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NAHOST/753: Südamerikanische Offensive - Rückendeckung für palästinensischen Staat (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Januar 2011

Nahost: Südamerikanische Offensive - Rückendeckung für palästinensischen Staat

Von Pierre Klochendler und Thalif Deen


Jerusalem, New York, 17. Januar (IPS) - Mit Guyana ist die Zahl der lateinamerikanischen Länder, die auf Initiative Brasiliens Palästina als unabhängigen Staat anerkannt haben, auf sieben angestiegen. Erwartet wird, dass auch Paraguay und Peru dem Beispiel der Staaten Brasilien, Uruguay, Argentinien, Bolivien, Ecuador, Chile und zuletzt Guyana (13. Januar) folgen. Analysten interpretieren den südamerikanischen Vorstoß als einen Ausdruck einer zunehmenden politischen Emanzipation und regionalen Solidarität.

Ausgelöst hatte den Dominoeffekt Brasiliens ehemaliger Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva mit der Ankündigung am 3. Dezember, Palästina offiziell anzuerkennen. Damit reagierte er auf einen entsprechenden Appell von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der sich über die unnachgiebige Haltung Israels im Nahostkonflikt sowie die ständigen Abbrüche der Friedensverhandlungen beklagt hatte.

Mehr als 100 Länder hatten Palästina nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung von 1988 durch den Palästinenserführer Jassir Arafat 1988 anerkannt. Weitere Staaten, vor allem des ehemaligen Ostblocks, folgten nach dem Oslo-Friedensabkommen von 1993. Auch lateinamerikanische Länder wie Kuba, Venezuela, Nicaragua und Costa Rica gehörten zu den 'frühen' Ländern, die Palästina in seinen Grenzen vor der Besatzung des Westjordanlands und des Gazastreifens nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 anerkannten.


Mitsprache in Nahostkonflikt erwünscht

Die jüngsten Anerkennungen sind nach Ansicht von Phyllis Bennis, Direktorin des Neuen Internationalismus-Projekt der Washingtoner Denkfabrik 'Institute for Policy Studies' ein Indikator für den Wunsch Lateinamerikas, sich im Nahostkonflikt stärker zu engagieren. Sie wies darauf hin, dass keines der sieben lateinamerikanischen Länder unter denjenigen war, die den palästinensischen Staat nach der Unabhängigkeitserklärung von 1988 anerkannt hatten.

"Die meisten dieser sieben Länder wurde damals von US-gestützten Diktaturen oder neoliberalen und von Washington abhängigen Post-Diktatur-Staaten regiert", erläuterte Bennis, Nahostexpertin und Autorin des Buches 'Challenging Empire: How People, Governments and the U.N. Defy U.S. Power' (Infragegestelltes Imperium: Wie Menschen, Regierungen und die UN die US-Macht herausfordern).

Bennis misst vor allem der Initiative Brasiliens, derzeit Mitglied im UN-Sicherheitsrat, besondere Bedeutung bei. Das südamerikanische Land sei nicht willens, sich von den USA dominieren zu lassen, erklärte sie. Die Präsenz Brasiliens, Argentiniens und besonders Chiles auf der Liste der Länder, die Palästina als unabhängigen Staat anerkennen, müsse zudem als eine Akt 'Schutz' für Ecuador, Uruguay, Bolivien und Venezuela betrachtet werden, die ohne diese Rückendeckung einem viel größeren Druck von Seiten der USA ausgesetzt wären.


Mit US-Nahostdiplomatie unzufrieden

Nach Ansicht von Mouin Rabbani, Journalist beim 'Middle East Report' in Washington, ist der jüngste Vorstoß der südamerikanischen Länder als Misstrauensvotum gegen die US-geführte Nahost-Diplomatie zu sehen. Im letzten Jahrzehnt hätten sich die lateinamerikanischen Länder auf der Weltbühne als unabhängige und vertrauenswürdige Akteure positioniert, was sich wiederum in wachsende Spannungen mit den USA niederschlage.

