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NAHOST/1028: Konfliktträchtige Datteln aus dem Jordanland (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Januar 2014

Nahost: Konfliktträchtige Datteln aus dem Jordanland

von Pierre Klochendler


Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Ayman e-Deis neben seiner zerstörten Hütte
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Jordantal, Westjordanland, 16. Januar (IPS) - Der israelische Siedler Gadi Blumenfeld verteilt Macheten an 15 palästinensische Arbeiter, mit denen sie die scharfen Dornen an den Dattelpalmwedeln entfernen sollen. "Ich könnte zwar hinterrücks erstochen werden.", sagt er. "Doch mit Hilfe der Landwirtschaft halten wir die Gegend von Terroristen frei."

Die Zukunft des von Israel besetzten Jordantals, wo etwa 56.000 Palästinenser und 7.000 jüdische Siedler leben, lässt sich allerdings ebenso wenig vorhersagen wie der Regen. Ein Entwurf der US-Regierung für ein Rahmenabkommen für eine Zweistaatenlösung soll der Siedlungspolitik Israels im Jordantal ein Ende bereiten. Darin vorgesehen ist aber auch eine israelische Militärpräsenz von zehn Jahren.

Blumenfeld schaut unterdessen stolz auf seine Datteln, die "Früchte unseres Hirns und ihrer Hände sind". Im vergangenen Jahr ließ er 400 Tonnen erstklassige Medjoul-Datteln von rund 5.000 Palmen pflücken, die er auf einer Fläche von etwa 40 Hektar anpflanzte, seit er vor vier Jahrzehnten nach Patsa'el gekommen ist. "Wir haben die Wüste zum Blühen gebracht, es ist ein Wunder."


Paradies auf Erden zum hohen Preis

Auch der palästinensische Landeigentümer Ameen Al-Masri ist stolz auf seine Datteln. Seine Plantage ist nur wenige Kilometer von der des Israelis entfernt. "Dies ist das fruchtbarste Gebiet in Palästina für den Anbau in der Nebensaison", meint er. Sein Land ist genauso groß wie das von Blumenfeld. "Für dieses Paradies auf Erden zahlen wir einen hohen Preis. Von den Siedlungen und den Militärbasen aus wird unser Land überwacht."

Nachdem Israel das Jordantal im Sechstagekrieg 1967 erobert hatte, wurden palästinensische Bauern teilweise enteignet. Auf ihrem Land entstanden israelische Siedlungen und Armeelager.

Das Jordantal ist Teil des Großen Afrikanischen Grabenbruchs, der von Ostafrika nach Südwestasien verläuft. Es umfasst mehr als 28 Prozent des Terrains des Westjordanlands. Es ist das größte palästinensische Gebiet, das unter vollständiger israelischer Militär- und Verwaltungskontrolle steht. Seit den 1990er Jahren wird es als Zone C eingestuft.

Nur die bebauten Grundstücke, die 13 Prozent des Tals ausmachen, haben den Status einer Zone A und werden von Palästinensern verwaltet. Israel hat die Kontrolle über alle Verbindungswege zwischen dem eigenen Land und dem Jordan. Die Allenby-Brücke ist der einzige Weg über den Fluss, der Palästinensern aus dem Westjordanland offensteht, um ins Jordantal zu gelangen.

"Das Jordantal ist eine strategische Pufferzone zwischen einem Palästinenserstaat und dem Jordan. Es muss weiter unter israelischer Souveränität bleiben, denn dadurch wird verhindert, dass Dschihadisten, Al Qaeda-Mitglieder und Salafisten nach Israel eindringen", sagt David El-Haiiani, Vorsitzender des Nationalrats des Jordantals, der 21 jüdische Siedlungen vertritt.

Am 29. Dezember 2013, kurz vor einem Besuch von US-Außenminister John Kerry, der um Zustimmung zu seinem Rahmenabkommen warb, stimmte die israelische Regierung allerdings einen Gesetzentwurf zu, der, sollte er das Parlament passieren, den Anschluss der Siedlungen im Westjordanland und aller Straßenverbindungen an Israel bedeuten würde.

Die Palästinenser lehnen jedoch jede israelische Militär- oder Zivilpräsenz im Jordantal ab. "Würden wir uns mit einer zehnjährigen Truppenstationierung einverstanden erklären, fände der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu im neunten Jahr sicherlich einen Vorwand für eine Verlängerung um weitere zehn Jahre", meint Al-Masri.


