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NAHOST/714: Die "Grüne Bewegung" wartet auf die unsichtbare Hand (inamo)


inamo Heft 62 - Berichte & Analysen - Sommer 2010
Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten

Die 'Grüne Bewegung' wartet auf die unsichtbare Hand

Von Mohammad Maljoo


Der Oberste Führer der Islamischen Republik Iran propagierte für das Jahr 2009 "Verbesserung des Konsumverhaltens" (was er meinte war: Sparsamkeit). Für 2010 propagierte Khamenei "das Jahr der verdoppelten Anstrengung und verdoppelten Arbeit". Nach dem Gürtel enger schnallen, nun die Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Mohammad Maljoo, der die Hoffnungen der Linken auf die iranischen Arbeiterklasse, die sich den Protesten nur vereinzelt anschloss, nicht teilt, entwickelt drei Szenarien für die weitere Entwicklung: Die Erfüllung der Sparsamkeitswünsche des Obersten Führers grenzt er aus. Zur Parole der "verdoppelten Arbeitsanstrengung", im Klartext Produktionserhöhung, meint er, dass dazu zuerst ein Prozess der nationalen Versöhnung stattfinden müsse, der "das Trauma des vergangenen Jahres überwindet". Als drittes Szenario nennt er das Jahr der halbierten Arbeitsleistung aufgrund anhaltender Streiks, Rezession und bremsende Produktivität wegen der internationalen Sanktionen.


Der Oberste Führer der Islamischen Republik Iran pflegt an seinem Beginn, jedem persischen neuen Jahr einen Namen zu geben. Zum Nowruz (Neujahrsfest) des persischen Jahres 1388, das nach gregorianischem Kalender in den März 2009 fiel, rief er das "Jahr der Verbesserung des Konsumverhaltens" aus. Aber die Iraner gaben sich nicht damit zufrieden, 1388 nur der Sparsamkeit zu widmen. Dieses Jahr des persischen Kalenders entwickelte sich zum politisch ereignisreichsten seit der Revolution, die den Schah stürzte, denn die wenig klar umrissene Grüne Bewegung ging zu Massenprotesten gegen den Wahlbetrug auf die Straßen.

Unbeeindruckt davon benannte Khamenei das Lahr 1389 als "das Jahr der verdoppelten Anstrengung und verdoppelten Arbeit" und beschwor die Iraner, dass sie, nun da sie ihr Konsumverhalten eingeschränkt hatten, sich selbst in ihrer Arbeitsproduktivität übertreffen müssten. Am Maifeiertag 2010 veröffentlichte eine Gruppe, die sich selbst Iranisches Festkomitee des Internationalen Arbeitertages nennt, eine Erklärung im Internet, die ankündigte, dass bald eine "streikbereite" Arbeiterschaft entstehen würde. Das Festkomitee war vor dieser Erklärung nahezu unbekannt, aber seine Botschaft verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das Netzwerk, der mit der Grünen Bewegung sympathisierenden Webseiten. ist es möglich, dass der Oberste Führer zum zweiten Mal in Folge einem Jahr einen völlig unpassenden Namen gegeben hat? Könnte sich im laufenden persischen Jahr die Arbeitsleistung nicht verdoppeln, sondern halbieren, wenn iranische Arbeiter aus Solidarität mit dem politischen Aufruhr ihre Arbeit niederlegen?


Auf die Straßen

Die Grüne Bewegung hat ihren Ursprung in den tiefen Zerwürfnissen innerhalb der herrschenden Elite der Islamischen Republik zum Zeitpunkt des dreißigsten Jahrestages der Revolution, des letzten historischen Ereignisses, als auf den iranischen Straßen Politik gemacht wurde. Die undemokratischen Strukturen des postrevolutionären Staates haben seitdem zahlreichen Anstößen zu umfassender Veränderung, von inner- und außerhalb des Parlaments, widerstanden. Irans "Reformbewegung" von 1997-2004 hat sich vor allem durch seine Unfähigkeit hervorgetan, dass es den parlamentarischen Reformern nicht gelang, die Bevölkerung zu mobilisieren, deren Forderungen für die islamistischen Politiker oft zu radikal waren. Die Unruhen von 2009 hatten eine andere Qualität, denn Millionen marschierten, um ihre Unterstützung für ein Mitglied der post-revolutionären Führungselite, Mir-Hossein Musawi, gegen ein anderes Mitglied dieser Elite, den einen harten Kurs vertretenden Amtsinhaber Mahmud Ahmedinejad, zu bekunden. Kurz vor seinem Tod im Dezember 2009 hatte Musawis neuer Verbündeter, der wichtige Revolutionsführer Ayatollah Hossein-Ali Montazeri, eine unvergessliche Voraussage gemacht: "Am Ende wird dem Staat keine Wahl bleiben, als vor der Grünen Bewegung zu kapitulieren."

