Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

NAHOST/887: Ägypten - Razzien in NGO-Büros, Militärrat Ablenkungsmanöver vorgeworfen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Januar 2012

Ägypten: Razzien in NGO-Büros - Militärrat Ablenkungsmanöver vorgeworfen

von Cam McGrath


Kairo, 5. Januar (IPS) - Zivilgesellschaftliche Organisationen in Ägypten werfen dem regierenden Militärrat vor, eine groß anlegte Kampagne gegen sie zu führen. So zielten die jüngsten Razzien in den Büros der Vereinigungen in Kairo darauf ab, vom eigenen Versagen bei der Gestaltung des Übergangs abzulenken und Kritiker mundtot zu machen.

Die Begründung, die jüngsten Durchsuchungen richteten sich gegen Organisationen, die widerrechtlich finanzielle Zuschüsse aus dem Ausland entgegengenommen hätten, ist nach Ansicht von Aktivisten nur vorgeschoben. "Das Ziel dieser Kampagne ist allen klar. Wir sollen geknebelt werden, damit wir Menschenrechtsverletzungen und repressive Praktiken nicht mehr an die Öffentlichkeit bringen können", teilte das Arabische Netzwerk für Menschenrechte (ANHRI) mit.

Ins Fadenkreuz der Ermittler waren vor allem das Arabische Zentrum für die Unabhängigkeit der Justiz und der Rechtsberufe (ACIJLP) sowie die Menschenrechtsbeobachterstelle BAHRO geraten. Die beiden in Kairo ansässigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sammeln Beweise für Korruption und Menschenrechtsverletzungen seitens des Militärrats.

Die Ermittler beschlagnahmten außerdem Mobiltelefone, Laptops und Dokumente im Kairoer Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie bei drei Organisationen, die ihren Hauptsitz in den USA haben: das 'National Democratic Institute' (NDI), das 'International Republican Institute' (IRI) und 'Freedom House'. Diese Gruppen beobachten die Parlamentswahlen in Ägypten.


"Eskalation der Repression"

David Kramer, der Vorsitzende von Freedom House, beschrieb die Razzien als "Eskalation der Repression", die es in dieser Form noch nicht einmal während der Mubarak-Diktatur gegeben habe. Er beschuldigte den seit vergangenem Februar regierenden Obersten Rat der Streitkräfte (SCAF), die Zivilgesellschaft zum "Sündenbock ihres totalen Versagens" in der derzeitigen politischen Übergangsphase zu machen.

Aktivisten, die sich an dem Aufstand vor elf Monaten beteiligt haben, kritisieren, dass die neuen Militärmachthaber in manchen Fällen sogar brutaler gegen ihre Gegner vorgehen als seinerzeit das Regime von Präsident Husni Mubarak. Sie werfen SCAF vor, friedliche Demonstrationen zu unterdrücken, Kritiker in unfairen Verfahren vor Militärgerichten abzuurteilen und Notstandsgesetze aus der Mubarak-Zeit erweitert zu haben.

Das Militär hat auch wegen seines Vorgehens gegen weibliche Demonstranten Empörung hervorgerufen. Erst kürzlich wurde auf Videos dokumentiert, wie Sicherheitskräfte in den Straßen auf Frauen einschlugen. Ein Gericht untersagte außerdem der Armee, weibliche Häftlinge entwürdigenden 'Jungfräulichkeitstests' zu unterziehen.

"Seit der Revolution hat das Militär jeden angegriffen, der auf der Straße gegen das Regime protestiert", sagte der prominente Anwalt und Menschenrechtsaktivist Negad El-Borai. Die Razzien seien Teil einer längeren Hetzkampagne gegen NGOs, die sich für Menschenrechte und die Stärkung der Demokratie einsetzten. Vorausgegangen war eine Flut von Anschuldigungen der Regierung gegen Organisationen und politische Gruppierungen in Ägypten, die angeblich illegal finanzielle Hilfe aus dem Ausland erhalten. Dahinter sah der Militärrat Versuche zur Destabilisierung des Landes.

