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NAHOST/778: Ägypten - Viele Revolutionsbewegungen - Doch wer spricht fürs Volk? (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Februar 2011

Ägypten:
Viele Revolutionsbewegungen - Doch wer spricht fürs Volk?

Von Adam Morrow und Khaled Moussa Al-Omrani


Kairo, 23. Februar (IPS) - Nach dem Volksaufstand in Ägypten haben sich zahlreiche Gruppen unter dem Banner der 'Revolution des 25. Januar' zusammengefunden. Angesichts der plötzlichen Vermehrung politischer Bewegungen stellt sich die Frage, welche von ihnen für sich das Recht in Anspruch nehmen dürfen, Stimme des Volkes zu sein.

"Keine einzige politische Richtung darf wohl von sich behaupten, im Namen der Revolution zu sprechen", erklärte Mohamed Saad Kitatni von der Moslem-Bruderschaft am 18. Februar im staatlichen Fernsehen. Der Auftritt der Partei im öffentlichen Rundfunk eine Woche nach dem Rücktritt des inzwischen geschassten Langzeitpräsidenten Husni Mubarak war der erste überhaupt, denn unter dem alten Regime war die Moslem-Bruderschaft verboten. "Alle Sektoren der ägyptischen Öffentlichkeit hatten an der Erhebung mitgewirkt, und gerade diese breit gefächerte Partizipation brachte den Erfolg."

Am 11. Februar hatte Mubarak die Macht an die ägyptischen Streitkräfte abgegeben, 18 Tage nach Beginn des Volksaufstands, der an Stärke und Intensität kaum zu überbieten war. Er forderte mehr als 350 Menschenleben. Seither hat der Höchste Rat der Streitkräfte zahlreiche Forderungen der Opposition erfüllt wie das Aussetzen der Verfassung und die Auflösung des Parlaments. Ebenso sagte der Rat freie Präsidentschafts- und Parlamentswahlen binnen sechs Monate zu.

Einige Schlüsselforderungen der Oppositionsgruppen müssen noch erfüllt werden. Dazu gehören die Freilassung aller politischen Häftlinge, die Abschaffung des verhassten Notstandsgesetzes und der Rücktritt der Regierung, die noch von Mubarak zusammengestellt worden war.


Jugendkoalition vom 25. Januar anerkannt

In Abwesenheit einer parlamentarischen Vertretung und einer funktionierenden Landesverfassung haben etliche Gruppen, die sich meist aus jungen Leuten zusammensetzen, angeboten, an einer Schließung der Lücke zu arbeiten. Die größte Anerkennung genießt die Jugendkoalition vom 25. Januar, die sich gleich am ersten Tag der Revolution gebildet hatte. Sie besteht aus verschiedenen politischen Jugendgruppen wie Freiheit und Gerechtigkeit, 6. April, Jugendkampagne für Mohamed ElBaradei und Junge Leute für den Wandel. Darüber hinaus gehören ihr Vertreter der Jugendflügel etlicher Oppositionsparteien wie Moslem-Bruderschaft, Karama-, Wafd-, Gadh- und Tagammu-Partei und der Demokratischen Front an.

"Die legitime Amtsgewalt lässt sich nicht von der (Ägyptischen) Verfassung von 1971 ableiten", teilte die Koalition kurz nach der Vertreibung Mubaraks mit. "Die rechtmäßige Autorität geht nun von der Revolution des 25. Januar aus." Zudem sind in der Schrift Forderungen wie eine neue Verfassung, die Abschaffung des Notstandsgesetzes und die Auflösung von Mubaraks Nationaldemokratischer Partei (NDP) enthalten. Die Koalition betonte zugleich die Absicht, "alle Maßnahmen zu prüfen, die vom Militärrat ergriffen werden, um sicherzustellen, dass die Forderungen der Menschen erfüllt werden."

