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NAHOST/901: Syrien - Drusen von der Regierung hofiert, Sorge über Teilnahme an Revolution (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. März 2012

Syrien: Drusen von der Regierung hofiert - Sorge über Teilnahme an Revolution

von Mona Alami



Beirut, 28. März (IPS) - In der syrischen Drusenhochburg Sweida ist es in diesem Monat zu Pro-Demokratie-Kundgebungen gekommen. Zwar ist die Protestbewegung bisher von geringer Tragweite, doch wird ihr eine große symbolische Bedeutung beigemessen.

Die Drusen gelten als die Geistesverwandten der Glaubensgemeinschaft der Alawiten, der auch die regierende Assad-Familie angehört. Machthaber Bashar al-Assad, der derzeit die Volksaufstände im Lande brutal niederschlagen lässt, versucht deshalb ein Überlaufen der Drusen zu den Revolutionären zu verhindern.

Über Jahrhunderte bildete die Minderheit der Drusen, die drei Prozent der syrischen Bevölkerung stellt, die Speerspitze etlicher Revolutionen: etwa gegen die Herrschaft der Ottomanen und das französische Mandatssystem. Die Mehrheit der Drusen lebt in Sweida. Die Region im Südwesten Syriens ist auch als 'Jabal al-Druze' (Drusenberg) bekannt.

Im letzten Jahrzehnt knüpfte die Gemeinschaft gute Beziehungen zu der Regierung von Präsident Bashar al-Assad, der immer wieder bei Besuchen lokaler Drusenfamilien gesehen wurde. Die engen Bande jedoch haben die Menschen in Sweida nicht immun gegen die Forderungen der Pro-Demokratie-Bewegung gemacht, die seit Januar 2011 den Tod von fast 7.500 Menschen zu beklagen hat.


Kleinere Demonstrationen

"Hier kommt es häufiger zu Demonstrationen, allerdings finden sie auf kleiner Flamme statt", bestätigt Rima Fleyhan, Mitglied der syrischen Opposition. Sie berichtet von 15 Protesten in verschiedenen Drusendörfern in der vorletzten Märzwoche.

Die Demonstrationen konzentrieren sich auf die gleichnamige Hauptstadt von Sweida, sowie auf Qraya, den Geburtsort des historischen Drusenführers Sultan Pacha al-Atrash, der die syrische Revolution von 1925 bis 1927 anführte, und auf Chahba, einer weiteren Stadt in der Drusenregion.

"Die kleine Protestbewegung besteht im Grunde aus der Elite der Drusen - Studenten, Anwälten, Ingenieuren und Linken", so Talal el-Atrache, Autor des Buches 'Wenn Syrien erwacht', im Telefongespräch mit IPS. Die Proteste im Rest des Landes werden hingegen von Menschen aus den ländlichen Gemeinden und den verarmten Regionen getragen. Doch inzwischen springt die Bewegung auch auf die oberen Schichten über.

"Als die Pro-Demokratie-Bewegung mit ihren Protesten begann, traf sich Bashar al-Assad mit den Scheichs (den höchsten Drusen-Klerikern) und gab ihnen den Rat: 'Wir sind als Drusen und Alawiten Minderheiten in diesem Land. Lasst euch nicht in die Proteste verwickeln", berichtet Muntaha al-Atrash, die Tochter von Sultan Pasha al-Atrash.

Verschiedenen Quellen zufolge versuchten die drusischen Scheiche die Bewegung einzudämmen. Doch trotz der Bemühungen wurden zwei 'Volkskomitees' aus Mitgliedern des lokalen Koordinationskomitees (LCC) gebildet. "Wir haben darüber hinaus eine Einheit gegründet, die aus drusischen Militärs besteht", betonte Oberst Aref Hamoud von der Freien Syrischen Armee (FSA) von der Türkei aus in einem Telefongespräch mit IPS.