Rabbani zufolge hat der jüngste Vorstoß der südamerikanischen Länder auch eine politisch-historische Dimension und erklärt sich aus den Verflechtungen und Beziehungen Israels zu den südamerikanischen Diktaturen des letzten Jahrhunderts.

Rabbani zufolge werden sich nur wenige der verbliebenen Länder Afrikas und Asiens der neuen südamerikanischen Initiative anschließen, die sich Palästina noch nicht als unabhängigen Staat anerkannt haben. Ein solches Beispiel könnte Südafrika sein, das bis zur Abschaffung des Apartheid-Regimes beste Beziehungen zu Israel unterhielt.

Die jüngsten Anerkennungen Palästinas hatte Israel zunächst mit "Bedauern" und "Enttäuschung" zur Kenntnis genommen. Später hieß es in einer Mitteilung des israelischen Außenministeriums, sie seien "konterproduktiv" und schädlich für den Frieden.


"Virtuelle Freunde für virtuellen Staat"

Als dann Anfang Januar auch Chile mitzog, verglich Israels Vizeaußenminister Daniel Ayalon in seinem Blog Palästina mit dem sozialen Netzwerk Facebook. So wie Facebook auch suchten die palästinensischen Behörden nach "virtuellen Freunden" für einen "virtuellen Staat.

"Unverantwortliche" Regierungen neigten schnell dazu, den palästinensischen Staat zu mögen, ohne jedoch zur Kenntnis zu nehmen, dass es ihm an Souveränität, Grenzen, wirtschaftlichen Möglichkeiten und demokratischer Kultur fehle, so Ayalon weiter.

Der Vizeaußen war im letzten Jahr wegen der Verletzung der diplomatischen Etikette international in die Kritik geraten. Ayalon hatte sich nach Kritik der Türkei geweigert, dem türkischen Botschafter in Israel die Hand zu reichen und die türkische Fahne zu hissen. Darüber hinaus hieß er seinen Gast auf einem niedrigen Stuhl Platz nehmen.


Israel immer mehr isoliert

Israel ist sich allerdings im Klaren darüber, dass es mit seiner Kompromisslosigkeit in der Frage der Siedlungspolitik immer weiter ins Abseits manövriert und die Geduld der internationalen Gemeinschaft, was den Nahostfriedensprozess angeht, empfindlich auf die Probe stellt.

Nachdem die USA gescheitert sind, Israel einen dreimonatigen Siedlungsbaustopp abzuringen, hat die Palästinenserbehörde unter Präsident Mahmud Abbas ihre Bemühungen um eine internationale Anerkennung Palästinas in den Grenzen vor 1967 verstärkt. Zudem brachte sie im vergangenen Monat den Entwurf einer UN-Resolution in Umlauf, in der die israelischen Siedlungen im Gazastreifen und in Ostjerusalem als illegal und eine Gefahr für die Zweistaatenlösung bezeichnet wurden.


Mit Rücken zur Wand?

Der Vorstoß löste auf israelischer Seite die Sorge aus, dass es für Washington immer schwieriger werden könnte, im UN-Sicherheitsrat sein Veto gegen eine solche Resolution einzulegen. "Ich würde mich nicht wundern, wenn innerhalb eines Jahres die ganze Welt einschließlich USA einen Palästinenserstaat befürwortet", warnte Benjamin Ben Eliezer, ein Minister der Arbeiterpartei in der rechten Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Eliezer vermisst bei seinem Koalitionspartner eine klare Friedensvision.

Auch der Kommentator Ari Shavit bedauert die derzeitige diplomatische Paralyse. "Die Zeit läuft aus", meinte er. Sollte der israelische Regierungschef eine Friedensvision haben, müsse sie unverzüglich auf den Tisch, schrieb er in der israelischen Zeitung 'Haaretz'. Für Benjamin Netanyahu seien die nächsten 100 Tage die letzte Chance. (Ende/IPS/kb/2011)


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http://www.merip.org/mer/mer.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2011