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NAHOST/555: "Brandherd Nahost - Um Hoffnung kämpfen" - Interview mit Felicia Langer (guernica)


guernica Nr. 2/2009, April/Mai 2009
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

"Den Verlust der Hoffnung können wir uns nicht leisten"

Interview mit der Trägerin des Alternativen Nobelpreises Felicia Langer


Die israelische Menschenrechtsaktivistin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises Felicia Langer referierte am 29. April in Linz zum Thema "Brandherd Nahost - Um Hoffnung kämpfen". guernica führte mit ihr das folgende Gespräch zum Israel/Palästina-Konflikt.


GUERNICA: Die israelische Regierung hat den Krieg gegen Gaza als Krieg gegen Hamas und Maßnahme gegen den Raketenschuss südisraelischer Städte gerechtfertigt. Wie beurteilen Sie diesen Krieg?

FELICIA LANGER: Offiziell war es ein Krieg gegen Hamas. Aber tatsächlich war es ein Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung. Die Menschen standen unter Blockade, sie konnte nicht fliehen, 1,5 Millionen waren auf engstem Raum zusammengepfercht - da kann man nicht sagen, man will eine Partei treffen. Es war eine kollektive Bestrafung der Menschen in Gaza, weil sie Hamas gewählt haben. Das zeigt auch das Resultat dieses Krieges: über 1.400 Tote, darunter ein Drittel Kinder und tausende Verletzte. Die Palästinenser haben immer gesagt, dass sie zum Waffenstillstand bereit sind, wenn die Blockade beendet wird. Diese Blockade hat bereits vor dem Krieg getötet. Hunderte Palästinenser sind gestorben, weil sie auf Grund der Blockade nicht zur notwendigen medizinischen Versorgung kommen konnten. 80% der Menschen in Gaza leben unter der Armutsgrenze. Der Angriff war langfristig vorbereitet worden, man wollte den Palästinensern eine Lektion erteilen.

GUERNICA: Und die Raketenangriffe der Hamas?

FELICIA LANGER: Ich verurteile den Raketenbeschuss auf israelische Städte so wie ich jede Gewalt gegen Zivilisten verurteile. Aber der Waffenstillstand wurde von der Israelischen Armee gebrochen, als sie in der Nacht von 4. auf 5. Oktober, der Nacht der US-Präsidentschaftswahlen, bei einem Überfall auf Gaza sechs Palästinenser tötete. Die israelische Regierung wollte den Krieg, wobei ich mich eigentlich weigere, Krieg dazu zu sagen, denn es standen Habenichtse gegen die 4. stärkste Armee der Welt, die Atomwaffen besitzt und die Unterstützung der mächtigsten Staaten der Welt genießt. Noch während des Krieges lieferten USA und Europa Waffen an Israel. Waffen, wie das weiße Phosphor oder die Streubomben, die in Gaza viele Menschen grausam getötet und verstümmelt haben, stammen direkt aus US-Arsenalen. Deutschland hat in den vergangenen Jahren U-Boote an Israel geliefert - zum Gutteil als Geschenk -, die als Abschussrampe für Atomwaffen dienen können. Völkerrechtlich ist es ein Kriegsverbrechen, wenn man einen Krieg anzettelt, wobei obendrein die Bevölkerung keine Fluchtmöglichkeiten hat. Mittlerweile gibt es auch Aussagen von israelischen Soldaten, die belegen, dass man keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen hat. Ganze Familien wurden ausgelöscht, 22.000 Gebäude wurden zerstört, darunter Schulen, Moscheen, Spitäler. 100.000 Menschen in Gaza sind jetzt obdachlos. Das Timing war "ideal" gewählt: Die israelische Armee brach den Waffenstillstand in der Nacht der US-Präsidentschaftswahl und beendete das Massaker einen Tag vor der Inauguration von Präsident Obama. So hat man das Ende der Ära Bush bis zur Neige ausgenutzt.

