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NAHOST/558: Türkei - staatlich bedingte Vergewaltigung und sexuelle Gewalt (Cenî)


Cenî - Kurdisches Frauenbüro für Frieden e. V., Nr. 23, September 2009
Eine alternative Frauensicht

Staatlich bedingte Vergewaltigung und sexuelle Gewalt

Von Fadile Yildirim


Frauen sind auf der ganzen Welt jeglicher Form von Gewalt ausgesetzt. Diese Gewalt spitzt sich in manchen Phasen noch stärker zu. Dies gilt auch für Kriege. Diese werden zu Orten von gemeinschaftlichen Vergewaltigungen und jeglicher Form der sexuellen Gewalt.

Jedoch haben die männerdominierten und militaristischen Regierungen Jahre lang die Vergewaltigung als härteste Form der Gewalt gegen Frauen außer Acht gelassen. Obwohl im ersten und zweiten Weltkrieg Millionen Frauen vergewaltigt wurden, wurde dies in den Gerichtsverhandlungen von Tokio und Nürnberg nicht als "Kriegsverbrechen" gewertet. Erst nach den Kriegen in Bosnien und Ruanda und nach dem unermüdlichen Engagement der Frauen wurde Vergewaltigung in der internationalen Rechtsliteratur als "Kriegsverbrechen" bezeichnet.

Gewalt gegen Frauen, ein für die Fortführung der patriarchalen Gesellschafts- und Politikstrukturen äußerst wichtiger Punkt, kann im Zustand von Krieg und Auseinandersetzung als nahezu "normale" Kriegsregel fungieren. Krieg erreicht die Frauen als sexuelle Gewalt (Belästigung, Vergewaltigung, Zwangsprostitution u.ä.), Flucht und Armut. Sexuelle Gewalt können wir sowohl als Strategie in Zeiten der Auseinandersetzungen sehen als auch als Zeichen der Zusammenarbeit bzw. des Zusammenhangs zwischen die Gewalt gegen Frauen legitimierenden gesellschaftlichen Kodexen, dem Patriarchat und dem Militarismus.

Viele der Täter sind noch unter uns. Die Frauen versuchen diese Vergehen aufzudecken und für eine juristische Verfolgung der Täter zu sorgen. Sie kämpfen zudem gegen diese patriarchale Ideologie.


Staatlich bedingte Gewalt gegen kurdische Frauen

In der letzten Zeit hat die staatlich bedingte Gewalt gegen Frauen stetig zugenommen.

Eine Aktivistin der demokratischen freien Fraueninitiative wurde in Diyarbakir von Polizisten sexuell belästigt und ihr wurde angedroht, sie zu vergewaltigen. Am 21. Juni wurden bei einer Durchsuchungsaktion der Polizei in einer Wohnung in Diyarbakir im Stadtteil 'Ofis' eine Frau, Gast in dieser Wohnung, sexueller und physischer Gewalt ausgesetzt. Nach Veröffentlichung dieses Ereignisses gewann es hohe Aufmerksamkeit. Die Frauen haben an verschiedenen Orten der Türkei mit diversen Aktionen ihren Protest zum Ausdruck gebracht. Die demokratische, freie Frauenbewegung hat in ihrer Erklärung auf die Zunahme der sexuellen und physischen Gewalt gegen Frauen hingewiesen und diese wie folgt beschrieben: "Im vergangenen Monat wurde das MSN Passwort einer unserer Aktivistinnen geknackt und sie wurde mit sexuellen Schreiben belästigt. Eine Freundin wurde telefonisch von einem Polizisten bedroht. Zwei Aktivistinnen wurden unrechtmäßig festgenommen und sowohl während der Festnahme als auch während der Haft bedroht und belästigt. Ihnen wurde Spitzeltätigkeit angeboten". In Bezug auf die Vorkommnisse vom 21.06.09 in Diyarbakir erklärte die Frauenbewegung, dass sie diese Tat verurteilen und forderte "die Täter müssen gefunden und bestraft werden". Die Frauenbewegung wertete diesen Angriff gegen die Persönlichkeitsrechte zugleich als Angriff gegen die Frauenfreiheitsbewegung. Der Angriff sei gegen die demokratischen Forderungen des kurdischen Volkes gerichtet und bezwecke diese zu ersticken.


