Das Erbe Cristina Kirchners: Gute Beziehungen zu Venezuela, gespanntes Verhältnis zu USA

Am 10. Dezember wird Cristina Fernández de Kirchner ihr Amt niederlegen. Damit endet die Ära Kirchner. Von 2003 bis 2007 regierte der mittlerweile verstorbene Präsident Néstor Kirchner und seit 2007 ist seine Frau Cristina Fernández de Kirchner im Amt. Cristina Fernández ist für eine enge Beziehung zum verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez bekannt, der das Land von 1999 bis 2013 regierte. Auch steht sie auf gutem Fuß mit seinem Nachfolger Nicolás Maduro. Zu den USA hat Kirchner hingegen ein eher gespanntes Verhältnis. Unter anderem bezeichnete sie es als "lächerlich", dass US-Präsident Barack Obama die politische Situation in Venezuela als "Bedrohung für die nationale Sicherheit" seines Landes beschrieben hatte.

Kirchner stärkte die Beziehungen Argentiniens zu den übrigen BRICS-Staaten, zu denen neben Brasilien auch Russland, Indien, China und Südafrika gehören. Besondere Nähe suchte Kirchner zu dem Regierungen Brasiliens, Chinas und Russlands. Mit ihnen unterzeichnete sie wichtige Verträge zu Investitionen in die Infrastruktur Argentiniens. Vor allem China baute in den vergangenen Jahren seine Aktivitäten auf dem lateinamerikanischen Kontinent aus und stärkte vor allem die argentinische Währung.

Von Scioli - Gouverneur der Provinz von Buenos Aires und ehemaliger Vizepräsident unter Néstor Kirchner - wird erwartet, dass er sich nicht ganz so deutlich einer politischen Richtung zuwenden, sondern auch den Dialog mit den USA und Europa suchen würde. Angekündigt hat er bereits, dass er die Exportwirtschaft ausbauen will und den Handel insgesamt vorantreiben.


Macri: Bedingungsloser Verbündeter von USA und Europa

Überraschungen wird es auch mit Macri, Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires, nicht geben: Er fährt eine typisch rechtskonservative Linie und "bietet sich den USA und Europa, insbesondere Deutschland, als bedingungslosen Verbündeten an", so Gentili. Macri macht dies ganz offen, indem er bereits angekündigt hat, die "bolivarische Achse" zu verlassen, mit der linke lateinamerikanische Regierungen wie die Boliviens, Ecuadors und Venezuelas abschätzig bezeichnet werden. Diese Achse nannte er eine "antidemokratische Bedrohung".

Welcher politischen Linie er nahe steht, zeigt er auch damit, welchen Politikern er in der vergangenen Zeit Besuch abstattete: dem umstrittenen kolumbianischen Ex-Präsidenten Alvaro Uribe, der enge Beziehungen zu den rechten Paramilitärs geführt haben soll, außerdem dem rechtskonservativen Politiker José María Aznar, Ex-Präsident Spaniens, und dem ehemaligen Präsidenten Chiles Sebastián Piñera.

"Macri kritisiert schon seit Jahren die Regionalisierung der außenpolitischen Beziehungen", sagt Jorge Taiana, von 2005 bis 2010 Außenminister von Néstor und später Cristina Kirchner. Auch den Mercosur, ein Wirtschaftsbündnis von Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela, habe er häufig kritisiert. Sein Ziel sei vielmehr, die Beziehungen zu den USA auszubauen. (Ende/IPS/jk/04.11.2015)


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http://www.ipsnoticias.net/2015/10/en-balotaje-argentino-se-juega-nueva-diplomacia-latinoamericana/

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IPS-Tagesdienst vom 4. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2015

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