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NAHOST/906: Libanon - Grenzdörfer in syrischen Konflikt hineingezogen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. April 2012

Libanon: Grenzdörfer in syrischen Konflikt hineingezogen

von Mona Alami

Syrische Flüchtlingsfamilie im libanesischen Grenzdorf Ersal - Bild: © Mona Alami/IPS

Syrische Flüchtlingsfamilie im libanesischen Grenzdorf Ersal
Bild: © Mona Alami/IPS


Qaa, Libanon, 17. April (IPS) - Nur wenige Kilometer trennen die beiden libanesischen Dörfer Ersal und Qaa von der Grenze zu Syrien. Die Nähe zum Nachbarland führt dazu, dass beide Ortschaften die Gewalt zu spüren bekommen, die durch die lang anhaltenden Unruhen im Nachbarland hervorgerufen wird.

Erst kürzlich geriet die Grenzregion unter syrisches Artilleriefeuer. Trotz einer neuen Waffenruhe bleibt die Lage angespannt. Auch dringt die syrische Armee auf der Suche nach Rebellen immer wieder in die libanesische Grenzregion Masharii Qaa vor, in der sich das von Sunniten bewohnte Ersal und das von Christen bevölkerte Qaa befinden. Während die Bewohner von Ersal Syriens Aufständische unterstützen, stoßen diese in Qaa auf großes Misstrauen.

In dem Gebiet, das nicht weit von Syriens Bürgerkriegsschauplätzen entfernt ist, kommt es zunehmend zu gewaltsamen Zusammenstößen. Schmuggler machen sich die unruhige Lage zunutze. Syrische Flüchtlinge und Verletzte suchen in den Orten jenseits der Grenze Schutz.

In den vergangenen Wochen hat Syriens Militär Mörsergranaten und andere Munition in Richtung des nördlichen Libanons abgeschossen. Dabei kam der Kameramann eines lokalen Fernsehsenders in Wadi Khaled ums Leben.


Ersal wird Kollaboration mit "Terroristen" vorgeworfen

Die Menschen in Qaa sind beunruhigt. "Unsere Nachbarn in Ersal machen uns Probleme, weil sie syrische Terroristen unterstützen", sagte Saadeh Toum, ein ehemaliger Bürgermeister des Dorfes. Wie er erklärte, finden im Umkreis von Ersal Mitglieder der größten bewaffneten Oppositionsgruppe 'Freie Syrische Armee' (FSA) Unterschlupf.

Die Einwohner Ersals jedoch streiten ab, in dem Konflikt eine Rolle zu spielen. "Es gibt keine FSA-Kämpfer in der Region. Die einzige Hilfe, die wir der syrischen Opposition leisten, besteht in Erste-Hilfe-Koffern, medizinischer Versorgung und Lebensmitteln", erklärte Abu Wadi, ein syrischer Aktivist, der im Untergrund ein Krankenhaus auf der anderen Seite der Grenze betreibt. Er ist auch verantwortlich für eine geheime Zugverbindung durch das Gebiet.

Hier, am Osthang des Berges, nur wenige Kilometer von der umkämpften Stadt Homs entfernt, haben syrische Kämpfer ihr Hauptquartier in einer Computerreparaturwerkstatt aufgeschlagen. Syrische Frauen fragen häufig nach, wann die nächsten Hilfslieferungen zu erwarten sind.

Noch vor einem Monat fuhr von hier aus jeden Tag ein mit 200 Broten beladener Lastwagen heimlich nach Baba Amr in Homs. "Wir liefern den FSA-Kämpfern ihre tägliche Ration Brot", verkündete stolz ein Dorfbewohner, der sich Anonymität ausbat.

"Seit Beginn der Unruhen in Syrien ist Masharii Qaa eine Oase für Schmuggler geworden", erklärte ein Offizier der libanesischen Armee, der vor einigen Wochen zehn Kämpfer in Militäruniformen im libanesischen Bekaa-Tal festgenommen hatte. Nach seinen Angaben waren sie in zwei Fahrzeugen in Richtung Syrien unterwegs, die mit Waffen, Mörsergranaten und Panzerfäusten beladen waren.


Schnee blockiert Weg nach Homs

In Ersal warten die Bewohner und die syrischen Flüchtlinge nun darauf, dass die Schneekappen auf dem Gebirgszug zwischen den beiden Staaten schmelzen. "Bis jetzt kommen wie nur über Masharii Qaa nach Syrien. Die Region ist aber von syrischen und libanesischen Truppen eingekreist", sagte der Syrer Ahmad, der ebenfalls auf der Flucht ist. "Sobald der Schnee geschmolzen ist, haben wir wieder Zugang zu Rif Dimashk, einem Vorort von Damaskus. Die Armee wird es nicht schaffen, ein so weiträumiges Gebiet unter Kontrolle zu halten."

Die Spannungen zwischen den Bewohnern von Qaa und Ersal zeigen auch, wie wenig Einfluss die libanesische Regierung in dem Gebiet hat, in dem größtenteils die Hisbollah das Sagen hat.

Laut Mohamad Ezzedine, einem offiziellen Vertreter von Ersal, verteilen zurzeit nur islamische Organisationen, die von Katar und Saudi-Arabien finanziert werden, Hilfsgüter in der Region. Die Libanesische Hohe Hilfskommission, die im Allgemeinen verantwortlich für Flüchtlinge ist, ist nicht in Masharii Qaa, sondern nur in der nördlichen Grenzregion Wadi Khaled tätig.


Flüchtlinge werden zur Last

Wie der libanesische Aktivist Abou Mohamad Ali Queid erklärte, halten sich zurzeit mehr als 180 syrische Familien in Ersal auf. "Die meisten leben in Privathaushalten, aber sie sind schon länger geblieben als angemessen, weil die Krise in ihrem Land so lange andauert", sagte Queid. "Wir haben keine andere Wahl, als auf unseren Grundstücken Zelte aufzuschlagen. Denn die Regierung will keine Flüchtlingslager einrichten."

Der Menschenrechtsaktivist Nabil Halabi berichtete, dass der Mangel an Nahrung und Unterkünften dazu geführt hat, dass pro-syrische Milizen versuchen, Krankenwagen zu kapern, in denen verletzte Flüchtlinge aus Syrien in libanesische Krankenhäuser gebracht werden.

In Ersal, das in einer der ärmsten Gegenden des Libanon liegt, nehmen die Spannungen zu, seit syrische Flüchtlinge dazu übergegangen sind, in der Landwirtschaft und auf dem Bau zu arbeiten. Viele Libanesen betrachten sie als Konkurrenten. "Die Syrer arbeiten für den halben Lohn", sagte Queid. "Das verschärft den Druck in einer Region, in der die Lage ohnehin schon angespannt ist." (Ende/IPS/ck/2012)

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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2012