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NAHOST/989: Zwischen Bomben und Kirschbäumen - israelisch-syrische Grenze wackelt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Juni 2013

Nahost: Zwischen Bomben und Kirschbäumen - Israelisch-syrische Grenze wackelt

von Pierre Klochendler


Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Israelische Patrouille an der Grenze zu Syrien
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Kibbutz Ein Zivan, Golan-Höhen, 21. Juni (IPS) - Syriens Bürgerkrieg ist bis auf wenige Meter an die israelischen Obstgärten herangerückt, die an die Waffenstillstandslinie anstoßen. Österreichische Blauhelme haben sich aus der demobilisierten Zone (DMZ) zwischen beiden Staaten zurückgezogen. Und es gibt Befürchtungen über ein Scheitern des Einsatzes der UN-Beobachtermission UNDOF auf den Golanhöhen. All diese Entwicklungen haben sich innerhalb von zehn Tagen ereignet.

Oberfeldwebel Heinz Brandl von dem 378 Mann starken österreichischen UNDOF-Bataillon bedauerte die Räumung der Zone. "Unsere Regierung hat entschieden, dass es hier zu gefährlich geworden ist. Die meisten von uns gehen nur ungern von hier weg. Leider müssen wir den Anordnungen unserer Politiker folgen. Es gibt keinen Weg zurück."

Der Rückzug der österreichischen Truppen begann kurz vor der Einnahme der syrischen Stadt Quneitra am 6. Juni durch die Rebellen der Freien Syrischen Armee, die aber nur vier Stunden später von den Sicherheitskräften wieder vertrieben wurden, die dem syrischen Präsidenten Bashar el-Assad treu ergeben sind. Die 911 Mitglieder umfassende UN-Truppe geriet zwischen die Fronten. Zwei Blauhelme wurden dabei verletzt.


"Österreich, hau ab"

"Österreich, hau ab! Lass dich wieder anschließen!", fluchte ein Israeli, der den plötzlichen Truppenabzug vom Kibbutz Ein Zivan aus beobachtete. Die Ohnmacht der Friedenshüter vergleicht er mit der Kapitulation Österreichs vor Hitlers Forderung einer Angliederung des Staatsgebietes an Deutschland im Jahr 1938.

Am Grenzübergang Quneitra, wo sich das UNDOF-Hauptquartier befindet, weht wieder die syrische Staatsflagge gegenüber einem Mast mit der israelischen Fahne. Von Ein Zivan aus sieht man niedergebrannte Felder als Zeichen der schwersten Kämpfe, die das Gebiet seit Ausbruch des Bürgerkriegs erschüttert haben.

Inzwischen ist leicht zu unterscheiden, wer welchen Teil der Golan-Höhen unter Kontrolle hat. Die verkohlten Felder liegen in Syrien, während die üppig grünen Bäume mit reifen Kirschen sich auf israelischer Seite befinden. Der Gemeindevorsitzende von Ein Zivan, Ronen Gilboa, wurde Zeuge der Gefechte: "Um fünf Uhr früh hörten wir Schüsse und Explosionen, während wir gerade Kirschen pflückten. Innerhalb weniger Minuten forderte die Armee uns auf, die Gärten zu verlassen."

Während der Auseinandersetzungen seien syrische Panzer um die Rebellenstellungen herum gefahren, berichtet er. Die Syrer hätten in Richtung ihres eigenen Staatsgebiets gefeuert, um Vergeltungsschläge Israels zu verhindern. "Das gesamte Gebiet ist eine Nord-Süd-Passage für die Rebellen." Israel legte dennoch bei den UN Beschwerde ein und erklärte, fünf syrische Panzer und vier gepanzerte Fahrzeuge seien in die demilitarisierte Zone eingedrungen.

Im Laufe des vergangenen Jahres hat der Bürgerkrieg die Waffenstillstandslinie bereits mehrfach überschritten. Verirrte Mörsergranaten schlugen gelegentlich auf israelischer Seite ein, woraufhin die Israelis zurückschossen.