Die Spaltung innerhalb der politischen Elite geht auf widerstreitende politische und wirtschaftliche Interessen zurück, v. a. auf den Versuch der Ahmedinejad nahestehenden Claqueure, die politische Entscheidungsgewalt in ihren Händen zu konsolidieren. Seit Ahmedinejad 2005 die Präsidentschaftswahlen gewann, hat er seine Regierungsgeschäfte weitgehend hinter verschlossenen Türen ausgeübt und nur selten versucht, seine politischen Ziele durch einen demokratischen Prozess oder auch nur einen Minimalkonsens mit anderen Gruppen innerhalb der Islamischen Republik zu erreichen. Diese Entwicklung hin zur Konsolidierung lässt sich auch in der Wirtschaft beobachten, wie z. B. in der Ausweitung der wirtschaftlichen Interessen der Revolutionsgarden und der Äußerung des Regierungssprechers Gholam-Hossein Elham im November 2009, dass "die Basij-Miliz möglichst den industriellen Sektor im Iran übernehmen sollte".

Die stärksten Meinungsverschiedenheiten dürften mit Bezug auf Wahlen herrschen. Einerseits haben die Reformer und andere, die die republikanischen Eigenschaften der Islamischen Republik zu schätzen wissen, Wahlen bisher als den besten Weg für die Elite angesehen, innere Differenzen beizulegen. Innerhalb der von der Islamischen Republik auferlegten Grenzen kommt jene Gruppierung, deren Ideen in der Bevölkerung den größten Anklang finden, zum Zuge. Andererseits haben die Hardliner immer weniger Respekt für das Konzept der Partizipation der Bevölkerung an politischen Entscheidungen gezeigt, das Wahlergebnis zu ihren Gunsten manipuliert und dann gefordert, dass das offizielle Ergebnis akzeptiert wird. Für die Hardliner sind Wahlen nur ein Werkzeug. Für die Reformer haben Wahlen ihre Funktion verloren.(1) Die Grüne Bewegung - mit ihrer Forderung nach einem verlässlichen System zur sicheren Klärung der Frage "Wo ist meine Stimme?" - verstärkt den Gegensatz zwischen beiden Lagern der politischen Elite, weil sie die Aufmerksamkeit auf deren Hauptstreitpunkt lenkt.

Inzwischen haben die Betrügereien der Hardliner ihre Rivalen innerhalb der staatlichen Eliten und die Kräfte auf der Straße zusammengeführt. Seit Mitte der 2000er Jahre verloren reformorientierte Geistliche und selbst moderate Konservative - zumindest in der Praxis - das passive Wahlrecht und die iranischen Bürger wurden in ihren ohnehin begrenzten Wahlmöglichkeiten noch stärker eingeschränkt. Die Partnerschaft hat auch eine wirtschaftliche Seite. Die Grüne Bewegung rekrutiert sich weitgehend (obwohl nicht ausschließlich) aus mittelständischen Städtern, deren Ambitionen eng mit der umfassenderen, von den Reformern generell unterstützten Liberalisierung verknüpft sind. Sie sind Technokraten, während die Anhänger der Hardliner geringer gebildete politische Loyalisten sind; sie wollen einen Iran, der sich dem weltweiten Austausch von Waren und Ideen öffnet; sie sind oft fromm, hoffen aber, dass der Iran sein puritanisches Image verlieren und auf einige der repressivsten "islamischen" Aspekte der post-revolutionären Republik verzichten möge. Ende 1990 sah es so aus, als ob ein solcher Wandel Schritt für Schritt durch Wahlen herbeigeführt werden könne, aber diese Aussicht besteht nicht mehr. Mit der Entstehung der oben beschriebenen Interessensgemeinschaft haben sich Wahlen vom Schauplatz der politischen Auseinandersetzung zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung gewandelt.