GUERNICA: Wie sehen Sie die derzeitigen Chance auf Frieden - auf der einen Seite Hamas, die Israel nicht anerkennt, auf der anderen Seite die neue rechtsaußen-Regierung in Israel?

FELICIA LANGER: Es gibt die Instrumente für den Frieden. Das sind völkerrechtliche Resolutionen wie die UNO-Resolution 242 von 1967. Es gibt die UNO-Charta, die besagt, dass Landerwerb durch Krieg unzulässig und daher die Siedlungspolitik Israels in den besetzten Gebieten völkerrechtswidrig ist. Es gibt politische Initiativen wie etwa die arabische Initiative von 2002, dass man Israel als normalen Teil des Nahen Ostens anerkennt und volle diplomatische Beziehungen aufnimmt, wenn sich Israel aus den besetzten Gebieten von 1967 zurückzieht und eine gerechte Lösung für die Flüchtlinge gefunden wird. Mittlerweile haben auch die Hamas und die iranische Regierung eine Zweistaaten-Lösung befürwortet, wenn die Mehrheit der Palästinenser in einer Volksabstimmung dazu ja sagt. Das bedeutet eine de facto-Anerkennung Israels. Das zeigt, dass sich die palästinensische Seite mit 22% des historischen Palästina mit Ostjerusalem als Hauptstadt zufrieden geben würde. Das ist kein Gefallen, das ist geltendes Völkerrecht! Das wäre kein Geschenk Israels, man würde nur zurückgeben, was man erobert hat. Zwei Staaten für zwei Völker, das wäre eine Lösung. Um dorthin zu kommen, muss es aber Verhandlungen zwischen den gewählten Vertretern beider Seiten geben. Die Hamas wurde in Wahlen gewählt, die von internationalen Beobachtern als eine der demokratischsten im Nahen Osten bezeichnet wurden. Das ist zu respektieren. Frieden muss man mit Feinden schließen, nicht mit Freunden.

GUERNICA: Viele zweifeln, dass eine Zweitstaaten-Lösung noch möglich ist, nachdem die israelische Besiedlung in den besetzten Gebieten bereits so weit fortgeschritten ist und das Land kreuz und quer durchschneidet. Es mehren sich daher Stimmen, die für einen gemeinsamen Staat eintreten, wo alle Menschen unabhängig von Religion und Herkunft die gleichen Rechte haben sollen.

FELICIA LANGER: Ja die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten sind der springende Punkt für eine Zwei-Staaten-Lösung: diese Siedlungen müssen weg, sie verstoßen gegen die Hager- und Genfer Konvention., das ist völkerrechtswidriger Landraub mit endlosen Demütigungen für die Palästinenser. Israel muss verstehen, dass das die einzig mögliche Lösung ist. Es ist schade, dass die jetzige Regierung sogar offiziell von der Zwei-Staaten-Lösung abgerückt ist. Frühere Regierungen haben sich zumindest verbal dazu bekannt. Das "Aushängeschild" der derzeitigen Regierung ist ein ausgesprochener Rassist wie Liebermann, der die arabische Minderheit in Israel, ein Fünftel der Bevölkerung, mit Deportation bedroht. Eine Zwei-Staatenlösung kann es nur geben, wenn Palästina ein lebensfähiger, unabhängiger und zusammenhängender Staat ist, nicht eine Ansammlung von Bantustans. Ein gemeinsamer Staat, wo alle Bürger gleiche Rechte haben, das wäre ein Ideal, aber in diesem Abschnitt der Geschichte sehe ich das skeptisch. Vielleicht werden wir einmal eine israelisch-palästinensische Föderation erreichen, aber Voraussetzung dafür ist, dass es jetzt einen eigenständigen palästinensischen Staat gibt. Wenn es einen entsprechenden internationalen Druck gibt, wird die israelische Regierung dazu bereit sein. Diesen Druck müssen wir ausüben, nicht weil wir Gegner sondern weil wir Freunde Israels sind. Die Menschen in Israel brauchen den Frieden genauso dringend wie die Menschen in Gaza und Westbank. Zehntausende Menschen haben in Israel gegen den Krieg der eigenen Regierung demonstriert.