Mitglieder des SCAF gingen sogar soweit, die Gewalt in Kairo während und nach der Revolte gegen das Mubarak-Regime auf Saboteure zurückzuführen, die über die NGOs finanziert worden seien. Anfang Januar erklärte Justizminister Adel Abdel Hamid, dass juristischen Ermittlungen zufolge mehr als 300 NGOs Gelder aus anderen Ländern in Empfang genommen hätten. Mehrere Organisationen seien unerlaubt in Ägypten tätig.


Vorschriften für NGOs wurden immer strenger

Seit 2002 gelten Gesetze, die alle zivilgesellschaftlichen Organisationen dazu verpflichten, eine staatliche Genehmigung einzuholen, bevor sie finanzielle Mittel aus dem Ausland entgegennehmen dürfen. Vier Jahre später verschärfte die Regierung die Registrierungsvorschriften für NGOs, deren Aktivitäten 2010 weiter erheblich eingeschränkt wurden.

Die Ministerin für internationale Zusammenarbeit, Fayza Aboul Naga, wies die Vorwürfe zurück. "Ägypten stellt sich nicht gegen die ausländische Finanzierung für NGOs, solange dies mit ägyptischen und internationalen Gesetzen konform geht. Das Geld muss für Entwicklungsarbeit und nicht für politische Zwecke bestimmt sein", sagte sie im November.

Aboul Naga, die seit dem Sturz Mubaraks vier Kabinettsumbildungen überstanden hat, beschuldigte die US-Regierung, 14 amerikanische und zwölf ägyptische NGOs zu finanzieren, die in Ägypten ohne Genehmigung arbeiteten.

Die US-Botschafterin in Kairo, Anne Patterson, erklärte bereits im vergangenen Juni, dass ihr Land 40 Millionen US-Dollar in Ägypten ausgegeben habe, um nach der Revolution die demokratische Entwicklung zu fördern. 600 ägyptische Organisationen hätten bei den USA Mittel beantragt.

Nach Ansicht von El-Borai ist die Finanzierung der Organisationen nicht die eigentliche Sorge des Militärs. Es gehe vielmehr darum, den Handlungsspielraum von NGOs einzuschränken, die durch ihre Arbeit die Herrschaft der Armee gefährden könnten.


Aktivisten werfen Militär gezielte Kampagne vor

"Es wird sehr deutlich, dass dies eine Kampagne gegen Gruppen der Zivilgesellschaft ist, die für Demokratie und Bürgerrechte eintreten", sagte El-Borai. So hätten die Sicherheitskräfte keine Organisation aufs Korn genommen, die von den arabischen Golfstaaten finanziert werde. Er wies zudem darauf hin, dass die ägyptischen Streitkräfte etwa 1,3 Milliarden Dollar jährlich von den USA entgegennehmen.

Nach Berichten der staatlichen Zeitung 'Al-Akhbar' hat die Gruppe 'Ansar Al-Sunnah Al-Mohamedeya' seit der Revolution mehr als 50 Millionen Dollar aus Katar und Kuwait erhalten. Damit wurde sie zum größten Empfänger ausländischer Hilfszahlungen in Ägypten. Der Zeitung zufolge waren diese Spenden für die Förderung der ultrakonservativen islamischen Salafisten-Bewegung bestimmt.

Al-Akhbar berichtete außerdem, dass eine Institution, die im Andenken an Mubaraks verstorbenen Enkel gegründet worden war, fast 15 Millionen Dollar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und aus Oman erhalten hat. Die zwielichtige Wohltätigkeitsorganisation steht im Verdacht, von Anhängern des ehemaligen Regimes kontrolliert zu werden. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.anhri.net/en/
http://www.acijlp.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106371

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. Januar 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2012