Der neue Schauplatz der Auseinandersetzung wurde die Straße. Nach dem 12. Juni 2009, dem Tag der umstrittenen Präsidentschaftswahlen, durchliefen die Konfrontationen auf den Straßen Teherans über acht Monate hinweg zahlreiche Höhen und Tiefen und gaben Anlass zu allen möglichen Voraussagen eines raschen politischen Wandels. Nach einer Weile schien es jedoch so, dass sich auf der Straße ein Kräftegleichgewicht eingestellt hatte. Keine der beiden Seiten hatte ihr Ziel erreicht und keine war von ihren ursprünglichen Forderungen abgerückt. Die Grünen forderten weiterhin, dass der Staat das offizielle Wahlergebnis überprüfen solle und der Staat hielt an seiner Weigerung fest.

Für den 11. Februar, der in jedem Jahr als "Siegestag" der Islamischen Revolution begangen wird, wurde erwartet, dass die Grünen ihre Oberhoheit über die Straße erneut zur Geltung bringen würden. Der Staat veranstaltet an diesem Tag große Kundgebungen und die Grünen glaubten, sie könnten die Hardliner mit gewaltigen Gegendemonstrationen in die Schranken weisen. Unerwartet waren es jedoch die Hardliner, die allen die Schau stahlen und Hunderttausende auf die Straße schickten, um die Grünen, deren Reihen durch massive Polizeieinsätze ausgedünnt waren, zahlenmäßig zu übertreffen. Die Pattsituation dauerte am 12. Juni, dem ersten Jahrestag der umstrittenen Wahl, an. Demonstranten säumten wichtige Hauptstraßen, aber die Massivität des Aufgebots an Polizei und Basij-Paramilitärs verhinderte, dass die Grünen und ihre Unterstützer die Straße für sich reklamieren konnten.


Hoffen auf die Arbeiter

Seit dem 11. Februar besteht eine Reaktion auf die Lage darin, Hoffnungen auf die iranische Arbeiterklasse zu setzen. Die Idee ist, dass die Arbeiter - vermutlich die Hauptadressaten von Khameneis Neujahrserklärung - der Mittelschicht auf die Bühne der Massenpolitik folgen würden, um die Werkbank zu einem neuen Schauplatz der Auseinandersetzungen zu machen. Diese Vorstellung ist besonders für jene attraktiv, die vor der Revolution von 1979 in der Arbeiterbewegung und der Linken aktiv waren. Saeed Rahnema wird z. B. mit den Worten zitiert: "Das Regime wird in große Schwierigkeiten geraten, wenn Arbeiter und Angestellte in den wichtigsten Industriezweigen und in sozialen und staatlichen Einrichtungen einen Streik beginnen wie zu Zeiten des Schah. Streiks sind nach meiner Meinung entscheidend. Das Regime wird sich nicht nur aufgrund von Demonstrationen allein ändern."(2)

Es hat im Iran in den letzten Jahren mehrere energische Arbeitskampfaktionen gegeben; ein bekanntes Beispiel sind die wilden Streiks der Teheraner Busfahrer und Lehrer. Aber diese Aktionen haben sich nicht zu einer koordinierten, streitbaren Arbeiterbewegung entwickelt. Außerdem ist bisher in den wichtigsten Wirtschaftszweigen, in der Ölindustrie und im Transportgewerbe, noch kein Wille zum Arbeitskampf zu erkennen. Hossein Bashiryeh berichtete z. B., dass 2001 iranische Arbeiter 303 Arbeitskampfaktionen durchführten, weniger als sechs Prozent davon allerdings in der Ölindustrie und im Transportgewerbe. Mehr als 45 Prozent dieser 303 Streiks fanden aus Protest gegen verspätete Lohnzahlungen statt und auch die meisten anderen betrafen die Arbeitsbedingungen und die Löhne; nur 2,8 Prozent richteten sich gegen Privatisierungen.(3) Dieser Trend zur Zerstreuung des Protests und zu rein wirtschaftlichen Forderungen hat unter der Präsidentschaft von Ahmedinejad angehalten.