Israel legt Landminen aus

Blumenfeld bewirtschaftet außerdem ein 20 Hektar großes Anbaugebiet in einer geschlossenen Militärzone zwischen einem elektronischen Zaun und dem Jordan. "Palästinensische Arbeiter dürfen hier nicht hinein", erklärt er. Obwohl Israel 1994 einen Friedensvertrag mit Jordanien unterzeichnet hat, sind entlang des Zaunes Antipersonen-Landminen ausgelegt. In den späten 1960er Jahren wurde das Gebiet 'Land der heißen Verfolgungsjagd" auf palästinensische Rebellen genannt.

Inzwischen herrscht Ruhe. Das Niemandsland wird von Wölfen und Wildschweinen bevölkert. Wachhäuschen, Ausgucke und Gräben erinnern daran, dass hier früher Militärs postiert waren. "Wir sind nicht aus ideologischen Gründen hierhergekommen, sondern um Landwirtschaft zu betreiben und das Gebiet zu sichern", sagt Blumenfeld. "Wir sind Farmer, keine Politiker."

"Ich bin ein friedliebender Mensch, ein Bauer", erklärt Al-Masri. "Und dennoch müssen Bauern um ihr Land kämpfen." Viele Palästinenser, die in der Region leben, sind Hirtennomaden, die Saisonanbau betreiben. Die meisten sind bitterarm und arbeiten auf Land, das ihnen nicht gehört. "Wer nicht für die Siedler arbeitet, hat überhaupt keine Arbeit", meint ein Palästinenser, der Paprikaschoten in Patsa'el pflückt. Etwa 6.000 Palästinenser arbeiten in den Siedlungen.

Der Schafhirte Ayman e-Dies hat sein Zuhause verloren. Seine Hütte und sein Tiergehege wurden im vergangenen Jahr zwei Mal zerstört, das letzte Mal kurz vor dem Winter. "Die israelischen Behörden erteilen einem ein Leben lang keine Genehmigung", sagt er, während er auf den Trümmern seiner ehemaligen Bleibe steht. Israel rechtfertigt die geringe Zahl von Baugenehmigungen mit sicherheitspolitischen Erwägungen.


Wasserreserven ungleich verteilt

In dem abgeschlossenen Militärgebiet wird gerade ein Wasserspeicher gebaut, um die Bewässerungsleistung von vier israelischen Reservoirs und zwölf artesischen Brunnen zu verbessern. Die Siedler beziehen Süßwasser aus einem tiefliegenden Aquifer, aus dem Jordan und aus Sturzfluten.

Die palästinensischen Bauern müssen dagegen auf Regen warten. Alternativ können sie eine nicht in allen Jahreszeiten verfügbare Quelle und vier artesische Brunnen nutzen. 2013 ernteten die Siedler rund 11.000 Tonnen Datteln, die zumeist exportiert wurden. Die Palästinenser brachten dagegen nur 2.000 Tonnen der Früchte hervor, die vorwiegend für lokale oder israelische Märkte bestimmt waren. "Das beste Geschäft ist heute die Besatzung", meint Al-Masri.

Einem Bericht der Weltbank zufolge könnten die Palästinenser 918 Millionen Dollar jährlich erwirtschaften, wenn sie im Süden des Jordantals Mineralien aus dem Toten Meer ausbeuten dürften. Hätten sie Zugang zu mehr urbarem Land und Wasser, wären weitere 704 Millionen Dollar möglich. Das Jordantal könnte dann der Brotkorb der Palästinenser werden.

"Ich möchte keinen Staat nur auf dem Papier, in dem Israel unsere Rohstoffe und Grenzen kontrolliert", sagt Mahmoud Daraghmeh, ein arbeitsloser palästinensischer Ingenieur, der auf dem Grundstück seiner Familie Sojabohnen zieht. "Das ist keine Freiheit und kein Staat."

Blumenfeld beobachtet einen Schwarm Zugvögel, der ungehindert die Grenze passieren kann. "Ich liebe dieses Tal. Doch bin ich bereit, den Preis bezahlen - für ein richtiges Friedensabkommen, für das die ganze Welt Garantien übernimmt, für ein Ende des Terrors, für ein Ende des Konflikts." (Ende/IPS/ck/2014)


Links:

http://documents.worldbank.org/curated/en/2013/10/18344690/west-bank-gaza-area-c-future-palestinian-economy
http://www.ipsnews.net/2014/01/jordan-valley-produces-conflicting-dates/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 16. Januar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2014