Nach LCC-Angaben haben FSA-Brigaden von Sultan Pasha al-Atrash am 25. März einen militärischen Außenposten angegriffen. Dabei wurde ein Offizier der nationalen Armee getötet. 28 Soldaten wechselten angeblich die Seiten - ein Gerücht, das sich aufgrund der in Syrien verhängten Medieninformationssperre kaum überprüfen lässt.


Drusen aus verschiedenen Gründen zurückhaltend

Es gibt verschiedene Hindernisse, die der Pro-Demokratie-Bewegung in Sweida im Weg stehen. Der Sicherheitspolizei und den Schlägern al-Assads ist es bislang immer gelungen, die Demonstrationen in den Drusengebieten rasch aufzulösen. Fleyhan zufolge stellt zudem die Abwesenheit religiöser Zentren ein großes logistisches Problem für die Protestbewegung der Drusen dar. Im Rest des Landes gebe es die Moscheen, die als Ausgangspunkte für die Demonstrationen eine wichtige Rolle spielten.

Ein weiterer Faktor für die geringe Tragweite der Proteste ist die massive Abwanderung junger Drusen aus der Region. Somit fehlt es in den Dörfern an Kerngruppen, wie sie in anderen Teilen des Landes existieren. Experten wie Talal el-Atrache verweisen aber auch auf andere Gründe wie die fortlaufende Militarisierung der Rebellion als Antwort auf die Unterdrückung, die den Volksaufstand von seinen anfänglichen Zielen abbringt.

Der politisch aktive Druse Ashraf Jaramani ist der Meinung, dass die tödliche Gefahr eines Bürgerkriegs und die islamistische Dimension der Proteste die Drusen davon abhalten werden, sich der überregionalen Protestbewegung anzuschließen. "Sollte Syrien Ägypten und Libyen nacheifern, wer kann den Drusen garantieren, dass die Muslimische Bruderschaft nicht das Land regieren wird? Was würde in einem solchen Fall mit den Minderheitenrechten geschehen?"

Die Drusen beunruhigt auch die Internationalisierung des Konflikts, die Syrien zu einem Schlachtfeld rivalisierender schiitischer und sunnitischer Länder machen könnte. "Die Drusen wollen nicht, dass Syrien in libanesische Fußspuren tritt", betont Talal el-Atrache in Anspielung auf den 15-jährigen Bürgerkrieg im Libanon von 1975 bis 1990.

Die drusische Gemeinschaft im Libanon hat bereits versucht, die Glaubensbrüder zu beeinflussen. In verschiedenen Leitartikeln seiner Wochenzeitung forderte Walid Joumblatt, der prominente Führer der Gemeinschaft, die Drusen in Syrien auf, sich auf die Seite der Revolution zu schlagen. Darüber hinaus appellierte er an die jungen drusischen Soldaten in der syrischen Armee, sich der Forderung der Militärführung zu widersetzen, "die eigenen Brüder zu töten".


Assad-Regime besorgt

Das Zentrum für die Dokumentation von Übergriffen in Syrien, das von Aktivisten innerhalb der LCC betrieben wird, schätzt die Zahl der seit dem 25. Januar getöteten Soldaten aus Sweida auf 31. Andere Quellen sprechen von fast 80 drusischen Opfern.

Für Muntaha al-Atrash wäre eine größere Rolle der Drusen bei den Protesten ein schwerer Rückschlag für das Regime, zumal Sweida zusammen mit der Provinz Daraa das Gebiet Hauran bildet. Das Assad-Regime, besorgt über die Gefahr, die eine solche vereinigte Front darstellen könnte, versucht nach wie vor, die Minderheit zu umwerben. Die Sicherheitskräfte sind zudem bemüht, das Leben drusischer Demonstranten zu schonen, berichtet Fleyhan.

Doch einige Aktivisten warnen, dass die Sicherheitskräfte die Geduld verlieren und taktische Fehler begehen würden, die nach hinten losgehen könnten, wenn der Druck in der Region zunimmt. "Wenn sich ganz Hauran erhebt", prognostiziert Muntaha al-Atrash, "wird es schwer sein, das Ganze wieder zu entschärfen". (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2012