Gleichwohl stand die Arbeiterklasse sicherlich dem politischen Aufruhr und der Grünen Bewegung nicht völlig fern. Im Mai veröffentlichte das Zentrum zur Verteidigung der Familien der Ermordeten und Inhaftierten im Iran die Namen von zehn Arbeitern, die während der Proteste nach der Präsidentenwahl getötet worden waren, und es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass unter den Regimekritikern viele Menschen ohne Universitätsausbildung sind. Die Hoffnung von Rahnema und anderen ist jedoch, dass die Arbeiter mehr tun, als sich den Protesten anzuschließen und vielmehr Fabriken und Ölfelder durch Streiks lahm legen. Die Arbeiterschaft spielte im Oktober und November 1978 genau diese Rolle, als sich eine Koalition aus pro-revolutionären Angestellten und Arbeitern in staatlichen und anderen öffentlichen Unternehmen zusammenfand, um die letzten Schritte auf dem Weg zum Sturz des Pahlavi Regimes zu ermöglichen.(4)

Die Erwartung, dass die Arbeiterklasse die Grüne Bewegung retten wird, scheint dennoch implizit auf einer Analyse zu beruhen, die eine unsichtbare Hand annimmt und den Eindruck erweckt, dass die wirtschaftlich Entrechteten sich dem Kampf massenweise - einer Selbstentzündung gleich - anschließen werden. Es ist v. a. Ahmadinejads Plan, Preissubventionen für Grundbedarfsartikel wie Benzin, Brot, Wasser und Strom schrittweise abzubauen, der dieser Analyse ihren Reiz verleiht. Die Reform der Subventionen wird allen Voraussagen nach eine Hyperinflation auslösen und gemeinsam mit internationalen Wirtschaftssanktionen die Arbeiterklasse besonders hart treffen. Nach den Worten eines pro-Grünen Autoren "steht der Iran am Beginn einer schwerwiegenden wirtschaftlichen Krise, die zunehmend die Lage der Arbeiterklasse verschlechtern wird. [Ahmadinejad's] coup d'état-Regierung ist nicht in der Lage, die Krise zu meistern. Wir werden eine Ausweitung des Kampfes der Arbeiterklasse erleben, die sich mit dem Lager der Grünen verbünden wird."(5)


Die Hoffnung nicht aufgeben

Die von einer unsichtbaren Hand ausgehende Analyse der Unterstützer der Grünen Bewegung krankt an mindestens zwei Fehlern. Es ist erstens nicht ausgemacht, dass die Arbeiterklasse sich trotz einer noch nie dagewesenen Unzufriedenheit der Arbeiter mit dem Establishment so unbedingt den Grünen anschließen will. Mir-Hossein Musawi bezieht sich allgemein auf Themen der sozialen Gerechtigkeit in seinen Ausführungen zur Wirtschaft, aber der Kern der Führungsriege der Grünen Bewegung vertritt eine iranische Version der Trickledown-Wirtschaftstheorie, nach der die Masse der Bevölkerung letztlich ein gutes Leben haben wird, aber nur wenn sich zuerst der Wohlstand der Eliten furios vermehrt.

Die Grüne Bewegung hat bisher kaum etwas von einer Vision der Umverteilung des Reichtums verlauten lassen, was die Arbeiterklasse veranlassen könnte, in Aktion zu treten. Aus der Sicht der Arbeiterklasse vollzieht sich der gegenwärtigen Konflikt zwischen einer Gruppe, die den Reichtum des Landes an verschiedene Teile der Elite verteilen will, und einer anderen Gruppe, die diesen Reichtum monopolisieren will. Die Arbeiterklasse würde einfach beide Gruppen zum Teufel wünschen.

Zweitens gibt es Gründe, die allzu simplistische Annahme in Frage zu stellen, dass eine zunehmende Verschärfung der wirtschaftlichen Lage unbedingt zum Arbeitskampf und zu politisch erfolgreichen Aktionen führen muss. Wie Bashiryeh und andere gezeigt haben, hat es in den letzten beiden Jahrzehnten häufig Arbeiterproteste gegeben, diese waren jedoch nur vereinzelt, denn der iranischen Arbeiterklasse fehlt seit der Zeit unmittelbar nach dem Sturz des Schah eine unabhängige landesweite Organisation. Seit sich die Strukturen des revolutionären Staates verhärtet haben, und v. a. seit der Verabschiedung eines Arbeitsgesetzes von 1990, sieht sich das Engagement von Arbeitern drei zähen Gegnern gegenüber: die Unternehmensführung in Betrieben des öffentlichen wie privaten Sektors; die islamischen Arbeiterräte, die in jedem Unternehmen mit mehr als 35 Mitarbeitern bestehen und unter der Aufsicht des staatlich geführten Arbeiter-Hauses stehen; und zu guter Letzt die Wirtschaftsideologen, die alle Gewerkschaften für illegal erachten. Die gemeinsamen Interessen dieser drei Gegner finden sich im Arbeitsgesetz von 1990 wieder, gemäß dem jede unabhängige Gewerkschaft, die in einem Unternehmen entsteht, in dem es einen Islamischen Arbeiterrat gibt, automatisch verboten werden muss. Viele Gewerkschaften, die sich als unabhängig bezeichnen, unterstehen in der Realität auch dem staatlich geführten Arbeiter-Haus.(6)