Gleichwohl ließen einzelne Mitglieder der Jugendkoalition vom 25. Januar verlauten, kein Monopol auf die Revolution zu haben. "Keine Einzelperson hat das Recht, im Namen der Revolution zu sprechen", sagte die Pressekoordinatorin Injie Hamdi.

Während die Koalition in einer relativen frühen Phase der Proteste gegründet wurde, bildeten sich etliche neue politische Kräfte aus. Am 16. Februar kündigten Intellektuelle und einige Jungdemonstranten die Bildung eines Rates der Führer der Revolution vom 25 Januar an. Die Bewegung will auf den Errungenschaften der Revolution aufbauen.


"Der Korruption den Kopf abgeschlagen"

In den Tagen nach dem Rücktritt Mubaraks sprangen auch ehemalige Mitglieder der Regierungspartei NDP auf den Revolutionsgüterzug auf und teilten ihrerseits mit, eine politische Kraft zu bilden. Die 'Partei vom 25. Februar'. Doch die meisten Demonstranten und politischen Beobachter begegneten den Plänen mit Spott. "Dass Mubarak aus dem Amt entfernt wurde, hat der Korruption den Kopf abgeschlagen", meinte Injie Hamdi. "Doch der Körper besteht nach wie vor aus Personen, die mit dem Regime verbunden sind. Dazu zählen verkommene Sicherheitskräfte, Geschäftsleute und andere, die vom korrupten Regime profitierten."

"Jeder Versuch Mubaraks, in welcher Form auch immer ein Comeback zu feiern, ist angesichts des politischen Bewusstseins der Öffentlichkeit von vornherein zum Scheitern verurteilt", meinte Amr al-Shobki, politischer Analyst des halbstaatlichen 'Al-Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien. Ebenso sind nicht alle Gruppen, die kürzlich aus der Asche der Revolution emporgestiegen sind, Jugendgruppen.

Am 2. Februar, dem neunten Tag des Volksaufstands, wurde der 'Rat der weisen Männer' gegründet, ein Zusammenschluss prominenter ägyptischer Persönlichkeiten wie dem Nobelpreisträger Ahmed Zeweil und dem koptisch-christlichen Milliardär Naguib Sawiris. Die Mitglieder boten sich als Vermittler für Gespräche mit Vertretern des Regimes und der Protestbewegung an. Doch der Vorschlag wurde von den Anführern der Massenproteste abgelehnt.

"Die Leute können uns nicht vertreten. Sie sind noch nicht einmal für Gespräche an uns herangetreten", meinte damals der Generalkoordinator der Gruppe '6. April', Ahmed Maher. "Darüber hinaus lehnen wir Verhandlungen ab, solange Mubarak nicht bedingungslos zurücktritt."


Misstrauen gegenüber traditionelle Opposition

Junge Revolutionsführer konnten sich auch nicht für die "offiziellen" Oppositionsparteien erwärmen, von denen die meisten auf dem Höhepunkt des Volksaufstandes sich hinter das bedrängte Regime gestellt hatten. "Diese Oppositionsparteien waren lediglich Instrument der korrupten Regierungsstrukturen", so Hamdi. "Während des Aufstands drängten sie die Demonstranten dazu, sich mit den Zugeständnissen des Regimes zufrieden zu geben und die Demonstrationen abzublasen." Doch jetzt, nach dem Rücktritt Mubaraks, hätten sie selbst eine Kehrwende um 180 Grad gemacht.

Al-Shobki zufolge ist es nicht weiter verwunderlich, dass der politische Übergang in Ägypten durch "laute Proklamationen" der unterschiedlichen Gruppierungen gekennzeichnet ist, die nun versuchen, die Revolution als die ihre auszugeben. "Das Gerangel wird bis zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen dauern. Sobald der Zeitpunkt gekommen ist, werden die demokratisch gewählten Personen die Stimmen der Menschen sein", meinte Al-Shobki. Schließlich seien die Menschen sehr wohl in der Lage, die Spreu vom Weizen zu trennen. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2011