Kroatien zog seine Soldaten zurück, nachdem ein UN-Konvoi im März von syrischen Rebellen festgehalten worden war. Syriens Hauptstadt Damaskus ist nur etwa 60 Kilometer vom israelischen Teil der Waffenstillstandslinie entfernt. In 243 Kilometern Entfernung liegt das Büro des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu. "Die Auflösung des UN-Kontingents auf den Golan-Höhen macht deutlich, dass Israel sich für seine Sicherheit nicht auf die internationalen Truppen verlassen kann", meinte der Premier vor seinem Kabinett.

UNDOF-Leiter Hervé Ladsous erklärte während einer geschlossenen Notfallsitzung des UN-Sicherheitsrats, dass der jüngste Vorfall Israel und Syrien an den Rand der unmittelbarsten militärischen Konfrontation auf den Golan-Höhen seit 40 Jahren gebracht hat. Mit dem Trennungsabkommen 1974 hatten Israel und Syrien formell den ein Jahr zuvor geführten Krieg beendet. Seitdem überwacht UNDOF in der Pufferzone die Einhaltung des Waffenstillstands.

"Wir können der UNDOF unsere Sicherheit nicht anvertrauen. Ebenso wenig können wir uns darauf verlassen, dass Syrien das Waffenstillstandsabkommen ohne die UNDOF einhalten wird", betont Gilboa. "Wir wissen es zu schätzen, dass UNDOF integraler Bestandteil des Abkommens ist."


Ban Ki-moon für Verlängerung der UNDOF-Mission

Alle sechs Monate muss der UN-Sicherheitsrat das UNDOF-Mandat verlängern. Das laufende Mandat endet im Juni. In einem kürzlich beim UN-Sicherheitsrat eingereichten Bericht empfahl UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die Verlängerung der Mission bis zum 31. Dezember 2013 und nannte sie "essentiell". Sowohl Netanjahu als auch Assad teilen diese Ansicht. Ban verkündete, dass Israel und Syrien die vorgeschlagene Verlängerung gebilligt hätten.

Der Pazifikstaat Fidschi könnte nun das Vakuum innerhalb von UNDOF füllen, indem er bis Ende Juni 170 Soldaten und medizinisches Personal auf die Golan-Höhen entsendet. Nur wenige Kilometer entfernt von dem UN-Grenzübergang, wo die jüngsten bewaffneten Zusammenstöße stattfanden, bereitet sich derzeit ein israelisches Reserve-Artilleriebataillon auf das vor, was ein Soldat "eine lang geplante Militärübung" nannte.

Auf einem Areal nahe dem Gebiet, das eher wie eine Kampfront als wie eine Waffenstillstandslinie wirkt, treffen israelische Panzer ein und stoßen Rauch und Staub aus. Man brauche keine Nebelwand, um den Syrern die Sicht zu versperren, sagt Gilboa, der früher selbst Kommandeur eines Panzerregiments war.

Auseinandersetzungen zwischen Panzertruppen sind in diesem Gebiet nichts Neues. Bereits während des Krieges 1973 trugen Israel und Syrien auf den Golan-Höhen eines der größten Panzergefechte seit dem Zweiten Weltkrieg aus. Syrien versuchte damals ohne Erfolg, das von den Israelis 1967 eroberte Territorium zurückzuerobern.

"Solange Assad an der Macht ist, machen wir uns nicht so viele Sorgen", meint Gilboa. "Der Bürgerkrieg hat keine Auswirkungen auf unseren Alltag. Wir bringen unseren Leuten nur bei, auf der Hut zu sein." Unterdessen strömen Tausende Touristen herbei, um die Kirschbäume in den israelischen Gärten zu bestaunen. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/06/border-weakens-between-bombs-and-cherries/

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IPS-Tagesdienst vom 21. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2013