Das Arbeiter-Haus ist die einzige genehmigte landesweite Arbeiterorganisation. Obwohl seine Islamischen Arbeiterräte in den letzten fünf Jahren sich zunehmendem Druck der Basis gegenübersehen, besteht das Personal des Arbeiter-Hauses aus Opportunisten und Karrieristen, die zu vorsichtig agieren, um Generalstreiks zu organisieren. Als der Maifeiertag näher rückte, kündigte das Arbeiter-Haus eine Woche von Feierlichkeiten für Arbeiter an, die mit einer Kundgebung am Mausoleum von Ayatollah Ruhollah Khomeini beginnen, dann mit einer Audienz beim Obersten Führer fortgesetzt und schließlich mit einer Massenkundgebung mit Ahmedinejad enden sollten.

Dennoch gibt es einige vielversprechende Projekte, die der iranischen Arbeiterschaft eine wirklich unabhängige Stimme verleihen. Zwei wichtige Institutionen sind die Gewerkschaft der Teheraner Busbetriebe und die unabhängige Gewerkschaft der Arbeiter der Haft-Tappeh Zuckerrohrfabrik. In einer gemeinsamen Resolution am Vorabend des Maifeiertages erklärten zehn unabhängige Arbeiterorganisationen, einschließlich die der Busfahrer und Zuckerrohrarbeiter, ihre Forderungen wie das "Recht auf Schaffung unabhängiger Organisationen, Lohnsteigerungen und ein Ende des Regierungsprogramms zur Abschaffung von Subventionen." Es gibt auch das Netzwerk iranischer Gewerkschaften, das in Folge der Streikaktionen der Busfahrer und der willkürlichen Verhaftung ihres Anführers Mansour Osanlou gegründet wurde. Nach Aussagen seines Sprechers Homayoun Pourzad versucht das Netzwerk, eine unabhängige landesweite Presse für die Arbeiterschaft zu etablieren, um eine größere Unabhängigkeit vom Arbeiter-Haus zu schaffen. Trotz einiger Anzeichen für gegenseitige Sympathie bilden diese unabhängigen Arbeiterorganisationen und die Grünen jedoch keine Einheitsfront. Befragt nach Musawis Haltung zu Arbeitnehmerrechten sagte Pourzad: "Wir kennen seine Haltung nicht. Erscheint Arbeitnehmerrechten generell positiv gegen überzustehen, aber unsere Programme sind keineswegs identisch."(7)

Ironischerweise hat die grüne Elite, die die Hoffnung nicht aufgibt, dass die Arbeiterschaft aktiv werden möge, einen Anteil daran, dass Arbeiter an der Schaffung einer unabhängigen landesweiten Organisation gehindert werden. Die "islamische Linke", ein Kader von Geistlichen, der eine strikte Rhetorik der sozialen Gerechtigkeit vertrat und aus dem viele der heutigen Reformer hervorgingen, attackierte die Unabhängigkeit der säkularen linken Arbeiterräte in den ersten Jahren der Revolution. Während des iranisch-irakischen Krieges von 1980-1988, als diese Angriffe verstärkt stattfanden, war Mosawi lange Zeit selbst Premierminister (ein Amt, das seitdem abgeschafft wurde). Präsident Akbar Hashemi-Rafsanjani verlieh dieser repressiven Haltung Gesetzesrang; die sechs Paragraphen des Arbeitsgesetzes von 1990 schrieben die exklusive Kontrolle der Islamischen Arbeiterräte in den Betrieben fest.

