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NAHOST/684: Israelische Hardliner fordern Maulkorb für liberale Professoren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. August 2010

Nahost: McCarthy lässt grüßen - Hardliner fordern Maulkorb für liberale Professoren

Von Jerrold Kessel und Piere Klochendler


Jerusalem, 30. August (IPS) - An Israels Universitäten haben Lehr- und Meinungsfreiheit derzeit einen schweren Stand. Rechte einheimische Hardliner unterstellen Hochschullehrern, vor allem Soziologen, Historikern und Politologen, eine 'antizionistische' Haltung, die korrigiert werden müsse. Ausländische jüdische und christlich-fundamentalistische Gruppen leisten diesen Kritikern finanzielle und ideologische Schützenhilfe.

Zugleich versuchen Abgeordnete rechter Parteien in der Knesset, dem israelischen Parlament, die Handlungsfreiheit missliebiger Bürger- und Menschenrechtsorganisationen mit einem neuen Gesetz zu beschneiden.

Es gehe lediglich um ein ausgewogenes Lehrangebot, verteidigt das Institut für zionistische Strategien den Feldzug gegen die Universitäten. Es verlangt vom Rektor der Universität von Tel Aviv, der ersten ins Visier der Hardliner geratenen Hochschule, den "stark post-zionistischen" Lehrstoff der Fachbereiche Soziologie, Geschichte und Politologie zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass Vertreter mit kontroversen Ansichten gleichberechtigt zu Wort kommen. Unter 'Post-Zionismus' versteht das Institut "die Aushöhlung der Grundfesten des zionistischen Ethos und eine Annäherung an den linksradikalen Traum".

Eine weitere ultrarechte Gruppe, 'Im Tirtzu', die sich der Stärkung des Zionismus in Israel verschrieben hat, ist federführend bei einer massiven Kampagne gegen die BenGurion-Universität in Beersheba. In einem Brief an die Rektorin Rivka Karmi droht sie, dafür zu sorgen, dass israelische und ausländische Geber ihre Unterstützung der Universität einstellen, falls "der Anti-Zionismus kein Ende nimmt".

'Im Tirtzu' gibt der Universität einen Monat Zeit, um diesem Ansinnen nachzukommen. Andernfalls werde man die Studenten zu einem Universitätsboykott auffordern. In einem Brief an die Rektorin schreibt der Vorsitzende der Gruppe, Ronen Shoval, neun der elf Mitglieder der Fakultät für Politikwissenschaft seien "an linksradikalen Aktivitäten beteiligt, die beispielsweise junge Israelis ermutigen, den Kriegsdienst zu verweigern".

Doch Karmi lässt sich nicht einschüchtern. "Ich reagiere grundsätzlich nicht auf Drohungen, Erpressung oder, wie in diesem Fall, auf eine Hexenjagd", erklärte sie.


Rektoren: "Universitäten sind keine politischen Einrichtungen"

Anders als die Rektorin der Ben Gurion-Universität nahmen die Rektoren von sieben führenden israelischen Universitäten öffentlich Stellung zu den Drohungen. In einer Erklärung verurteilten sie "diesen gefährlichen Versuch, eine Gedankenpolizei zu etablieren".

Weiter heißt es darin: "Keine israelische Universität muss irgendeiner Organisation die Vaterlandsliebe ihrer Mitarbeiter beweisen, schon gar nicht einer politischen Gruppe, die versucht, in eigenen PR-Kampagnen ihre tendenziöse politische Position vorzustellen." Die Rektoren stellen klar: "Wie es sich für eine aufgeklärte Demokratie gehört, sind Universitäten keine politischen Einrichtungen. Die Auswahl ihrer Mitglieder richtet sich einzig und allein nach dem objektiven Kriterium hervorragender Leistungen in Forschung und Lehre."

Viele Professoren sind besorgt, weil Israels Bildungsminister Gideon Sa'ar der Kampagne gegen Universitätsprofessoren und -dozenten zumindest halbherzig den Rücken stärkt. Er hatte sich nachdrücklich für die Entlassung von Neve Gordon, dem Chef der politischen Fakultät an der Ben Gurion-Universität ausgesprochen. Dieser hatte in seinem Buch 'Israel's Occupation' gefordert, Israel gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch zu boykottieren, damit es die Besetzung (der Palästinensergebiete) beendet.

In der liberalen, in Tel Aviv erscheinenden Tageszeitung 'Haaretz' warnte Yossi Sarid, ein ehemaliger Bildungsminister: "Wir sollten die Augen nicht vor diesem beunruhigenden Trend verschließen. Wenn Israels Universitäten besudelt und verleumdet werden, könnten sie aufgeben und in ihren Lehrplan Vorlesungen über 'Die Wissenschaft der Okkupation' aufnehmen, in denen rechte Hardliner und unbelehrbare Patrioten Israels Ruhm und seine globale Legitimität verkünden."

Auf die Frage, ob Israels akademische Freiheit bedroht sei, antwortete der Rektor der Universität von Tel Aviv, Joseph Klafter, freimütig: "Es hat einige erschreckende Versuche gegeben, der akademischen Freiheit Schaden zuzufügen. Ich hoffe aber, dass sich derartige Vorkommnisse noch in Schach halten lassen."

"Wer unseren Universitäten vorwirft, sie kümmerten sich nicht genug um die Werte des Zionismus, hat nicht begriffen, dass Pluralismus der Grundpfeiler der zionistischen und demokratischen Vision ist, auf der der Staat Israel gegründet wurde. Nur im Diskurs kann man Generationen von Bürgern dazu erziehen, demokratische und liberale Werte anzuerkennen", betonte Klafter.


Politische Kontrolle: NGOs sollen ausländische Spenden melden

Rechtsgerichteten Parlamentariern scheint daran derzeit nicht gelegen zu sein. Parallel zur Kampagne gegen die Universitäten arbeiten sie an einem Gesetz, das Israels liberalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) die Flügel stutzen soll. Der Verfassungs-, Rechts- und Justizausschuss der Knesset hat den Entwurf zur ersten Lesung ans Parlament verwiesen. Darin ist vorgesehen, dass NGOs jede Spende einer ausländischen Regierung oder einer anderen Quelle melden müssen. Bei Versäumnissen droht eine Geldbusse von umgerechnet 8.000 US-Dollar.

Koalitionssprecher Zeev Elkin von der Likud-Partei begründete das geplante neue Gesetz mit dem Hinweis, es dürfe keine Neuauflage des so genannten Goldstone-Reports geben. Dessen Material stamme überwiegend von Organisationen, die von fremden Staaten finanziert wurden. "NGOs kollaborieren häufig mit ausländischen Elementen, die sie infiltrieren und mit ihren Botschaften und Handlungen gegen Israels grundlegende nationale Interessen verstoßen", sagte er.

Richter Goldstone hatte im UN-Auftrag israelische Kriegsverbrechen im Gaza-Konflikt untersucht und seinen Bericht ('Human Rights in Palestine and Other Occupied Arab Territories') Ende September 2009 dem Menschenrechtsrat in Genf vorgelegt.

Die 'Association for Civil Rights in Israel' (ACRI) befürchtet, das Gesetz werde den legitimen Handlungsspielraum ziviler politischer Organisationen untergraben. "Bündnisfreiheit ist keine Sache des politischen Rosshandels", erklärte ein ACRI-Sprecher. "Sie bietet jedem Schutz, der sich organisieren will, um jederzeit zivile Anliegen vorzubringen, ganz gleich, ob dies einer Partei, einer politischen Mehrheit oder wem auch immer passt oder nicht." (Ende/IPS/mp/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2010