GUERNICA: Also doch Hoffnung auf Frieden?

FELICIA LANGER: Darum müssen wir kämpfen. Den Verlust der Hoffnung können wir uns nicht leisten.


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Zur Person von Felicia Langer

Die aus Polen stammendes Jüdin Felicia Langer, musste vor den Nazis fliehen. Nach dem Krieg heiratete sie Mieciu Langer, der fünf Konzentrationslager durchlitten und 1945 mehr tot als lebendig gerettet worden war. 1949 wanderten sie nach Israel aus. 1959, als ihr Sohn Michael sechs Jahre alt war, begann Felicia Langer ihr Jusstudium. 1965 wurde sie als Rechtsanwältin zugelassen. Sie sah ihre Aufgabe darin, die Unterprivilegierten in Israel zu verteidigen. Der Sechs-Tage-Krieg 1967 war der Wendepunkt in ihrem Leben. Sie begann, PalästinenserInnen vor israelischen Militärgerichten zu vertreten, kämpfte gegen Enteignung, Häuserzerstörung, Deportation, Folter etc. 1990 schloss sie ihre Kanzlei aus Protest, weil das Justizsystem zur Farce geworden war, und übersiedelte nach Deutschland, wo sie Lehraufträge an den Universitäten in Bremen und Kassel übernahm. Nach wie vor streitet sie für die Menschenrechte und einen gerechten Frieden in Nahost, will eine Brücke zwischen Israelis und PalästinenserInnen bauen. Für ihr unermüdliches und unerschrockenes Engagement erhielt sie zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Unter anderem wurde sie 1990 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. 1991 ehrte sie die Bruno-Kreisky-Stiftung für Verdienste um die Menschenrechte. 1990 wurde sie Ehrenbürgerin der Stadt Nazareth. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Staates Israel wurde sie 1998 von der israelischen Zeitschrift "You" zu einer der 50 bedeutendsten Frauen der israelischen Gesellschaft gewählt.


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Forderungen an die österreichische Regierung

Die Plattform für Frieden und Gerechtigkeit im Nahen und Mittleren Osten hat sich Anfang dieses Jahres gegründet und mit Mahnwachen und Unterschriftenaktionen gegen den Gaza-Krieg protestiert. Wir fordern von der österreichischen Bundesregierung endlich eine entschiedene Friedenspolitik im Israel/Palästina-Konflikt:

• Sofortige Beendigung der Militärkooperation des österreichischen Bundesheeres mit den israelischen Streitkräften.

• Initiative Österreichs auf internationaler Ebene, in der EU und UNO:

für die strikte Einhaltung des Waffenstillstandes von beiden Seiten
für ein Ende der Blockade von Gaza
für Verhandlungen zwischen den gewählten RepräsentantInnen Israels und der PalästinenserInnen
für die Einstellung der Waffenexporte in die Nahost-Region (die EU-Staaten sind mittlerweilen die größten Waffenexporteure in den Nahen Osten)
für die Einstellung des Siedlungsbaus und ein Ende der Besatzung im Westjordanland

Unterschriftenlisten mit diesen Forderungen können bestellt werden bei der:
Werkstatt Frieden & Solidarität, Waltherstr. 15, 4020 Linz
Tel.: 0732/771094, office@werkstatt.or.at


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Quelle:
guernica Nr. 2/2009, April/Mai 2009, Seite 12
Herausgeberin und Redaktion: Werkstatt Frieden & Solidarität
Waltherstr. 15, A-4020 Linz
Tel. 0043-(0)732/77 10 94, Fax 0043-(0)732/79 73 91
E-Mail: office@werkstatt.or.at
Internet: www.werkstatt.or.at

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Abonnement: mind. 9 Euro für 10 Nummern.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2009