Die Reformer um Präsident Mohammad Khatami waren für ihr Eintreten für individuelle Bürgerrechte bekannt, setzten sich aber nicht für das Recht der Arbeiter auf Kollektivverhandlungen ein. Ein aufschlussreiches Beispiel ist das der Lehrer. Seit 2001, als sie begannen, auf den Straßen für bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren, über 2003, als sie in Schulen streikten bis Anfang 2005, als sie Petitionen einreichten, haben die Lehrer ihren Konfrontationskurs immer mehr abgeschwächt. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Handelskammern, Nichtregierungsorganisationen und reformorientierte Zeitungen erhielten Unterstützung von Freunden in hochrangigen Positionen in der Regierung Khatamis. Gewerkschaften hatten keine derartige Unterstützung angesichts der neoliberalen Haltung der Reformer, die keine Schritte unternahmen, die Restriktionen gegen die Schaffung unabhängiger Arbeiterorganisationen zu lockern. Die Arbeiterschaft ist auch durch die allgemeine wirtschaftliche Lage geschwächt worden. Seit Ende des iranisch-irakischen Krieges herrscht chronisch hohe Arbeitslosigkeit, die zusehends durch den Zustrom junger Iraner auf den Arbeitsmarkt steigt. Die Arbeitslosenquote lag in den letzten beiden Jahrzehnten offiziell bei 14 Prozent, ist aber zweifellos höher.

Nachdem sie unter der Herrschaft des Schah für die Schaffung unabhängiger Organisationen geschuftet hatte und dann half, dem Monarchen den Gnadenstoß zu versetzen, wurde die Arbeiterklasse von ihren Ko-Revolutionären mundtot gemacht. Es ist nur eine weitere Ironie, dass dieses erzwungene Schweigen die Arbeiterklasse davon abzuhalten scheint, die Rolle zu spielen, die die Grünen für sie erdacht haben. Die iranische Arbeiterschaft ist weniger auf Angriff denn auf Verteidigung eingestellt und kann eher begrenzte Rückzugsgefechte gegen eine sich verschlechternde Wirtschaftslage führen. Sollten sie sich auf die Hilfe der Arbeiterschaft bei der Wiederbelebung ihrer Bewegung verlassen, könnten sich die grünen Eliten selbst in einem Nessus-Hemd wiederfinden, das denjenigen vernichtet, der es anlegt.

Anstatt auf das Eingreifen einer unsichtbaren Hand zu warten, die die Arbeiter ins Spiel bringt, müssen die Grünen zwei ganz sichtbare Zeichen setzen, wollen sie diese latente gesellschaftliche Kraft mobilisieren. Als erstes Zeichen muss ein diskursiver Wandel weg von neoliberalem Denken, das in der Grünen Bewegung überwiegt, hin zu einer Agenda, die mehr auf soziale Gerechtigkeit setzt und unmittelbarer den Interessen der Arbeiter entspricht, vollzogen werden. Das zweite Zeichen muss eine spürbare Unterstützung sein für die Anstrengungen der Aktivisten für Arbeiterrechte, Arbeitern zu helfen, die sich gewerkschaftlich organisieren wollen.


Jahr der Geduld und Ausdauer

Es gibt drei mögliche Szenarien für die vorläufige Haltung der iranischen Arbeiterschaft im zweiten Jahr der Krise nach der Präsidentenwahl. Die Erfüllung der Wünsche des Obersten Führers zum Neujahrsfest scheint das unwahrscheinlichste Szenario zu sein. Damit 1389 das Jahr der "verdoppelten Arbeitsanstrengung" wird und die iranischen Arbeiter unterwürfig die Produktion erhöhen, müsste zuerst ein Prozess der nationalen Versöhnung stattfinden, der das Trauma des vergangenen Jahres überwindet. Es ist jedoch auch nicht wahrscheinlich, dass das neue persische Jahr das Jahr der halbierten Arbeitsleistung aufgrund anhaltender Streiks wird.

Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass 1389 - nach gregorianischem Kalender der Zeitraum von März 2010 bis März 2011 - das Jahr der geringeren Arbeitsleitung wird, wenn zeitweilige Zusammenstöße auf den Straßen, weitere vereinzelte Arbeitskampfaktionen, Rezession und neue US- und internationale Sanktionen die Produktivität bremsen. Diese unmittelbare Zukunft ist nicht das, wovon die Grünen träumen, aber sie kann der von ihrer Symbolfigur Mir-Hossein Musawi verkündeten Strategie, das neue Jahr als das "Jahr der Geduld und Ausdauer" anzusehen, dienlich sein. Obwohl die Zeit auf der Seite der Grünen Bewegung zu sein scheint, so kommt die Gelegenheit doch nur einmal.