Sexuelle Folter wird fortgesetzt

Nach Angaben des Rechtshilfebüros gegen sexuelle Gewalt und Vergewaltigung in der Haft, das gegen den sexuellen Angriff durch vier zivile und bewaffnete Polizisten auf eine Aktivistin der Demokratischen Freien Frauenbewegung protestierte, werden Soldaten, Polizisten und Dorfschützer, die "sexuelle Folter" ausüben von der Justiz frei gesprochen. Das Büro warnte davor, dass "sexuelle Folter fortgesetzt wird" und forderte die Ausweitung des Ergenekon Prozesses auf Verschwundene und sexuelle Folter.


Die Türkei wurde wegen Belästigung und Vergewaltigung verurteilt

Das Rechtshilfebüro gegen sexuelle Gewalt und Vergewaltigung in der Haft wies darauf hin, dass die Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in 10 Verfahren wegen Belästigung und Vergewaltigung verurteilt wurde.

Das Büro erklärte, dass viele Frauen aufgrund sexueller Folter psychische Schäden erlitten und die sexuelle Folter auf die Persönlichkeit der Frauen abziele.

Das Büro sagte des weiteren, dass jeder sexueller Angriff, sei es durch Worte, Bewegungen oder auf andere Weise, eine traumatisierende Foltermethode sei. Frauen werden in der Haft nackt verhört und belästigt, was eine offenkundige Folter darstelle...


In 11 Jahren 300 Frauen

In 11 Jahren haben sich 300 Frauen aufgrund von sexueller Belästigung und Gewalt durch staatliche Kräfte, Polizei und Militär an das Rechtshilfebüro gewandt. 41 der Frauen sind zwischen 10 und 18 Jahren, 259 Frauen zwischen 12-67 Jahren alt. Die Dunkelziffer sei aufgrund der Scham und Ängste der betroffenen Frauen höher.


74 Frauen wurden von Soldaten und Polizisten vergewaltigt

Obwohl in den vergangenen 11 Jahren 223 Polizisten, 85 Soldaten, 14 Sondereinsatzkräfte und Kollaborateure sexuelle Gewalt und Vergewaltigung ausgeübt haben, wurde außer 3 Dorfschützern niemand vor Gericht gestellt. Es kam in dieser Zeit zu 74 Vergewaltigungen. Zwei Frauen haben anschließend Selbstmord begangen, eine Frau starb an den Folgen der Folter, eine 14jährige fiel nach der Vergewaltigung einem Ehrenmord zum Opfer und eine Frau starb an den Langzeitfolgen der Vergewaltigung.


Die meisten Opfer von sexueller Gewalt sind kurdische Frauen

232 Frauen, die sich an das Rechtshilfebüro gewendet haben, sind Kurden, 60 Türken, eine Deutsche, vier Roma, eine Bulgarin und eine Australierin. 78 Frauen, die das Büro aufgesucht haben, haben juristische Hilfe abgelehnt.


Fadile Yildirim (Freie Journalistin)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Protestaktion von Frauen in Diyarbakir, gegen unbestrafte Vergewaltigungstäter "Der Staat unternimmt nichts gegen Vergewaltigung. Also ist er schuldig", "Nein zu sexuellen Übergriffen", "Vergewaltigung in der Ehe ist eine Straftat", "Nein zu sexueller Belästigung"

Protestaktion von Frauen in Istanbul, gegen sexuelle Übergriffe an Frauen "Wir werden gegenüber Sexueller Belästigung nicht schweigen"


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Quelle:
Cenî - Kurdisches Frauenbüro für Frieden e. V., Nr. 23,
September 2009, S. 14 - 15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2009