Mohammad Maljoo is a research fellow at the International Institute of Social History in Amsterdam. Aus dem Englischen von Anja Zückmantel.


Anmerkungen

1) Vgl. Mohammad Maljoo, "The Political Economy of the Post-Election Protests," Goftegu 54 (Dezember 2009). [Persisch]

2) Interview von Ian Morrison mit Saeed Rahnema, Tehran Bureau, March 28, 2010, verfügbar unter:
http://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/tehranbureau/2010/03/not-by-street-demonstrations-alone.html

3) Hossein Bashiryeh, "Political Sociology of the Working Class and Worker Currents in Iran." Moassi-ye Amoozesh - e Aali - ye Kar (2004). [Persisch]

4) Ahmad Ashraf, "Anatomy of Revolution: The Industrial Working Class and the 1979 Revolution," Goftegu 55 (April 2010). [Persisch]

5) F. Taban, "The 30-Year Overarching Despotism," Arash 104 (März 2010). [Persisch]

6) Siehe Mohammed Maljooo: Die Änderungsentwürfe des iranischen Arbeitsgesetzes, in inamo Nr. 50, Sommer, Jahrg. 13, 2007, S. 14-16.

7) "Against the Status Quo: Interview by Ian Morrison," The Platypus Review, lanoarys, 2010, verfügbar unter:
http://platypus1917.org/2010/01/08/against-the-status-quo-an-interview-with-iranian-trade-unionist-homayoun-pourzad/ Homayoun Poorzad ist ein Pseudonym.


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Inhaltsverzeichnis - inamo Nr. 63, Herbst 2010

Gastkommentar
- Der Gerechte hält Einrede, von Esther Dischereit

Iran
Nach dem Protest ist vor dem Protest, von Bahman Nirumand
In Erwartung des Mahdi ... Machtspiele und Selbstzerstörungstendenzen im fundamentalistischen Lager, von Asghar Schirazi
Die 'Grüne Bewegung' wartet auf die unsichtbare Hand, von Mohammad Maljoo
Die "Geographie" der Opposition - Utopia oder klassenbewusster Kommunitarismus? von Arshin Adib-Moghaddam
Wahlverwandtschaften zwischen der Frauenrechtsbewegung und der 'Grünen Bewegung', von Elham Gheytanchi
Ethnischer Nationalismus und Grüne Bewegung, von Asghar Schirazi
Das große Scheitern: Nationalökonomie der Islamischen Republik, von Fereydoon Khavand
Sanktionsregime gegen den Iran: Entstehung und Auswirkungen, von Ali Fathollah-Nejad

Afghanistan
- Beobachtungen in Afghanistan, von Matin Baraki
- Warum WikiLeaks den Krieg nicht stoppen wird, von Noam Chomsky

Libanon
Hizbullahs Disneyland?
Die Tourismuspolitik der Hizbullah, von Manuel Samir Sakmani und Manja Riebe

Palästina/Israel
Überfall auf die Free Gaza Flottille, Völkerrechtliches Gutachten, von Norman Paech
Palästina neu erfinden: Das Friedenskino von Jenin, von Irit Neidhardt

Afrika
- "Land Grabbing" in Afrika, von John Vidal

Wirtschaftskommentar
- Hawala und anderer Bargeldtransfer, von Mathew Rosenberg

Zeitensprung
- Juli bis September 2006 in Gaza, von Norbert Mattes

Ex Mediis
Tahar Ben Jelloun: Zurückkehren, von Barbara Dietrich
Paul-Éric Blanrue: Sarkozy, Israel et les Juifs /
Régis Debray: Á un ami israélien, avec une réponse d'Élie Barnavi, von Malcolm Sylvers
Lamya Kaddor: Muslimisch - weiblich - deutsch
Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam, von Birgit Rommelspacher

www.inamo.de//Ticker//


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Quelle:
INAMO Nr. 63, Jahrgang 16, Herbst 2010, Seite 14 - 17
Berichte & Analysen zu Politik und Gesellschaft des Nahen und
Mittleren Ostens
Herausgeber: Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2010